L 8 AS 5324/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 3057/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 5324/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 4. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß den §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) am 11.10.2006 form und fristgerecht (§ 64 Abs. 3 SGG) eingelegte Beschwerde des am 28.01.1948 geborenen Antragstellers, der das SG nicht abgeholfen hat, gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm (SG) vom 04.09.2006 mit dem das SG einen Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz wegen Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II abgelehnt hat, da der Antragsteller nicht hilfebedürftig sei, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es wie hier im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).

Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237; BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller eines Eilverfahrens nicht überspannen. Die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinen Begehren verfolgt (BVerfG NVwZ 2004, 95, 96). Dies gilt insbesondere, wenn der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Außerdem müssen die Gerichte Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen (BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928).

Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG NJW 2003, 1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG 12.05.2005 NVwZ 2005, 927, 928; SG Düsseldorf, NJW 2005, 845, 847).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht glaubhaft gemacht. Leistungen nach dem SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Maßgebend ist der Verkehrswert des Vermögens zum Zeitpunkt des Antrags auf Bewilligung oder Wiederbewilligung von Leistungen. Wesentliche Änderungen des Verkehrswertes nach der Antragstellung sind zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 4 SGB II).

Zutreffend hat das SG in seinem Beschluss vom 04.09.2006 festgestellt, dass das zu berücksichtigende Vermögen des Antragstellers den Freibetrag übersteigt, weshalb er nicht hilfebedürftig ist. Auch nach Ansicht des Senats beträgt der dem Antragsteller zustehende Freibetrag gemäß § 12 Abs. 2 Nrn. 1und 4 SGB II 12.350 EUR. Dem steht ein Vermögen von mindestens 16.938,58 EUR gegenüber. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Wert der dem Antragsteller gehörenden Eigentumswohnung in Duisburg von 10.000 EUR, einem Guthaben auf einem Bausparkonto in Höhe von 3.738,58 EUR und dem Wert eines Wiesengrundstücks von 3.200 EUR. Der Senat schließt sich auch in Bezug auf die Bewertung der Grundstücke in vollem Umfang der Auffassung des SG an.

Hinzu kommt noch das hälftige Miteigentum an einem selbst genutzten unangemessen großen Hausgrundstück, dessen Wert aber im vorliegenden Fall außer Betracht bleiben kann, weil ein Anordnungsanspruch auch ohne Berücksichtigung dieses Miteigentums nicht gegeben ist. Ungeprüft bleiben kann derzeit auch, ob und in welchem Umfang der Antragsteller noch Ansprüche gegenüber seiner Tochter geltend machen kann.

Der Einwand des Antragstellers, das ihm angerechnete Vermögen sei nicht sofort verwertbar und schließe deshalb gemäß § 9 Abs. 4 SGB II Hilfebedürftigkeit nicht aus, greift nicht durch. Zwar betrachtet es der Senat als glaubhaft, dass sowohl eine sofortige Verwertung der Eigentumswohnung in Duisburg (vom Antragsteller als "Schrottimmobilie" bezeichnet) als auch eine sofortige Verwertung des Wiesengrundstücks dem Antragsteller nicht möglich ist. Eine Hilfebedürftigkeit ergibt sich aber daraus solange noch nicht, als er daneben über weiteres Vermögen verfügt, dessen sofortige Verwertung möglich und zumutbar ist. Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. Der Antragsteller verfügt noch über ein Bausparguthaben von über 3.700 EUR, dessen Verwertung nichts entgegensteht.

Im Übrigen käme bei einer sich aus § 9 Abs. 4 SGB II ergebenden Hilfebedürftigkeit nur die Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs. 5 S. 1 SGB II idF der ab 01.04.2006 geltenden Fassung des Art 1 Nr. 7 des Gesetzes vom 24.03.2006 (BGBl I S. 558) in Betracht. Die darlehensweise Gewährung kann überdies davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird (§ 23 Abs. 5 S. 2 SGB II). Dies führt dazu, dass der Antragsgegnerin eine Verpflichtung, dem Antragsteller ein Darlehen zu gewähren, im Wege einer einstweiligen Anordnung nur auferlegt werden kann, wenn der Antragsteller die Bewilligung eines Darlehens ausdrücklich beantragt und sich zudem unwiderruflich verpflichtet hat, die von der Antragsgegnerin ggf. geforderten Sicherheiten zu erbringen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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