Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 50 SO 114/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 342/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 05.04.2006 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Unterbringung des Antragstellers (Ast) im M.heim der R.- Stifung in H ...
Der 1991 geborene Ast leidet am Down-Syndrom mit Sprachentwicklungsstörung. Sein Schwerbehindertenausweis spricht ihm einen Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen "G" und "H" zu. Ebenso wird die Notwendigkeit der ständigen Begleitung festgestellt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass beim Ast die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung vorliegen. Er gehört zum Personenkreis des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII und erhält seit dem 27.03.2001 Leistungen der Pflegestufe 1 von der Techniker Krankenkasse, M.
In der Zeit vom September 1999 bis November 2005 besuchte der Ast die Tagesstätte des heilpädagogischen Zentrums A. in M ... Ab dem 01.03.2005 besuchte er die O.-Schule, privates Förderzentrum, ebenfalls in M ... Die Beigeladene bewilligte ihm seinerzeit Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und ab dem 01.01.2005 nach dem SGB XII.
Seit dem 28.11.2005 ist der Ast im M.heim der R.-Stiftung in H. untergebracht. Dabei handelt es sich um ein Heim und Internat für behinderte Kinder und Jugendliche mit geistiger und Mehrfachbehinderung.
Am 23.09.2005 beantragten die gesetzlichen Vertreter des Ast telefonisch beim Antragsgegner (Ag) die Übernahme der Kosten für die Unterbringung des Ast im M.heim H. im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII. Mit Schreiben vom selben Tage übersandte der Ag einen Sozialhilfeantrag und ein Formblatt "Ärztliches Gutachten" gegen Rückgabe an den Ast und baten um die Vorlage weiterer Nachweise zur Prüfung, ob die Heimkosten im Rahmen der Eingliederungshilfe "gemäß §§ 39 ff BSHG" übernommen werden können. Mit Antwortsschreiben vom 20.10.2005 legten die gesetzlichen Vertreter des Ast die geforderten Unterlagen beim Ag vor.
Dieser leitete mit Schreiben vom 02.11.2005 die Unterlagen ("Anlage: eine Akte") an die Beigeladene weiter mit dem Hinweis, der Ast solle baldmöglichst in der Einrichtung R.-Stiftung in H. aufgenommen werden. Nach den vorliegenden Unterlagen bestehe zwar ein Down-Syndrom, die volle stationäre Hilfe sei jedoch aufgrund der emotional-sozialen Entwicklung und der konfliktbelasteten häuslichen und familiären Situation erforderlich. Nach der pädagogisch-psychologischen Stellungnahme der Tagesstätte A. , die der Ast bislang besucht habe, bestehe eine geistige und seelische Behinderung. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Ast mache eine stationäre Hilfe nicht erforderlich. Ein Anspruch auf Gewährung vollstationärer Eingliederungshilfe aufgrund einer geistigen Behinderung bestehe somit weder nach § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII noch nach § 53 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Ein solcher Unterbringungsbedarf begründe sich ausschließlich in einem bestehenden Erziehungsdefizit sowie in den der seelischen Behinderung zuzuordnenden bestehenden und drohenden Verhaltensproblematik. Die Beigeladene werde deshalb gebeten, den Hilfefall in eigener Zuständigkeit zu bearbeiten.
Mit Antwortschreiben vom 01.12.2005 meldete die Beigeladene, sofern die Kosten für die Heimunterbringung nicht vom Ag übernommen werden, vorläufig Kostenerstattung beim Ag an. Der Ast forderte den Ag unter dem 08.12.2005 unter Hinweis auf § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) auf, die Kostenübernahme unverzüglich, spätestens aber bis 14.12.2005, zu entscheiden.
Mit Schreiben vom 20.01.2006 lehnte die Beigeladene gegenüber dem Ag ihre Zuständigkeit ab, da nach Stellungnahme des Referats für Gesundheit und Umwelt vom 04.01.2006 die stationäre heilpädagogische Behandlung wegen der wesentlichen geistigen Behinderung des Ast erforderlich sei, keine Anhaltspunkte für überwiegend erzieherische Gründe für die Unterbringung vorlägen und deshalb eine eindeutige Zuständigkeit des Ag gegeben sei. Dem Ast teilte die Beigeladene unter dem 16.02.2006 mit, dass der Antragsgegner nach § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) als erstangegangener Träger leistungspflichtig sei.
Der Ast beantragte beim Sozialgericht München am 06.03.2006, den Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig die Kosten für die Unterbringung im M.heim in H. zu bewilligen. Er schilderte den Zuständigkeitsstreit zwischen dem Ag und der Beigeladenen und berief sich auf § 14 SGB IX.
Der Ag trat dem Antrag entgegen. Der Ast beantrage unzulässigerweise Leistungen für die Vergangenheit. Die Zuständigkeit für die begehrten Leistungen sei strittig. Durch rechtzeitige Weiterleitung des Antrages sei die Beigeladene nach § 14 Abs 2 Satz 3 SGB IX zuständig geworden. Ob wesentliche geistige Behinderung beim Ast vorläge, könne bislang nicht beurteilt werden. Die Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit des Ast mache keine vollstationäre Unterbringung erforderlich.
Die Beigeladene nahm mit Schreiben vom 31.03.2006 Stellung. Der Ag habe nach § 14 SGB IX den Antrag nach Ablauf der Zweiwochenfrist an die Beigeladene weitergeleitet, obwohl er substantiierte Feststellungen zur konkreten Behinderung des Ast innerhalb der Zweiwochenfrist nicht habe vornehmen können. Im Interesse des Ast gelte in solchen Fällen § 43 Abs 1 SGB I.
Das SG verpflichtete mit Beschluss vom 05.04.2006 den Ag, dem Ast vorläufig die Kosten für die Unterbringung im M.heim der R.-Stiftung in H. als Eingliederungshilfe zu gewähren.
Hiergegen hat der Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben, mit der er im Wesentlichen die fristgerechte Weiterleitung des Hilfeantrages iS des § 14 Abs 1 und 2 SGB IX geltend macht. § 14 SGB IX enthalte für Rehabilitationsträger eine abschließende Regelung, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit in § 43 SGB I vorgehe. Hinsichtlich des Fristlaufes in dieser Bestimmung sei auf das Vorliegen der für die Überprüfung notwendigen Unterlagen abzustellen. Diese seien erst am 25.10.2005 bei ihm eingegangen, sodass die Weiterleitung des Hilfeantrages innerhalb der in § 14 SGB IX genannten Frist erfolgt sei. Der zweitangegangene Hilfeträger sei deshalb zur Hilfeleistung verpflichtet.
Der Ast tritt der Beschwerde entgegen. Die gutachterlich beschriebenen Anpassungsprobleme und Aggressionen beim Ast gegenüber seiner Umwelt und gegen sich selbst seien Folgeerscheinungen seiner geistigen Behinderung. Die bislang durchgeführten teilstationären Maßnahmen reichten zur Hilfestellung nicht (mehr) aus. Erziehungsdefizite der Eltern des Ast lägen offensichtlich nicht vor. Durch Antragstellung am 23.09.2005 und Weiterleitung dieses Antrages erst am 02.11.2005 sei der Ag für die Leistung zuständig geworden. Für einen Fall des Systemversagens - wie vorliegend - komme § 43 SGB I zur Anwendung.
Auch die Beigeladene sieht im Beschwerdeverfahren den Ag als leistungspflichtig. Abzustellen sei auf den Antrag vom 23.09.2005. Zur Klärung der Frage, ob und wann ein Antrag vorliege, könne auf die Regelungen des allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über Willenserklärung abgestellt werden. Der Ast hatte seinerzeit seinen Willen deutlich zum Ausdruck gebracht, Sozialleistungen zu begehren bzw einen Antrag auf Teilhabeleistungen zu stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen - dabei insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze - sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).
Die Beschwerde ist aber nicht begründet, denn das SG hat - im Ergebnis - zu Recht den Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zur Übernahme der Unterkunftskosten des Ast im M.heim der R.-Stiftung in H. verpflichtet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelungsanordnung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69, 74; vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Ast sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hat der Ast hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Sätze 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b RdNr 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage in vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist bzw. wäre. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Falle ist ggfs. anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).
Der Ast hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch im oben angegebenen Sinne geltend gemacht.
Rechtsgrundlage seines Anordnungsanspruches ist allerdings nicht § 43 Abs 1 SGB I, wie das SG festgestellt hat, sondern § 14 SGB IX. § 14 SGB IX ist einschlägig, weil der Ast Leistungen zur Teilhabe iS des § 4 Abs 1 Nr 4 SGB IX geltend macht. Nach dieser Bestimmung umfassen die Leistungen zur Teilhabe die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Zu diesen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 5 Nr 4 SGB IX) zählen vorliegend insbesondere auch die Kosten der Unterbringung des Ast in der oben angegebenen Einrichtung. Ziel der Unterbringung als Teilhabeleistung ist es nach § 55 Abs 1 Halbsatz 1 Alternative 2 SGB IX, behinderte Menschen so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen, sie also so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, von Pflegeleistungen Dritter unabhängig zu sein. Soweit dabei die Grenzziehung zwischen Teilhabeleistungen einerseits und Pflegeleistungen andererseits im Einzelfall schwierig ist, kommt es wesentlich auf die primär verfolgte Zielsetzung an. Leistung zur Teilhabe iS von § 55 Abs 1 Halbsatz 1 Alternative 1 SGB IX sind damit alle Leistungen, die den behinderten Menschen die Verwirklichung eines Teilhabeziels ermöglichen oder sichern, die also Beeinträchtigungsfolgen in Bezug darauf voll auszugleichen oder drohende Beeinträchtigungen voll abzuwenden vermögen (vgl dazu § 55 Abs 2 Nr 6 SGB IX). Es genügt auch, wenn sie geeignet sind, die Folgen einer Behinderung zu mildern (s. dazu Schütze in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand November 2005, § 55 Rdnr 13 ff).
Diese Voraussetzungen liegen beim Ast vor. Unter anderem aus der ärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Kinderheilkunde bei der kinder- und jugendpsychiatrischen Beratungsstelle des Referats für Gesundheit und Umwelt bei der Ag ergibt sich, dass die bisher durchgeführten ambulanten und teilstationären Fördermaßnahmen bei der beim Ast vorliegenden mangelnden Impulssteuerung und bei seiner ausgeprägten Eigenwilligkeit und seinem hohen Antrieb und dem sich daraus ergebenden erhöhten Konfliktpotenzial für seine weitere emotionale und soziale Entwicklung nicht mehr ausreichten. Er brauche gezielte Förderung in seiner emotional-sozialen Kompetenz in der Gruppe Gleichaltriger und intensive heilpädagogische Bemühungen mit Einzelförderung durch Sprachtherapie und Ergotherapie. Neben der stationären heilpädagogischen Förderung sei der weitere Besuch der Schule für individuelle Lebensbewältigung im M.heim für den Ast notwendig. In der pädagogisch-psychologischen Stellungnahme vom 10.10.2005 spricht sich der Träger der Einrichtung ebenfalls für eine stationäre Unterbringung des Ast aus, um eine gravierende Überbelastung und folgenreiche emotionale Verstrickung der Familienmitglieder untereinander abzuwenden bzw zu beenden und den Ast in seiner sozial-emotionalen Entwicklung nicht zu gefährden, sondern zu unterstützen. Auch der Ag kommt in seinem Schreiben vom 02.11.2005 an die Beigeladene zu der Feststellung, dass nach den dort vorliegenden Unterlagen beim Ast die vollstationäre Unterbringung aufgrund der emotional-sozialen Entwicklung und der konfliktbelasteten häuslichen und familiären Situation erforderlich sei.
Der Ag ist mithin ebenso wie der Beigeladene Rehabilitationsträger nach § 6 Abs 1 Nr 7 SGB IX.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts verdrängt § 14 SGB IX in seinem Anwendungsbereich die Vorschrift des § 43 Abs 1 SGB I, weil er für die Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen eine für die Rehabilitationsträger abschließende Regelung enthält, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit oder Leistungserbringung im SGB I und den anderen Leistungsgesetzen der Rehabilitationsträger vorgeht, und alle Fälle der Feststellung der Leistungszuständigkeit erfasst (s. dazu Götze in Hauck/Noftz, aaO, § 14 Rdnr 2 mit Hinweis auf BT-Drs 14/5074 S. 102 f).
Das Bundessozialgericht (BSG) führt in seiner Entscheidung vom 26.10.2004 - Az: B 7 AL 16/00 R - zu § 14 SGB IX im Wesentlichen aus, Hauptanliegen des SGB IX sei es, die Koordination der Leistungen und die Kooperation der Leistungsträger durch wirksame Instrumente sicher zu stellen. Nach § 14 SGB IX sollen Streitigkeiten über die Zuständigkeitsfragen bei ungeklärter Zuständigkeit nicht mehr zu Lasten der behinderten Menschen bzw der Schnelligkeit und Qualität der Leistungserbringung gehen. Grundsätzlich solle zwar die Zuständigkeit der einzelnen Zweige der sozialen Sicherheit für die Rehabilitationsträger unberührt bleiben, jedoch solle das Verfahren durch eine rasche Zuständigkeitsklärung deutlich verkürzt werden, damit die Berechtigten die Leistungen schnellstmöglich erhalten. Die Vorschrift nehme es deshalb in Kauf, dass eine endgültige Klärung der Zuständigkeit erst nach der Leistungsbewilligung durch vorläufig zuständigen Rehabilitationsträger erfolge (s. dazu auch Oppermann in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 5 Rdnr 22).
Vor dem Hintergrund der Intention des Gesetzgebers bei Erlass des SGB IX ist der Ag bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren - wie es hier erforderlich und ausreichend ist - zur Kostenübernahme nach § 14 Abs 1 SGB IX verpflichtet. Demzufolge klärt ein Rehabilitationsträger, bei dem ein Antrag auf Leistungen auf Rehabilitation gestellt worden ist, unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger die Frage, von wem und welcher Weise über den Antrag zu entscheiden ist.
Ein solcher Antrag ist beim Ag am 23.09.2005 eingegangen. Die Beigeladene weist in ihrem Schreiben vom 26.06.2006 zutreffend darauf hin, dass bei der Klärung der Frage, ob in dem Telefonanruf vom 23.09.2005 ein solcher Antrag iS des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX gesehen werden kann, auf die allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über Willenserklärungen abgestellt werden kann. Besondere Formvorschriften sind bei einem Antrag nach § 14 SGB IX nicht zu beachten (vgl dazu auch Lachwitz/Schellhorn/Wellty HK-SGB IX, 2.Aufl, § 14 Rdnr 13). Aus dem oben dargestellten Normzweck der Vorschrift ergibt sich, dass bei der Frage, ob es sich bei dem Telefonanruf um eine bloße Anfrage oder um einen Antrag gehandelt hat, auf die Gesamtumstände des Einzelfalles insbesondere unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes des an sich Leistungsberechtigten bzw seiner Vertreter abzustellen ist. Prüft man vor diesem Hintergrund den am 23.09.2005 in Gang gesetzten Verwaltungsvorgang, so ist festzustellen, dass der Ag den Anruf des Vaters des Ast nicht als bloße Anfrage, sondern als Antrag auf Leistung gewertet hat. Er bestätigt ihm mit Antwortschreiben vom selben Tag, dass um Übernahme von Kosten für die Unterbringung des Ast gebeten worden sei und für die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen hierzu vorliegen, die angeforderten Unterlagen notwendig seien. Der Ast konnte mithin davon ausgehen, dass er hier bereits einen wirksamen Antrag iS des § 14 SGB IX gestellt hat.
Stellte man - der Auffassung des Ag folgend - auf das Vorliegen der vollständigen zur Überprüfung der Zuständigkeit notwendigen Unterlagen ab, so wäre der Streit um die Zuständigkeit für die Hilfeleistung verlagert auf die Frage, welche Unterlagen letztlich vorliegen müssen, damit von einem vollständigen Antrag iS des § 14 SGB IX gesprochen werden kann. Die Vorschrift könnte damit ihren Regelungszweck, bald möglichst die Hilfeleistung sicherzustellen, nicht mehr erreichen.
Ebenso zu beantworten ist die Frage, wie sich der Lauf der Zweiwochenfrist berechnet bzw welche Rechtsfolgen es hat, wenn der Ag nach Ablauf dieser Frist - also nicht unverzüglich - den Antrag an den aus seiner Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weiterleitet. Der Senat schließt sich hier insoweit der bisherigen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu BayVGH vom 01.12.2003 FEVS 56, 188) an. Leitet der zuerst angegangene Rehabilitationsträger den Antrag auf Leistung zur Teilhabe nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX weiter, so wird er für die Leistungsgewährung zuständig. Nach § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX hat der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe - wie vorliegend - beantragt worden sind, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages festzustellen, ob er für die Leistung zuständig ist. Hält er sich für unzuständig, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Dass der zuerst angegangene Rehabilitationsträger die Begründung seiner Zuständigkeit nur durch eine fristgerechte Weiterleitung des Antrags verhindern kann, ergibt sich aus der systematischen Stellung des Abs 2, der auf der knapp bemessenen Frist für die Zuständigkeitsprüfung in den Abs 1 aufbaut, sowie dem oben angeführten neuen Zweck der Bestimmung selbst. Nach der Regierungsbegründung zu dem Gesetzentwurf trägt § 14 SGB IX dem Bedürfnis Rechnung, im Interesse behinderter Menschen und von Behinderung bedrohter Menschen durch rasche Klärung von Zuständigkeiten Nachteilen des gegliederten Systems des Rechts der Teilhabe behinderten Menschen entgegenzuwirken. Ziel der Vorschrift ist es vor allem, durch eine auf Beschleunigung gerichtete Zuständigkeitsklärung eine möglichst schnelle Leistungserbringung zu sichern (BT-Drs 14/5074 S.85 und S.102; LSG Hamburg vom 11.07.2005 RdLH 2005, 177). Auch insoweit greifen die Einwendungen des Ag nicht durch, wonach die Zweiwochenfrist erst zu laufen begann, als die angeforderten Unterlagen eingetroffen sind. Es ist Sache des Rehabilitationsträgers, im Anwendungsbereich des § 14 Abs 1 SGB IX sicher zu stellen, dass er innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen die notwendigen Grundlagen dafür hat, eine Entscheidung zu treffen, ob und gegebenenfalls an welchen anderen Rehabilitationsträger er diesen Antrag weiterleitet. Es kann nicht unterstellt werden, dass es der Gesetzgeber übersehen hat, dass in aller Regel mit Antragstellung iS des § 14 Abs 1 SGB IX nicht alle für die Zuständigkeitsfragen notwenigen Unterlagen vorliegen und nicht innerhalb von zwei Wochen beigebracht werden können. Die andere vom Hess. Verwaltungsgerichtshof vertretene Auffassung führt zum selben Ergebnis, denn der Hess. Verwaltungsgerichtshof stellt fest, dass immer dann, wenn die Zuständigkeitserklärung nach § 14 SGB IX nicht innerhalb der Zweiwochenfrist zum Erfolg führt und weitere Ermittlungen zur Zuständigkeit zu einer unzumutbaren Leistungsverzögerung führen, § 43 Abs 1 Satz 1 SGB I zur Anwendung kommt, wonach im vorliegenden Fall wiederum der Ag als erstangegangener Leistungsträger zuständig wäre (vgl dazu HessVGH vom 21.09.2004 FEVS 56, 328).
Demzufolge ist festzustellen, dass der Ag entgegen § 14 Abs 1 Satz 2 SGB IX den Antrag des Ast weder an den seines Erachtens zuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet noch selbst innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen den Antrag abgelehnt oder die Leistung selbst erbracht hat. In diesem Falle ergibt sich - wie das BSG ausdrücklich festgestellt hat - seine vorläufige Zuständigkeit und nicht nur seine vorläufige Leistungspflicht. Wer endgültig für die Leistung zuständig ist, spielt damit hier entscheidungserheblich keine Rolle.
Auch eine im Einzelfall veranlasste Güter- und Folgenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei der Durchsicht der im Verfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten ergeben sich überwiegende Anhaltspunkte dafür, dass der Ast aufgrund seiner geistigen Behinderung, die durch ambulante und teilstationäre Maßnahmen nicht mehr gezielt behandelt werden kann, einer stationären Unterbringung bedarf. Für das Vorliegen der Voraussetzungen für Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a Abs 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ergeben sich keine überzeugenden Anhaltspunkte. Dabei übersieht der Senat die aus der Behinderung mittelbar und unmittelbar resultierenden emotionalen Belastungen für Familie und Umwelt nicht. Hieraus ergeben sich aber noch nicht die für die Leistungen nach dem SGB VIII erforderlichen erzieherischen Bedarfe bzw Hilfen auf der Grundlage einer seelischen Behinderung.
Nach alledem hat die Beschwerde des Ag keinen Erfolg, weil die Hilfeleistung an den Ast in jeder Hinsicht vorrangig ist. Die Frage, wer die Kosten für die Unterbringung letztlich zu tragen hat, ist zwischen dem Ag und dem Beigeladenen zu klären.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Unterbringung des Antragstellers (Ast) im M.heim der R.- Stifung in H ...
Der 1991 geborene Ast leidet am Down-Syndrom mit Sprachentwicklungsstörung. Sein Schwerbehindertenausweis spricht ihm einen Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen "G" und "H" zu. Ebenso wird die Notwendigkeit der ständigen Begleitung festgestellt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass beim Ast die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung vorliegen. Er gehört zum Personenkreis des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII und erhält seit dem 27.03.2001 Leistungen der Pflegestufe 1 von der Techniker Krankenkasse, M.
In der Zeit vom September 1999 bis November 2005 besuchte der Ast die Tagesstätte des heilpädagogischen Zentrums A. in M ... Ab dem 01.03.2005 besuchte er die O.-Schule, privates Förderzentrum, ebenfalls in M ... Die Beigeladene bewilligte ihm seinerzeit Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und ab dem 01.01.2005 nach dem SGB XII.
Seit dem 28.11.2005 ist der Ast im M.heim der R.-Stiftung in H. untergebracht. Dabei handelt es sich um ein Heim und Internat für behinderte Kinder und Jugendliche mit geistiger und Mehrfachbehinderung.
Am 23.09.2005 beantragten die gesetzlichen Vertreter des Ast telefonisch beim Antragsgegner (Ag) die Übernahme der Kosten für die Unterbringung des Ast im M.heim H. im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff SGB XII. Mit Schreiben vom selben Tage übersandte der Ag einen Sozialhilfeantrag und ein Formblatt "Ärztliches Gutachten" gegen Rückgabe an den Ast und baten um die Vorlage weiterer Nachweise zur Prüfung, ob die Heimkosten im Rahmen der Eingliederungshilfe "gemäß §§ 39 ff BSHG" übernommen werden können. Mit Antwortsschreiben vom 20.10.2005 legten die gesetzlichen Vertreter des Ast die geforderten Unterlagen beim Ag vor.
Dieser leitete mit Schreiben vom 02.11.2005 die Unterlagen ("Anlage: eine Akte") an die Beigeladene weiter mit dem Hinweis, der Ast solle baldmöglichst in der Einrichtung R.-Stiftung in H. aufgenommen werden. Nach den vorliegenden Unterlagen bestehe zwar ein Down-Syndrom, die volle stationäre Hilfe sei jedoch aufgrund der emotional-sozialen Entwicklung und der konfliktbelasteten häuslichen und familiären Situation erforderlich. Nach der pädagogisch-psychologischen Stellungnahme der Tagesstätte A. , die der Ast bislang besucht habe, bestehe eine geistige und seelische Behinderung. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Ast mache eine stationäre Hilfe nicht erforderlich. Ein Anspruch auf Gewährung vollstationärer Eingliederungshilfe aufgrund einer geistigen Behinderung bestehe somit weder nach § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII noch nach § 53 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Ein solcher Unterbringungsbedarf begründe sich ausschließlich in einem bestehenden Erziehungsdefizit sowie in den der seelischen Behinderung zuzuordnenden bestehenden und drohenden Verhaltensproblematik. Die Beigeladene werde deshalb gebeten, den Hilfefall in eigener Zuständigkeit zu bearbeiten.
Mit Antwortschreiben vom 01.12.2005 meldete die Beigeladene, sofern die Kosten für die Heimunterbringung nicht vom Ag übernommen werden, vorläufig Kostenerstattung beim Ag an. Der Ast forderte den Ag unter dem 08.12.2005 unter Hinweis auf § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) auf, die Kostenübernahme unverzüglich, spätestens aber bis 14.12.2005, zu entscheiden.
Mit Schreiben vom 20.01.2006 lehnte die Beigeladene gegenüber dem Ag ihre Zuständigkeit ab, da nach Stellungnahme des Referats für Gesundheit und Umwelt vom 04.01.2006 die stationäre heilpädagogische Behandlung wegen der wesentlichen geistigen Behinderung des Ast erforderlich sei, keine Anhaltspunkte für überwiegend erzieherische Gründe für die Unterbringung vorlägen und deshalb eine eindeutige Zuständigkeit des Ag gegeben sei. Dem Ast teilte die Beigeladene unter dem 16.02.2006 mit, dass der Antragsgegner nach § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) als erstangegangener Träger leistungspflichtig sei.
Der Ast beantragte beim Sozialgericht München am 06.03.2006, den Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig die Kosten für die Unterbringung im M.heim in H. zu bewilligen. Er schilderte den Zuständigkeitsstreit zwischen dem Ag und der Beigeladenen und berief sich auf § 14 SGB IX.
Der Ag trat dem Antrag entgegen. Der Ast beantrage unzulässigerweise Leistungen für die Vergangenheit. Die Zuständigkeit für die begehrten Leistungen sei strittig. Durch rechtzeitige Weiterleitung des Antrages sei die Beigeladene nach § 14 Abs 2 Satz 3 SGB IX zuständig geworden. Ob wesentliche geistige Behinderung beim Ast vorläge, könne bislang nicht beurteilt werden. Die Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit des Ast mache keine vollstationäre Unterbringung erforderlich.
Die Beigeladene nahm mit Schreiben vom 31.03.2006 Stellung. Der Ag habe nach § 14 SGB IX den Antrag nach Ablauf der Zweiwochenfrist an die Beigeladene weitergeleitet, obwohl er substantiierte Feststellungen zur konkreten Behinderung des Ast innerhalb der Zweiwochenfrist nicht habe vornehmen können. Im Interesse des Ast gelte in solchen Fällen § 43 Abs 1 SGB I.
Das SG verpflichtete mit Beschluss vom 05.04.2006 den Ag, dem Ast vorläufig die Kosten für die Unterbringung im M.heim der R.-Stiftung in H. als Eingliederungshilfe zu gewähren.
Hiergegen hat der Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben, mit der er im Wesentlichen die fristgerechte Weiterleitung des Hilfeantrages iS des § 14 Abs 1 und 2 SGB IX geltend macht. § 14 SGB IX enthalte für Rehabilitationsträger eine abschließende Regelung, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit in § 43 SGB I vorgehe. Hinsichtlich des Fristlaufes in dieser Bestimmung sei auf das Vorliegen der für die Überprüfung notwendigen Unterlagen abzustellen. Diese seien erst am 25.10.2005 bei ihm eingegangen, sodass die Weiterleitung des Hilfeantrages innerhalb der in § 14 SGB IX genannten Frist erfolgt sei. Der zweitangegangene Hilfeträger sei deshalb zur Hilfeleistung verpflichtet.
Der Ast tritt der Beschwerde entgegen. Die gutachterlich beschriebenen Anpassungsprobleme und Aggressionen beim Ast gegenüber seiner Umwelt und gegen sich selbst seien Folgeerscheinungen seiner geistigen Behinderung. Die bislang durchgeführten teilstationären Maßnahmen reichten zur Hilfestellung nicht (mehr) aus. Erziehungsdefizite der Eltern des Ast lägen offensichtlich nicht vor. Durch Antragstellung am 23.09.2005 und Weiterleitung dieses Antrages erst am 02.11.2005 sei der Ag für die Leistung zuständig geworden. Für einen Fall des Systemversagens - wie vorliegend - komme § 43 SGB I zur Anwendung.
Auch die Beigeladene sieht im Beschwerdeverfahren den Ag als leistungspflichtig. Abzustellen sei auf den Antrag vom 23.09.2005. Zur Klärung der Frage, ob und wann ein Antrag vorliege, könne auf die Regelungen des allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über Willenserklärung abgestellt werden. Der Ast hatte seinerzeit seinen Willen deutlich zum Ausdruck gebracht, Sozialleistungen zu begehren bzw einen Antrag auf Teilhabeleistungen zu stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen - dabei insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze - sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).
Die Beschwerde ist aber nicht begründet, denn das SG hat - im Ergebnis - zu Recht den Ag im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zur Übernahme der Unterkunftskosten des Ast im M.heim der R.-Stiftung in H. verpflichtet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelungsanordnung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69, 74; vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Ast sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hat der Ast hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Sätze 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b RdNr 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage in vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist bzw. wäre. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Falle ist ggfs. anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).
Der Ast hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch im oben angegebenen Sinne geltend gemacht.
Rechtsgrundlage seines Anordnungsanspruches ist allerdings nicht § 43 Abs 1 SGB I, wie das SG festgestellt hat, sondern § 14 SGB IX. § 14 SGB IX ist einschlägig, weil der Ast Leistungen zur Teilhabe iS des § 4 Abs 1 Nr 4 SGB IX geltend macht. Nach dieser Bestimmung umfassen die Leistungen zur Teilhabe die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Zu diesen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 5 Nr 4 SGB IX) zählen vorliegend insbesondere auch die Kosten der Unterbringung des Ast in der oben angegebenen Einrichtung. Ziel der Unterbringung als Teilhabeleistung ist es nach § 55 Abs 1 Halbsatz 1 Alternative 2 SGB IX, behinderte Menschen so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen, sie also so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, von Pflegeleistungen Dritter unabhängig zu sein. Soweit dabei die Grenzziehung zwischen Teilhabeleistungen einerseits und Pflegeleistungen andererseits im Einzelfall schwierig ist, kommt es wesentlich auf die primär verfolgte Zielsetzung an. Leistung zur Teilhabe iS von § 55 Abs 1 Halbsatz 1 Alternative 1 SGB IX sind damit alle Leistungen, die den behinderten Menschen die Verwirklichung eines Teilhabeziels ermöglichen oder sichern, die also Beeinträchtigungsfolgen in Bezug darauf voll auszugleichen oder drohende Beeinträchtigungen voll abzuwenden vermögen (vgl dazu § 55 Abs 2 Nr 6 SGB IX). Es genügt auch, wenn sie geeignet sind, die Folgen einer Behinderung zu mildern (s. dazu Schütze in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand November 2005, § 55 Rdnr 13 ff).
Diese Voraussetzungen liegen beim Ast vor. Unter anderem aus der ärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Kinderheilkunde bei der kinder- und jugendpsychiatrischen Beratungsstelle des Referats für Gesundheit und Umwelt bei der Ag ergibt sich, dass die bisher durchgeführten ambulanten und teilstationären Fördermaßnahmen bei der beim Ast vorliegenden mangelnden Impulssteuerung und bei seiner ausgeprägten Eigenwilligkeit und seinem hohen Antrieb und dem sich daraus ergebenden erhöhten Konfliktpotenzial für seine weitere emotionale und soziale Entwicklung nicht mehr ausreichten. Er brauche gezielte Förderung in seiner emotional-sozialen Kompetenz in der Gruppe Gleichaltriger und intensive heilpädagogische Bemühungen mit Einzelförderung durch Sprachtherapie und Ergotherapie. Neben der stationären heilpädagogischen Förderung sei der weitere Besuch der Schule für individuelle Lebensbewältigung im M.heim für den Ast notwendig. In der pädagogisch-psychologischen Stellungnahme vom 10.10.2005 spricht sich der Träger der Einrichtung ebenfalls für eine stationäre Unterbringung des Ast aus, um eine gravierende Überbelastung und folgenreiche emotionale Verstrickung der Familienmitglieder untereinander abzuwenden bzw zu beenden und den Ast in seiner sozial-emotionalen Entwicklung nicht zu gefährden, sondern zu unterstützen. Auch der Ag kommt in seinem Schreiben vom 02.11.2005 an die Beigeladene zu der Feststellung, dass nach den dort vorliegenden Unterlagen beim Ast die vollstationäre Unterbringung aufgrund der emotional-sozialen Entwicklung und der konfliktbelasteten häuslichen und familiären Situation erforderlich sei.
Der Ag ist mithin ebenso wie der Beigeladene Rehabilitationsträger nach § 6 Abs 1 Nr 7 SGB IX.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts verdrängt § 14 SGB IX in seinem Anwendungsbereich die Vorschrift des § 43 Abs 1 SGB I, weil er für die Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen eine für die Rehabilitationsträger abschließende Regelung enthält, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit oder Leistungserbringung im SGB I und den anderen Leistungsgesetzen der Rehabilitationsträger vorgeht, und alle Fälle der Feststellung der Leistungszuständigkeit erfasst (s. dazu Götze in Hauck/Noftz, aaO, § 14 Rdnr 2 mit Hinweis auf BT-Drs 14/5074 S. 102 f).
Das Bundessozialgericht (BSG) führt in seiner Entscheidung vom 26.10.2004 - Az: B 7 AL 16/00 R - zu § 14 SGB IX im Wesentlichen aus, Hauptanliegen des SGB IX sei es, die Koordination der Leistungen und die Kooperation der Leistungsträger durch wirksame Instrumente sicher zu stellen. Nach § 14 SGB IX sollen Streitigkeiten über die Zuständigkeitsfragen bei ungeklärter Zuständigkeit nicht mehr zu Lasten der behinderten Menschen bzw der Schnelligkeit und Qualität der Leistungserbringung gehen. Grundsätzlich solle zwar die Zuständigkeit der einzelnen Zweige der sozialen Sicherheit für die Rehabilitationsträger unberührt bleiben, jedoch solle das Verfahren durch eine rasche Zuständigkeitsklärung deutlich verkürzt werden, damit die Berechtigten die Leistungen schnellstmöglich erhalten. Die Vorschrift nehme es deshalb in Kauf, dass eine endgültige Klärung der Zuständigkeit erst nach der Leistungsbewilligung durch vorläufig zuständigen Rehabilitationsträger erfolge (s. dazu auch Oppermann in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 5 Rdnr 22).
Vor dem Hintergrund der Intention des Gesetzgebers bei Erlass des SGB IX ist der Ag bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren - wie es hier erforderlich und ausreichend ist - zur Kostenübernahme nach § 14 Abs 1 SGB IX verpflichtet. Demzufolge klärt ein Rehabilitationsträger, bei dem ein Antrag auf Leistungen auf Rehabilitation gestellt worden ist, unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger die Frage, von wem und welcher Weise über den Antrag zu entscheiden ist.
Ein solcher Antrag ist beim Ag am 23.09.2005 eingegangen. Die Beigeladene weist in ihrem Schreiben vom 26.06.2006 zutreffend darauf hin, dass bei der Klärung der Frage, ob in dem Telefonanruf vom 23.09.2005 ein solcher Antrag iS des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX gesehen werden kann, auf die allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über Willenserklärungen abgestellt werden kann. Besondere Formvorschriften sind bei einem Antrag nach § 14 SGB IX nicht zu beachten (vgl dazu auch Lachwitz/Schellhorn/Wellty HK-SGB IX, 2.Aufl, § 14 Rdnr 13). Aus dem oben dargestellten Normzweck der Vorschrift ergibt sich, dass bei der Frage, ob es sich bei dem Telefonanruf um eine bloße Anfrage oder um einen Antrag gehandelt hat, auf die Gesamtumstände des Einzelfalles insbesondere unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes des an sich Leistungsberechtigten bzw seiner Vertreter abzustellen ist. Prüft man vor diesem Hintergrund den am 23.09.2005 in Gang gesetzten Verwaltungsvorgang, so ist festzustellen, dass der Ag den Anruf des Vaters des Ast nicht als bloße Anfrage, sondern als Antrag auf Leistung gewertet hat. Er bestätigt ihm mit Antwortschreiben vom selben Tag, dass um Übernahme von Kosten für die Unterbringung des Ast gebeten worden sei und für die Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen hierzu vorliegen, die angeforderten Unterlagen notwendig seien. Der Ast konnte mithin davon ausgehen, dass er hier bereits einen wirksamen Antrag iS des § 14 SGB IX gestellt hat.
Stellte man - der Auffassung des Ag folgend - auf das Vorliegen der vollständigen zur Überprüfung der Zuständigkeit notwendigen Unterlagen ab, so wäre der Streit um die Zuständigkeit für die Hilfeleistung verlagert auf die Frage, welche Unterlagen letztlich vorliegen müssen, damit von einem vollständigen Antrag iS des § 14 SGB IX gesprochen werden kann. Die Vorschrift könnte damit ihren Regelungszweck, bald möglichst die Hilfeleistung sicherzustellen, nicht mehr erreichen.
Ebenso zu beantworten ist die Frage, wie sich der Lauf der Zweiwochenfrist berechnet bzw welche Rechtsfolgen es hat, wenn der Ag nach Ablauf dieser Frist - also nicht unverzüglich - den Antrag an den aus seiner Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weiterleitet. Der Senat schließt sich hier insoweit der bisherigen Rechtsprechung des Bayer. Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu BayVGH vom 01.12.2003 FEVS 56, 188) an. Leitet der zuerst angegangene Rehabilitationsträger den Antrag auf Leistung zur Teilhabe nicht innerhalb der Frist des § 14 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX weiter, so wird er für die Leistungsgewährung zuständig. Nach § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX hat der Rehabilitationsträger, bei dem Leistungen zur Teilhabe - wie vorliegend - beantragt worden sind, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages festzustellen, ob er für die Leistung zuständig ist. Hält er sich für unzuständig, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Dass der zuerst angegangene Rehabilitationsträger die Begründung seiner Zuständigkeit nur durch eine fristgerechte Weiterleitung des Antrags verhindern kann, ergibt sich aus der systematischen Stellung des Abs 2, der auf der knapp bemessenen Frist für die Zuständigkeitsprüfung in den Abs 1 aufbaut, sowie dem oben angeführten neuen Zweck der Bestimmung selbst. Nach der Regierungsbegründung zu dem Gesetzentwurf trägt § 14 SGB IX dem Bedürfnis Rechnung, im Interesse behinderter Menschen und von Behinderung bedrohter Menschen durch rasche Klärung von Zuständigkeiten Nachteilen des gegliederten Systems des Rechts der Teilhabe behinderten Menschen entgegenzuwirken. Ziel der Vorschrift ist es vor allem, durch eine auf Beschleunigung gerichtete Zuständigkeitsklärung eine möglichst schnelle Leistungserbringung zu sichern (BT-Drs 14/5074 S.85 und S.102; LSG Hamburg vom 11.07.2005 RdLH 2005, 177). Auch insoweit greifen die Einwendungen des Ag nicht durch, wonach die Zweiwochenfrist erst zu laufen begann, als die angeforderten Unterlagen eingetroffen sind. Es ist Sache des Rehabilitationsträgers, im Anwendungsbereich des § 14 Abs 1 SGB IX sicher zu stellen, dass er innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen die notwendigen Grundlagen dafür hat, eine Entscheidung zu treffen, ob und gegebenenfalls an welchen anderen Rehabilitationsträger er diesen Antrag weiterleitet. Es kann nicht unterstellt werden, dass es der Gesetzgeber übersehen hat, dass in aller Regel mit Antragstellung iS des § 14 Abs 1 SGB IX nicht alle für die Zuständigkeitsfragen notwenigen Unterlagen vorliegen und nicht innerhalb von zwei Wochen beigebracht werden können. Die andere vom Hess. Verwaltungsgerichtshof vertretene Auffassung führt zum selben Ergebnis, denn der Hess. Verwaltungsgerichtshof stellt fest, dass immer dann, wenn die Zuständigkeitserklärung nach § 14 SGB IX nicht innerhalb der Zweiwochenfrist zum Erfolg führt und weitere Ermittlungen zur Zuständigkeit zu einer unzumutbaren Leistungsverzögerung führen, § 43 Abs 1 Satz 1 SGB I zur Anwendung kommt, wonach im vorliegenden Fall wiederum der Ag als erstangegangener Leistungsträger zuständig wäre (vgl dazu HessVGH vom 21.09.2004 FEVS 56, 328).
Demzufolge ist festzustellen, dass der Ag entgegen § 14 Abs 1 Satz 2 SGB IX den Antrag des Ast weder an den seines Erachtens zuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet noch selbst innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen den Antrag abgelehnt oder die Leistung selbst erbracht hat. In diesem Falle ergibt sich - wie das BSG ausdrücklich festgestellt hat - seine vorläufige Zuständigkeit und nicht nur seine vorläufige Leistungspflicht. Wer endgültig für die Leistung zuständig ist, spielt damit hier entscheidungserheblich keine Rolle.
Auch eine im Einzelfall veranlasste Güter- und Folgenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei der Durchsicht der im Verfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten ergeben sich überwiegende Anhaltspunkte dafür, dass der Ast aufgrund seiner geistigen Behinderung, die durch ambulante und teilstationäre Maßnahmen nicht mehr gezielt behandelt werden kann, einer stationären Unterbringung bedarf. Für das Vorliegen der Voraussetzungen für Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a Abs 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ergeben sich keine überzeugenden Anhaltspunkte. Dabei übersieht der Senat die aus der Behinderung mittelbar und unmittelbar resultierenden emotionalen Belastungen für Familie und Umwelt nicht. Hieraus ergeben sich aber noch nicht die für die Leistungen nach dem SGB VIII erforderlichen erzieherischen Bedarfe bzw Hilfen auf der Grundlage einer seelischen Behinderung.
Nach alledem hat die Beschwerde des Ag keinen Erfolg, weil die Hilfeleistung an den Ast in jeder Hinsicht vorrangig ist. Die Frage, wer die Kosten für die Unterbringung letztlich zu tragen hat, ist zwischen dem Ag und dem Beigeladenen zu klären.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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