L 3 B 204/06 AS-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 7 AS 26/06 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 B 204/06 AS-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 13.03.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beschwerdeführerin und Antragsstellerin (Bf.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Beschwerde- und Antragsgegnerin (Bg.), ihr höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeits-suchende – (SGB II) zu gewähren, indem ihre Unterkunfts- und Heizkosten in voller Höhe als Bedarf berücksichtigt werden. Die 23 Jahre alte, ledige und erwerbsfähige Bf. ist selbständig tätig und hat hierzu seit 17.08.2004 als Gewerbetätigkeiten die Akquise und Betreuung von Einzelhandelskunden für Produkte und Dienstleistungen aller Art (Lieferservice etc.), den Einzelhandel mit Lebensmitteln, die Ladengastronomie mit Verkauf von Backwaren sowie einen Büroservice mit Planung und Vertrieb von Kleinkinoanlagen und Sitzmöbeln angemeldet. Sie wohnt seit März 2004 in einer 108,7 m² großen 3-Raum-Wohnung, für welche sie mit dem Hauptmieter der Wohnung einen Untermietvertrag geschlossen hat. Inzwischen ist die Bf. Mutter eines am ...2006 geborenen Kindes. Am 16.09.2005 beantragte die Bf. Arbeitslosengeld II (Alg II) bei der Bg., was diese mit Bescheid vom 06.12.2005 zunächst ablehnte. Auf den Widerspruch der Bf. vom 13.12.2005 (Posteingang) bewilligte die Bg. jedoch Alg II und ab 22.03.2006 auch Sozial-geld für deren Kind monatlich wie folgt: - 16.09.2005 bis 30.09.2005: 281,83 EUR gemäß einem Bescheid vom 30.03.2006, - 01.10.2005 bis 31.10.2005: 563,65 EUR gemäß weiterem Bescheid vom 30.03.2006, - 01.11.2005 bis 31.12.2005: 563,65 EUR 01.01.2006 bis 28.02.2006: 664,47 EUR 01.03.2006 bis 31.03.2006: 651,40 EUR jeweils gemäß Bescheid vom 17.02.2006 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 30.03.2006 - 01.04.2006 bis 30.06.2006: 858,97 EUR 01.07.2006 bis 30.09.2006: 874,31 EUR jeweils gemäß Bescheid vom 18.05.2006 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 06.06.2006 Außerdem bewilligte die Bg. der Bf. mit Bescheid vom 26.05.2006 für die Zeit vom 16.09.2005 bis 31.12.2005 eine Heizkostennachzahlung in Höhe von 154,56 EUR sowie mit bestandskräftigem Bescheid vom 18.05.2006 als einmalige Leistung 594,00 EUR für die Erst-ausstattung der Wohnung und mit Bekleidung nach der Geburt des Kindes. Gegen die Bewilligung der laufenden Leistungen für die Zeit vom 16.09.2005 bis 30.09.2006 hat die Bf. jeweils Widerspruch erhoben (Widerspruchsschreiben vom 04.04.2006, 28.04.2006 und 22.05.2006), weil die Bg. zwar zu Recht den Hauptmieter nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft angesehen, jedoch zu Unrecht die Unterkunfts- und Heizkosten nur zur Hälfte bzw. ab der Geburt ihres Kindes nur zu zwei Dritteln als Bedarf angesetzt habe. Der Hauptmieter habe von Anfang an nicht in der Wohnung gelebt. Ein Widerspruchsbescheid ist bisher nicht ergangen. Nach Erlass des Ablehnungsbescheides vom 06.12.2005 und noch vor Erlass der Bewilligungsbescheide hat die Bf. am 09.01.2006 beim Sozialgericht Leipzig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, was das Sozialgericht mit Beschluss vom 13.03.2006 (Az. S 7 AS 26/06 ER) abgelehnt hat, weil es an einem Anordnungsgrund fehle, nachdem der Bewilligungsbescheid vom 17.02.2006 ergangen und Alg II bis 31.03.2006 bewilligt worden sei. Mit ihrer – nach Zustellung des Beschlusses am 24.04.2006 – dagegen am 27.04.2006 beim Sozialgericht Leipzig eingelegten Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und das Verfahren am 23.06.2006 dem Sächsischen Landessozialgericht vorgelegt hat, verfolgt die Bf. ihr Widerspruchsbegehren im einstweiligen Rechtsschutz weiter und bean-tragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 13.03.2006 aufzuheben und die Bg. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Alg II und So-zialgeld für ihr Kind unter Berücksichtigung der vollständigen Unterkunfts- und Heizkosten im Zeitraum 16.09.2005 bis 30.09.2006 zu bewilligen und ihr deshalb für diese Zeit insgesamt 2.736,13 EUR vorläufig auszuzahlen. Die Bg. beantragt sinngemäß, die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 13.03.2006 zurückzuweisen. Zur Begründung verweist sie auf das weitere, vor dem Sozialgericht Leipzig unter dem Az. S 6 AS 482/06 ER geführte einstweilige Anordnungsverfahren. In diesem unter dem Az. S 6 AS 482/06 ER geführten einstweiligen Anordnungsverfahren hatte die Bf. am 31.03.2006 (Posteingang) beim Sozialgericht Leipzig erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und geltend gemacht, dass ihre Unterkunftskosten in voller Höhe als ihr Bedarf zu berücksichtigen seien, da der Hauptmieter schon seit 2004 nicht mehr in der Wohnung gelebt habe. Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 15.08.2006 (der Bf. zugestellt am 24.08.2006) abgelehnt, weil es für die Zeit ab 16.09.2005 an einem Anordnungsanspruch fehle. Nach den durchgeführten Ermittlungen sei das Gericht davon überzeugt, dass auch der Hauptmieter noch in der Wohnung lebe, so dass die Unterkunfts- und Heizkosten nach Kopfteilen aufzuteilen seien, wie dies die Bg. zutreffend getan habe. Beschwerde hat die Bf. gegen diesen Beschluss (Az. S 6 AS 482/06 ER) nicht eingelegt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens waren. II. Die gemäß § 172 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet, weil der An-trag der Bf. vom 09.01.2006 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses des Sozialgerichts Leipzig vom 15.08.2006 (Az. S 6 AS 482/06 ER) insgesamt unzulässig geworden ist. Der hier streitige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 09.01.2006 ist dabei – soweit er sich wegen der eingelegten Beschwerde auch auf Zeiten nach Erlass des erstinstanzlichen Beschlusses zum Az. S 7 AS 26/06 ER am 13.03.2006 bezieht – hinsicht-lich der Zeit ab 31.03.2006, dem Zeitpunkt des Eingangs des weiteren Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (Az. S 6 AS 482/06 ER), bereits wegen der anderweitigen Rechtshängigkeit des gleichen Antragsbegehrens im dortigen Verfahren unzulässig. Dabei ist der Zeitraum nach Erlass des hier streitigen, erstinstanzlichen Beschlusses zum Az. S 7 AS 26/06 ER am 13.03.2006 grundsätzlich Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden, weil insoweit der einstweilige Rechtsschutzantrag in Bezug auf die Hauptforderung lediglich in zeitlicher Hinsicht erweitert wird (vgl. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG) und hin-sichtlich des Anordnungsanspruchs (dies ist der durch die einstweilige Anordnung zu si-chernde, im Hauptsache-, d.h. hier im Widerspruchsverfahren geltend gemachte Anspruch) geklärt ist, dass dieser grundsätzlich nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zu beurteilen ist. Anderes gilt allerdings dann, wenn sich aus dem materiellen Recht (ausdrückliche gesetzliche Regelung, Zweckrichtung bzw. zeitliche Beschränkung des materiellen Anspruchs in der Hauptsache) oder aus pro-zessualen Gründen ein anderer Beurteilungszeitpunkt oder -zeitraum ergibt (vgl. Finkeln-burg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rn. 479; Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2005, § 123 Rn. 166; Linhart in: Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII u. AsylbLG, Stand: Februar 2006, D I, Rn. 52; jeweils m.w.N.). Letzteres ist vorliegend der Fall. Grundsätzlich wäre es danach zwar möglich gewesen, das in der Sache einheitliche Begeh-ren der Bf. auf Übernahme der vollen Unterkunfts- und Heizkosten allein im Beschwerde-verfahren weiter zu verfolgen, ohne ein weiteres einstweiliges Anordnungsverfahren einzu-leiten. Da die Bf. ein solches am 31.03.2006 (Posteingang beim Sozialgericht Leipzig) jedoch erneut beantragt hat, noch bevor sie am 27.04.2006 Beschwerde gegen den Beschluss vom 13.03.2006 eingelegt hatte, kann zusätzlich zu dem ohnehin erstinstanzlich unter dem Az. S 7 AS 26/06 ER streitigen Zeitraum vom 16.09.2005 bis 13.03.2006 nur der weitere Zeitraum vom 14.03.2006 bis 30.03.2006 zulässigerweise Gegenstand des am 09.01.2006 eingeleiteten und in der Beschwerdeinstanz fortgeführten einstweiligen Rechts-schutzverfahrens sein. Denn gemäß § 202 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) kann dieselbe Sache während der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. War jedoch der Zeitraum ab 31.03.2006 zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Beschwerde am 27.04.2006 bereits beim Sozialgericht Leipzig unter dem Az. S 6 AS 482/06 ER rechtshängig, konnte er deshalb nicht mehr zulässigerweise zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht werden. Für den Zeitraum ab 31.03.2006 ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung somit bereits aus diesem Grund unzulässig und die – wegen der hierfür genügenden formellen Beschwer (vgl. Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, Vor § 143 Rn. 5a) zu-lässige – Beschwerde insoweit als unbegründet zurückzuweisen. Gleiches gilt im Ergebnis nunmehr nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses des Sozialgerichts Leipzig vom 15.08.2006 (Az. S 6 AS 482/06 ER) auch für den Zeitraum vom 16.09.2005 bis 30.03.2006. Dabei kann dahinstehen, ob die Bf. den Zeitraum vom 16.09.2005 bis 30.03.2006 tatsäch-lich zum Gegenstand des weiteren einstweiligen Anordnungsverfahrens unter dem Az. S 6 AS 482/06 ER machen wollte und selbst wenn, ob das Sozialgericht über diesen Zeitraum überhaupt in der Sache entscheiden durfte, weil dieser zumindest bis 13.03.2006 bereits Gegenstand des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen und damit weiter rechts-hängigen einstweiligen Anordnungsverfahrens unter dem Az. S 7 AS 26/06 ER war (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 94 Rn. 4). Denn ungeachtet dessen hat das Sozialgericht Leipzig in seinem Beschluss vom 15.08.2006 (Az. S 6 AS 482/06 ER) über den Zeitraum ab 16.09.2005 in der Sache tatsäch-lich entschieden, indem es einen Anordnungsanspruch verneint und somit den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als unbegründet abgelehnt hat. An der auch bei Beschlüssen im einstweiligen Anordnungsverfahren eintretenden formel-len und materiellen Rechtskraft im Sinne von § 141 Abs. 1 SGG (Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 141 Rn. 5, § 142 Rn. 3a) nimmt zwar grundsätzlich nur der Tenor (die Beschlussformel) teil, der hier lediglich dahin lautet, dass der Antrag abgelehnt wird. Jedoch können die Gründe einer Entscheidung ausnahms-weise zur Auslegung des Tenors herangezogen werden, wenn dieser selbst auslegungsbedürftig ist, etwa bei einer Klageabweisung oder Antragsablehnung (BSG, Urt. v. 06.02.1992, Az. 7 RAr 78/90, SozR 3-1500 § 54 Nr 9; Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 141 Rn. 7 ff.). Danach wird hier aus den Gründen des Beschlusses vom 15.08.2006 (Az. S 6 AS 482/06 ER) deutlich, dass das So-zialgericht über den Zeitraum ab 16.09.2005 entschieden hat, weil es den Antrag der Bf. bereits im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung "sinngemäß" dahin ausgelegt hat und auch in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich ausgeführt hat, dass eine Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ... "ab dem 16.09.2005 nur zu 50 % möglich" ... sei. Hat somit das Sozialgericht mit Beschluss vom 15.08.2006 (Az. S 6 AS 482/06 ER) den Erlass einer einstweiligen Anordnung für den Zeitraum ab 16.09.2005 mangels eines An-ordnungsanspruchs abgelehnt und hat die Bf. dagegen keine Beschwerde erhoben, steht entsprechend § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG zwischen der Bf. und der Bg. nunmehr rechtskräftig fest, dass – unter anderem – für den Zeitraum 16.09.2005 bis 30.03.2006 eine einstweilige Anordnung gerichtet auf die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II nicht zu erlassen ist. Soweit dieser Beschluss unzutreffend oder die Bf. hiermit nicht einverstanden gewesen sein sollte, hätte die Bf. die Möglichkeit gehabt, dagegen entsprechend der ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung in diesem Beschluss Beschwerde zu erheben. Da sie dies nicht getan hat, steht nunmehr im vorliegenden Beschwerdeverfahren die beschriebene Rechts-kraft des Beschlusses vom 15.08.2006 (Az. S 6 AS 482/06 ER) einer anderweitigen Entscheidung des Senats über den Zeitraum 16.09.2005 bis 30.03.2006 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entgegen und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für diesen Zeitraum ist ebenfalls unzulässig geworden (vgl. auch Meyer-Ladewig in: Mey-er-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 141 Rn. 6). Darauf hinzuweisen ist allerdings, dass die insoweit eingetretene Rechtskraft lediglich das einstweilige Rechtsschutzverfahren für den bisher streitigen Zeitraum erfasst und eine ge-genteilige Entscheidung im Hauptsacheverfahren, d.h. in dem noch offenen Widerspruchsverfahren betreffend den Zeitraum 16.09.2005 bis 30.09.2006 nicht hindert, so dass im Falle eines ablehnenden Widerspruchsbescheides der Beklagten dagegen noch Klage erhoben werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Diese Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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