L 7 KA 86/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 154/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 86/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2006 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2) bis 6), die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung weiterer Vorverfahrenskosten in Höhe von 2.280,85 EUR.

Der Kläger war als Facharzt für Radiologie mit Arztsitz in Berlin/T-K zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im September 2002 erklärte er gegenüber der Beigeladenen zu 1) wegen einer schweren Erkrankung seinen Verzicht auf seine vertragärztliche Zulassung zum Ende des Quartals IV/2002. Ferner beantragte er die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes. Der Kläger gab an, dass der Verzicht auf seine Vertragsarztzulassung erst wirksam werden solle, wenn der "Praxisnachfolger rechtskräftig" zugelassen und die Praxis von ihm übergeben worden sei. Er erwarte einen Kaufpreis für seine Praxis in Höhe von 250.000,00 EUR. Jedenfalls seit spätestens Mitte 2002 übt der Kläger seine vertragsärztliche Tätigkeit tatsächlich nicht mehr aus.

Der Zulassungsausschuss für Ärzte des Zulassungsbezirks Berlin (ZA) stellte daraufhin mit Beschluss vom 25. Juni 2003 u. a. fest, dass die Zulassung des Klägers zur vertragärztlichen Versorgung beendet sei. Diese Entscheidung hob der Beklagte auf den Widerspruch des Klägers mit Beschluss vom 22. Oktober 2003 insoweit auf und entschied, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig gewesen sei und dem Kläger die Hälfte der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten sei. Mit weiterem Beschluss vom 29. Oktober 2003 stellte der ZA wiederum u. a. fest, dass die Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Tätigkeit mit Zustellung dieses Beschlusses ende. Auch diesen Beschluss hob der Beklagte mit Beschluss vom 25. Februar 2004 insoweit auf und ließ eine Praxisnachfolgerin zur vertragsärztlichen Versorgung zu. Der Beklagte entschied, dass auch in diesem Verfahren die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig gewesen sei und dass die dem Kläger zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten seien. Die Beschlüsse des Beklagten vom 22. Oktober 2003 und vom 25. Februar 2004 sind bestandskräftig geworden.

Den Antrag des Klägers, ihm unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes in Höhe des fünffachen Jahresüberschusses einer durchschnittlichen radiologischen Praxis, nach seinen Angaben in Höhe von 528.000,00 EUR, und einer 10/10 Gebühr, ihm die für das erste Widerspruchsverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.672,56 EUR und die ihm für das zweite Widerspruchsverfahren und für das vorangegangene Verwaltungsverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.971,28 EUR zu erstatten, beschied der Beklagte unter Zurückweisung des Antrags im Übrigen dahingehend, dass für das erste Widerspruchsverfahren lediglich 1.380,11 EUR und für das zweite Widerspruchsverfahren lediglich 5.497,24 EUR zu erstatten seien (Beschluss des Beklagten vom 05. Mai 2004). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die erstattungsfähigen Vorverfahrenskosten nach Maßgabe eines Gegenstandswertes in Höhe von 528.000,00 EUR und eines Gebührenansatzes von 7,5/10 zu bemessen seien, weil der Schwierigkeitsgrad in beiden Fällen nicht so herausragend gewesen sei, dass der Kostenrahmen voll ausgeschöpft werden müsse. Hinsichtlich des zweiten Widerspruchsverfahrens könnten auch nur die Kosten dieses Verfahrens erstattet werden, soweit der Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Ferner sei eine Erstattung der Kosten für das dem Widerspruchsverfahren vorausgegangene Verwaltungsverfahren nicht möglich.

Im anschließenden Klageverfahren hat sich der Kläger lediglich noch gegen den Ansatz einer Mittelgebühr bei der Berechnung der ihm entstandenen Rechtsanwaltskosten gewandt. Er hat vorgetragen, dass für beide Widerspruchsverfahren der Ansatz einer 10/10 Gebühr gerechtfertigt sei. Die Sache sei für ihn von erheblicher Bedeutung gewesen und habe einen überdurchschnittlichen Umfang anwaltlicher Tätigkeit bei zugleich schwierigen rechtlichen Problemen erfordert. Im Übrigen sei der Gegenstandswert von den Beteiligten bestandskräftig auf 528.000,00 EUR festgesetzt worden. Gegen die Absetzung der Gebühr für die anwaltliche Tätigkeit vor dem ZA wende er sich nicht.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. März 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen sei. Unter "Bedeutung der Sache" sei das wirtschaftliche Interesse des Klägers am Ausgang des Verfahrens zu bestimmen. Das wirtschaftliche Interesse des Klägers am Ausgang der beiden Widerspruchsverfahren habe sich auf jeweils 250.000,00 EUR belaufen. Dies sei der Preis, den der Kläger aus dem Verkauf seiner Praxis habe erzielen wollen. Der Einwand des Klägers, der Gegenstandswert sei von den Beteiligten übereinstimmend und bestandskräftig festgesetzt worden und das Gericht sei hieran gebunden, sei unzutreffend. Nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werde ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der gegen den Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt werde. Die materielle Bindungswirkung umfasse jedoch nur den Entscheidungssatz, nicht die Begründung. Im vorliegenden Fall regele der angegriffene Bescheid des Beklagten in seinem Entscheidungssatz allein die Höhe der festgesetzten Kosten. Der von dem Beklagten angenommene Gegenstandswert sei dagegen Teil der Begründung. Er sei Faktor der Berechnung der zu erstattenden Kosten. Indem er ihn im Bescheid benenne, teile der Beklagte mit, auf welcher Grundlage er die festgesetzten Kosten ermittelt habe. Eine Regelung, die der Bestandskraft möglich sei, werde hierdurch aber nicht getroffen. Auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von 250.000,00 EUR und einer 10/10 Geschäftsgebühr für jeweils beide Widerspruchsverfahren stünden dem Kläger insgesamt erstattungsfähige Kosten in Höhe von 5.985,60 EUR zu. Wegen des Verbots der reformatio in peius, komme eine Änderung des angegriffenen Bescheides zum Nachteil des Klägers jedoch nicht in Betracht.

Gegen den ihm nach seinen Angaben am 29. März 2006 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 28. April 2006. Mit ihr trägt er nochmals vor, dass die Beteiligten übereinstimmend von einem Gegenstandswert in Höhe von 528.000,00 EUR ausgegangen seien und dieser Wert im Beschluss des Beklagten vom 5. Mai 2004 auch im Entscheidungssatz Berücksichtigung gefunden habe. Dieser Gegenstandswert sei daher in Bestandskraft erwachsen. Er wende sich mit seiner Klage lediglich gegen die "Weigerung der Beklagten 10/10 Gebühren anzusetzen". Das vom Sozialgericht "angewandte wirtschaftliche Interesse" sei nicht maßgebend. Dieses Interesse sei bei seinem Antrag vom 30. September 2002 ohnehin noch nicht ermittelbar gewesen. Ein Interesse für eine Nachfolgezulassung habe es zu diesem Zeitpunkt nur sehr begrenzt gegeben. Ein Kaufvertrag über das Inventar sei tatsächlich erst im April 2004 zustande gekommen. Dieser Kaufvertrag sei von einer Bank mit der nachfolgenden Ärztin abgeschlossen worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2006 aufzuheben sowie den Beschluss des Beklagten vom 05. Mai 2004 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger weitere Kosten in Höhe von 2.280,85 EUR zu erstatten.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

die sie für unbegründet halten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage des Klägers zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung weiterer Vorverfahrenskosten in Höhe von 2.280,85 EUR.

Rechtsgrundlage für die Kostenfestsetzung der beiden vor dem Beklagten durchgeführten Widerspruchsverfahren (vgl. § 97 Abs. 3 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) ist § 63 Abs. 3 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Ausgangspunkt der Berechung ist der den Gebühren zugrunde zu legende Gegenstandswert (vgl. den nach § 61 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes noch anzuwendenden § 8 Abs. 1 Satz 2 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung [GKG a. F.]).

Der Gegenstandswert war in vertragsärztlichen Zulassungsverfahren nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich in Höhe der Einnahmen zu berechnen, die der Arzt im Falle der Zulassung innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren hätte erzielen können, wobei die erzielbaren Einkünfte um die durchschnittlichen Praxiskosten in der jeweiligen Arztgruppe zu mindern waren (vgl. Urteil des BSG vom 28. Januar 2000 - B 6 KA 22/99 R-, zitiert nach juris, m. w. Nachw.). Demgegenüber hat der Senat bereits als 7. Senat des Landessozialgerichts Berlin in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass in vertragsärztlichen Zulassungs- und Ermächtigungsverfahren der Gegenstandswert grundsätzlich auf der Grundlage der Einnahmen zu berechnen ist, die in einem Zeitraum von drei Jahren hätten erzielt werden können (Beschluss des Landessozialgerichts Berlin vom 08. Februar 2005 - L 7 B 35/04 KA - und Beschluss des Senats vom 07. Dezember 2005 - L 7 B 6/05 KA -). Dieser Auffassung hat sich nunmehr das BSG jedenfalls in solchen Zulassungsangelegenheiten angeschlossen, die nach dem 01. Januar 2002 in erster Instanz anhängig geworden sind und auf die gemäß § 197 a SGG das GKG in der am 01. Juli 2004 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes vom 12. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) anzuwenden ist (Beschluss vom 12. Oktober 2005 - B 6 KA 47/04 B-, zitiert nach juris).

Das BSG und der Senat haben aber insoweit übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass in den Fällen ein Unterschreiten des drei- bzw. fünfjährigen Zeitraumes angezeigt ist, in denen von vornherein feststeht oder nach Lage der Umstände mit Gewissheit zu erwarten ist, dass die vertragsärztliche Tätigkeit nur für einen kürzeren Zeitraum ausgeübt werden soll oder kann (Urteil des BSG vom 28. Januar 2000 - B 6 KA 22/99 R - und Beschluss des Senat vom 07. Dezember 2005, a. a. O.).

Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. Der Kläger hat seine vertragsärztliche Tätigkeit wegen seiner Erkrankung jedenfalls spätestens Mitte 2002 aufgegeben. Aufgrund seiner Erkrankung war es ihm über diesen Zeitraum hinaus nicht möglich, seine vertragsärztliche Tätigkeit fortzusetzen. Einkünfte aus dieser Tätigkeit waren daher von diesem Zeitpunkt an tatsächlich überhaupt nicht mehr zu erwarten. Dies rechtfertigt ein Abweichen vom Regelfall und die Berechnung des Gegenstandswertes nach einem anderen Kriterium. Das Sozialgericht hat sich insoweit an dem wirtschaftlichen Interesse des Klägers an dem Praxisverkauf orientiert und diesen Wert, den der Kläger mit 250.000,00 EUR beziffert hat, herangezogen. Soweit der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren insoweit vorträgt, dass dieses Interesse im Zeitpunkt seines Antrages auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes im September 2002 ohnehin noch nicht ermittelbar gewesen sei, kann dahingestellt bleiben, ob diesem Vortrag zu folgen ist. Denn nach § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F. müsste in einem Fall, in dem der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Wertberechnung bietet, der Kostenfestsetzung ein Streitwert von 4.000,00 EUR zugrunde gelegt werden. Hieran ist der Senat jedoch nach dem Verbot der reformatio in peius gehindert, da dies zu einer Änderung der vom Kläger angegriffenen Entscheidung zu seinen Ungunsten führen würde.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren nochmals wiederholt die Auffassung vertritt, dass die Festsetzung des Gegenstandswertes in dem angefochtenen Beschluss des Beklagten vom 05. Mai 2004 in Bestandskraft erwachsen sei, kann er damit keinen Erfolg haben. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und schließt sich der überzeugenden und zutreffenden Begründung des Sozialgerichts nach eigener Prüfung an (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved