Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RA 26/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 5/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 8/07 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.11.2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten für den Berufungsrechtszug zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Der am 00.00.1944 geborene Kläger war zunächst bis Oktober 1996 versicherungspflichtig beschäftigt. Dann war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Zur Beendigung der Arbeitslosigkeit versuchte er, sich selbständig zu machen. Hierzu gewährte ihm die Agentur für Arbeit Überbrückungsgeld. Dieser Versuch scheiterte nach 20 Monaten. Der Kläger meldete sich wieder arbeitslos und bezog erneut Arbeitslosengeld. Nach Erschöpfung dieses Anspruchs meldete er sich weiterhin arbeitslos.
Im Einzelnen gestaltet sich sein Versicherungsverlauf wie folgt: 01.01.1976 bis 07.10.1996 Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung 01.10.1996 bis 01.01.1997 Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezuges 31.08.1998 bis 02.10.2001 Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezuges 03.01.2001 bis 25.04.2004 Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug.
Am 28.04.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.05.2004 ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente seien nicht erfüllt. Im 10-Jahres-Zeitraum vor Rentenbeginn seien nicht mindestens 96 Monaten mit Pflichtbeiträgen belegt, sondern nur 60 Monate.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im maßgeblichen Zeitraum vor Rentenbeginn seien entgegen der Auffassung der Beklagten 96 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Der 10-Jahres-Zeitraum sei zu verlängern um die Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug (03.01.2001 bis 25.04.2004). Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2004 zurück. Der 10-Jahres-Zeitraum vor Rentenbeginn verlängere sich hier nicht um die Zeiten der Arbeitslosmeldung ohne Leistungsbezug, da die zuletzt genannten Zeiten keine anrechenbaren Anrechnungszeiten seien. Durch die Arbeitslosigkeit sei keine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden, da der Kläger im Zeitraum vom 02.01.1997 bis 30.08.1998 selbständig tätig gewesen sei.
Dagegen hat der Kläger am 23.0.8.2004 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, seine Selbstständigkeit stelle eine unschädliche Überbrückungszeit dar.
Mit Urteil vom 24.11.2005 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Bekalgte antragsgemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 25.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 verurteilt, dem Kläger ab 01.08.2004 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, es handele sich auch bei einer Zeit der Selbstständigkeit von mehr als 6 Monaten um eine unschädliche Überbrückungszeit.
Gegen das am 12.12.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 05.01.2005 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, nur eine Zeit bis zu 6 Monaten könne nach der bislang vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Überbrückungszeit darstellen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.11.2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akte des Klägers bei der Agentur für Arbeit O beigezogen. Auf den Inhalt der Akte wird verwiesen.
Der Kläger ist in einem Termin am 14.06.2006 angehört worden und hat erklärt, er habe nach Konkurs seines Arbeitgebers zunächst Konkursausfallgeld bezogen. Ab dem Jahre 1997 habe er aber kein versicherungspflichtiges Entgelt mehr bezogen. Er habe sich selbstständig gemacht und zunächst eine Überbrückungsbeihilfe vom Arbeitsamt für die ersten sechs Monate erhalten. Nach etwa 1 1/2 Jahren habe sich abgezeichnet, dass die selbstständige Tätigkeit keinen Erfolg haben werde. Er habe diese daraufhin aufgegeben und sich anderweitig beworben. Auch nach Auslaufen der Überbrückungsbeihilfe habe er Kontakt zum Arbeitsamt gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 2004 ist rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 01.08.2004.
Nach § 237 Abs. 1 Sechstes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, wenn sie vor dem 01.01.1952 geboren sind (Nr. 1) , das 60. Lebensjahr vollendet haben (Nr.2), entweder a) bei Beginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten insgesamt 52 Monate arbeitslos waren oder b) die Arbeitszeit aufgrund von Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes für mindestens 24 Kalendermonate vermindert haben (Nr.3), in den letzten 10 Jahren vor Beginn der Rente 8 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von 10 Jahren um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente aus eigener Versicherung, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind, verlängert (Nr.4) und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben (Nr.5).
Diese Voraussetzungen werden von dem Kläger zum Leistungsfall Vollendung des 60. Lebensjahres erfüllt. Dabei ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig, dass der Kläger die Voraussetzungen der Nr. 1, 2, 3 und 5 des § 237 SGB VI erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind auch die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt. Denn der Kläger verfügt im maßgeblichen Zeitraum vor Rentenbeginn über mehr als 96 Monate, die mit Pflichtbeiträgen belegt sind. Dieser maßgebliche Zehn-Jahreszeitraum verlängert sich beim Kläger nämlich um 42 Monate, weil der Kläger für die Zeit vom 03.01.2001 bis zum 31.07.2004 über Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit verfügt, die den entscheidenden Zeitraum nach § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI verlängern.
Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit sind dabei gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit als Arbeitssuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben. Jedoch liegen solche Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 2 SGB VI nur dann vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit unterbrochen worden ist.
Bei dem Kläger handelt es sich im maßgeblichen Zeitraum um Anrechnungszeiten, weil er als Arbeitsuchender gemeldet war und wegen des zu berücksichtigenden Einkommens keine öffentlich-rechtliche Leistung (Arbeitslosenhilfe) bezogen hat. Auch wurde bei dem Kläger durch diese Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Tätigkeit unterbrochen. Denn der Kläger war vor der erstmaligen Arbeitslosmeldung im Oktober 1996 versicherungspflichtig beschäftigt und kann durch seine spätere erneut gemeldete Arbeitslosigkeit an diesen Rechtstatbestand auch wieder erfolgreich durch einen sog. Überbrückungstatbestand anknüpfen. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestand dient der Auffüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unterbrechung und trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Unterbrechung nicht nur um eine zeitliche Dimension, sondern auch um eine Kausalitätsfrage handelt. Entsprechend dem Sinn und Zweck von Anrechnungszeiten nach § 58 SGB VI bzw. der Vorgängervorschrift des § 1259 Reichsversicherungsordnung (RVO), nämlich Versicherte vor Nachteile zu schützen, die dadurch eintreten können, dass Pflichtbeiträge aus bestimmten Umständen heraus nicht erbracht werden konnten, soll ein Versicherter einen Ausgleich für unverschuldete Nichtzahlung von Pflichtbeiträgen erhalten. Dies steht im Einklang mit der Wertung des § 250 SGB VI, wonach Ersatzzeiten ebenfalls Lücken mit Pflichtbeiträgen im Versicherungsverlauf schließen, die bei Nichtvorliegen widriger Gründe nicht eingetreten wären. Bei der Auslegung des Begriffs der Unterbrechung ist folglich für die Bejahung eines Überbrückungstatbestandes zu fragen, ob die Vermutung, die der Gesetzgeber bei Arbeitslosigkeitszeiten dahingehend aufstellt, dass solche bei Anknüpfen an eine versicherte Beschäftigung unschädlich sind, auch bei den jeweiligen Lücken zwischen Anrechnungszeiten vorliegt.
Dies kann aus dem oben dargestellten Sinn und Zweck sowie Schutzgedanken für den Versicherten nur dann bejaht werden, wenn die Lücke unverschuldet, dass heißt durch nicht zu vertretende Umstände des Versicherten oder durch ein sozialadäquates, von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten entstanden ist (vgl. BSGE 34, 93,95 = SozR Nr. 44 zu § 1259 RVO; BSG SozR 3-2600 R 58 Nr. 7). Die Rechtsprechung hat hierzu verschiedene Fallgruppen entwickelt, für die ein Überbrückungstatbestand angenommen worden ist (vgl. BSGE 31, 11 = SozR Nr. 29 zu § 1259 RVO und BSGE 37, 10 = SozR Nr. 62 zu 1259 RVO und BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 94); insbesondere ist auch als Überbrückungstatbestand ein individuelles Bemühen um Wiedereingliederung in das Arbeitsleben anerkannt (vgl. BSGE SozR 2200 § 1259 RVO Nr.8) Der Versuch, über eine Selbstständigkeit die Arbeitslosigkeit abzuwenden, stellt ein solches Bemühen um Wiedereingliederung i.S. eines Überbrückungstatbestandes dar, denn die folgende Arbeitslosigkeit ist nur die Fortsetzung der diesem Selbsthilfeversuch vorangegangenen Arbeitslosigkeit; der Anschluss an die vor ihr ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung ist für die spätere Arbeitslosigkeit gewahrt (vgl. Bundessozialgericht (BSG) 5. Senat, Urteil vom 30.01.1969 Az.: 5 RKn 133/65 und 11. Senat Urteil vom 08.03.1972 Az.: 11 RA 190/71).
Auch schadet es dem Kläger nicht, dass sich die Dauer des Versuchs, über eine Selbstständigkeit wieder Anschluss an das Arbeitsleben zu finden, über mehr als 6 Monate erstreckt. Grundsätzlich beinhaltet das Merkmal der Unterbrechung in § 58 Abs. 2 SGB VI die Erwartung einer Fortsetzung einer versicherten Tätigkeit oder Beschäftigung (vgl BSGE 70, 111, 114 = SozR 3-2200 § 1259 Nr. 11). Generell kann daher gesagt werden, dass es zwar mit zunehmender Dauer der Lücke immer schwieriger wird, eine Anknüpfung an die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit zu finden, jedoch lässt sich der Rechtsprechung keine zeitliche Grenze für die mögliche Dauer von Überbrückungstatbeständen entnehmen. Das BSG hat in einer Entscheidung zu einem sog. Selbsthilfeversuch, durch eine Selbstständigkeit eine Arbeitslosigkeit abzuwenden, ausgeführt, dass ein Zeitrahmen von sechs Monaten zu ziehen sei. Das BSG hatte sich aber nicht damit auseinanderzusetzen, ob auch ein längerer Zeitraum noch eine solche Anknüpfungsmöglichkeit beinhalten kann, denn der Versuch des dortigen Kläger dauerte nur sechs Monate (vgl. BSGE 34, 93 SozR Nr. 44 zu § 1259 RVO). Dagegen hat das BSG in anderen Konstellationen Überbrückungstatbestände bei einer deutlich über sechs Monate hinausgehenden Unterbrechung angenommen (vgl. BSG Urteil vom 20.04.1983 - 5 a Rkn 22/81; dort 18-monatige Unterbrechung oder BSGE 29, 120: fast zwei Jahre; SozR 2200 § 1251 Nr. 50: neun Monate).
Unter dem Rechtsgedanken der Sozialadäquanz sieht es der Senat daher als gerechtfertigt an, auch einen Zeitrahmen von ca. 20 Monaten bei einem fehlgeschlagenen Versuch, über eine Selbstständigkeit wieder Anschluss an das Erwerbsleben zu finden, als Überbrückungstatbestand zu werten. Im Tatsächlichen ist nämlich zu berücksichtigen, dass gerade die Prognoseentscheidung einer erfolgreichen Selbstständigkeit nicht in einem Zeitrahmen von sechs Monaten erfolgen kann. Nicht umsonst greift die finanzgerichtliche Rechtsprechung zur Abgrenzung von Liebhaberei und erfolgreicher Selbstständigkeit regelmäßig auf einen Bewertungszeitrahmen von mindestens 10 Jahren zurück. Einem Versicherten ist es nahezu unmöglich, bereits in sechs Monaten eine Entscheidung über die Fortführung der Selbstständigkeit oder die Aufgabe und die Rückkehr in die Pflichtversicherung zu treffen. Im Fall der Überbrückung durch Selbstständigkeit liegt es mithin in der Natur der Sache, dass eine zeitliche Lücke durchaus 20 Monate betragen kann.
Auch aus dem Rechtsgedanken des § 421 SGB III (i.d.F. der letzten Änderung durch Gesetz vom 22.12.2005, BGBl. I S. 3676) sieht sich der Senat bestätigt, dass ein Zeitrahmen von 20 Monaten einen sozialadäquaten Überbrückungstatbestand darstellen kann. Danach können nämlich Versicherte einen Existenzgründungszuschuss für die Dauer bis zu drei Jahren erhalten, wenn sie versuchen, durch eine selbstständige Tätigkeit die Arbeitslosigkeit abzuwenden. Mithin geht der Gesetzgeber selber von der Notwendigkeit einer längerfristigen Unterbrechung bei dem Versuch eine Arbeitslosigkeit durch Selbstständigkeit abzuwenden aus. Diese Wertung geht auch mit dem Privileg für Selbständige einher, in den ersten drei Jahren ihrer Selbstständigkeit in einem geringerem Rahmen als dem Einkommen entsprechende Beiträge abzuführen. Denn gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind beitragspflichtige Einnahmen bei Selbstständigen abweichend von der grundsätzlichen Regelung bis zum Ablauf von drei Kalenderjahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ein Arbeitseinkommen in Höhe von 50% der Bezugsgröße.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 S. 1 SGG). Die Klärung der Rechtsfrage ist im Hinblick auf ähnliche zu erwartende Fälle erwünscht.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Der am 00.00.1944 geborene Kläger war zunächst bis Oktober 1996 versicherungspflichtig beschäftigt. Dann war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Zur Beendigung der Arbeitslosigkeit versuchte er, sich selbständig zu machen. Hierzu gewährte ihm die Agentur für Arbeit Überbrückungsgeld. Dieser Versuch scheiterte nach 20 Monaten. Der Kläger meldete sich wieder arbeitslos und bezog erneut Arbeitslosengeld. Nach Erschöpfung dieses Anspruchs meldete er sich weiterhin arbeitslos.
Im Einzelnen gestaltet sich sein Versicherungsverlauf wie folgt: 01.01.1976 bis 07.10.1996 Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung 01.10.1996 bis 01.01.1997 Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezuges 31.08.1998 bis 02.10.2001 Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezuges 03.01.2001 bis 25.04.2004 Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug.
Am 28.04.2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.05.2004 ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente seien nicht erfüllt. Im 10-Jahres-Zeitraum vor Rentenbeginn seien nicht mindestens 96 Monaten mit Pflichtbeiträgen belegt, sondern nur 60 Monate.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im maßgeblichen Zeitraum vor Rentenbeginn seien entgegen der Auffassung der Beklagten 96 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Der 10-Jahres-Zeitraum sei zu verlängern um die Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug (03.01.2001 bis 25.04.2004). Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2004 zurück. Der 10-Jahres-Zeitraum vor Rentenbeginn verlängere sich hier nicht um die Zeiten der Arbeitslosmeldung ohne Leistungsbezug, da die zuletzt genannten Zeiten keine anrechenbaren Anrechnungszeiten seien. Durch die Arbeitslosigkeit sei keine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden, da der Kläger im Zeitraum vom 02.01.1997 bis 30.08.1998 selbständig tätig gewesen sei.
Dagegen hat der Kläger am 23.0.8.2004 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, seine Selbstständigkeit stelle eine unschädliche Überbrückungszeit dar.
Mit Urteil vom 24.11.2005 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Bekalgte antragsgemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 25.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 verurteilt, dem Kläger ab 01.08.2004 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, es handele sich auch bei einer Zeit der Selbstständigkeit von mehr als 6 Monaten um eine unschädliche Überbrückungszeit.
Gegen das am 12.12.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 05.01.2005 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, nur eine Zeit bis zu 6 Monaten könne nach der bislang vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Überbrückungszeit darstellen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.11.2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akte des Klägers bei der Agentur für Arbeit O beigezogen. Auf den Inhalt der Akte wird verwiesen.
Der Kläger ist in einem Termin am 14.06.2006 angehört worden und hat erklärt, er habe nach Konkurs seines Arbeitgebers zunächst Konkursausfallgeld bezogen. Ab dem Jahre 1997 habe er aber kein versicherungspflichtiges Entgelt mehr bezogen. Er habe sich selbstständig gemacht und zunächst eine Überbrückungsbeihilfe vom Arbeitsamt für die ersten sechs Monate erhalten. Nach etwa 1 1/2 Jahren habe sich abgezeichnet, dass die selbstständige Tätigkeit keinen Erfolg haben werde. Er habe diese daraufhin aufgegeben und sich anderweitig beworben. Auch nach Auslaufen der Überbrückungsbeihilfe habe er Kontakt zum Arbeitsamt gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 2004 ist rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 01.08.2004.
Nach § 237 Abs. 1 Sechstes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, wenn sie vor dem 01.01.1952 geboren sind (Nr. 1) , das 60. Lebensjahr vollendet haben (Nr.2), entweder a) bei Beginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten insgesamt 52 Monate arbeitslos waren oder b) die Arbeitszeit aufgrund von Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes für mindestens 24 Kalendermonate vermindert haben (Nr.3), in den letzten 10 Jahren vor Beginn der Rente 8 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von 10 Jahren um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente aus eigener Versicherung, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind, verlängert (Nr.4) und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben (Nr.5).
Diese Voraussetzungen werden von dem Kläger zum Leistungsfall Vollendung des 60. Lebensjahres erfüllt. Dabei ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig, dass der Kläger die Voraussetzungen der Nr. 1, 2, 3 und 5 des § 237 SGB VI erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind auch die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt. Denn der Kläger verfügt im maßgeblichen Zeitraum vor Rentenbeginn über mehr als 96 Monate, die mit Pflichtbeiträgen belegt sind. Dieser maßgebliche Zehn-Jahreszeitraum verlängert sich beim Kläger nämlich um 42 Monate, weil der Kläger für die Zeit vom 03.01.2001 bis zum 31.07.2004 über Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit verfügt, die den entscheidenden Zeitraum nach § 237 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI verlängern.
Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit sind dabei gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit als Arbeitssuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben. Jedoch liegen solche Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 2 SGB VI nur dann vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit unterbrochen worden ist.
Bei dem Kläger handelt es sich im maßgeblichen Zeitraum um Anrechnungszeiten, weil er als Arbeitsuchender gemeldet war und wegen des zu berücksichtigenden Einkommens keine öffentlich-rechtliche Leistung (Arbeitslosenhilfe) bezogen hat. Auch wurde bei dem Kläger durch diese Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Tätigkeit unterbrochen. Denn der Kläger war vor der erstmaligen Arbeitslosmeldung im Oktober 1996 versicherungspflichtig beschäftigt und kann durch seine spätere erneut gemeldete Arbeitslosigkeit an diesen Rechtstatbestand auch wieder erfolgreich durch einen sog. Überbrückungstatbestand anknüpfen. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestand dient der Auffüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unterbrechung und trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Unterbrechung nicht nur um eine zeitliche Dimension, sondern auch um eine Kausalitätsfrage handelt. Entsprechend dem Sinn und Zweck von Anrechnungszeiten nach § 58 SGB VI bzw. der Vorgängervorschrift des § 1259 Reichsversicherungsordnung (RVO), nämlich Versicherte vor Nachteile zu schützen, die dadurch eintreten können, dass Pflichtbeiträge aus bestimmten Umständen heraus nicht erbracht werden konnten, soll ein Versicherter einen Ausgleich für unverschuldete Nichtzahlung von Pflichtbeiträgen erhalten. Dies steht im Einklang mit der Wertung des § 250 SGB VI, wonach Ersatzzeiten ebenfalls Lücken mit Pflichtbeiträgen im Versicherungsverlauf schließen, die bei Nichtvorliegen widriger Gründe nicht eingetreten wären. Bei der Auslegung des Begriffs der Unterbrechung ist folglich für die Bejahung eines Überbrückungstatbestandes zu fragen, ob die Vermutung, die der Gesetzgeber bei Arbeitslosigkeitszeiten dahingehend aufstellt, dass solche bei Anknüpfen an eine versicherte Beschäftigung unschädlich sind, auch bei den jeweiligen Lücken zwischen Anrechnungszeiten vorliegt.
Dies kann aus dem oben dargestellten Sinn und Zweck sowie Schutzgedanken für den Versicherten nur dann bejaht werden, wenn die Lücke unverschuldet, dass heißt durch nicht zu vertretende Umstände des Versicherten oder durch ein sozialadäquates, von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten entstanden ist (vgl. BSGE 34, 93,95 = SozR Nr. 44 zu § 1259 RVO; BSG SozR 3-2600 R 58 Nr. 7). Die Rechtsprechung hat hierzu verschiedene Fallgruppen entwickelt, für die ein Überbrückungstatbestand angenommen worden ist (vgl. BSGE 31, 11 = SozR Nr. 29 zu § 1259 RVO und BSGE 37, 10 = SozR Nr. 62 zu 1259 RVO und BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 94); insbesondere ist auch als Überbrückungstatbestand ein individuelles Bemühen um Wiedereingliederung in das Arbeitsleben anerkannt (vgl. BSGE SozR 2200 § 1259 RVO Nr.8) Der Versuch, über eine Selbstständigkeit die Arbeitslosigkeit abzuwenden, stellt ein solches Bemühen um Wiedereingliederung i.S. eines Überbrückungstatbestandes dar, denn die folgende Arbeitslosigkeit ist nur die Fortsetzung der diesem Selbsthilfeversuch vorangegangenen Arbeitslosigkeit; der Anschluss an die vor ihr ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung ist für die spätere Arbeitslosigkeit gewahrt (vgl. Bundessozialgericht (BSG) 5. Senat, Urteil vom 30.01.1969 Az.: 5 RKn 133/65 und 11. Senat Urteil vom 08.03.1972 Az.: 11 RA 190/71).
Auch schadet es dem Kläger nicht, dass sich die Dauer des Versuchs, über eine Selbstständigkeit wieder Anschluss an das Arbeitsleben zu finden, über mehr als 6 Monate erstreckt. Grundsätzlich beinhaltet das Merkmal der Unterbrechung in § 58 Abs. 2 SGB VI die Erwartung einer Fortsetzung einer versicherten Tätigkeit oder Beschäftigung (vgl BSGE 70, 111, 114 = SozR 3-2200 § 1259 Nr. 11). Generell kann daher gesagt werden, dass es zwar mit zunehmender Dauer der Lücke immer schwieriger wird, eine Anknüpfung an die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit zu finden, jedoch lässt sich der Rechtsprechung keine zeitliche Grenze für die mögliche Dauer von Überbrückungstatbeständen entnehmen. Das BSG hat in einer Entscheidung zu einem sog. Selbsthilfeversuch, durch eine Selbstständigkeit eine Arbeitslosigkeit abzuwenden, ausgeführt, dass ein Zeitrahmen von sechs Monaten zu ziehen sei. Das BSG hatte sich aber nicht damit auseinanderzusetzen, ob auch ein längerer Zeitraum noch eine solche Anknüpfungsmöglichkeit beinhalten kann, denn der Versuch des dortigen Kläger dauerte nur sechs Monate (vgl. BSGE 34, 93 SozR Nr. 44 zu § 1259 RVO). Dagegen hat das BSG in anderen Konstellationen Überbrückungstatbestände bei einer deutlich über sechs Monate hinausgehenden Unterbrechung angenommen (vgl. BSG Urteil vom 20.04.1983 - 5 a Rkn 22/81; dort 18-monatige Unterbrechung oder BSGE 29, 120: fast zwei Jahre; SozR 2200 § 1251 Nr. 50: neun Monate).
Unter dem Rechtsgedanken der Sozialadäquanz sieht es der Senat daher als gerechtfertigt an, auch einen Zeitrahmen von ca. 20 Monaten bei einem fehlgeschlagenen Versuch, über eine Selbstständigkeit wieder Anschluss an das Erwerbsleben zu finden, als Überbrückungstatbestand zu werten. Im Tatsächlichen ist nämlich zu berücksichtigen, dass gerade die Prognoseentscheidung einer erfolgreichen Selbstständigkeit nicht in einem Zeitrahmen von sechs Monaten erfolgen kann. Nicht umsonst greift die finanzgerichtliche Rechtsprechung zur Abgrenzung von Liebhaberei und erfolgreicher Selbstständigkeit regelmäßig auf einen Bewertungszeitrahmen von mindestens 10 Jahren zurück. Einem Versicherten ist es nahezu unmöglich, bereits in sechs Monaten eine Entscheidung über die Fortführung der Selbstständigkeit oder die Aufgabe und die Rückkehr in die Pflichtversicherung zu treffen. Im Fall der Überbrückung durch Selbstständigkeit liegt es mithin in der Natur der Sache, dass eine zeitliche Lücke durchaus 20 Monate betragen kann.
Auch aus dem Rechtsgedanken des § 421 SGB III (i.d.F. der letzten Änderung durch Gesetz vom 22.12.2005, BGBl. I S. 3676) sieht sich der Senat bestätigt, dass ein Zeitrahmen von 20 Monaten einen sozialadäquaten Überbrückungstatbestand darstellen kann. Danach können nämlich Versicherte einen Existenzgründungszuschuss für die Dauer bis zu drei Jahren erhalten, wenn sie versuchen, durch eine selbstständige Tätigkeit die Arbeitslosigkeit abzuwenden. Mithin geht der Gesetzgeber selber von der Notwendigkeit einer längerfristigen Unterbrechung bei dem Versuch eine Arbeitslosigkeit durch Selbstständigkeit abzuwenden aus. Diese Wertung geht auch mit dem Privileg für Selbständige einher, in den ersten drei Jahren ihrer Selbstständigkeit in einem geringerem Rahmen als dem Einkommen entsprechende Beiträge abzuführen. Denn gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind beitragspflichtige Einnahmen bei Selbstständigen abweichend von der grundsätzlichen Regelung bis zum Ablauf von drei Kalenderjahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ein Arbeitseinkommen in Höhe von 50% der Bezugsgröße.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 S. 1 SGG). Die Klärung der Rechtsfrage ist im Hinblick auf ähnliche zu erwartende Fälle erwünscht.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved