S 11 RJ 10/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 11 RJ 10/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 08.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2004 verurteilt, der Klägerin aufgrund eines Leistungsfalles der teilweisen Erwerbsminderung vom 19.05.2003 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.06.2003 auf Dauer sowie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.12.2003 bis zum 30.11.2009 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 3/4.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beanspruchen kann.

Die 1957 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung als Bibliothekarin und war zuletzt als Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt. Derzeit ist sie nicht erwerbstätig. Nach ihrer im Jahr 1999 eingetreten Arbeitsunfähigkeit bezog sie Krankengeld, anschließend erhielt sie Leistungen der Arbeitsagentur. Vom Versorgungsamt wurden ihr ein Grad der Behinderung von 50 sowie der Nachteilsausgleich "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) zuerkannt.

Am 19.05.2003 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte ließ sie daraufhin von dem Internisten Dr. T., dem Orthopäden Herrn N. sowie dem Nervenarzt Dr. E. untersuchen, welche ein Knieverschleißleiden beiderseits mit geringgradiger Reizung, eine übergewichtsbedingte Schwingungsstörung der Wirbelsäule mit Rückenmyalgien, eine Schulterperiarthropathie ohne Hinweis auf Muskelschwächen bei ausreichender Funktion, einen Bluthochdruck, eine somatoforme Schmerzstörung, ein Erschöpfungssyndrom, Anpassungsstörungen, Spannungskopfschmerzen, Übergewicht, diffuse Gelenkbeschwerden sowie sonstige Erkrankungen des Weichteilgewebes diagnostizierten. Die Gutachter hielten die Klägerin für in der Lage, noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten zu verrichten.

Gestützt auf diese medizinischen Feststellungen lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 08.08.2003 ab, da diese weder teilweise noch voll erwerbsgemindert sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 04.09.2003 Widerspruch mit der Begründung ein, sie sei aufgrund ihrer vielfältigen Erkrankungen nicht mehr in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Ferner sei bei ihr ein Weichteilrheuma festgestellt worden. Die Klägerin fügte ihrem Widerspruch Unterlagen ihrer behandelnden Ärzte bei.

Nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.2004 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Einen Berufsschutz könne sie nicht in Anspruch nehmen.

Mit der hiergegen am 26.03.2004 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt sie aus, dass sie an Erkrankungen sowohl auf orthopädischem und internistischem als auch auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet leide. Die Beklagte habe das bei ihr vorliegende Fibromyalgiesyndrom mit auch in Ruhe bestehenden chronischen Gelenkschmerzen, welches bereits im Jahre 1999 festgestellt worden sei, nicht berücksichtigt. Aufgrund ihrer Erkrankung könne sie lediglich sehr kurze Strecken zurücklegen. Die Schmerzen träten mitunter auch schubartig auf und befielen insbesondere die Knie und die Ellenbogen mit begleitender Kraftminderung. Entgegen den Feststellungen der Gutachter im Verwaltungsverfahren liege bei ihr zudem eine Osteoporose vor. Zusammenfassend sei ihre Leistungsfähigkeit durch ihre Erkrankungen aufgehoben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 08.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2004 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ab Mai 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts zunächst Beweis erhoben durch Beiziehung von Befund- und Behandlungsberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin. Weiterhin hat das Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. P., des Neurologen und Psychiaters Dr. D. sowie des Internisten, Rheumatologen und Schmerztherapeuten Dr. A. in Auftrag gegeben, welche die Klägerin im April 2005 untersucht haben. Die Sachverständigen haben in ihren Gutachten die folgenden leistungsrelevanten Diagnosen gestellt: Dysthymie mit deutlich ausgeprägter Somatisierung; chronifiziertes Schmerzsyndrom bei schmerzhaftem Wirbelsäulensyndrom mit Funktionseinschränkung, schmerzhaftem Knorpelaufbrauch der Kniegelenke mit Funktionsstörungen, Belastungsschmerzen der übrigen Gelenke, Belastungsschmerzen der oberen Gliedmaßen, somatoformer Schmerzstörung, depressiver Stimmungslage; Bluthochdruck mit Linksherzbelastung; massive Übergewichtigkeit. Während der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr. D. in seiner sozialmedizinischen Beurteilung zu der Einschätzung gelangt ist, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten mit bestimmten qualitativen Leistungseinschränkungen mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten, haben die Sachverständigen Dr. P. und Dr. A. die Auffassung vertreten, dass die Klägerin lediglich noch drei bis weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Eine Besserung ihres Leistungsvermögens sei medizinisch eher unwahrscheinlich. Auf den weiteren Inhalt der Sachverständigengutachten wird verwiesen.

Die Beklagte hat insbesondere an dem Gutachten des Sachverständigen Dr. P. Kritik geübt und eine entsprechende ärztliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. N. vorgelegt. Im Hinblick hierauf hat das Gericht dem Sachverständigen Dr. P. die Akten erneut mit der Bitte vorgelegt, ergänzend Stellung zu nehmen. In seiner Stellungnahme vom 12.09.2005 hat Dr. P. an seiner Auffassung festgehalten, die Klägerin könne lediglich noch drei bis weniger als sechs Stunden erwerbstätig sein.

Nachdem sich die Beklagte dieser Einschätzung weiterhin nicht anschließen konnte und weitere Kritik an dem Gutachten des Dr. P. geübt hat, hat das Gericht ein weiteres Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet von Dr. E. in Auftrag gegeben, der die Klägerin am 17.01.2006 begutachtet hat. Dr. E. hat bei der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine chronische Angststörung auf dem Hintergrund einer vermeidend selbstunsicheren Persönlichkeit diagnostiziert. Auch er ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin lediglich noch leichte Arbeiten mit bestimmten qualitativen Einschränkungen drei bis weniger als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Dies gelte bereits seit dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung. Mit einer grundlegenden Änderung sei nicht zu rechnen. Auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens im Übrigen wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat im Hinblick auf das Gutachten des Dr. E. angeboten, von einer teilweisen Erwerbsminderung auf Zeit seit dem 01.07.2005 bis voraussichtlich Februar 2008 auszugehen und entsprechende Leistungen zu erbringen. Die Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes komme hingegen nicht in Betracht, da der Teilzeitarbeitsmarkt für die Klägerin nicht verschlossen sei. An der diesbezüglichen Rechtsprechung könne nicht mehr festgehalten werden, da sich die Arbeitsmarktlage in der Zwischenzeit geändert habe. Seit dem 01.01.2001 gelte das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Dieses habe die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung gänzlich verändert und auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gehabt. Durch den hierdurch geschaffenen Anspruch auf Teilzeitarbeitsplätze seien diese in erheblich höherem Maße vorhanden. Heutzutage seien in einer Vielzahl von Betrieben Teilzeitbeschäftigungen möglich und auch üblich. Im Sozial-, Büro- und Gesundheitsbereich oder im Verkauf seien Teilzeitarbeitsplätze häufig sogar der Regelfall. Zudem bestehe nunmehr seit einigen Jahren aufgrund einer Gesetzesänderung die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer teilweisen Erwerbsminderungsrente. Wäre weiterhin davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeitsplätze verschlossen sei, so würde die teilweise Erwerbsminderungsrente leer laufen. Die entsprechende Rechtsprechung habe in den meisten Fällen dazu geführt, dass Arbeitnehmer ihren Teilzeitarbeitsplatz aufgegeben hätten, um in den Genuss der vollen Erwerbsminderungsrente zu gelangen. Dies könne nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein.

Die Klägerin hat das Regelungsangebot nicht angenommen. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass die ihr angebotene teilweise Erwerbsminderungsrente aufgrund der Arbeitsmarktlage in eine volle Erwerbsminderungsrente umzuwandeln sei. Die entsprechende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei auch weiterhin anzuwenden. Lediglich aus dem Gesetzestext des TzBfG ergebe sich nicht das tatsächliche Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen. Das Gesetz habe keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gehabt, die Arbeitsmarktlage habe sich seit der letzten diesbezüglichen Entscheidung des BSG nicht geändert. Die Beklagte erkenne in anderen Verfahren vor den Sozialgerichten selbst an, dass sich die Arbeitsmarktlage eher zum Nachteil entwickelt habe und ein Teilzeitarbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe.

Das Gericht hat eine Auskunft der zuständigen Arbeitsagentur M. eingeholt, wonach die Klägerin in der Zeit vom 16.11.2000 bis zum 31.10.2004 arbeitslos gemeldet war und sich erneut ab dem 13.04.2005 arbeitslos bzw. arbeitssuchend gemeldet hat. Für die Klägerin geeignete Teilzeitarbeitsplätze konnten ihr nach dieser Auskunft seit ihrer erstmaligen Arbeitslosmeldung nicht angeboten werden, auch heute wäre das Angebot eines dementsprechenden Teilzeitarbeitsplatzes nicht möglich.

Die Beklagte hat hiergegen eingewandt, dass sich die teilweise Erwerbsminderung der Klägerin erst im laufenden Verfahren herausgestellt habe und sie demnach bei der Agentur für Arbeit nicht zwecks einer entsprechenden Vermittlung nachgefragt habe. Insoweit seien die der Agentur für Arbeit gestellten Fragen unerheblich. Die derzeitige Vermittlungsquote sei sowohl für Vollzeit- als auch für Teilzeitkräfte so gering, dass die Mitteilung der Agentur für Arbeit, der Klägerin könne derzeit ein entsprechender Teilzeitarbeitsplatz nicht angeboten werden, unerheblich sei. Da die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, müsse von Seiten der Beklagten kein konkreter Arbeitsplatz angeboten werden. Hilfsweise könne die Klägerin aber eine Teilzeittätigkeit als Telefonverkäuferin, als Telefonistin in einem Telefonpool oder als Teilzeitkassiererin ausüben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Klägerin ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da der angefochtene Bescheid vom 08.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2004 insoweit rechtswidrig ist, als der Klägerin darin die Gewährung einer Dauerrente wegen teilweiser Erwerbsminderung und die Gewährung einer Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung versagt werden. Denn die Klägerin hat unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles der teilweisen Erwerbsminderung vom 19.05.2003 einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 01.06.2003 sowie auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.12.2003 bis zum 30.11.2009 bei konkreter Betrachtung der derzeitigen Arbeitsmarktsituation. Sie ist nämlich teilweise erwerbsgemindert und erfüllt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zudem ist der Teilzeitarbeitsmarkt als für die einen Teilzeitarbeitsplatz nicht innehabende Klägerin verschlossen anzusehen.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind gemäß Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Das Leistungsvermögen der Klägerin ist aufgrund der im Tatbestand im Einzelnen aufgeführten Gesundheitsstörungen dahingehend eingeschränkt, dass sie lediglich noch leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen drei bis weniger als sechs Stunden täglich verrichten kann. Eine vollständige Aufhebung des Leistungsvermögens bzw. eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf weniger als drei Stunden liegt dagegen nicht vor.

Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der nachvollziehbar begründeten Gutachten der Sachverständigen Dr. P., Dr. A. und Dr. E. unter Berücksichtigung der übrigen in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen. Die Kammer hält die Einschätzung der Sachverständigen für überzeugend, weil sie diese auf eine ausführlich erhobene Anamnese sowie auf eingehende und sorgfältige Untersuchungen stützen. Die Sachverständigen orientieren ihre Beurteilungen an anerkannten Bewertungsmaßstäben, ihre Ausführungen sind in sich schlüssig und frei von Widersprüchen. Dr. P., Dr. A. und Dr. E. kamen so in nachvollziehbarer Weise zu der Einschätzung, dass die Gesundheitsstörungen der Klägerin neben qualitativen Einschränkungen ihrer Erwerbsfähigkeit auch eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht - wenn auch nicht ein völlig aufgehobenes Leistungsvermögen - nach sich ziehen. Nach den Ausführungen des internistisch-rheumatologisch-algesiologischen Sachverständigen Dr. A. sind Leitsymptom der von der Klägerin vorgetragenen Beschwerden chronifizierte Schmerzen. Die insoweit bestehende chronifizierte Schmerzstörung ist erheblich seelisch überlagert und hat sich zu einer eigenständigen Schmerzkrankheit entwickelt. Aus schmerztherapeutischer Sicht können auch leichte körperliche Arbeiten mit zahlreichen weiteren Einschränkungen (wie etwa für längere Zwangshaltungen, häufiges Bücken, Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht) nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden. Das zeitliche Leistungsvermögen ist vielmehr auf drei bis weniger als sechs Stunden reduziert. Aus orthopädischer Sicht ist bei der Klägerin von einem partiell pseudoradikulären muskelassoziierten Schmerzsyndrom in Verbindung mit einer sekundären Fibromyalgie auf dem Boden einer seronegativen Spondarthropathie sowie einem sich progredient entwickelnden chronifizierten Schmerzsyndrom auszugehen. Vor diesem Hintergrund gelangt der Sachverständige Dr. P. im Einklang mit den Ausführungen Dr. A. s zu der Einschätzung eines in quantitativer Hinsicht auf drei bis weniger als sechs Stunden eingeschränkten Leistungsvermögens. Auch aus neurologisch-psychiatrischer Sicht ist der Klägerin eine zumindest sechsstündige Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich. Sie ist nicht mehr in der Lage, den üblichen Anforderungen eines entsprechenden Arbeitsprozesses gerecht zu werden. Der Sachverständige Dr. E. weist insoweit darauf hin, dass die bei der Klägerin zunehmenden körperlichen Leistungseinbußen dazu führen, dass ihre seelischen Störungen immer weniger kompensiert werden können. Gleichzeitig verhindert die seelische Problematik einen angemessen Umgang mit den körperlichen Störungen. Nach den Ausführungen Dr. E. s hat das Schmerzgeschehen der Klägerin zu einem ausgeprägten Rückzugsverhalten geführt. Sie ist nicht in der Lage, die für eine zumindest sechsstündige Erwerbstätigkeit notwendige Ausdauer, Belastbarkeit, Umstellungsfähigkeit und Flexibilität aufzubringen. Auch vermag sie Konflikte nicht in angemessener Form auszutragen, sie reagiert vielmehr mit einer weiteren Schmerzverstärkung, mit dem Auftreten von Albträumen, mit Ängsten und einem vermehrten Rückzugsverhalten. Unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Störungen ist die Belastbarkeit der Klägerin daher auch nach den Ausführungen Dr. E s auf drei bis weniger als sechs Stunden eingeschränkt. Nach alledem ist die Auffassung des weiteren gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. D. sowie der im Verwaltungsverfahren beauftragten Gutachter Dr. T., Dr. F. und Herrn N., die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen verrichten, als widerlegt anzusehen. Der Sachverständige Dr. E. weist insoweit für die Kammer nachvollziehbar darauf hin, dass bestimmte Aspekte der klägerischen Persönlichkeit in den bisherigen nervenärztlichen Begutachtungen nicht erhoben und somit auch nicht gewertet worden seien. Es ist daher nach den Ausführungen Dr. E.nachvollziehbar, dass insbesondere die nervenärztlichen Sachverständigen Dr. D. und Dr. F. zu einer positiveren Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin kommen. Dr. E. erklärt diese diskrepante Leistungsbeurteilung in überzeugender Weise damit, dass sich die Klägerin nur wenig über ihr innerseelisches Erleben äußert. Sie versucht nach außen ein möglichst normales Erscheinungsbild zu vermitteln. Ein innerer Leidensdruck wird somit für die außenstehenden Behandler nicht zwingend sichtbar. Vor diesem Hintergrund kommt Dr. E. in nachvollziehbarer Weise zu der Einschätzung, dass bereits bei den Untersuchungen durch die benannten Ärzte eine schwerwiegende Störung vorlag, die Klägerin den Untersuchern allerdings wenig Möglichkeiten für das Wahrnehmen ihrer Störungen eröffnete. Weder Dr. T. noch Dr. F. haben bei ihren Begutachtungen die strukturellen Persönlichkeitsveränderungen der Klägerin, welche bis in die Jugendzeit hinein zu verfolgen sind, berücksichtigt. Auch im Gutachten von Dr. D. werden zwar die verschiedenen familiären Belastungsfaktoren dargestellt, allerdings nicht die persönlichkeitsstrukturelle Entwicklung der Klägerin. Die verschiedenen Fähigkeiten und Schwächen ihrer Persönlichkeit werden nicht angemessen herausgearbeitet. Aufgrund dessen geht Dr. D. davon aus, dass die Klägerin in der Lage sei, die bestehende Problematik noch zu überwinden, und dass unter Einsatz einer entsprechenden Mühewaltung ein vollschichtiges Leistungsvermögen gegeben sei. Die Kammer hat in diesem Zusammenhang auch berücksichtigt, dass der nervenärztliche Sachverständige Dr. E. im Gegensatz zu Dr. D. und auch den Sachverständigen im Verwaltungsverfahren eine ausführliche Anamnese erhoben und sich mit der Biographie der Klägerin sowie ihrer psychosozialen Entwicklung eingehend und nachvollziehbar auseinander gesetzt sowie diese zu ihren körperlichen Beschwerden in Beziehung gesetzt hat. Vor diesem Hintergrund erscheinen das Gutachten und die Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Dr. E. nachvollziehbarer als jene insbesondere der weiteren nervenärztlichen Sachverständigen.

Der Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung ist nach Auffassung der Kammer in Übereinstimmung mit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. E. auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Mai 2003 festzulegen. Zwar ergeben sich nach Aktenlage Hinweise dafür, dass sich das Beschwerdebild schon lange Zeit zuvor entwickelt und bereits im Jahr 2000 zu entsprechenden klinischen Auffälligkeiten geführt hat. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. E. muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Kompensationsmechanismen vor der Rentenantragstellung noch weitaus stabiler und effektiver eingesetzt werden konnten. Der Zeitpunkt der Rentenantragstellung markiert daher jenen Zeitpunkt, ab dem zumindest ein sechs- und mehrstündiges Leistungsvermögen nicht mehr gegeben war.

Ausgehend von einem Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung im Mai 2003 erfüllt die Klägerin nach dem von der Beklagten zu den Akten gereichten Versicherungsverlauf auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente.

Der damit gegebene Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung schlägt bei konkreter Betrachtungsweise der derzeitigen Arbeitsmarktsituation in einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung um. Die Klägerin hat nämlich keine ihrem Leistungsvermögen entsprechende Teilzeitstelle inne, der Teilzeitarbeitsmarkt ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - als verschlossen anzusehen.

Über den Wortlaut der oben zitierten gesetzlichen Definition des Versicherungsfalles der vollen Erwerbsminderung hinaus besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits dann, wenn der Versicherte einer Erwerbstätigkeit zwar noch drei bis weniger als sechs Stunden täglich nachgehen kann - und damit lediglich den Tatbestand der teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erfüllt - er jedoch nicht über einen Arbeitsplatz, der seinem gesundheitlichen Restleistungsvermögen entspricht, verfügt. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass auf dem Arbeitsmarkt Teilzeitarbeitsplätze nur in so geringer Zahl vorhanden sind, dass der Teilzeitarbeitsmarkt praktisch verschlossen ist. Da aber Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung in der Höhe nur der Hälfte der Vollrente entsprechen, setzen sie von ihrer Grundkonzeption her voraus, dass der Versicherte zur Deckung seines Lebensunterhalts durch Ausübung einer entsprechenden Teilzeitarbeit weiteres Einkommen erzielt. Daher wird nach der Rechtsprechung der Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente nicht allein vom Gesundheitszustand abhängig gemacht (sog. abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch davon, ob der Versicherte bei der konkreten Situation des Teilzeitarbeitsmarktes in der Lage ist, die ihm verbliebene Leistungsfähigkeit zur Erzielung eines (ergänzenden) Erwerbseinkommens einzusetzen (sog. konkrete Betrachtungsweise). Aus diesem Grund besteht bei einem Leistungsvermögen von drei bis weniger als sechs Stunden täglich und gleichzeitiger Arbeitslosigkeit nicht nur ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, sondern auch ein solcher auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (vgl. insoweit zum bis zum 31.12.2000 geltenden Recht BSG, Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, GS 2/75, 3/75, 4/75, 3/76; zur Beibehaltung der konkreten Betrachtungsweise nach dem ab dem 01.01.2001 geltenden Recht vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Urteil vom 30.01.2004, Aktenzeichen L 14 RJ 175/03). Davon, dass der entsprechende Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist, ist - auch unter Geltung des TzBfG und der Neuregelung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung - nach wie vor auszugehen (vgl. LSG NRW, a. a. O.).

Die genannte Rechtsprechung ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - weiterhin anzuwenden. Dies folgt schon aus dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, die konkrete Betrachtungsweise - auch nach der Einführung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zum 01.01.2001 - aufrecht zu erhalten. So wird in der Begründung zum "Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgeführt: "Die konkrete Betrachtungsweise wird wegen der ungünstigen Arbeitsmarktsituation beibehalten. Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente wird nicht allein vom Gesundheitszustand des Versicherten abhängig gemacht (sog. abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch davon, ob er noch in der Lage ist, bei der konkreten Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarktes die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen. Versicherte, die noch mindestens drei, aber nicht mehr sechs Stunden täglich arbeiten, das verbliebene Restleistungsvermögen wegen Arbeitslosigkeit aber nicht in Erwerbseinkommen umsetzen können, erhalten eine volle Erwerbsminderungsrente" (Bundestagsdrucksache 14/4230, Seite 25 zu Nr. 10). Hiermit korrespondierend ergibt sich auch aus dem Wortlaut des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, dass ein Rentenanspruch ggf. von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängig sein kann. Dort heißt es, dass "Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, ( ... ) unbefristet geleistet" werden, "wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann". Ähnliches gilt für den Wortlaut des § 314 b SGB VI, wonach, wenn am 31.12.2000 Anspruch auf eine befristete Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit bestand und der jeweilige Anspruch nach Ablauf der Frist von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängig ist, die Befristung grundsätzlich zu wiederholen ist. Auch läuft entgegen der Auffassung der Beklagten der Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei weiterer Anwendung der Rechtsprechung zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes nicht leer, da die Rente nach der oben dargestellten Konzeption gezahlt wird, wenn der Versicherte einen Teilzeitarbeitsplatz inne hat. Dass ein Großteil der erwerbsgeminderten Versicherten nicht über einen Teilzeitarbeitsplatz verfügt, beruht gerade auch auf der Arbeitsmarktsituation und kann nicht dazu führen, dass ein "Umschlagen" der teilweisen Erwerbsminderungsrente in die volle Erwerbsminderungsrente grundsätzlich nicht mehr zu erfolgen hat. Auch dass möglicherweise in einzelnen Fällen Versicherte ihren Teilzeitarbeitsplatz aufgeben, um in den Genuss einer Rente wegen voller Erwerbsminderung zu kommen, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Sollte dies tatsächlich einmal nachweislich der Fall sein, könnte insoweit eine analoge Anwendung des § 103 SGB VI in Betracht gezogen werden.

Auch die Argumentation der Beklagten, aufgrund des Inkraftretens des TzBfG am 01.01.2001 seien Teilzeitarbeitsplätze in erheblichem höherem Maße vorhanden, so dass der Teilzeitarbeitsmarkt nicht mehr verschlossen sei, überzeugt nicht. Die Beklagte substantiiert ihre diesbezügliche Behauptung nicht weiter und legt insbesondere keine konkreten Daten dafür vor, dass sich die Lage auf dem Teilzeitarbeitsmarkt infolge des TzBfG tatsächlich verbessert hat. Allein aufgrund der bloßen pauschalen Behauptung der Beklagten, das Bestehen des TzBfG habe hier zu einer Entspannung geführt, hat sich die Kammer nicht dazu veranlasst gesehen, in diesbezügliche Ermittlungen einzutreten. Konkrete Anhaltspunkte für eine Besserung der Arbeitsmarktlage sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Zur Überzeugung der Kammer lässt die bloße Existenz des TzBfG nicht auf eine Veränderung der Arbeitsmarktlage schließen. Dementsprechend räumt die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 07.09.2006 selbst ein, dass die derzeitige Vermittlungsquote der Agenturen für Arbeit - sowohl für Vollzeit- als auch für Teilzeitkräfte - gering ist, was nach Auffassung der Kammer nicht für eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage spricht.

Selbst wenn aber am Teilzeitarbeitsmarkt eine Entspannung eingetreten sein sollte, würde dies jedenfalls ein "Umschlagen" der teilweisen Erwerbsminderungsrente in eine volle Erwerbsminderungsrente nicht per se ausschließen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Beschluss des Großen Senates vom 10.12.1976, a. a. O.) ist dem Versicherten der Arbeitsmarkt dann praktisch verschlossen, wenn ihm weder der Rentenversicherungsträger noch das zuständige Arbeitsamt innerhalb eines Jahres seit Stellung des Rentenantrages einen für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz anbieten kann. Der Versicherte darf insoweit in der Regel nur auf Teilzeitarbeitsplätze verwiesen werden, die er täglich von seiner Wohnung aus erreichen kann. Demnach war auch zur Zeit der genannten Entscheidung nicht generell von einer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes auszugehen, der Arbeitsmarkt war vielmehr lediglich dann als verschlossen anzusehen, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz nicht konkret angeboten werden konnte (sog. konkrete Betrachtungsweise, vgl. oben). Der Große Senat führt insoweit weiter aus: "Diese Aufgabe verpflichtet den Rentenversicherungsträger zu der Prüfung, ob dem leistungsgeminderten Rentenbewerber der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht. Dahingehende Schlüsse sind am ehesten daraus zu ziehen, ob es dem Rentenversicherungsträger im Zusammenwirken mit dem für den Versicherten zuständigen Arbeitsamt gelingt, diesem innerhalb einer bestimmten Zeit einen seinem Leistungsvermögen und seinen beruflichen Fähigkeiten entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz anzubieten. Als zeitlicher Maßstab ist dabei in der Regel die Zeit von einem Jahr seit Stellung des Rentenantrages anzusehen. Dieser Zeitraum reicht im Regelfall aus, um das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein geeigneter Arbeitsplätze festzustellen. Der Zeitraum von einem Jahr ist auch beim vorgezogenen Altersruhegeld ( ...) von Bedeutung; der Gesetzgeber geht dort davon aus, dass nach einjähriger Arbeitslosigkeit im allgemeinen nicht mehr mit der Vermittlung eines Arbeitsplatzes zu rechnen ist, also der Arbeitsmarkt für diese Versicherten praktisch verschlossen ist. ( ...). Kann ein Versicherter nicht innerhalb dieses Zeitraums in eine Teilzeitarbeit vermittelt werden, so begründet dies die Annahme, dass der Teilzeitarbeitsmarkt für den Versicherten praktisch verschlossen ist. Anders verhält es sich, wenn ihm in dieser Zeit ein geeigneter Arbeitsplatz angeboten wird. Dann ist für ihn der Arbeitsmarkt als offen anzusehen. ( ...) Verstreicht die Jahresfrist ergebnislos, dann steht die Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes rückwirkend zum Zeitpunkt des Rentenantrages fest ( ...) Die Zeit von einem Jahr seit Stellung des Rentenantrages braucht allerdings nicht stets abgewartet zu werden, insbesondere nicht in Fällen, in denen eine Arbeitslosmeldung schon vorher erfolgt war ( ...). In diesen Fällen hat der Rentenversicherungsträger - falls die sonstigen Voraussetzungen für den Rentenanspruch vorliegen - die Rente schon vor Ablauf des vollen Jahres zu bewilligen" (BSG, Großer Senat, a.a.O.). Diese Entscheidung hatte zur Folge, dass die Rentenversicherungsträger bei der vorliegenden Arbeitsmarktlage in der Regel ohne weitere Ermittlungen davon ausgingen, dass eine Vermittlung innerhalb der Jahresfrist nicht möglich war, und daher eine grundsätzliche Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes unterstellten (vgl. Kasseler Kommentar-Niesel, § 43 SGB VI, Rn. 32). Wenn die Beklagte diese Verwaltungspraxis nicht mehr beibehalten möchte, entbindet sie dies nicht von der Pflicht, der Klägerin einen konkreten leidensgerechten Arbeitsplatz, den diese täglich von ihrer Wohnung aus erreichen kann, anzubieten. Die pauschale Nennung beispielsweise der Tätigkeit einer "Teilzeitkassiererin" reicht insoweit nicht aus. In diesem Zusammenhang hat aber die Nachfrage bei der Agentur für Arbeit M. ergeben, dass der Klägerin weder vor noch nach der Rentenantragstellung ein entsprechender Teilzeitarbeitsplatz hätte angeboten werden können.

Allerdings ist die Rente wegen voller Erwerbsminderung - im Gegensatz zu der von ihr gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI verdrängten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung - nur befristet und auch nicht bereits ab dem 01.06.2003, sondern erst ab dem 01.12.2003 zu leisten.

Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Sie kann gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI wiederholt werden. Nach Satz 4 der Vorschrift werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Eine Rente aus eigener Versicherung wird gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet, § 101 Abs. 1 SGB VI.

Demnach war die Rente wegen voller Erwerbsminderung, ausgehend von einem Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung im Mai 2003 ab dem 01.12.2003 für die Dauer von sechs Jahren bis zum 30.11.2009 zu gewähren. Die Kammer hat hier eine Befristung von sechs Jahren vorgenommen, da die dreijährige Befristung bereits am 30.11.2006 und mithin noch im Monat der Urteilsverkündung ausgelaufen wäre. Insoweit hat die Kammer den Klageantrag als Antrag auf Weitergewährung der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung gewertet und dementsprechend eine weitere Befristung von drei Jahren vorgenommen.

Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist hingegen nach den oben dargestellten Grundsätzen ab dem 01.06.2003 auf Dauer zu leisten, da der Anspruch der Klägerin insoweit unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage allein aus medizinischen Gründen besteht und es nach Auffassung der Kammer unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Dies folgt insbesondere aus den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. E ... Dieser hat darauf hingewiesen, dass aufgrund der erheblichen Chronifizierung des Erkrankungsbildes der Klägerin sowohl hinsichtlich der Schmerzsymptomatik als auch im Hinblick auf die psychische Situation sowie aufgrund der fehlenden Introspektionsfähigkeit und der fehlenden Motivation für seelische Behandlungsprozesse mit einer grundlegenden Änderung nicht zu rechnen ist. Er hat hierzu weiter ausgeführt, dass die bei der Klägerin vorliegenden Kontakt- und Beziehungsstörungen erheblicher Natur sind und sich nicht grundlegend ändern lassen. Dementsprechend ist nicht zu erwarten, dass eine Um- und Neustrukturierung im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung möglich ist. Dies steht im Einklang mit den Feststellungen der Sachverständigen Dr. P. und Dr. A., die eine Besserung des festgestellten Leistungsvermögens ebenfalls für medizinisch unwahrscheinlich halten.

Die Klage konnte im übrigen keinen Erfolg haben, da die Rente nicht - wie beantragt - ab Mai 2003 sondern erst ab Juni 2003 bzw. ab Dezember 2003 zu gewähren war und die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Klägerin die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Mai 2003 beantragt hat. Da sich somit das Begehren der Klägerin auf eine etwa 19 Jahre lang (bis zur Erreichung des 65. Lebensjahres) zu zahlende Rente wegen voller Erwerbsminderung richtet und die Kammer einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer sowie wegen voller Erwerbsminderung befristet auf sechs Jahre für berechtigt hält, war die ausgesprochene Kostenteilung angemessen.
Rechtskraft
Aus
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