L 7 KA 80/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 324/03-04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 80/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) bis 6), die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung als psychologischer Psychotherapeut.

Der Kläger, geboren im Jahre 1950, ist seit dem Jahre 1980 Diplompsychologe und nahm seit dem Jahre 1991 als Psychotherapeut für Verhaltenstherapie am Delegationsverfahren teil. Seit dem Jahre 1999 besitzt er die Approbation als psychologischer Psychotherapeut sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. In der Zeit vom 01. April 1999 bis zum 31. Oktober 2000 war er im Bezirk der Beigeladenen zu 1) zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen. In der Zeit vom 01. November 2000 bis zum 30. September 2001 bestand eine Zulassung im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern. Der Kläger betrieb jedenfalls während dieses Zeitraums eine Praxis in S auf der Insel Rügen. Jedenfalls ab dem 01. Oktober 2001 war er wieder im Bezirk der Beigeladenen zu 1) – Verwaltungsbezirk Neukölln - zugelassen.

Im März 2003 erhielt der Zulassungsausschuss für Ärzte im Bezirk der Beigeladenen zu 1) Kenntnis davon, dass der Kläger möglicherweise eine Zweitpraxis auf der Insel Rügen weiter betrieben habe, während seine vertragsärztliche Zulassung im Bezirk der Beigeladenen zu 1) schon bestand. Insbesondere entstand der Verdacht, der Kläger habe zahlreiche Patienten mit Wohnsitz auf Rügen auch dort behandelt. Außerdem hielt der Zulassungsausschuss die Abrechnung des Klägers wegen der teilweise sehr hohen täglichen Behandlungsstundenzahl für implausibel. Aus diesem Grunde gab der Zulassungsausschuss dem Kläger in seiner Sitzung vom 18. Juni 2003 auf, sechs genau formulierte Fragen zu beantworten. Diese Fragen lauteten wie folgt:

1. An welchen Wochentagen hat Herr L Patienten mit Wohnsitz auf Rügen und an welchen Wochentagen Patienten mit Berliner Wohnsitz behandelt?

2. Wie viele Patienten hat er seit dem 01.10.2001 auf Rügen behandelt? Um Angabe der Patienten-Chiffre, Krankenkassen und des Behandlungszeitraumes wird gebeten.

3. In welchem Umfang und wo wurden Behandlungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung - insbesondere bei Privatpatienten - erbracht?

4. Wie viele Behandlungen wurden seit dem 01.10.2001 im Rahmen des KJHG erbracht? Wo wurden diese Behandlungen erbracht?

5. Welche Honorartätigkeiten, Nebentätigkeiten und ehrenamtliche Tätigkeiten wurden von Herrn L seit dem 01.10.2001 ausgeübt? Bitte um Angabe des Umfangs z. B. in Stunden pro Woche oder Monat sowie des Ortes.

6. Wo und wann wurden die Leistungen für Patienten mit Berliner Wohnsitz erbracht, die Herr L an Tagen abgerechnet hat, an denen er auch einen Patienten auf Rügen behandelte? Wo fand die von ihm an diesen Tagen abgerechnete Behandlung von Patienten mit Wohnsitz auf Rügen statt?

Mit Schreiben vom 17. Juli 2003 antwortete der Kläger auf die gestellten Fragen wie folgt:

1. "Seit meinem Umzug nach Berlin ist mein hauptsächlicher Lebensschwerpunkt Berlin/Brandenburg.

2. Alle Berliner Patienten wurden von mir in der P Straße behandelt. An verschiedenen Tagen habe ich zwischen 15-17,5 Stunden gearbeitet. Was für mich nicht ungewöhnlich war, weil ich dieses bereits im Delegationsverfahren damit begonnen hatte.

3. Den Absturz und meine eigenen technischen Problem im Umgang mit meinem Computer setzte ich als bekannt voraus, möchte an dieser Stelle daher nicht nochmals darauf eingehen.

4. Meine Behandlungs- und Tätigkeitszeiten entsprechen meiner vertragspsychologischen Tätigkeit im Rahmen der Versorgung nach § 72 Abs. 2 SGB V.

5. Auf Rügen habe ich ca. 5 bis 6 Privatpatienten gehabt und einige KJHG-Fälle."

Mit Beschluss vom 06. August 2003 entzog der Zulassungsausschuss dem Kläger die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit: Wegen des Fehlens jeglicher Dokumentationen, der Art der Praxisführung sowie der Erstellung der Abrechnungsunterlagen, der nachgewiesenen Falschabrechnung des Patienten U N, den der Kläger auf Rügen behandelt hatte, der Behandlung weiterer Patienten am nicht genehmigten Praxisstandort außerhalb des Zulassungsbezirks und der Abrechnung von nicht am genehmigten Praxisstandort erbrachten Leistungen über die Beigeladene zu 1) sowie wegen der implausiblen Anzahl der abgerechneten Leistungen an einer Reihe von Tagen sei das Vertrauensverhältnis gegenüber dem Kläger nachhaltig gestört.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Beschluss vom 12. November 2003 zurück: Der Kläger habe den Patienten U N in dem IV. Quartal des Jahres 2002 an insgesamt 14 Tagen jeweils auf Rügen behandelt und diese Leistungen im Bezirk der Beigeladenen zu 1) abgerechnet. Im IV. Quartal des Jahres 2002 habe der Kläger 93 Behandlungsscheine eingereicht, davon hätten 35 Scheine Patienten mit Rügener Wohnsitz betroffen. An den Tagen, an denen der Kläger den Patienten N auf Rügen behandelt habe, habe er außerdem insgesamt Behandlungsaufwand betrieben, der zwischen 12,5 und 28,5 Stunden pro Tag betragen habe; dies sei implausibel. Darüber hinaus sei auch die Anzahl der Behandlungsstunden bei den Patienten mit Berliner Wohnsitz oder einem Wohnsitz außerhalb Rügens so hoch, dass hierbei eine Implausibilität aufgetreten sei. Ähnlich verhalte es sich mit dem II. Quartal des Jahres 2002. Hier seien von 83 Scheinen 28 Scheine für Patienten mit Rügener Wohnsitz abgerechnet worden. Außerdem habe der Kläger insgesamt an 8 Tagen in diesem Quartal den Patienten N auf Rügen behandelt. Auch insoweit sei die hohe Abrechnungsstundenzahl implausibel. Darüber hinaus habe der Kläger in seinem Antwortschreiben an den Zulassungsausschuss vom 17. Juli 2003 die gestellten Fragen im Wesentlichen nicht beantwortet. Soweit der Kläger sich darauf beziehe, die Behandlung des Patienten N sei tatsächlich an anderen Tagen als den Abrechnungstagen erfolgt, wodurch sich der auf die Behandlungstage entfallende Gesamtstundenbedarf verringere, zerstöre dies das Vertrauensverhältnis gegenüber dem Kläger. Gleiches gelte auch hinsichtlich seines Vorbringens, sein Praxiscomputer sei abgestürzt und lasse einen Zugriff auf die Daten nicht mehr zu. Denn eine Untersuchung des Gerätes des Klägers durch eine Fachfirma habe ergeben, dass die Festplatte des Computers des Klägers frei von jeglichen Daten, ansonsten aber funktionsfähig und mit den nötigen Programmen bestückt gewesen sei. Dies lasse den Schluss zu, dass der Kläger die Festplatte seines Computers vollständig neu formatiert und hierdurch den Zugriff auf die vorhandenen Daten vereitelt habe. In dem vorgenannten Verhalten des Klägers liege eine gröbliche Pflichtverletzung, die zum Verlust seiner Zulassung führe.

Der Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung seines Beschlusses an. Der gerichtliche Antrag des Klägers, die aufschiebende Wirkung seiner Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidung wieder herzustellen, blieb erfolglos (zuletzt Beschluss des Senats vom 19. Mai 2004, L 7 B 5/04 KA ER).

Die gegen den vorgenannten Beschluss erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Urteil vom 18. Januar 2006 abgewiesen und sich dabei zur Begründung vorrangig auf die Begründung des Beschlusses des Beklagten gestützt sowie ergänzend ausgeführt, bereits die zwischen den Beteiligten unstreitigen Tatsachen rechtfertigten den Entzug der vertragspsychotherapeutischen Zulassung des Klägers. Die fortgesetzte Behandlung des Patienten N auf Rügen verstoße gegen die Residenzpflicht, die falsche Abrechnung der Behandlung dieses Patienten stelle einen groben Abrechnungsverstoß dar. Die nachlässige Dokumentation mit dem Verlust sämtlicher Dokumentationsdaten sowie die unvollständige und ausweichende Beantwortung der vom Zulassungsausschuss schriftlich gestellten Fragen hätten das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) so nachhaltig zerstört, dass der Beigeladenen die weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr zugemutet werden könne. Auch behauptete private Probleme des Klägers könnten an dieser Einschätzung nichts ändern.

Gegen dieses ihm am 21. März 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. April 2006 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Er macht geltend, mit Ausnahme des Patienten N habe er keine Rügener Patienten auf Rügen behandelt, sondern diese seien alle in seine Praxis nach Berlin zur Behandlung gekommen. Die teilweise hohe Stundenzahl von Behandlungseinheiten habe sich daraus ergeben, dass der Kläger sowohl die Therapiestunden selbst als auch anschließende schriftliche und abrechnungsfähige Folgearbeiten an ein- und demselben Tag - nämlich dem Behandlungstag - abgerechnet habe, wodurch sich auf diesen Tag bezogen eine zu hohe Stundenzahl ergeben habe. Die unvollständige Beantwortung der Fragen des Zulassungsausschusses erkläre sich daraus, dass der Kläger irrtümlich angenommen habe, er sei nur eingeschränkt zur Auskunft verpflichtet. Er habe alles ihm mögliche getan, um die Folgen des Computerabsturzes und des damit verbundenen Datenverlustes zu beheben. Auch wenn in diesen Verhaltensweisen Pflichtverletzungen des Klägers zu sehen seien, so könnten diese noch keine Zulassungsentziehung rechtfertigen, vielmehr hätten mildere Mittel wie insbesondere disziplinarische Maßnahmen ausgereicht, um zu einem korrekten Abrechnungsverhalten des Klägers zu führen. Vor diesem Hintergrund sei die Zulassungsentziehung unverhältnismäßig gewesen. Außerdem habe der Kläger nach Einleitung des Zulassungsentziehungsverfahrens keinerlei Falschabrechnungen mehr begangen und noch mehrere Monate bis zur Anordnung der sofortigen Vollziehung die Praxis weiter betrieben, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12. November 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 06. August 2003 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die übrigen Beigeladenen stellen keine Anträge.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Sitzungsniederschrift zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 20. Oktober 2006, die Gerichtsakten zum Verfahren vor dem Landessozialgericht Berlin L 7 B 5/04 KA ER und die Verwaltungsakten des Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein der Beschluss des Beklagten vom 25. Oktober 2000 und nicht der Beschluss des Zulassungsausschusses vom 14. Juni 2000, denn das Verfahren vor dem Berufungsausschuss ist ein umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz und kein Widerspruchsverfahren im Sinne des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Mit seiner Anrufung gemäß § 96 Abs. 4 SGB V wird der Berufungsausschuss funktionell ausschließlich zuständig. Gegenstand einer Klage ist nicht der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheids, sondern allein der Bescheid des Berufungsausschusses (BSG, Urteil vom 27. Januar 1993, 6 RKa 40/91, SozR 3-2500 § 96 Nr. 1). Vor diesem Hintergrund war der mit der Berufungsbegründung angekündigte klägerische Antrag in der aus dem Sitzungsprotokoll und dem Tatbestand ersichtlichen Gestalt neu zu fassen. Damit ist jedoch keine Klageänderung nach § 99 SGG verbunden, denn sinngemäß hat der Kläger das nunmehr auch wörtlich zutreffend umschriebene Rechtsschutzbegehren bereits seit Beginn des Rechtsstreits durchgängig verfolgt.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 143 SGG, in der Sache jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die ausgesprochene Zulassungsentziehung ist zu Recht erfolgt und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Zulassungsentziehung ist § 95 Absatz 6 in Verbindung mit § 72 Absatz 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V). Danach ist einem Vertragspsychotherapeuten die Zulassung unter Anderem zu entziehen, wenn er seine vertragspsychotherapeutischen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragspsychotherapeutischen Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn aufgrund der Pflichtverletzungen das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsverhaltens des Vertragspsychotherapeuten so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragspsychotherapeuten nicht mehr zugemutet werden kann (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, zusammenfassend BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, wohl zuletzt BSG, Urteil vom 19. Juli 2006, B 6 KA 1/06 R, juris-Dokument). Nach diesen Maßstäben können wiederholt unkorrekte Abrechnungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung eine Zulassungsentziehung rechtfertigenAn diesen Maßstäben gemessen stellt sich das hier streitbefangene Verhalten des Klägers gegenüber der Beklagten als gröbliche, die Zulassungsentziehung rechtfertigende Pflichtverletzung dar. Dabei kann der Senat offen lassen, ob bereits die wiederholt falschen Abrechnungen der Behandlungen des Patienten N an dessen Wohnort eine solche gröbliche Pflichtverletzung darstellen, die für sich allein genommen schon die Entziehung der vertragspsychotherapeutischen Zulassung gerechtfertigt hätten. Eine Falschabrechnung liegt hinsichtlich jeder einzelnen Behandlung jedenfalls in den Quartalen II und IV/2002 vor, denn der Kläger rechnete diese Behandlungen jeweils so ab, als ob er die Behandlungen im Zulassungsbezirk der Beigeladenen zu 1) erbracht habe, was nicht zutraf; darüber hinaus waren auch sämtliche Behandlungsdaten unzutreffend, weil der Kläger die Behandlungen nicht den jeweiligen Sonnabenden zuordnete, an denen die Behandlungen seinen Angaben zufolge tatsächlich stattfanden, sondern sie anderen Werktagen zuwies. Diese Falschabrechnungen erfolgten auch wiederholt und in beträchtlicher Anzahl, denn immerhin rechnete der Kläger im Quartal II/2002 insgesamt acht und im Quartal IV/2002 insgesamt 14 Behandlungen des Patienten N fehlerhaft ab.

Die Bewertung dieses Abrechnungsverhaltens als gröbliche Pflichtverletzung kann jedoch deswegen offen bleiben, weil sie jedenfalls im Zusammenhang mit schwerwiegenden Verstößen des Klägers gegen die vertragspsychotherapeutischen Dokumentationspflichten eine die Zulassungsentziehung rechtfertigende grobe Pflichtverletzung darstellt. Der Kläger hat nach eigenen Angaben vollständig auf jegliche schriftliche Dokumentation der Patientenbehandlungen, jedenfalls soweit sie die hier in Rede stehenden Abrechnungsquartale betrifft, verzichtet und sich vollständig auf eine elektronische Dokumentation auf der Festplatte seines Computers verlassen, ohne insoweit Sicherungskopien herzustellen. Es spricht aus Sicht des Senats vieles dafür, dass bereits hierin eine schwerwiegende Pflichtverletzung liegen kann, weil eine derart wenig gesicherte, rein elektronische Dokumentation, auch wenn sie für sich genommen fehlerfrei erfolgt sein sollte, in hohem Maße fehleranfällig ist und in den Fällen späteren technischen Versagens eine nachträgliche Überprüfung des vertragspsychotherapeutischen Behandlungs- und Abrechnungsverhaltens erheblich erschweren oder gar – wie im vorliegenden Falle – gänzlich unmöglich machen kann. Jedenfalls aber sind im Falle des Klägers mehrere Umstände hinzugetreten, die den Verstoß des Klägers gegen seine Dokumentationspflichten in Verbindung mit den festgestellten Falschabrechnungen als gröbliche Pflichtverletzung erscheinen lassen.

So ist auf der einen Seite zu bedenken, dass der Kläger zahlreiche Patientinnen und Patienten mit Wohnsitz auf Rügen auch während der hier streitbefangenen Quartale behandelt hat, während derer der Kläger eine vertragszahnärztliche Zulassung allein im Bezirk der Beklagten besaß. Zwar hat der Kläger – bislang unwiderlegt – geltend gemacht, in allen Behandlungsfällen hätten sich sämtliche Patientinnen und Patienten von Rügen nach Berlin begeben, um sich dort von dem Kläger behandeln zu lassen. Aber gerade dann, wenn dies tatsächlich so geschehen sein sollte, hätte diese Art der Behandlungen eine derart atypische Gestalt besessen, dass jedenfalls von dem Kläger eine peinlich genaue, im Nachhinein auch vollständig nachprüfbare Dokumentation der Behandlungen hätte verlangt werden müssen.

Es ist bereits sehr zweifelhaft, ob eine rein elektronische Dokumentation der vorgenannten Art diesen Anforderungen entsprochen hätte. Jedenfalls aber genügt das konkrete Verhalten des Klägers diesen Anforderungen bei weitem nicht. Der Kläger kann nämlich nicht einmal eine ordnungsgemäße Dokumentation in elektronischer Form auf der Festplatte seines Computers nachweisen. Die Überprüfung der Festplatte während des Verwaltungsverfahrens hat ergeben, dass sich auf ihr nicht einmal zerstörte, unleserliche oder sonst beschädigte Dateien oder Einzeldaten befanden. Sie befand sich vielmehr in einem Zustand, aus dem man nicht ersehen konnte, dass überhaupt zu einem früheren Zeitpunkt Daten über Patientenbehandlungen elektronisch gespeichert worden sind.

Dieser Zustand ließ nach den für den Senat in jeder Hinsicht überzeugenden Feststellungen einer zur Überprüfung des Computers des Klägers eingeschalteten Fachfirma nur den Schluss zu, dass der Kläger entweder auch auf eine elektronische Dokumentation seiner Behandlungen vollständig verzichtet oder aber zu einem späteren Zeitpunkt seine gesamte Festplatte neu formatiert und erneut mit den benötigten Benutzerprogrammen bespielt hat. Jede dieser beiden Sachverhaltsalternativen stellt für sich genommen im vorliegenden Zusammenhang eine gröbliche Pflichtverletzung dar, denn sowohl ein vollständiger Verzicht auf jegliche Dokumentation als auch eine nachträgliche gezielte Zerstörung aller vorhandener Daten stellt ein schwerwiegendes, nicht zu rechtfertigendes Fehlverhalten dar. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Computer des Klägers nach dessen Angaben von einem so genannten Computerabsturz betroffen war, als dessen Folge die gespeicherten Behandlungsdaten nicht mehr hätten abgerufen werden können. Gerade auch in einem solchen Falle hätte sich der Kläger in besonderem Maße um eine Datenrettung durch Fachkräfte bemühen müssen, statt die möglicherweise noch vorhandenen, wenn auch nicht mehr abrufbaren Daten unwiederbringlich zu zerstören.

An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts dadurch, dass sich der Kläger zum damaligen Zeitpunkt nach eigenen Angaben in einer schwerwiegenden Lebenskrise befand, die insbesondere durch den ihn sehr belastenden Streit über das Sorgerecht für seinen Sohn ausgelöst worden war. Eine solche Lebenskrise mag für die Feststellung der Schwere eines etwaigen Verschuldens des Klägers von Bedeutung sein, doch für die Zulassungsentziehung ist das Verschulden des Vertragspsychotherapeuten nicht von Belang. Maßgebend ist allein die gröbliche Pflichtverletzung, wenn sie nach objektiven Maßstäben geeignet ist, den oben genannten durchgreifenden Vertrauensverlust der vertragsärztlichen Stellen zu begründen. Eine subjektive Vorwerfbarkeit ist hingegen nicht erforderlich. Denn die Zulassungsentziehung stellt sich nicht als strafende Sanktion im Hinblick auf vergangenes Fehlverhalten dar, sondern sie ist dann vorzunehmen, wenn die begangenen gröblichen Pflichtverletzungen die Prognose rechtfertigen, der Vertragspsychotherapeut werde sich auch künftig pflichtwidrig verhalten (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juli 2006, B 6 KA 1/06 R, juris-Dokument Randnummer 18). Eine solche negative Prognose ist vorliegend zu stellen, denn das Verhalten des Klägers in einer zurückliegenden, ihn psychisch besonders belastenden Situation legt den Schluss nahe, er werde in vergleichbaren Lebenslagen auch künftig pflichtwidrig handeln.

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Verhalten des Klägers während des Verfahrens der Zulassungsentziehung. So hat er insbesondere durch die zögernde und weitgehend unvollständige Beantwortung der schriftlichen Fragen des Zulassungsausschusses nicht nur nicht zu einer zügigen Klärung des Sachverhalts beigetragen, sondern diese sogar erschwert. Hierbei kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, er habe nicht gewusst, dass er zu einer Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet gewesen sei, wie ihm auch zuvor schon nicht bewusst gewesen sei, dass er die Abrechnungen nicht in der vorgenommenen Art und Weise habe tätigen dürfen. Auch wenn das Fehlverhalten des Klägers auf Unkenntnis (mit)beruht haben sollte, ändert dies weder etwas an den vorliegenden schwerwiegenden Pflichtenverstößen noch an der sich hierauf gründenden Prognose für die Zukunft, denn der Kläger erscheint auch weiterhin als in erheblichem Maße unzuverlässig.

Schließlich ergibt sich eine andere Bewertung auch nicht aus dem Zeitablauf zwischen der Zulassungsentziehung einerseits und der vorliegenden Entscheidung des Senats andererseits. Zwar ist bei Zulassungsentziehungen, die nicht für sofort vollziehbar erklärt worden sind – insbesondere wegen der Bedeutung dieser Maßnahme für das Grundrecht des Psychotherapeuten auf Berufswahlfreiheit gemäß Art. 12 Absatz 1 GG – zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit durch das Gericht stets auch zu prüfen, ob sich die Sachlage währen des Prozesses zu Gunsten des Psychotherapeuten in einer Weise geändert hat, die eine Entziehung der Zulassung nicht mehr als angemessen erscheinen lässt; dies gilt in besonderem Maße bei überlanger Verfahrensdauer (BSG, Urteil vom 19. Juli 2006, B 6 KA 1/06 R, juris-Dokument Randnummer 16 mit weiteren Nachweisen). Jedoch wurde die vorliegend streitbefangene Zulassungsentziehung jedenfalls seit dem Ende des Jahres 2003 auch tatsächlich vollzogen. Ein davor liegender, nur wenige Monate umfassender Zeitraum zwischen der Zulassungsentziehung und ihrem Vollzug fällt ebenso wenig ins Gewicht wie die Dauer des Gerichtsverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Absatz 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved