L 8 V 4947/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 V 2497/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 V 4947/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Neufeststellung eines Versorgungsanspruchs.

Bei dem am 1917 geborenen und am 23.05.2003 während des Klageverfahrens verstorbenen A. R. (R.) waren als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 vH anerkannt: Teilverlust des rechten Oberschenkels, Nervenschmerzen im Amputationsstumpf bei Neurombildung, nicht hindernde Narben am linken Unterarm und am linken Oberschenkel nach Verwundung, Knick-Senkfuß links (Bescheid vom 14.07.1966). R. hatte am 25.05.1942 eine schwere Verwundung erlitten. Dabei wurde das rechte Kniegelenk durch Granatsplitter zerstört, sodass das rechte Bein noch auf dem Hauptverbandsplatz im Oberschenkel amputiert werden musste. Nach dem Krieg war R. als Verwaltungsangestellter berufstätig. Am 08.04.1975 trat der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit ein. Er bezog daher ab 01.05.1975 Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bl. 363 der B-Akte).

Im September 1999 stellte R. den Antrag, ein im Jahre 1989 anlässlich eines Kuraufenthaltes entdecktes infrarenales Bauchaortenaneurysma (krankhafte Erweiterung der Bauchschlagader unterhalb des Abgangs der Nierenarterien) als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und ihm Versorgung nach einer MdE um 100 vH zu gewähren. Das (damals zuständige) Versorgungsamt Freiburg ließ R. durch seinen Ärztlichen Dienst untersuchen und begutachten. Im Gutachten vom 14.02.2000, das auf einer ambulanten Untersuchung des R. am 03.02.2000 beruht, führte Dr. Mutschler-Kehl aus, als wesentliche Risikofaktoren für das Entstehen eines Aortenaneurysmas gälten die allgemeinen kardiovaskulären Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas, Nikotin). Bei R. lägen als Risikofaktoren eine langjährige Hypertonie (Bluthochdruck über 140/90 mmHg) und eine Adipositas (Body-Mass-Index über 28 kg/m2) vor. Das Vorliegen zweier Risikofaktoren gelte damit als wesentliche Ursache für die Entstehung des Aneurysmas. Vermutungen, wie sie nach Untersuchungen von V. et al. 1988 über den Zusammenhang zwischen operierten infrarenalen Aneurysmata und Beinamputationen geäußert worden seien, hätten bis heute nicht bestätigt werden können. Mit Bescheid vom 07.03.2000 lehnte das Versorgungsamt Freiburg (Außenstelle Radolfzell) den Neufeststellungsantrag des R. und insbesondere die Anerkennung des Bauchaortenaneurysmas als weitere Schädigungsfolge ab.

Gegen diesen Bescheid lehnte R. am 04.04.2000 Widerspruch ein, den das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2000 zurückwies.

Am 15.08.2000 hat R., vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Zur Begründung der Klage hat R. im Mai 2001 u.a. vorgetragen, bei ihm sei unstreitig ein großes Aneurysma der Bauchaorta vorhanden. Dieses Aneurysma sei als Schädigungsfolge anzuerkennen. Denn Amputationen hätten grundsätzlich vermehrt Aneurysmen zur Folge. Dies sei durch wissenschaftliche Studien belegt. Bei ihm habe wegen der Beinamputation die in den rechten Fuß führende Arterie abgetrennt werden müssen. Dadurch sei das Aneurysma entstanden. Durch das Tragen der Prothese sei die Arterie zusätzlich beeinträchtigt worden. Dies habe zwischenzeitlich dazu geführt, dass der Puls an der rechten Leiste nicht mehr tastbar sei. Das Aneurysma sei zwar erst im Jahre 1989 mit Hilfe einer Ultraschalluntersuchung entdeckt worden. Dies liege aber nur daran, dass er in diesem Jahr erstmals überhaupt mit Ultraschall untersucht worden sei. Eine frühere Feststellung des Aneurysmas sei deshalb gar nicht möglich gewesen. Das große Aortenaneurysma sei auch nicht die Folge anderer Risikofaktoren. Gegen den Bluthochdruck nehme er Medikamente; im Übrigen sei der Bluthochdruck selbst eine Folge der Amputation, da es ihm aufgrund der im Alter von 25 Jahren erfolgten Amputation verwehrt sei, Sport zu treiben. Entgegen den Ausführungen im Widerspruchsbescheid habe er auch kein Übergewicht. Auch eine linksseitige Kniegelenksveränderung sowie Belastungsbeschwerden des linken Fußes und des Rückens seien als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen.

Mit Schreiben vom 24.07.2001 hat der Kammervorsitzende des SG Prof. Dr. H. mit der Erstattung eines angiologischen Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat sich in seinem am 27.12.2001 beim SG eingegangenen Gutachten vom 18.12.2001 mit dem vom Kläger vorgelegten Artikel mit der Überschrift "Aneurysma als Spätfolge der Amputation?" (Bl. 861 der B-Akten und Bl. 31 der SG-Akten) auseinandergesetzt, das Ergebnis seiner Literaturrecherche dargelegt und zusammenfassend die Ansicht vertreten, dass der Verschluss der äußeren Beckenarterie und der gemeinsamen Oberschenkelarterie rechts bei R. zwar Folge der Oberschenkelamputation rechts sei, aber keinen erkennbaren oder wissenschaftlich belegbaren Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung des infrarenalen Bauchaortenaneurysmas habe. Dieses sei vielmehr mit größter Wahrscheinlichkeit Folge der Arteriosklerose und des Bluthochdrucks. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.05.2002 hat sich der Sachverständige zu der von R. an seinem Gutachten vorgebrachten Kritik geäußert und dargelegt, Ätiologie und Pathogenese des infrarenalen Bauchaortenaneurysmas seien durch Forschung und Erfahrung in genügender Weise gesichert. Der Beleg für eine einseitige Beinamputation als Cofaktor stehe aus. Zu diesen Ausführungen haben sowohl R. (Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 11.07.2002) als auch der Beklagte (Schreiben vom 20.08.2002) Stellung genommen.

Das SG hat daraufhin mit Verfügung vom 16.10.2002 die Einholung eines weiteren Gutachtens angeordnet. Dr. B., Chefarzt der Ärztlichen Abteilung der H.klinik B. S., hat in seinem Gutachten vom 26.02.2003, das auf ambulanten Untersuchungen des Klägers am 18.12.2002 und 14.01.2003 beruht, darauf hingewiesen, dass es in der Literatur zwei unterschiedliche Meinungen zur Rolle der einseitigen Beinamputation bezüglich der Entwicklung eines Bauchaortenaneurysmas gebe. Beide Studien seien ähnlich angelegt. Sicher reiche eine Studie nicht aus, um einen Zusammenhang zu beweisen, vor allem wenn eine zweite Studie zu einem anderen Ergebnis komme. Er halte aber die von Vollmer aufgestellten Hypothesen zur Entwicklung eines Bauchaortenaneurysmas nicht für abwegig. Seiner Meinung nach sei die im Jahre 1942 bei R. vorgenommene Beinamputation mit Wahrscheinlichkeit neben anderen Ursachen eine medizinisch nicht unerhebliche Mitursache für die Bildung eines Bauchaortenaneurysmas. Allerdings könne ein direkter Ursachenzusammenhang deshalb nicht bejaht werden, weil hierzu verschiedene ärztliche Meinungen bestünden. Er sehe jedoch die nach der Beinamputation eingetretene Gewichtszunahme teilweise als Folge der durch die Amputation bedingten Immobilisierung und der zusätzlichen überlastungsbedingten Schädigungen am anderen Bein an. Als Folge der Adipositas könne die arterielle Hypertonie und Fettstoffwechselstörung angesehen werden. Insofern sei die kriegsbedingte Schädigung eine wesentliche Mitursache für die Entstehung des Aneurysmas.

Am 23.05.2003 ist R. verstorben. Seine Ehefrau R. R. hat das Klageverfahren als Sonderrechtsnachfolgerin von R. weitergeführt.

Mit Urteil vom 29.10.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausführlich dargelegt, weshalb es der von Prof. Dr. H. vertretenen Ansicht den Vorzug gibt und einen Ursachenzusammenhang zwischen der Beinamputation und dem Bauchaortenaneurysma nicht als wahrscheinlich betrachtet. Die für die Klägerin bestimmte Ausfertigung des Urteils ist ihrem Prozessbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 01.12.2003 zugestellt worden.

Mit einem am 19.11.2003 beim SG eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin Berufung eingelegt und diese mit einem weiteren Schriftsatz vom 11.02.2004 begründet. Die bei R. vorhanden gewesenen Gesundheitsstörungen - Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck, Bauchaortenaneurysma - seien als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Aus der Studie von V. et al. ergebe sich ein direkter Ursachenzusammenhang zwischen Beinamputation und Aneurysma. Anderes ergebe sich auch nicht aus den Stellungnahmen von Prof. Dr. H., dessen Ausführungen bereits in logischer Hinsicht fragwürdig seien. Prof. Dr. H. sei auch offensichtlich nicht in der Lage gewesen, die Kategorien Häufigkeit einer Erkrankung einerseits und Kausalität einer Erkrankung andererseits auseinander zu halten. Das SG habe auch die Ausführungen von Dr. B. verkürzt und fehlerhaft dargestellt. Dieser habe nicht geäußert, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Amputation und Aneurysma nur dann bestehe, wenn man der These von V. und Mitarbeitern folge. Im Übrigen habe Dr. B. auch den Ursachenzusammenhang zwischen der Beinamputation bei R., und der dadurch bedingten eingeschränkten Beweglichkeit, die dann zum Übergewicht geführt habe, zutreffend dargestellt. Daher sei zumindest ein indirekter Zusammenhang zwischen Amputation und Aneurysma wahrscheinlich. Auch eine so genannte Kannversorgung iSd §1 Abs. 3 Satz 2 BVG komme in Betracht.

Nach einem Hinweis des Senats auf § 109 SGG hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, ein Gutachten nach Aktenlage bei dem Internisten und Angiologen Dr. N., S., einzuholen. Dr. N., der nach mehrfachen Mahnungen sein Gutachten vom 30.10.2005 schließlich am 31.10.2005 dem Senat vorgelegt hat, ist der Auffassung, dass ein Zusammenhang zwischen der Kriegsverletzung Amputation im rechten Oberschenkel mit Stumpfschmerzen mit den Folgen Immobilisierung, Zunahme des Gewichts, Zunahme der arteriellen Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Entwicklung bzw. Förderung der Arteriosklerose und der Entstehung des Bauchaortenaneurysmas mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Am 01.09.1999 sei das Aneurysma als groß zu bezeichnen und mit einer MdE von 50 vH zu bewerten gewesen. Insgesamt wäre daher eine Gesamt-MdE von 100 vH anzuerkennen.

Am 14.01.2006 ist die Ehefrau von R. verstorben.

Mit Beschluss vom 30.03.2006 hat der Senatsvorsitzende die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, zum Verfahren beigeladen.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Oktober 2003 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2002 aufzuheben, festzustellen, dass bei dem am 13.04.1917 geborenen und am 23.05.2003 verstorbenen A. R. als weitere Schädigungsfolgen "Fettstoffwechselstörung", "Bluthochdruck", "infrarenales Bauchaortenaneurysma" anzuerkennen waren und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des A. R. Versorgung nach einer MdE um 100 vH für die Zeit vom 1. September 1999 bis zum 31. Mai 2003 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte sieht keine Möglichkeit, eine arterielle Hypertonie, eine Fettstoffwechselstörung und eine Arteriosklerose als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen. Daher könne auch die Entwicklung eines Bauchaortenaneurysmas nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als mittelbare Schädigungsfolge anerkannt werden.

Die Beigeladene beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 17.07.2006 ausgeführt, sie schließe sich im Ergebnis der Auffassung von Prof. Dr. H. an, der einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Beinamputation und Aneurysma verneint habe. Da im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs beurteilt werden könne, bleibe für eine Kannversorgung kein Raum. Überdies seien im Falle von R. auch die von Prof. V. geforderten Kriterien nicht erfüllt. Das Aortenaneurysma sei laut Ultraschall vom 31.05.1996 und Computertomogramm vom 16.09.1999 mittelständig, und nicht, wie gefordert, zur amputierten Seite konvex; die Beckenarterien der nicht amputierten Seite seien nicht erweitert. Die Kriterien von Prof. V. besagen ferner, dass keine anderen, auf die Gefäße schädlich wirkenden Faktoren wie Bluthochdruck, Arteriosklerose, Nikotinabusus oder Fettstoffwechselstörungen vorliegen dürften. Bei R. seien zumindest Bluthockdruck und Arteriosklerose über Jahrzehnte bekannt gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit wurde durch den Tod der Klägerin nicht unterbrochen worden, da eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfand. Das Gericht hat lediglich auf Antrag des Bevollmächtigten oder des Gegners die Aussetzung des Verfahrens anzuordnen (§ 202 SGG iVm § 246 Abs. 1 ZPO). Wird jedoch ein solcher Antrag - wie hier - nicht gestellt, steht es einer Entscheidung des Gerichts nicht entgegen, dass der Rechtsnachfolger dem Gericht nicht benannt ist. Bis zum Eintritt des Rechtsnachfolgers bedarf es keiner Änderung des Rubrums, insbesondere nicht einer namentlichen Nennung des Rechtsnachfolgers (BSG 1.2.1984 SozR 1750 § 2146 Nr. 1).

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG und die Beklagte haben zu Recht die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen bei R. verneint und einen Anspruch auf Neufeststellung der Schädigungsfolgen abgelehnt.

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X).

Als wesentliche Änderung der Verhältnisse kommt dabei u.a. eine Verschlimmerung der als Schädigungsfolgen anerkannten oder das Hinzutreten neuer Gesundheitsstörungen in Frage. Die anspruchsbegründenden Tatsachen der Verschlechterung bzw. Besserung des Gesundheitszustandes müssen erwiesen sein (vgl. u.a. BSGE 32, 203, 207, 209; 45, 1, 9/10). Weitere Voraussetzung für eine Neufeststellung ist, dass die Verschlimmerung der anerkannten oder das Hinzutreten neuer Gesundheitsstörungen eine Schädigungsfolge ist und nicht etwa andere, von schädigungsbedingten Einflüssen unabhängige Umstände dafür verantwortlich sind (vgl. BSGE 6, 87, 90; 11, 161, 163; 21, 75, 76). Hierfür ist die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs erforderlich, aber auch ausreichend (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt, d. h. wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSGE 32, 203, 209; 45, 1, 9; 60, 58, 59). Der ursächliche Zusammenhang ist vor allem nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Ob eine wesentliche Änderung der schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen vorliegt, ist durch einen Vergleich der für die letzte bindend gewordene Entscheidung maßgebenden Verhältnisse mit denjenigen zu ermitteln, die bei der Prüfung der Neufeststellung vorliegen (vgl. BSG in SozR 3100, Nr. 21 zu § 62 BVG; BSGE 27, 244). Ist ein Sachverhalt nicht erweisbar, so hat nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast der Beteiligte die Folgen zu tragen, der aus dem nicht festgestellten Sachverhalt Rechte für sich herleitet (vgl. BSGE 19, 52; 30, 121; 43, 110).

Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Ministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 1 Abs. 3 S. 2 BVG).

Nach dem Ergebnis der vom Senat und vom SG durchgeführten Ermittlungen sowie unter Berücksichtigung der in den Verwaltungsakten des Beklagten enthaltenen medizinischen Unterlagen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich die bei R. mit Bescheid vom 14.07.1966 anerkannten Schädigungsfolgen nicht verschlimmert haben und auch keine weiteren Gesundheitsstörungen vorlagen, die über die bereits anerkannten Schädigungsfolgen hinaus als unmittelbare oder mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen waren.

Das Bauchaortenaneurysma, das bei R. vorhanden war, ist keine Schädigungsfolge. Nach dem Gutachten des Dr. N., das dieser auf Antrag der Klägerin für den Senat erstattet hat, ist in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannt, dass Hauptursache für diese Gesundheitsstörung die Arteriosklerose ist, die in der Literatur mit einer relativen Häufigkeit von bis zu 90 vH angegeben wird bezogen auf die Gesamtheit der Ursachen. Die wohl entscheidenden Pathomechanismen bei der Entwicklung des Aneurysmas sind Defizite in der molekularen Struktur der elastischen und kollagenen Fasersysteme. So zeigt sich bei Arteriosklerose eine erhöhte Konzentration von Enzymen, die die elastischen Fasern zerstören. Die Größenzunahme eines Aneurysmas hängt dann im weiteren Verlauf von Strömungsmechanik, Blutdruck und den biologischen Vorgängen in der Gefäßwand ab. Außerdem sind familiäre Häufungen des Bauchaortenaneurysmas in der Literatur bekannt. Mit dieser Ansicht, die keiner der in den übrigen Gutachten vertretenen Auffassungen widerspricht und die insoweit auch von der Beklagten und der Beigeladenen geteilt wird, hat Dr. N. belegt, dass das Bauchaortenaneurysma keine direkte Folge der Beinamputation ist. Auch Dr. N. führt aus (Gutachten Seite 9), dass ein direkter ursächlicher Zusammenhang zwischen Amputation und Aneurysma aufgrund der derzeitigen Datenlage in der Literatur nicht bejaht werden kann, obgleich es Untersuchungsergebnisse gebe, die dafür sprächen.

Zur Überzeugung des Senats kann das Bauchaortenaneurysma auch nicht mittelbar auf den als Schädigungsfolge anerkannten Teilverlust des rechten Oberschenkels zurückgeführt werden. Insoweit schließt sich der Senat der Auffassung von Dr. N. und Dr. B. nicht an. Für die Annahme, die durch die Beinamputation bedingte Bewegungsarmut habe mittelbar die Entwicklung eines Bauchaortenaneurysmas verursacht, genügt es nicht, einen Zusammenhang zwischen Beinamputation, Bewegungsarmut, Übergewicht, arterieller Hypertonie, Fettstoffwechselstörung, Arteriosklerose und Bauchaortenaneurysma für wahrscheinlich zu halten. Da aus medizinischer Sicht fest steht, dass das Aneurysma mit größter Wahrscheinlichkeit Folge der Arteriosklerose und des Blutdruckes ist - darin sind sich Prof. Dr. H. und Dr. N. einig - , kann das Aneurysma nur als Schädigungsfolge anerkannt werden, wenn auch diese Leiden kriegsbedingt sind. Diese Ansicht wird aber dezidiert weder von Dr. N. noch von Dr. B. vertreten. Ihre Aussagen in den von Ihnen erstellten Gutachten sprechen im Gegenteil sogar dafür, dass weder der Blutdruck noch die Arteriosklerose (mittelbar) schädigungsbedingt sind. Dies gilt auch dann, wenn man mit Dr. N. davon ausgeht, dass beim Kläger aufgrund der Beinamputation und der Schmerzen im Stumpf eine Bewegungsarmut vorgelegen hat und dieser Umstand die Entstehung der Arteriosklerose begünstigt hat. Denn daraus folgt noch nicht, dass die Bewegungsarmut wesentliche Bedingung für die Entstehung der Arteriosklerose ist.

Nach Ansicht beider Sachverständiger ist die Ursachenkette noch länger: Die Bewegungsarmut hat zum Übergewicht geführt und dieses dann die Arteriosklerose und den hohen Blutdruck verursacht. Damit müsste auch das Übergewicht bei R. als mittelbare Schädigungsfolge anerkannt werden können. Dies ist jedoch nach Auffassung des Senats nicht möglich. Die Gründe hierfür lassen sich auch dem Gutachten des Dr. N. entnehmen. So weist dieser darauf hin, dass Übergewicht auf mehreren Ursachen beruhen kann. Neben genetischen Faktoren spielen die Ernährungsweise und der Bewegungsmangel eine Rolle. Nach der im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung sind für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache die tatsächlich gegebenen Einzelfaktoren zu gewichten. Nur diejenige Bedingung, die im Verhältnis zu den Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg beim Eintritt konkret wesentlich mitgewirkt hat, ist ursächlich in diesem Sinne. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind (BSG 20.07.2005 - B 9a V 1/05 R).

Bei Anlegung dieses Maßstabes sieht der Senat die durch die Beinamputation bei R. hervorgerufene Bewegungsarmut nicht als wesentliche Mitursache für die Entstehung des Übergewichts an. R. war durch den Teilverlust des rechten Oberschenkels zwar in seiner Bewegungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Er war aber nicht auf den Rollstuhl angewiesen und konnte bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit im April 1975 einer Tätigkeit als Verwaltungsangestellter nachgehen. Aus der Tatsache, dass durch Bewegung bzw. Sport die Risikofaktoren der Arteriosklerose reduziert werden (Gutachten Dr. N. S. 11), kann nicht der Schluss gezogen werden, dass jeder, der keinen Sport betreibt, übergewichtig wird. Außerdem konnte R., worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, der Bewegungsarmut hinsichtlich der Fortbewegung zu Fuß durch andere sportliche Betätigungen wie z.B. Schwimmen entgegen wirken. R. war deshalb - wie das SG zutreffend dargelegt hat - keineswegs zur Immobilität verurteilt.

Hinzu kommt, dass bei R. hinsichtlich der Entstehung der Arteriosklerose mit dem Nikotingenuss ein weiterer Risikofaktor vorlag, der in den Gutachten von Dr. B. und Dr. N. zu wenig Beachtung findet. Bei der Untersuchung am 28.11.1977 gab R. an, Gelegenheitsraucher (ab und zu eine Zigarre) zu sein (versorgungsärztliches Gutachten vom 9.12.1977, Bl. 412 der B-Akten), bei der Untersuchung am 24.11.1981 erwähnte er, gelegentlich eine Pfeife zu rauchen (versorgungsärztliches Gutachten vom 24.11.1981, Bl. 461 der B-Akten) und im Mai 1989 gab er zur Frage nach dem Nikotin an: selten eine Pfeife (versorgungsärztliches Gutachten vom 22.05.1989, Bl. 610 der B-Akten). Nach den von Dr. B. (Gutachten S. 5f) referierten epidemiologischen Studien, bei denen unterschiedliche Risikofaktoren untersucht wurden, zeigte sich, dass es zwischen dem Auftreten eines abdominellen Aortenaneurysma und dem Rauchen sowie dem gleichzeitigen Vorhandensein von weiteren Arterienerkrankungen eine sehr enge Korrelation ergibt.

Die bei R. bestehende Fettstoffwechselstörung kann ebenfalls nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden. Nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.12.2005 kann eine Fettstoffwechselstörung angeboren oder erworben sein. Dr. B. sieht in seinem Gutachten für das SG erstatteten Gutachten die Fettstoffwechselstörung als Folge des Übergewichts. Dies stimmt mit der erwähnten versorgungsärztlichen Stellungnahme insofern überein, als darin eine überkalorische Ernährung ebenfalls als häufigste Ursache für eine erworbene Fettstoffwechselstörung angesehen wird. Damit hängt die Anerkennung dieser Erkrankungen als Schädigungsfolge auch davon ab, ob das bei R. bestehende Übergewicht ursächlich auf die Beinamputation zurückgeführt werden kann, was aber wie dargelegt nach Auffassung des Senats nicht der Fall ist.

Eine Anerkennung des Bauchaortenaneurysmas als Schädigungsfolge im Wege der sog Kannversorgung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG ist ebenfalls nicht möglich. Denn wie Dr. N. ausführlich dargelegt hat, besteht über die Ursache dieser Gesundheitsstörung in der medizinischen Wissenschaft kein Zweifel. Mit rund 90% ist die Arteriosklerose Hauptursache. Der Auffassung des Bayerischen LSG im Urteil vom 07.02.2001 (L 18 V 28/98), dass im Hinblick auf die Studie von V. et al. die Voraussetzungen für eine Kannversorgung vorliegen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach dem Gutachten des Dr. N. erheben die Autoren V. et al. nicht den Anspruch eines Beweises hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Amputation und Bauchaortenaneurysma. Sie fassen lediglich zusammen, dass die von ihnen festgestellten morphologischen Veränderungen zusammen mit den bekannten Risikofaktoren bei der Entwicklung eines Bauchaortenaneurysmas beteiligt sind. Hinzu kommt, dass die in der genannten Studie beschriebenen morphologischen Veränderungen bei R. nicht nachgewiesen sind. Nach den Ausführungen von Dr. N. wurde bei der Studie von V. und seinen Mitarbeitern beobachtet, dass die terminale Bauchaorta von der axialen Lage abweicht und sich auf die intakte Beckenstrombahn der gesunden Seite einrichtet, mit der Folge Rechtskonvexität bei Amputation des rechten Beines und Linkskonvexität bei Amputation des linken Beines (Gutachten Dr. N. S. 5). Dem Bericht über das am 16.09.1999 durchgeführte CT der Aorta (Bl. 847 der B-Akten) und dem Sonographiebefund der Hochrheinklinik Bad Säckingen vom 18.12.2002 (Bl. 116 der SG-Akten) lässt sich nicht entnehmen, dass eine derartige Lageabweichung der Aorta abdominalis vorlag.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das Verfahren bleibt nach § 183 S. 2 SGG in dem jeweiligen Rechtszug kostenfrei, wenn Rechtsnachfolger, die nicht Sonderrechtsnachfolger sind, das Verfahren aufnehmen. Dies gilt nach Ansicht des Senats auch, wenn - wie hier - das Verfahren erst durch eine Sonderrechtsnachfolgerin in die Berufung gelangt und dadurch gebührenfrei geblieben ist und die Sonderrechtsnachfolgerin dann während des Berufungsverfahrens verstorben ist.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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