L 4 B 686/06 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 18 KR 822/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 686/06 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 31. Juli 2006 wird aufgehoben. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Antragsgegnerin im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet ist, dem Antragsteller ab 15.02. 2006 Krankengeld zu bezahlen.

Der 1949 geborene Antragsteller bezog ab 16.08.2005 Arbeitslosengeld I und war bei der Antragsgegnerin versichert. Am 02.02. 2006 bescheinigte ihm der Allgemeinmediziner Dr. K. Arbeitsunfähigkeit. Die Agentur für Arbeit bezahlte Arbeitslosengeld bis 14.02.2006 fort. An diesem Tag war der Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 20.02.2006 einen Anspruch auf Krankengeld mit der Begründung ab, da Krankengeld eine Entgeltersatzfunktion darstelle, bestehe nach Anspruchserschöpfung grundsätzlich kein Anspruch auf Krankengeld mehr. Diese Auffassung wird auf die Entscheidung des Sozialgerichts Regensburg vom 21. April 2005 gestützt. Die Antragsgegnerin hat den hiergegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2003 zurückgewiesen. Der Antragsteller hat zusammen mit der hiergegen am 20.06 2006 zum Sozialgericht München erhobenen Klage beantragt, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ab 01.02.2006 Krankengeld in der gesetzlichen Höhe zu zahlen.

Als Anordnungsgrund wird angegeben, der Kläger erleide seit dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld zum 14.02.2006 erhebliche Nachteile, er verfüge über keinerlei Einkommen, der Lebensunterhalt werde im wesentlichen durch die Einkünfte der Ehefrau bestritten.

Nachdem die Bevollmächtigte des Antragsstellers Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis 30.06.2006 vorgelegt hatte und telefonisch versichert hat, die Arbeitsunfähigkeit sei bis 01.09.2006 verlängert worden, verpflichtete das Sozialgericht die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 31.07.2006 vorläufig, dem Antragsteller für die Zeit ab 15.02.2006 Krankengeld in Höhe der gesetzlichen Leistungen zu bezahlen. Der Anspruch auf Krankengeld habe nach § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V geruht, solange der Antragsteller Arbeitslosengeld bezogen habe, also bis 14.02.2006. Ab 15.02.2006 sei er wieder aufgelebt. Das Gesetz sehe keine Begrenzung der Höchstbezugsdauer des Krankengeldanspruchs auf die Restdauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld vor. Wie das Bundessozialgericht im Urteil vom 07.12.2004 ausgeführt habe, lassen sich derart weitreichende Rechtsfolgen im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung nicht herbeiführen. Erforderlich wäre hierfür vielmehr eine ausdrückliche Regelung durch den Gesetzgeber.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die sie erneut damit begründet, ein Anspruch auf Krankengeld bestehe nach Ausschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I nicht mehr, da das Krankengeld Entgeltersatzfunktion habe. Selbst wenn das Gericht anderer Auffassung sein sollte, sei vorliegend ein Anspruch auf Krankengeld auch mangels Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers nicht gegeben. Es werden hierzu von der Deutschen Rentenversicherung Oberbayern eingeholte ärztliche Gutachten vorgelegt, und zwar des Nervenarztes Dr. K. vom 24.01.2006, des Orthopäden Dr. S. vom 13.02.2006 sowie des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern vom 14.08.2006. Dem Gutachter des MdK lag zusätzlich ein internistisches Gutachten, eingeholt für die Rentenversicherung vom 13.03.2006 vor sowie der Reha-Entlassungsbericht der Klinik F. aus dem Jahr 2005. Der MdK kommt zu dem Ergebnis, der Antragsteller könne vollschichtig körperlich leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten aus wechselnder Arbeitslage, zeitweise im Sitzen, ohne Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, ohne Steuerung und Überwachung komplexer Arbeitsvorgänge verrichten.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts München vom 31.07.2006 aufzuheben und den Antrag auf eine einstweilige Anordnung abzuweisen.

Die Bevollmächtigte des Antragstellers beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem Beschluss des Sozialgerichts inhaltlich an und trägt vor, die Antragsgegnerin könne sich auf die vorgelegten Gutachten nicht stützen, es sei nicht geprüft worden, ob der Antragsteller vollschichtig seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit quantitativ und qualitativ ausüben könne. Zum Anordnungsgrund führt sie zusätzlich aus, ein Guthaben von 6.000 EUR sei aufgebraucht. Monatliche Belastungen des Klägers in Höhe von ca. 350 EUR würden aus dem Einkommen der Ehefrau gedeckt. Für den Lebensunterhalt verblieben nur 500 EUR monatlich. Auf die alljährliche Urlaubsreise und geplante Anschaffungen müsse verzichtet werden.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und des Sozialgerichts wird Bezug genommen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 SGG) und begründet.

Der Beschluss des Sozialgerichts ist aufzuheben, weil die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren nachträglich die Ablehnung des Krankengeldanspruchs nicht nur mit der nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegfallenden Lohnersatzfunktion begründet hat, sondern auch vorträgt, es liege beim Antragsgegner keine Arbeitsunfähigkeit vor. Dieses Nachholen der erforderlichen Begründung ist gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 41 Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz möglich (siehe hierzu im Einzelnen Wiesner, in von Wulffen SGB X, Rdnr. 6 zu § 41). Damit liegen die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 SGG nicht mehr vor.

Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Beide Arten der einstweiligen Anordnung setzen einen Anordnungsanspruch - dies ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht - und einen Anordnungsgrund voraus, der insbesondere in der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung besteht. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen. Im vorliegenden Fall wäre der Anordnungsanspruch auf Krankengeld gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V glaubhaft, wenn die Arbeitsunfähigkeit des Antragsgegners unbestritten wäre. Entsprechend dem Inhalt des angefochtenen Bescheids der Beklagten hat das Sozialgericht im jetzt durch Beschwerde angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt, dass eine Begrenzung der Höchstbezugsdauer des Krankengeldanspruchs auf die Restdauer des Arbeitslosengeldanspruchs oder eine Anrechnung von Krankengeldbezugszeiten auf die Dauer des restlichen Arbeitslosengeldanspruchs im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Bei der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 07.12.2004 (B 1 KR 5/03 R) handelt es sich im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin nicht um eine Einzelfallentscheidung. Das Bundessozialgericht fordert ausdrücklich eine Entscheidung des Gesetzgebers und lässt eine richterrechtliche Rechtsfortbildung insoweit nicht zu. Nachdem nun der ablehnende Bescheid auch auf das Fehlen von Arbeitsunfähigkeit gestützt ist, hängt ein Anordnungsanspruch davon ab, wie die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bewerten ist. Wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden. Ein Antrag auf einstweilige Anordnung ist abzulehnen (s. hierzu Keller, in Mayer-Ladewig, SGG, Rdziff. 29 ff zu § 86b). Von einer offensichtlichen Unbegründetheit der Klage kann nicht ausgegangen werden, der Verfahrensausgang ist offen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht (Keller a.a.O.). Diese Interessenabwägung ergibt, dass es dem Kläger zumutbar ist, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Geht das Hauptsacheverfahren zu seinen Gunsten aus, ist die Antragsgegnerin verpflichtet, ihm die beantragte Krankengeldzahlung (evtl. verzinst) zu erbringen. Wird die Antragsgegnerin, dem Beschluss des Sozialgerichts entsprechend, verpflichtet, sofort Krankengeld ab Februar nachzuzahlen, hat dies bei einem Obsiegen der Antragsgegnerin zur Folge, dass das vom Antragsteller zum Lebensunterhalt verbrauchte Krankengeld zwar zurückgefordert werden kann, seine Zahlungsfähigkeit jedoch zweifelhaft ist. Abgesehen davon, dass der Senat früher bereits für abgelaufene Zeiträume abgelehnt hat, eine Verpflichtung zur Nachzahlung von Krankengeld im einstweiligen Rechtsschutz auszusprechen (s. Beschluss vom 05.01.2006, L 4 B 678/05 KR ER; Beschluss vom 18.10.2004, L 4 B 462/04 KR ER), ist im Rahmen dieser Abwägung auch zu berücksichtigen, dass ein Anordnungsgrund nicht ausreichend glaubhaft gemacht ist. Es ist grundsätzlich Versicherten nicht unzumutbar, überwiegend vom Einkommen ihrer Ehefrau zu leben, wenn sie sich selbst nicht unterhalten können. Die von der Bevollmächtigten des Antragstellers genannten Zahlen, nämlich monatliche Belastungen von ca. 350,00 EUR und 500,00 EUR monatlich, die für den Lebensunterhalt nach Abzug aller Verbindlichkeiten verbleiben, sind lediglich behauptet, jedoch nicht belegt. Insbesondere fehlt eine Angabe über das tatsächliche Einkommen der Ehefrau. Der Verzicht auf eine alljährliche Urlaubsreise und geplante Anschaffungen ist keine unzumutbar Härte, zu deren Ausgleich im Endeffekt die Versicherungsgemeinschaft als Zahlerin des Krankengeldes heranzuziehen wäre.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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