L 1 U 32/06

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 17 U 76/04
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 U 32/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit liegt nicht vor, wenn zwei 9 und 10jährige, ehe-mals benachbarte Freundinnen die Initiative ergreifen, das Wochenende bei der ei-nen zu verbringen, zwischen den ebenfalls gut bekannten Müttern keine Abreden über eine besondere Betreuung der Kinder getroffen worden sind und das unfallbrin-gende Ereignis nach dem gemeinsam verbrachten Wochenende beim Zurückbringen des aufgenommenen Kindes zu seiner Mutter eintritt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 6. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei ihrem Verkehrsunfall am 11. Januar 1998 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

Die am 1960 geborene Klägerin erlitt am 11. Januar 1998 als Beifahrerin in einem PKW einen Verkehrsunfall, bei dem sie sich u. a. eine Querschnittslähmung ab dem 11. Brustwirbel zuzog. Der Unfall ereignete sich auf der B 388 auf dem Weg von W nach P infolge plötzlich einsetzender Glätte. Im Fahrzeug befanden sich neben der Klägerin auch ihr damaliger Lebensgefährte als Fahrer und die am 20. Juli 1987 geborene Tochter Denise sowie die am 11. September 1988 geborene Tochter Anika der Zeugin S. Anika und der Lebensgefährte der Klägerin verstarben an den Unfallfolgen. Denise wurde schwer verletzt.

Am 8. Mai 2002 beantragte die Klägerin, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Sie gab an: Die Mutter von Anika sei ihre frühere Nachbarin gewesen, als sie noch in P gewohnt habe. Nach ihrem Umzug nach W sei die Bekanntschaft erhalten geblieben. Sie habe Anika zunächst während eines Krankenhausaufenthaltes der Mutter betreut, nachdem diese wegen eines Suizidversuchs am 5. September 1997 in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Danach habe sie Anika regelmäßig an den Wochenenden von Freitag bis Sonntagabend betreut, um deren Mutter weiterhin zu entlasten. Als sie noch in P gewohnt habe, habe eine Betreuung von Anika auch während der Woche mehr oder weniger regelmäßig stundenweise stattgefunden. Ein Entgelt habe sie hierfür nicht erhalten. Das Wochenende der 2. Januarwoche 1998 habe Anika ebenfalls in ihrem Haushalt verbracht. Zum Unfallzeitpunkt habe sie Anika zu ihrer Mutter nach P zurückbringen wollen.

Die Beklagte verneinte mit Bescheid vom 9. Juli 2003 einen Arbeitsunfall. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei nicht wie eine Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Sie sei nicht weisungsgebunden gewesen, als sie Anika in ihren Haushalt aufgenommen und entsprechend betreut habe. Die Gestaltung des Tagesablaufes und die Versorgung des Kindes hätten in ihrem Ermessen gelegen und seien von Frau S in keiner Weise vorgegeben oder beeinflusst worden. Es habe sich vielmehr um eine selbständige Tätigkeit gehandelt, die einerseits aufgrund einer Gefälligkeit für Frau S erbracht worden und andererseits sicherlich auch deshalb erfolgt sei, weil Denise und Anika Freundinnen gewesen seien.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 28. Juli 2003 Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend: die Freundschaft stehe der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Frau S habe sie gebeten, Anika während des stationären Aufenthaltes in der Klinik zu betreuen. Diese Betreuung sei auch mit dem Jugendamt abgesprochen gewesen. Nach dem Klinikaufenthalt sei Frau S noch sehr labil und kaum belastbar gewesen. Sie habe Anika daher weiterhin betreut und mit zu sich nach Hause genommen. Diese Hilfe habe Frau S auch gerne angenommen, weil sie sich wegen ihrer ganztätigen Berufstätigkeit und der Trennung von ihrem Mann mit der Betreuung des Kindes überfordert gefühlt habe. Wenn sie Anika nicht betreut hätte, hätte Frau S mit dem Jugendamt eine andere Betreuungsmöglichkeit suchen müssen. Auch nach ihrem Umzug in das 30 km entfernt liegende W habe sie sich verpflichtet gefühlt, Anika weiterhin zu betreuen. Sie habe vermeiden wollen, dass Anika über eine Maßnahme des Jugendamtes betreut werden müsse. Sie habe deshalb kein Entgelt verlangt, weil Frau S nur über ein bescheidenes Einkommen verfügt habe. Sowohl das Jugendamt als auch Frau S seien berechtigt gewesen, ihr Weisungen zu erteilen. Sie habe daher zum Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz gestanden.

Im Widerspruchsverfahren befragte die Beklagte Frau S zu den näheren Umständen der Betreuungssituation. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Zeugin teilte mit, dass sich die Kinder seit 1991 gekannt hätten. Seinerzeit hätten sie im gleichen Haus gewohnt. Der Kontakt sei immer über Anika und die Tochter der Klägerin bzw. umgekehrt ausgegangen. Dadurch dass die Kinder aufeinander zugegangen seien, seien auch die Eltern in Kontakt gekommen. Die Kinder hätten meist den gesamten Tag miteinander verbracht, da sie dieselbe Schule und denselben Hort besucht hätten. In der Freizeit hätten sie miteinander gespielt und sich wechselseitig besucht. Ein Auftrag zur Kinderbetreuung, die zudem wechselseitig erfolgt sei, sei weder von Frau S noch von der Klägerin ausgegangen. Es habe sich ein gewisses freundschaftliches Verhältnis entwickelt, infolge dessen sich Frau S auch mit der Klägerin von Zeit zu Zeit getroffen habe. Der Bevollmächtigte von Frau S übersandte ferner Schreiben des Stadtjugendamtes P , aus denen hervorgeht, dass für Anika in der Zeit vom 1. September 1997 bis 11. Januar 1998 Jugendhilfe in Form der Unterbringung im Kinderhort N in P gewährt worden ist.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Bescheid vom 1. April 2004 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt keine in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Tätigkeit ausgeübt. Aufgrund der Befragung der Zeugin S habe festgestellt werden können, dass es sich bei der gegenseitigen Betreuung der Kinder um einen Austausch freundschaftlicher Gefälligkeiten gehandelt habe.

Hiergegen hat die Klägerin am 26. April 2004 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben und ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Ergänzend hat sie geltend gemacht: Sie habe die Betreuung von Anika sofort aufgenommen, nachdem sie erfahren habe, dass Frau S nach dem Suizidversuch in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. Kurze Zeit später sei sie dann vom Jugendamt der Stadt P angerufen worden. Es sei vereinbart worden, dass eine Betreuung von ihr durchgeführt werde. An den Namen des Gesprächspartners könne sie sich nicht erinnern. Für die Betreuung habe auch das Jugendamt kein Entgelt gezahlt. Sie habe später von Frau S manchmal eine Flasche Sekt oder Pralinen erhalten. Weihnachten 1997 sei sie nach W in das Haus ihres ehemaligen Lebensgefährten gezogen. Die Weihnachtstage habe Anika mit ihrer Mutter bei der Großmutter in H verbracht. Sie habe Anika auch während der Weihnachtsferien zeitweise betreut. An welchen Tagen wisse sie nicht mehr.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9. September 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin wegen der Folgen des Unfalles vom 11. Januar 1998 die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.

Das Sozialgericht hat vom Stadtjugendamt P die Anika betreffende Verwaltungsakte zum Verfahren beigezogen. Das Stadtjugendamt teilte mit, dass bis auf die Gebührenübernahme für die Hortbetreuung im Zeitraum vom 1. September 1997 bis 11. Januar 1998 kein weiterer Aktenvorgang vorhanden sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. Oktober 2005 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zum Unfallzeitpunkt habe kein Versicherungsschutz der Klägerin in der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden. Ein Beschäftigungsverhältnis habe nicht vorgelegen. Die Klägerin sei auch nicht wie eine Versicherte i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII tätig geworden. Sie habe keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit ausgeübt. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Aufenthalt von Anika in W am Wochenende vor dem Unfallereignis im Rahmen eines Betreuungsverhältnisses stattgefunden habe, das einer Tätigkeit im Rahmen einer Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt entsprochen habe. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Anika zum Unfallzeitpunkt auf Grund eines Auftrages der Kindesmutter bei der Klägerin aufgenommen worden sei, weil die Zeugin S im Januar 1998 nicht wieder in der Lage gewesen sei, ihr Kind selbst zu betreuen. Gegen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit der Klägerin sprächen auch die sonstigen Umstände des Aufenthalts von Anika in W vor dem Unfall¬ereignis. Die Klägerin und die Zeugin S hätten sich seit längerem als Nachbarinnen gekannt. Die Töchter seien befreundet gewesen. Dies spreche dafür, dass Anika im Rahmen eines bekanntschaftlichen bzw. freundschaftlichen Verhältnisses betreut worden sei. Die Kinder hätten Gelegenheit haben sollen, während der Ferien wieder miteinander Zeit zu verbringen. Ein Versicherungsschutz sei auch nicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 11 a SGB VII herzuleiten. Aus der beigezogenen Verwaltungsakte ergäben sich keine Hinweise darauf, dass die Klägerin vom Jugendamt mit der Betreuung beauftragt worden sei.

Gegen dieses der Klägerin am 27. Dezember 2005 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die am 26. Januar 2006 bei dem Sozialgericht Lübeck eingegangen ist. Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, dass Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 11 a) SGB VII bestanden habe. Das Merkmal des Heranziehens bedürfe keines schriftlichen oder mündlichen Auftrages. Ausreichend sei insoweit eine erkennbar billigende Duldung. Die Erkennbarkeit der Duldung folge im vorliegenden Fall daraus, dass die Stadt P auch die Kosten für den Kinderhort übernommen habe. Zudem habe es mehrere Telefonate zwischen ihr und dem Jugendamt gegeben. Das Jugendamt habe in Kenntnis der Umstände keine Anstalten getroffen, sie von ihrer Hilfeleistung abzuhalten oder selber Hilfeleistung anzubieten. Folge man dem Rechtsgedanken des § 679 BGB, so sei allein aus dem Umstand, dass sie Pflichten des Jugendamtes wahrgenommen habe, bereits eine billigende Duldung zu unterstellen. Diese habe auch zum Unfallzeitpunkt bestanden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Zeugin S noch in ärztlicher und therapeutischer Behandlung befunden und sei nicht ausreichend in der Lage gewesen, die Betreuung ihrer Tochter angemessen ohne fremde Hilfe zu bewerkstelligen.

Versicherungsschutz sei zum Unfallzeitpunkt zudem aus § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII herzuleiten. Insoweit wiederhole und vertiefe die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 6. Ok¬tober 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2004 aufzuheben, 2. festzustellen, dass sie am 11. Januar 1998 einen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall erlitten hat, 3. ihr unter Beiordnung von Rechtsanwalt U , L , Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt:

Die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Auf Anfrage des Senats hat das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt P die Auskunft vom 14. August 2006 erteilt. In der Berufungsverhandlung am 9. November 2006 hat der Senat die Klägerin und die Zeugin S vernommen. Auf das Ermittlungsergebnis wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Der wesentliche Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtsfehlerfrei. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG) lässt sich das Feststellungsbegehren der Klägerin nicht aus dem SGB VII herleiten. Die Klägerin stand zum Unfallzeitpunkt am 11. Januar 1998 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit. Zwischen den Beteiligten besteht mit Recht kein Streit darüber, dass die Klägerin nicht in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis gestanden hat. Ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 SGB VII scheidet somit aus.

Die Klägerin ist auch nicht "wie eine nach Abs. 1 Nr. 1 Versicherte" tätig geworden (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Die Anwendung dieser Vorschrift erfordert eine Tätigkeit, die zwar nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses aufweist, in ihrer Grundstruktur aber einer abhängigen Beschäftigung ähnelt. Daher muss eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichen Wert erbracht werden, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, vgl. BSG, Urteile vom 5. Juli 2005 – B 2 U 22/04 R – und 13. Sep¬tember 2005 – B 2 U 6/05 R – m.w.N., veröffentlicht in juris).

Allerdings ist zu beachten, dass nicht jede Tätigkeit, die einem fremden Unternehmen objektiv nützlich und ihrer Art nach sonst üblicherweise dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist, beschäftigtenähnlich verrichtet wird. Bei Gefälligkeitsleistungen, die ihr gesamtes Gepräge durch ein verwandtschaftliches, freundschaftliches oder nachbarschaftliches Verhältnis zwischen den beteiligten Personen erhalten, besteht kein Versicherungsschutz. Dabei sind für die Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls die Gesamtumstände zu beachten, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeit sowie die Intensität der tatsächlichen Beziehung (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 55; BSG Urteil vom 27. Juni 2000 – B 2 U 21/99 R -, veröffentlicht in juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin zum Unfallzeitpunkt eine Betreuungsleistung erbracht, die nach ihren Gesamtumständen durch die Freundschaft zwischen Denise und Anika und deren Mütter geprägt war.

Fest steht, dass die Initiative zur Verabredung für das Wochenende vor dem Unfallereignis allein von den Kindern ausging. Zwischen ihnen bestand eine enge Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hatte. Während der Weihnachtsferien hatten sich Anika und Denise nicht gesehen. Anika hatte mit ihrer Mutter die Weihnachtstage bei ihrer Großmutter in H verbracht und war nach Aussage der Zeugin S dort bis zum 6. Januar 1998 geblieben. Ihre Mutter war zwischenzeitlich wieder nach P zurückgekehrt, weil sie ihren Beruf als Finanzbuchhalterin ausüben musste. Sie hat Anika dann persönlich mit einem Mietwagen aus H abgeholt, damit Anika rechtzeitig zum Schulbeginn wieder zu Hause war. Es ist zwar unklar, wann genau und wie die Kinder nach der Rückkehr von Anika Kontakt aufgenommen haben. Dass es aber die Idee der Kinder war, das Wochenende in W zu verbringen, steht fest. Die Zeugin S hat nichts darüber berichtet, dass die Initiative von ihr ausgegangen ist. Nach ihrer Vermutung haben die Kinder wohl miteinander telefoniert. Die Kinder hatten sich sehr gern. Sie sind traurig gewesen, dass sie jetzt auseinander wohnten. Die Zeugin hat Anika daher etwas Gutes tun wollen und den Besuch über das Wochenende in W erlaubt. Auch die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt: Anika hat gebeten (wörtlich: gebettelt), dass sie zu ihnen nach W kommen könne.

Hieraus kann kein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis der Klägerin abgeleitet werden. Die von der Klägerin vorgenommene Gefälligkeitshandlung, die Betreuung und Versorgung von Anika am Wochenende vor dem Unfallereignis zu gewährleisten, war vielmehr geprägt von den freundschaftlichen Beziehungen der Kinder und der Mütter der Kinder. Es handelte sich um eine Situation, wie sie sich täglich in vielen Haushalten darstellt, in denen befreundete Kinder darum bitten, die Freizeit gemeinsam gestalten und die Nacht im Haushalt des anderen verbringen zu dürfen.

Auch die weiteren Umstände sprechen gegen ein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis der Klägerin. Die Klägerin hat keine besonderen Abreden mit der Zeugin getroffen, wie Anika versorgt und verpflegt werden sollte. Anika war im Umgang problemlos. Verabredet war nur, dass sie am Sonntag, den 11. Januar 1998, nach P zu ihrer Mutter zurückgebracht werden sollte, damit sie am Montag wieder zur Schule gehen konnte. Die Klägerin hat den Fahrdienst übernommen, weil die Zeugin S zwar einen Führerschein, aber keinen eigenen Pkw besessen habe. Die Kinder haben das ganze Wochenende zusammen gespielt. Sie sind ständig im Dorf unterwegs gewesen und haben viele Stunden gemeinsam draußen verbracht, u.a. mit einem großen Holzschlitten gespielt. Die Klägerin hat sich um die Kinder nicht zu kümmern brauchen. Sie hat von sich aus auch keine Freizeitaktivitäten für die Kinder angeboten. Auch die Zeugin S hat von ihrer Seite aus keine Anweisungen hinsichtlich der Verpflegung, Essens- oder Ruhezeiten, Freizeitgestaltung sowie Erziehung gegeben, die die Klägerin bei der Betreuung von Anika zu beachten hatte. Dies war der freien Gestaltung der Klägerin bzw. der Kinder überlassen. Es bestand lediglich die Absprache, dass Anika am Sonntag zwischen 18.00 Uhr und 20.00 Uhr wieder zurück nach Hause gebracht werden sollte. Aus den Gesamtumständen des Einzelfalls kann vorliegend somit nur der Schluss gezogen werden, dass es sich bei der Betreuung von Anika zum Unfallzeitpunkt um eine außerhalb der Rechtssphäre liegende Gefälligkeitshandlung der Klägerin gehandelt hat.

Die Klägerin und die Zeugin S haben die maßgeblichen Umstände der Betreuungssituation am Wochenende vor dem Unfallereignis durchaus glaubhaft und übereinstimmend geschildert. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es nicht darauf an, ob Anika bereits vor dem fraglichen Wochenende mehrmals in W gewesen und von der Klägerin betreut worden ist, um die Zeugin S in ihrer gesundheitlichen Situation zu entlasten. Der Umstand, dass die Hilfeleistung der Klägerin für Zeiträume in der Vergangenheit möglicherweise als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit einzuordnen ist, rechtfertigt nicht den Schluss, dass auch die unmittelbar zum Unfall führende Tätigkeit der Klägerin als beschäftigungsähnliches Verhältnis qualifiziert werden muss. Maßgebend sind insofern ausschließlich die Umstände, die zum konkreten Aufenthalt von Anika in W am 10. und 11. Januar 1998 geführt haben. Diese sind durch die Beweisaufnahme zur vollen Überzeugung des Senats geklärt.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin bei der Betreuung von Anika vom Jugendamt der Stadt P zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen worden ist. Ihr Feststellungsbegehren lässt sich daher entgegen ihrer Auffassung nicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 11 a SGB VII herleiten. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Die Behauptung der Klägerin, es habe wegen Anika ein Kontakt zwischen ihr und dem Jugendamt bestanden, um eine adäquate Be¬treuung des Kindes zu gewährleisten, ist nach den die Auskünften des Amtes für Kinder, Jugend und Familie der Stadt P nicht bewiesen. Bereits das Sozialgericht hat nach Beiziehung der Anika betreffenden Akten festgestellt, dass lediglich die Hortbetreuung von Anika in der Zeit vom 1. September 1997 bis zum Unfall am 11. Januar 1998 amtlich dokumentiert ist. Weitere Ermittlungsversuche des Senats im Berufungsverfahren sind ergebnislos verlaufen. Der Senat hat das Jugendamt der Stadt P mit der Behauptung der Klägerin, ihre Betreuungsleistung sei in der Vergangenheit in Kenntnis sowie nach Absprache bzw. mit Billigung des Jugendamtes erfolgt, konfrontiert. Das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt P hat dieses Vorbringen aber nicht bestätigt. Weder die für den Wohnsitz von Anika zuständige Sozialarbeiterin noch die übrigen Mitarbeiter, die 1997 bereits im Jugendamt tätig waren, können entsprechende Auskunft geben. Weitere Aktenvorgänge, die das Vorbringen der Klägerin zu stützen vermögen, sind nicht vorhanden. Somit lässt sich trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten vom Senat noch nicht einmal die Tatsache feststellen, dass das Jugendamt überhaupt Kenntnis von der Hilfeleistung der Klägerin hatte. Nach den Regeln der objektiven Beweislast hat die Klägerin die Folgen der Nichterweisbarkeit der von ihr behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen zu tragen (vgl. BSGE 43, 110, 112; Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 8. Aufl., § 103 Rdnr. 19a m.w.N.).

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf den aus § 679 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abzuleitenden Rechtsgedanken der Unbeachtlichkeit des entgegenstehenden Willens des Geschäftsherrn berufen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Norm ist, dass ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäfts¬¬herrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, nicht rechtzeitig erfüllt werden würde. Dies mag für die spontane Hilfeleistung der Klägerin bei der Betreuung von Anika zum Zeitpunkt des Suizidversuches ihrer Mutter zugetroffen haben. Anhaltspunkte dafür, dass zu irgendeinem späteren Zeitpunkt ein Tätigwerden der Klägerin erforderlich wurde, um eine adäquate Betreuung von Anika zu gewährleisten, weil das Jugendamt seine öffentlich-rechtlichen Pflichten nicht pflichtgemäß erfüllt hat, sind nicht ersichtlich. Vielmehr lässt sich aus dem Umstand, dass das Jugendamt in dem Zeitraum vom 1. September 1997 bis zum 11. Januar 1998 die Gebühren der Hortbetreuung für Anika übernommen hatte, folgern, dass das Jugendamt von einem Betreuungserfordernis durchaus informiert war und dieser Situation ausreichend Rechnung getragen hat, indem es die Kosten der Hortbetreuung übernahm. Eine darüber hinausgehende öffentlich-rechtliche Pflicht des Jugendamtes, die ohne das Eingreifen der Klägerin unerfüllt geblieben wäre, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht bewiesen.

Aus diesen Gründen hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren ist abzulehnen, weil die Klägerin ihre Bedürftigkeit nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch Vorlage entsprechender Belege glaubhaft gemacht hat (§73 a SGG i.V.m. §§ 114, 118 Abs. 2, 119 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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