L 3 AS 5932/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 5932/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Zu Recht hat ihn das Sozialgericht im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 01.11. bis zum 31.12.2006 monatliche Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt EUR 580,00 zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1; sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2; sog. Regelungsanordnung).

Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dabei nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl für die Sicherungsanordnung als auch für die Regelungsanordnung, dass der Antragsteller die Gefährdung eines eigenen Individualinteresses (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft macht. Außerdem darf eine stattgebende Entscheidung die Hauptsache grundsätzlich nicht - auch nicht zeitlich befristet - vorwegnehmen, es sei denn, dass dies zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes unerlässlich ist.

In Anwendung dieser Grundsätze liegt für die vom Sozialgericht erlassene Regelungsanordnung - bezogen auf den im Beschwerdeverfahren streitigen Zeitraum - zunächst ein Anordnungsgrund vor. Denn der unstreitig im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) hilfebedürftige Antragsteller ist nach seinem unwidersprochenen Vorbringen nicht mehr in der Lage, den monatlichen Unterschiedsbetrag von rund EUR 210,00 zwischen den tatsächlich anfallenden und den vom Antragsgegner seit Beginn des Jahres 2005 als angemessen übernommenen Kosten für Unterkunft und Heizung aus eigenen Mitteln aufzubringen und damit den Fortbestand seines Wohnungsmietverhältnisses zu sichern. Ein weiteres Zuwarten ist dem Antragsteller - anders als der Antragsgegner meint - insbesondere nicht mit Blick auf die wohl noch nicht unmittelbar drohende Wohnungslosigkeit zuzumuten. Denn Zahlungen des Antragsgegners nach Abschluss eines erst bei unmittelbar drohendem Wohnungsverlust eingeleiteten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens wären in tatsächlicher Hinsicht wohl nicht mehr geeignet, eine Obdachlosigkeit des Antragstellers zu verhindern. Neben der Dauer auch eines gerichtlichen Eilverfahrens ist nämlich vorliegend zu berücksichtigen, dass die rechtzeitige Befolgung einer dem Begehren des Antragstellers stattgebenden Eilentscheidung durch den Antragsgegner nicht gesichert erscheint. Das gilt insbesondere mit Blick darauf, dass für eine Erfüllung der im angegriffenen Beschluss des Sozialgerichts vom 26.10.2006 ausgesprochenen Leistungsverpflichtung keine Anhaltspunkte bestehen, obschon der vorliegenden Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukommt und eine die danach bestehende Vollstreckbarkeit aussetzende Entscheidung nicht ergangen ist (vgl. §§ 175, 199 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG). Angesichts des dem Antragsteller darüber hinaus mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit zur Seite stehenden Anordnungsanspruchs besteht damit die hier hinreichende Gefahr einer Rechtsvereitelung.

Der Anordnungsanspruch des Antragstellers ergibt sich aus § 22 Abs. 1 SGB II. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (Satz 1); soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (Satz 2).

Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft sind die örtlichen Verhältnisse zunächst insoweit maßgeblich, als auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne zu ermitteln ist. Erscheinen dem Träger der Grundsicherung nach dem SGB II die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, darf er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft leistungsrechtlich an sich (abstrakt) angemessen wäre. Da der Hilfebedürftige einen Anspruch auf Deckung seines Unterkunftsbedarfs hat, muss sich die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage erstrecken, ob dem Leistungsempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist. Besteht eine derartige Unterkunftsalternative nicht, ist also die vom Hilfebedürftigen bewohnte Unterkunft die in dem maßgeblichen räumlichen Umkreis und Bedarfszeitraum einzig verfügbare, sind die Aufwendungen für diese Wohnung aus sozialhilferechtlicher Sicht angemessen und deshalb gemäß § 22 Abs. 1 SGB II (zunächst) zu übernehmen (vgl. zu den im wesentlichen wortgleichen Vorgängerregelungen der §§ 11, 12 BSHG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 RegelsatzVO BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 -, DVBl 2005, 1326 f. = NVwZ 2005, 1197 f. = Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr. 51 = info also 2006, 33 ff. = FEVS 57, 208 ff.; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.01.2006 - L 8 AS 403/06 ER -, zit. nach juris).

Danach ist es zunächst Sache des Leistungsträgers, die Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft unter Berücksichtigung des vorhandenen und verfügbaren Wohnraums im unteren Bereich zu ermitteln (§ 20 SGB X ). Dabei kann er sich auf örtliche Mietspiegel stützen oder andere Erkenntnisquellen verwenden, z.B. Mietpreisübersichten des Verbandes Deutscher Makler oder anderer privater Organisationen, Auswertungen der Wohnungsangebote in den lokalen Zeitungen, Erkenntnisse des Wohnungsamtes oder andere nachvollziehbar dokumentierte Erfahrungswerte. Ergibt sich danach, dass die Unterkunftskosten des Hilfeempfängers als angemessen einzustufen sind, sind diese in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. Überschreiten die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, ist es Sache des Hilfeempfängers, im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er sich ernsthaft und intensiv um eine Senkung der Aufwendungen, insbesondere um eine andere, bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung bemüht hat und ihm eine Kostensenkung trotz seiner Bemühungen nicht möglich gewesen ist. Hat der Hilfeempfänger ausreichende erfolglose Bemühungen dargelegt und glaubhaft gemacht, sind die Unterkunftskosten grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu übernehmen (vgl. zu alledem Hessisches LSG, Beschluss vom 13.12.2005 - L 9 AS 48/05 ER -, zit. nach juris, m.w.N.), sofern nicht der Leistungsträger eine für den Hilfeempfänger verfügbare und zugängliche angemessene Wohnung konkret nachweist.

Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgesehene Regelfrist von sechs Monaten schließt eine zeitlich darüber hinausgehende Übernahme auch unangemessener Kosten im Einzelfall nicht aus, sondern bietet einen Anhaltspunkt für die regelmäßige Bestimmung des Kostenübernahmezeitraums (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, Rdnr. 60 zu § 22) und führt angesichts der ohnehin bestehenden materiellen Beweislast des Hilfeempfängers für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Kostensenkung allenfalls zu einer Verschärfung der Anforderungen an die vom Hilfeempfänger insoweit zu erbringenden Nachweise.

In Anwendung dieser Grundsätze sind zwar die Kosten der vom Antragsteller allein bewohnten Unterkunft angesichts der Wohnungsgröße von 83 qm abstrakt und unter Berücksichtigung des nach den von ihm selbst vorgelegten Unterlagen verfügbaren und zugänglichen bedarfsgerechten sowie kostengünstigeren Wohnraums auch konkret unangemessen hoch; dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Indes hat der Antragsteller nachvollziehbar und im übrigen auch unwidersprochen dargelegt, dass eine Kostensenkung durch Untervermietung angesichts des Zuschnitts seiner Wohnung sowohl für einen Untermieter als auch für ihn selbst unzumutbar ist. Darüber hinaus hat er bereits im Jahr 2005 beginnende ernsthafte, erhebliche und intensive Eigenbemühungen um kostengünstigeren Wohnraum in einem für das vorliegende Eilverfahren mehr als ausreichenden Umfang dargelegt und glaubhaft gemacht.

So hat er im Juni 2005 einen - zwischenzeitlich verlängerten - Wohnungsberechtigungsschein für Wohnraum mit der auch vom Antragsgegner für angemessen angesehenen Größe von 45 qm beantragt und erhalten. Ausweislich der von ihm vorgelegten Bescheinigungen, zuletzt vom 28.07.2006, ist er ebenfalls seit Juni 2005 nicht nur als Bewerber um eine entsprechende Wohnung bei der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Bretten registriert, sondern spricht er, bislang allerdings ohne Erfolg, auch regelmäßig auf deren Geschäftsstelle vor. Ferner hat er sich - durch Bescheinigungen bzw. sonstige Unterlagen und eigene Aufschriebe belegt - mit mehr als einem Dutzend Wohnungsbau- und Immobilienunternehmen sowie Wohnungsmaklern im Raum Bretten sowie in weiteren Bereichen des Landkreises Karlsruhe und im Raum Pforzheim in Verbindung gesetzt, wobei er jedenfalls von vier Unternehmen, zum Teil seit Dezember 2005, ständig als Wohnungsbewerber geführt wird. Hinzu kommen für die Zeit von Januar bis August 2006 durch vom Antragsteller zum Teil kommentierte Zeitungsausschnitte aus der Wochenzeitung "Brettener Woche" hinreichend und nahezu lückenlos dokumentierte Bemühungen um eine Wohnung sowie Internetrecherchen und -anfragen (über www.immowelt.de und www.immobilienscout.de).

In Ansehung dessen ist der Antragsteller der Obliegenheit, sich nicht nur ernsthaft und intensiv um seinem Bedarf angemessen Wohnraum zu bemühen, sondern diese Bemühungen auch zu belegen, in einem Maße nachgekommen, die seine durch die Regelleistung des § 20 SGB II beschränkte Leistungsfähigkeit bei summarischer Prüfung jedenfalls bis zur Grenze der Zumutbarkeit ausschöpft. Hinzu kommt, dass in den Bewilligungsbescheiden vom 30.06.2005 und vom 16.09.2005 - unter Hinweis auf näher bezeichnete, vom Leistungsträger für angemessen gehaltene Kosten der Unterkunft und Heizung - lediglich die vom Antragsteller unzweifelhaft erfüllte Bitte enthalten ist, sich durch Wohnungswechsel oder Untervermietung so schnell wie möglich um eine Kostensenkung zu bemühen sowie den Antragsgegner darüber auf dem Laufenden zu halten, wobei selbst im Widerspruchsbescheid vom 16.02.2006 Angaben zu den vom Antragsgegner für erforderlich gehaltenen Bemühungen und Nachweisen fehlen. Die vom Antragsgegner nach Ergehen des angegriffenen Beschlusses des Sozialgerichts mit Schreiben vom 17.11.2006 erteilten Hinweise ändern hieran schon deshalb nichts, weil der Antragsteller die vorgeschlagenen Bemühungen weitgehend bereits unternommen und vom Antragsgegner nicht weiter konkretisierte Nachweise vorgelegt hat. Darauf, ob dem Leistungsempfänger eine Obliegenheitsverletzung sowie ein Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 22 Abs. 1 S 2 SGB II allgemein nur vorgehalten werden kann, wenn er zuvor hinreichend darüber aufgeklärt wurde, in welcher Weise und mit welcher Intensität er nach einer angemesseneren Unterkunft suchen muss und welche Nachweise er dafür zu erbringen hat (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 31.08.2006 - L 7 AS 160/06 -, zit. nach juris), kommt es mithin hier nicht an. Soweit der Antragsgegner schließlich mit seiner Beschwerdebegründung vorträgt, der Antragsteller dürfe sich bei seinen Bemühungen um eine angemessene Wohnung nicht auf seine Wohngemeinde Bretten beschränken, betrifft dies allenfalls die abweichende - und im übrigen wohl auch zutreffende (BSG, Urteil vom 07.11.2006- B 7b AS 18/06 R -, vgl. hierzu den Termin-Bericht des BSG Nr. 58/06 vom 07.11.2006) - Rechtsauffassung des Antragstellers, nicht aber seine im Gegensatz hierzu sogar auf außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Antragsgegners gelegenen Wohnraum ausgedehnten Bemühungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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