L 8 AS 4786/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 2978/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 4786/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 31. August 2006 abgeändert und die Antragsgegnerin in Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 1.Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 246,33 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin 1/8 ihrer außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht Heilbronn (SG) nicht abgeholfen hat, gegen den Beschluss des SG vom 31.08.2006, mit dem das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung unter Anrechnung von Kindergeld für die Hilfe zur Erziehung gemäß SGB VIII beziehenden Pflegekinder T. H. (geboren am 1987) und E. B.-A. (geboren am 1993) in Höhe von insgesamt monatlich 231 EUR als Einkommen der Antragstellerin verpflichtet hat, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 01.07.2006 bis 31.12.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 216,33 EUR zu zahlen, ist teilweise in Höhe von monatlich 30 EUR begründet, im Übrigen jedoch unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005, NVwZ 2005, 927, 928).

Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, NJW 2003, 1236; BVerfG, NVwZ 2004, 95,96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG, NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (BVerfG 12.05.2005, NVwZ 2005, 927, 928).

Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005, NVwZ 2005, 927, 928; SG Düsseldorf, NJW 2005, 845, 847).

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde allein gegen die Berücksichtigung von Kindergeld, das sie für zwei Pflegekinder bezieht, als eigenes Einkommen.

Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB II ist gemäß § 11 Abs. 1 SGB II Einkommen zu berücksichtigen. Das an die Antragstellerin ausgezahlte Kindergeld ist nach der Rechtsprechung des Senates (Urteil vom 15.09.2006 -L 8 AS 5071/05-) Einkommen in diesem Sinne und daher bei der Bedarfsberechnung mindernd zu berücksichtigen. Dem entspricht auch die neuere Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 17. Dezember 2003 - 5 C 25/05 - NJW 2004, 2541). Nach dieser Entscheidung ist Kindergeld sozialhilferechtlich Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird.

Ein Ausnahmetatbestand liegt bei der Antragstellerin nur hinsichtlich § 39 Absatz 6 SGB VIII vor. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist das Kindergeld in Höhe von einem Viertel auf die laufenden Leistungen zum Unterhalt im Rahmen der Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII anzurechnen, was auch erfolgt ist, und damit in dieser Höhe als Einkommen dem jeweiligen Pflegekind zuzurechnen. Dem hat das SG im angefochtenen Beschluss Rechnung getragen.

Die Voraussetzungen des § 11 Absatz 1 Satz 3 SGB II (in der Fassung des mit Wirkung zum 01.07.2006 in Kraft getretenen Gesetzes vom 24.03.3006 - BGBl. I S. 558), wonach das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen ist, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhaltes benötigt wird, sind bei der Antragstellerin nicht erfüllt. Zwar hat sie zur Begründung ihrer Beschwerde eingehend ausgeführt, dass das Kindergeld für die Pflegekinder vollständig für notwendige Maßnahmen zu deren Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit verwendet wird. Die Pflegekinder gehören jedoch nicht zur Bedarfsgemeinschaft (Beschluss des erkennenden Senats vom 30.01.2006 - L 8 AS 4627/05 -), die die Antragstellerin alleine bildet.

Das Kindergeld kann als Einkommen der Antragstellerin schließlich auch nicht nach § 1 Absatz 1 Nr. 8 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) unberücksichtigt bleiben. Nach dieser Vorschrift bleibt Kindergeld als Einkommen unberücksichtigt, bei volljährigen Kindern des Hilfebedürftigen, soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende volljährige Kind weitergeleitet wird. Diese Voraussetzungen treffen für die Pflegekinder, von denen nur T. H. volljährig ist und die nach den Angaben der Antragstellerin beide in ihrem Haushalt leben, nicht zu.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat jedoch insoweit Erfolg, als vom Einkommen (monatlich 231 EUR Kindergeld) gem. § 3 Absatz 1 Nr. 1 Alg II-V als Pauschbetrag für die Beiträge der Antragstellerin zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, ein Pauschbetrag von monatlich 30 EUR abzusetzen ist. Dass über den Pauschbetrag hinaus Versichungsbeiträge abzugsfähig sind, ist jedoch nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere hat die Antragstellerin für den streitigen Zeitraum Belege hinsichtlich einer Hausratversicherung und einer KFZ-Versicherung nicht vorgelegt. Die belegte Gebäudeversicherung mit einem Versicherungsbeitrag vom 158,10 EUR jährlich übersteigt den Pausbetrag nicht.

Damit hat die Antragstellerin einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 246,33 EUR (Bedarf insgesamt 447,33 EUR abzüglich anzurechnendes Einkommen 201 EUR) glaubhaft gemacht. Nach der Gesetzeslage konnte das Kindergeld als Einkommen der Antragstellerin jedoch nicht gänzlich unberücksichtigt beleiben, weshalb ihre Beschwerde insoweit zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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