L 13 AS 6057/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 5695/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 6057/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu den Voraussetzungen einer Zusicherung bei Umzug erfasst nicht nur den Umzug von einer Unterkunft in eine andere, sondern auch die Anmietung einer zusätzlichen ebenfalls Unterkunftszwecken der Bedarfsgemeinschaft dienenden Wohnung im gleichen Haus.
2. Die in § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II vorausgesetzte Erforderlichkeit der Anmietung einer zusätzlichen Wohnung kann nur bejaht werden, wenn diese Anmietung grundsätzlich geeignet ist, die Unangemessenheit der bisherigen Wohnsituation zu beseitigen und kostengünstigere Möglichkeiten für die Beseitigung der unangemessenen Wohnsituation nicht bestehen.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 24. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsteller, welcher das Sozialgericht (SG) nicht abgeholfen hat (vgl. im Einzelnen §§ 172ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), ist unbegründet. Die Antragsteller können im Wege der einstweiligen Anordnung nicht die Verpflichtung der Beklagten verlangen, die Übernahme der Aufwendungen für die zusätzliche Anmietung der über der Wohnung der Antragsteller gelegenen 2-Zimmerwohnung zuzusichern.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistung für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Rechtshängigkeit des Eilverfahrens, herbeizuführen ist, von einer - hier nicht glaubhaft gemachten - in die Gegenwart fortwirkenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER-B - veröffentlicht in Juris). Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O. m.w.N.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Senat kann offen lassen, ob die Antragsteller sich auf einen den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG rechtfertigenden Anordnungsgrund berufen können, denn die Antragsteller haben jedenfalls das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Im Rahmen der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung besteht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Übernahme der Aufwendungen für die zusätzliche Anmietung der über der Wohnung der Antragsteller gelegenen 2-Zimmerwohnung zuzusichern, nicht.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Zusicherung des kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Eine Verpflichtung des kommunalen Trägers zur Erteilung der begehrten Zusicherung besteht nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Auch wenn sich die Kosten für beide Wohnungen zusammen, also für die von den Antragstellern bisher und auch in der Zukunft bewohnte 76,87 m² große Wohnung und für die ihnen von der F. Stadtbau GmbH angebotene zusätzliche 2-Zimmerwohnung mit einer Größe von 38 m², im Rahmen dessen bewegen, was für die Anmietung einer einzigen, den Bedürfnissen der Familie der Antragsteller entsprechenden Wohnung angemessen wäre, fehlt es hier an der in § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II vorausgesetzten Erforderlichkeit. Mit dem SG geht auch der Senat davon aus, dass die Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II nicht nur den Umzug von einer als Unterkunft geeigneten Wohnung in eine andere, sondern auch den hier vorliegenden Fall der Anmietung einer zusätzlichen, ebenfalls Unterkunftszwecken der Bedarfsgemeinschaft dienenden Wohnung erfasst. Die Nutzung einer einzigen großen Wohnung verursacht aber regelmäßig geringere Kosten als die Anmietung von zwei kleineren Wohneinheiten. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass Nutzräume, wie Küche, Bad oder Kellerabstellraum doppelt in Anspruch genommen werden müssen, obwohl ein entsprechender Bedarf hierfür nicht besteht. Der einer vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegende unbestimmte Rechtsbegriff der Erforderlichkeit setzt in einem solchen Fall deshalb nicht nur voraus, dass die Anmietung einer zusätzlichen Wohnung grundsätzlich geeignet ist, die Unangemessenheit der bisherigen Wohnsituation zu beseitigen; darüber hinaus müssen kostengünstigere Möglichkeiten für die Beseitigung des bestehenden Missstands nicht gegeben sein.

Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Angesichts des Alters der 1999, 2001, 2002 und 2004 geborenen Kinder der Antragsteller ist die Anmietung von zwei getrennten Wohnungen, selbst wenn diese übereinander liegen und über ein gemeinsames Treppenhaus verbunden sind, nicht geeignet, den Wohnbedürfnissen der Familie der Antragsteller in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Dass die bisherige Nachbarin, deren Wohnung über dasselbe Treppenhaus erreichbar ist, damit einverstanden wäre, dass die Wohnungstüren offen blieben, vermag hieran nichts zu ändern. Zu Recht wendet die Antragsgegnerin diesbezüglich ein, ein Rechtsanspruch auf eine entsprechende Nutzung des Treppenhauses bestehe nicht; eine mit der derzeitigen Nachbarin mögliche Vereinbarung wäre also z. B. im Fall eines Mieterwechsels sofort wieder hinfällig.

Die Antragsteller haben ferner nicht glaubhaft gemacht, dass die Unangemessenheit der derzeitigen Wohnsituation - wie behauptet - ausschließlich durch die begehrte Anmietung einer zusätzlichen Wohnung behoben werden könne. Der Senat hat keine Zweifel, dass auch in F. größere Wohnungen als die von den Antragstellern bewohnte auf dem Wohnungsmarkt angeboten werden. Inwieweit solche Wohnungen tatsächlich zu einem Preis von bis zu 5,62 EUR/m² vermietet werden, ist eine Frage der im Einzelfall zu prüfenden Angemessenheit, über die der Senat hier nicht zu entscheiden braucht. Jedenfalls kann aus dem Schreiben der F. Stadtbau GmbH vom 9. November 2006 der Schluss, 5-6 Zimmerwohnungen würden auf dem Wohnungsmarkt grundsätzlich nicht angeboten, nicht gezogen werden. Die F. Stadtbau GmbH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, in ihrem Wohnungsbestand stünden überwiegend 2-Zimmerwohnungen und deshalb sei für 5-6 Zimmerwohnungen von einer längeren Wartezeit auszugehen. Das Angebot der F. Stadtbau GmbH lässt wegen der Besonderheiten ihres Wohnungsbestands deshalb gerade keinen Rückschluss auf die allgemeine Situation auf dem Wohnungsmarkt in F. zu. Dass die Antragsteller tatsächlich ernsthaft auf anderem Weg (erfolglos) versucht haben, eine ihren Wohnbedürfnissen entsprechende Wohnung zu finden, haben sie ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Damit kann im Ergebnis die Erforderlichkeit der Anmietung einer zusätzlichen Wohnung im vorliegenden Fall nicht bejaht werden; für die begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abgabe einer Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II fehlt dementsprechend die erforderliche Grundlage.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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