S 16 U 77/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 77/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 286/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Die 1942 geborene Klägerin kam 1972 aus Marokko in die Bundesrepublik, arbeitete zunächst in einer Metall- und sodann in einer Schokoladenfabrik. Seit 1978 ist sie als Reinigungskraft in den V E beschäftigt: Als Stationsreinigungskraft hatte sie bis 1984 alle anfallenden Reinigungsarbeiten im Haus I und in der Hautklinik zu verrichten. Seitdem ist sie in der N-Klinik tätig. Dort bestand ihre Aufgabe bis 1989 ausschließlich im Auffüllen von Einmalartikeln: Handtuchspender, Desinfektionsmittel, Handwaschmittel, Toilettenpapier. Für diese Arbeiten wurden ihr wie auch in der Folgezeit, in der sie Nachtische zu reinigen hatte, Handschuhe zur Verfügung gestellt. Am 06.03.1991 verletzte sich die Klägerin beim Putzen eines Nachtisches mit einer Stecknadel. Am darauffolgenden Tag wurde die Spitze einer Kunststoffnadel aus der Wunde am rechten Zeigefinger entfernt. Im Juni 1997 erfolgte der Nachweis von Anti-HCV-Antikörpern und HCV-RNA. Im Mai 2000 wurde eine Hepatitis C als Berufskrankheit angezeigt. Die Beklagte zog daraufhin über die Klägerin vorliegende medizinische Unterlagen bei und holte eine Auskunft der V ein. Dieser Auskunft ist zu entnehmen, dass keine konkreten Arbeitsabläufe nachgewiesen werden können, bei denen die Klägerin unmittelbar in Kontakt mit Blut oder anderen potentiell infektiösen Körperflüssigkeiten hätte haben können. In der Auskunft heißt es weiter, die durchzuführenden Arbeiten hätten grundsätzlich nur mit Schutzhandschuhen durchgeführt werden dürfen. Ferner veranlasste die Beklagte eine Überprüfung der Arbeitsplatzgefährdung der Klägerin; sodann schaltete sie die Landesanstalt für Arbeitsschutz NRW ein. Unter dem 23.07.2003 erstattete U, Landesanstalt für Arbeitsschutz NRW ein Zusammenhangsgutachten. Dabei führte es zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen der geltend gemachten Berufskrankheit aus, Reinigungsperson in medizinischen Einrichtungen arbeite erfahrungsgemäß unter einem geringen Infektionsrisiko und sei daher in die Kategorie II b der Beweiserleichterungskriterien einzuordnen. Die Kategorie II b erfordere zur Bejahung eines erhöhten Infektionsrisikos zusätzlich den Nachweis einer Inolukation mit Blut von einer an Hepatitis C erkrankten Person und eines erhöhten Verletzungsrisikos während der Tätigkeit sowie die Dokumentation des Übertragungsereignisses. Der Beweis einer Inokulation von Blut durch eine an Hepatitis C erkrankte Person habe nicht erbracht werden können, die Tätigkeitsanalyse habe auch kein erhöhtes Verletzungsrisiko der Klägerin während der einzelnen Arbeiten ergeben. Darüber hinaus handele es sich bei der Verletzung mit einer Stecknadel unbekannter Herkunft nicht um ein Instrument, dass als potenziell kontaminiertt anzusehen sei, wie beispielsweise Injektionsnadeln oder Verweilkanülen. Somit bleibe der Infektionsweg ungeklärt und lasse sich nicht ausreichend mit der beruflichen Tätigkeit begründen. Insgesamt sei festzustellen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nicht erfüllt seien. Arbeitsmedizinischerseits sei festzuhalten, dass erfahrungsgemäß eine Hepatitis C in der Mehrzahl der Fälle jahrelang stumm verlaufe und die Diagnose häufig ein Zufallsbefund darstelle. Es sei daher möglich, dass die Klägerin sich Jahre vor dem Auftreten der Symptome infiziert habe. Eine Eingrenzung des Infektionszeitraums sei nur durch spezielle serologische Untersuchungen möglich. Dies sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Die erste Hepatitis C-Serologie sei 1997 im Rahmen der diagnostischen Verfahren wegen erhöhter Transaminasen erfolgt. Obwohl 1991 ein Arbeitsunfall mit Stichverletzung und Fremdkörperinokulation stattgefunden habe, sei es nicht für erforderlich gehalten worden eine Hepatitis-Serologie durchzuführen. Daher sei der Zeitpunkt der Serokonversion und des Infektionsereignisses nicht mehr nachvollziehbar. Ein zunächst negativer und später positiver Nachweis spezifischer Antikörper hätte erfolgen müssen, um einen bestimmten Zeitraum der Infektion vermuten zu können. Im vorliegenden Fall existierten ab 1997 veränderte Transaminasenaktiviäten, die eine akute oder chronische Entzündung nicht ausreichend begründen würden. Auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Feststellung einer Berufskrankheit seien daher nicht erfüllt. Auf dieser medizinischen Grundlage lehnte es die Beklagte ab, die Hepatitis-C-Erkrankung der Klägerin als Berufskrankheit anzuerkennen (Bescheid vom 23.09.2003). Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30.03.2004).

Mit ihrer am 07.04.2004 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, sie ist der Auffassung, allein aufgrund der ausgeübten Tätigkeit sei sie der Kategorie II a zuzuordnen. Die Berufsgruppe des Reinigungspersonal in medizinischen Einrichtungen habe zwar keinen regelmäßigen Kontakt mit Blut, Körperflüssigkeiten humanen Geweben und mit Hepatitis C-Viren kontaminiertem Material, jedoch seien gelegentlich Tätigkeiten auszuüben, die einen Kontakt mit Blut, Körperflüssigkeiten, humanen Geweben und Hepatitis C-Viren kontaminiertem Material möglich mache. Bei der Ausübung dieser Tätigkeiten bestehe dann ein hohes Risiko sich zu infizieren. Die Nachtschränkchen, die sie , die Klägerin, hätte reinigen müssen, seien unter anderem von Krankenschwestern zum Ablegen von medizinischem Material bei der Behandlung der Patienten benutzt worden. Ein solches medizinisches Material in Form einer Nadel sei von ihr im Rahmen der Reinigung von Nachtschränkchen entfernt worden und hierbei sei es dann zu einer Schnittverletzung des rechten Zeigefingers im Jahre 1991 gekommen.

Die Klägerin beantragt,

1.unter Aufhebung des Bescheides vom 23.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2004 festzustellen, dass es sich bei der bei ihr bestehenden Hepatitis-C-Infektion um eine Berufskrankheit handelt,

2.die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Infektionsgefahr bei Stichverletzungen an Stecknadeln sei aus 2 Gesichtspunkten äußerst gering: Zum einen handele es sich eben nicht, wie in der Klagebegründung vorgetragen worden sei, um medizinisches Gerät. Eine Kontaminierung sei äußerst unwahrscheinlich. Darüber hinaus sei selbst in dem Fall, dass sich zuvor eine an Hepatitis erkrankte Indexperson an derselben Nadel verletzt haben sollte, die Übertragung unwahrscheinlich. Denn im Unterschied zu den Hohlnadeln sei die Menge der infektiösen Flüssigkeit, die eine Stecknadel in die Blutbahn transferieren könne, eben äußerst gering.

Wegen des Sach- und Streitstandes wird im Einzelnen auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 23.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2004 ist rechtmäßig. Bei der Hepatitis C-Erkrankung der Klägerin handelt es sich um keine Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV. Ein Ursachenzusammenhang zwischen berufsbedingtem Kontakt mit infektiösem Material und der Hepatitis C-Erkrankung der Klägerin ist nicht hinreichend wahrscheinlich. Mit dieser Auffassung schließt sich die Kammer den plausiblen Ausführungen von U an, der bei der Landesanstalt für Arbeitsschutz, einer von der Beklagten unabhängigen staatlichen Stelle, beschäftigt ist. Die Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV erfasst Infektonskrankheiten, von Versicherten, die im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr im ähnlichem Maße besonders ausgesetzt gewesen sind ... Zwar führt die Klägerin die Hepatitis-C-Infektion auf ein einmaliges Ereignis zurück, nämlich auf die Nadelstichverletzung am 06.03.1991, die ansich den Tatbestand eines Arbeitsunfalls erfüllt. Gleichwohl sind die Vorschriften des Berufskrankheiten-Rechts anzuwenden, weil die Versicherten hierdurch besser gestellt werden (vgl. Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rn. 13 mit Rechtsprechungshinweisen). Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass die Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit ausgesetzt war, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen werden (vgl. BSG, SozR 2200 § 548 Nr. 84). Lediglich an den Beweis des ursächlichen Zusammenhangs werden geringere Anforderungen gestellt, hier reicht die Wahrscheinlichkeit aus. Die bei der Klägerin nachgewiesene Hepatitis-C ist eine Infektionskrankheit im Sinne der Nummer 3101 der Anlage zur BKV. Die Klägerin war - im Zeitpunkt einer möglichen Infektion in den V Düsseldorf und damit im Gesundheitsdienst tätig. Dennoch ist es nicht wahrscheinlich, dass die Hepatitis-C-Erkrankung auf den berufsbedingten Kontakt mit infektiösem Material zurückzuführen ist. Zwar hat sich die Klägerin am 06.03.1991 eine Nadelstichverletzung zugezogen. Nicht erwiesen ist jedoch, dass diese Nadel auch mit Hepatitis-C-Erregern infiziert gewesen ist. Dem Durchgangsarztbericht ist zu entnehmen, dass sich die Klägerin damals nicht mit einer Hohlnadel sondern einer Stecknadel verletzt hat. Im Gegensatz zu einer Injektionsnadel oder Verweilkanüle kann eine Stecknadel nicht als potenziell kontaminiert angesehen werden. Darauf hat U hingewiesen. Festzuhalten bleibt im Übrigen, dass ungeklärt ist, ob diese Nadel überhaupt kontaminiert gewesen ist. Genauso ungeklärt ist, wann die Klägerin sich die Hepatitis-C-Erkrankung zugezogen hat. Die erste Hepatitis-C-Serologie ist 1997, sechs Jahre nach der Stichverletzung erfolgt. Mit U ist deshalb davon auszugehen, dass der Zeitpunkt der Serokonversion und des Infektionsereignisses nicht mehr klärbar ist. Insgesamt ist es deshalb aufgrund der vorliegenden Informationen eher unwahrscheinlich, dass sich die Klägerin bei der Nadelstichverletzung am 06.03.1991 eine Hepatitis-C-Infektion zugezogen hat. Zwar ist der ursächliche Zusammenhang bei der Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BK nach ständiger Rechtsprechung auch dann gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass die Versicherte bei der beruflichen Tätigkeit durch einen Patienten oder auf sonstige Weise einer besonderen über das normale Maß hinausgehende Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist. Bei diesem Nachweis kann dann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass sich die Versicherte die bei ihr aufgetretene Infektionskrankheit durch ihre besondere berufliche Exposition zugezogen hat. Als Berufskrankheit ist die Hepatis C-der Klägerin somit anzuerkennen, wenn ihre Tätigkeit als Reinigungskraft in den V Düsseldorf mit besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Infektionsgefahren verbunden gewesen ist. Da bei Hepatitis-Erkrankungen der Infektionszeitpunkt, die Art der Übertragung und der Übertragungsträger oftmals nicht mehr festzustellen sind, haben die Unfallversicherungen Beweiserleichterungen kategorisiert. Nach diesen Beweiserleichterungsgrundsätzen ist die Klägerin in die Kategorie II einzuordnen, zumal "Reinigungspersonal in medizinischen Einrichtungen" in dieser Kategorie ausdrücklich erwähnt wird. Beweiserleichterungen kommen für die Klägerin allerdings nur dann in Betracht, wenn sie einem hohen (Kategorie II a) und nicht nur einem geringen (Kategorie II b) Ansteckungsrisiko ausgesetzt gewesen ist. Die Klägerin erfüllt jedoch nur die Kriterien der Kategorie II b, auch wenn bei ihrer Reinigungstätigkeit ein unmittelbarer Kontakt mit Blut oder anderen als infektiös in Frage kommenden Körperflüssigkeiten "möglich" gewesen ist. Hierfür sind folgende Gesichtspunkte maßgeblich: Die Klägerin kann nur in seltenen Ausnahmefällen unmittelbar (d. h. ungeschützt) mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten in Kontakt gekommen sein, weil sie bei ihrer Arbeit generell Handschuhe hat tragen müssen. Dabei ist zusätzlich einschränkend zu berücksichtigen, dass bei der Hepatitis C das Risiko eines oberflächlichen Hautkontakts mit kontaminierenden Flüssigkeiten keinesfalls zur Infektion ausreicht (vgl. Mehrtens/Perlebach, M 3101, Rnr. 13.6). Ein besonderes Risiko hinsichtlich des Eintritts von Verletzungsereignissen, bei denen es zu einem Blutaustausch gekommen sein kann ist bei der Tätigkeit der Klägerin als Reinigskraft nicht ersichtlich. Schließlich liegen auch keine Erkenntnisse über ein erhöhtes Infektionspotenzial etwaiger Kontaktpersonen oder über Gegenstände vor, die mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten verunreinigt gewesen sind. Eine erhöhte Infektionsgefährdung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls liegt damit nicht vor, so dass sich die Klägerin nicht auf Beweiserleichterungsgrundsätze berufen kann. Die Kammer befindet sich insoweit auch in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Urteil des LSG NRW vom 31.05.2006 - L 17 U 206/05) nach der Reinigungskräfte eines Krankenhauses grundsätzlich der Kategorie II b zuzuordnen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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