Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 162/04
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 1/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind sämtliche Bruttoeinnahmen des dort genannten Personenkreises bei der Ermittlung der Belastungsgrenze zu berücksichtigen.
Dies gilt auch, wenn diese zwar privat versichert sind, deren private Versicherung aber Zuzahlungen vorzieht, die den Zuzahlungen der GKV gleichen.
Dies gilt auch, wenn diese zwar privat versichert sind, deren private Versicherung aber Zuzahlungen vorzieht, die den Zuzahlungen der GKV gleichen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 9. November 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Klägerin Zuzahlungen zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen hat. Dabei geht es um die Höhe der Belastungsgrenze.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert, seit 1994 im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Ihr Ehemann war früher Postbeamter, ist nun pensioniert und bei der Postbeamtenkrankenkasse gegen Krankheit versichert. Im Hinblick auf die Änderungen der Zuzahlungsregelungen zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum 1. Januar 2004 fragte die Klägerin bei der Beklagten an, wie sich die Belastungsgrenze für die Zuzahlungen in der Krankenversicherung angesichts der Tatsache errechne, dass ihr Ehemann privat gegen Krankheit versichert sei. Mit Bescheid vom 2. März 2004 teilte die Beklagte ihr mit, bei der Berechnung des Familieneinkommens im Sinne des § 62 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) werde bei Ehepaaren das gemeinsame Einkommen angerechnet, unabhängig davon, ob beide Partner in der GKV versichert seien. Bei der Prüfung, ob die Belastungsgrenze überschritten werde, würden die gesetzlichen Zuzahlungen beider Partner angerechnet. Die Postbeamtenkrankenkasse sei keine gesetzliche Krankenkasse, sondern eine private Krankenversicherung und könne daher keine gesetzlichen Zuzahlungen erheben. Daher könnten etwaige dortige Eigenbeteiligungen auf die Zuzahlungen nicht angerechnet werden, auch wenn sie von den Beträgen her denen der GKV glichen. Dagegen legte die Klägerin am 30. März 2004 Widerspruch ein, mit dem sie ausführte, die Postbeamtenkrankenkasse sei eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und eine Sozialeinrichtung der früheren Deutschen Bundespost. Daher sei sie mit einer privaten Krankenversicherung nicht vergleichbar. Mit Wirkung vom 1. Ja¬nuar 2004 habe sie die Zuzahlungsregelungen denen der gesetzlichen Krankenversicherung angeglichen, wobei allerdings das Ehegatteneinkommen nicht berücksichtigt werde, wenn dieser Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Ihr Ehemann habe Versorgungsbezüge und eine gesetzliche Altersrente von insgesamt 23.943,00 EUR jährlich, sie jährliche Rentenbezüge in Höhe von 15.212,00 EUR. Es ergebe sich daraus für sie eine Eigenbeteiligung in Höhe von 696,00 EUR und für ihren Ehemann in Höhe von 479,00 EUR, insgesamt 1.175,00 EUR jährlich. Dies entspreche einer Gesamtbelastung von 3 % des Jahreseinkommens. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2004 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Zuzahlungen seien von den Versicherten bis zur Belastungsgrenze zu leisten, die bei 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt liege, bei chronisch Kranken bei 1 %. Bei der Ermittlung der Belastungsgrenze würden die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen und des Lebenspartners jeweils zusammengerechnet. Für den ersten Angehörigen des Versicherten seien die Bruttoeinnahmen um 15 % der jährlichen Bezugsgröße, die 2004 28.980,00 EUR betragen habe, zu mindern. Diese Regelung sei gesetzlich vorgesehen, der Gesetzeswortlaut eindeutig.
Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 22. Juni 2004 beim Sozialgericht Itzehoe Klage erhoben, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, die Postbeamtenkrankenkasse, bei der ihr Ehemann als ehemaliger Beamter des mittleren Dienstes pflichtversichert sei, sei zwar eine private Krankenversicherung, jedoch erhebe sie wie die gesetzlichen Krankenkassen seit dem 1. Januar 2004 Zuzahlungen. Sie hat eine Zuzahlungsgrenze für
ihren Mann in Höhe von 3 % und für sich in Höhe von 4,5 % errechnet.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu ver- urteilen, ihre Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 2 SGB V allein nach ihren Einnahmen zu berechnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 9. November 2005 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe ein Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn die Zuzahlungen erst in der Zukunft zu leisten seien, denn sie habe ein Rechtsinteresse daran, zu wissen, in welcher Höhe sie belastet werde. Außerdem liege eine belastende Verwaltungsentscheidung vor. Die Beklagte gehe zu Recht bei der Belastungsgrenze von dem Einkommen beider Ehegatten aus. Dies entspreche dem Gesetzeswortlaut des § 62 Abs. 2 SGB V. Das Begehren der Klägerin, die Belastungsgrenze allein an ihrem Einkommen auszurichten, widerspreche dem Gesetzeswortlaut. Die Klägerin übersehe, dass die Postbeamtenkrankenkasse keine Krankenkasse der GKV sei. Dabei sei unmaßgeblich, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts strukturiert sei. Denn die gesetzlichen Krankenkassen seien abschließend in § 4 Abs. 2 SGB V genannt; dort sei die Postbeamtenkrankenkasse nicht aufgeführt. § 62 Abs. 2 SGB V differenziere bei den Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt nicht zwischen Mitgliedern der GKV und anderen Personen, die in der GKV nicht versichert seien. Vielmehr solle die Zuzahlungsregelung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familie bzw. Bedarfsgemeinschaft berücksichtigen. Es könne offen bleiben, ob bei dieser Berechnungsweise die vom Ehegatten geleisteten Zuzahlungen an die Beihilfe im Rahmen der Belastungen zu subtrahieren seien, da die Klägerin insoweit ausdrücklich keine Entscheidung begehrt habe. Die Zulässigkeit der Berechnungsweise sei höchstrichterlich (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002, B 1 KR 20/00 R) entschieden worden.
Gegen die ihr am 19. November 2005 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 29. November 2005 beim Schleswig-Holstei¬nischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, ebenso wie nur ihre Belastungen bei den Zuzahlungen berücksichtigt werden könnten, sei auch nur ihr Einkommen bei der Belastungsgrenze anrechenbar. Sie verweist erneut darauf, dass die Postbeamtenkrankenkasse ihren Zuzahlungskatalog dem der GKV zum 1. Januar 2004 angepasst habe, und die Beihilfe nicht mehr erstatte als die gesetzlichen Krankenkassen. Sofern – wie das Sozialgericht ausgeführt habe – die Postbeamtenkrankenkasse nicht in § 4 Abs. 2 SGB V genannt sei, müsse sie dort durch den Gesetzgeber aufgenommen werden. Das Sozialgericht habe sich zu Unrecht auf die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung gestützt, denn diese beziehe sich auf die alte Rechtslage, die bis zum 31. Dezember 2003 bestanden habe.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 9. No- vember 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 4. Juni 2004 aufzuheben und die Be- klagte zu verpflichten, bei der Berechnung der Belastungsgrenze für die Zuzahlungen nach § 62
Abs. 2 SGB V allein ihr eigenes Einkommen anzu- rechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an der in den angefochtenen Bescheiden geäußerten Rechtsauffassung fest.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Verfahrensakte vorgelegen. Zur Ergänzung wird darauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Lage der Akten entscheiden. Die Beteiligten sind in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. In dem auf den 13. De¬zember 2006 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung ist keiner von ihnen erschienen.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass das Einkommen ihres Ehemannes im Rahmen der Zuzahlung unberücksichtigt bleibt.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Zulässigkeit der Klage angenommen. Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur für eine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert. Denn mit Eintritt deren Bestandskraft gemäß § 39 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) und § 77 SGG würde die Berechnungsweise der Beklagten unabhängig von der materiellen Rechtslage wirksam. Allerdings bedürfte es nicht der Verurteilung der Beklagten, eine andere Berechnungsweise vorzunehmen; es bedürfte nicht eines Leistungsausspruchs nach § 54 Abs. 5 SGG. Denn mit Aufhebung der angefochtenen Bescheide träte die materielle Rechtslage nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des Senats in Kraft.
Die Entscheidung der Beklagten, das Einkommen des Ehemannes der Klägerin bei der Berechnung der Belastungsgrenze zu berücksichtigen, ist nicht zu beanstanden. Sie steht mit § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V im Einklang. In der Fassung des Art. 1 Nr. 40 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 14. November 2003 (BGBl. I, S. 2190), die mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in Kraft trat, sind bei der Ermittlung der Belastungsgrenze für die Zuzahlungen nach Abs. 1 die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners jeweils zusammenzurechnen. In den folgenden Vorschriften sind für die Familienangehörigen Minderungsbeträge genannt und bestimmte Einnahmen von der Anrechnung aus sozialen Gründen ausgenommen. Das Einkommen des Ehegatten ist in diesen Ausnahmevorschriften nicht genannt. Die Beklagte hat § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V angewandt. Dies ist – auch unter verfassungsrechtlichen Gründen – nicht zu beanstanden.
Der Wortlaut des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V verlangt bei der Ermittlung der Belastungsgrenze ausdrücklich die Berücksichtigung sämtlicher Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Angehörigen sowie des Lebenspartners, sofern sie im gemeinsamen Haushalt leben. Dieser Wortlaut ist eindeutig und erlaubt keine abweichende Interpretation. Insbesondere nimmt er keine Unterscheidung zwischen Angehörigen vor, die in der GKV oder privat krankenversichert sind. Dies hat das BSG bereits mit Urteil vom 19. Februar 2002 (B 1 KR 20/00 R) entschieden. Die Entscheidung erging zwar noch zu dem alten, bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Recht, das auf der Grundlage des Gesetzes vom 23. Juni 1997 basierte und seitdem mehrfach geändert worden war. Die alte Befreiungsregelung hatte gegenüber der Neufassung ab 2004 eine anders geartete Struk¬tur. Nach dem alten Recht waren im gesamten Gesetz bestimmte Zuzahlungsregelungen enthalten. In den §§ 61 und 62 SGB V wurden Härtefälle gebildet, die zu einer vollständigen (§ 61) oder einer anteiligen Befreiung (§ 62) von den Zuzahlungen führten. Demgegenüber sieht das neue, ab 1. Januar 2004 geltende Recht keine Härtefallregelungen mehr vor, sondern nur noch die einheitliche Zuzahlungsregelung des § 61 SGB V und die Regelung über die Belastungsgrenze in § 62 SGB V. Die zum 1. Januar 2004 vorgenommene Rechtsänderung führt aber nicht dazu, dass die vom BSG im Urteil vom 19. Februar 2002 aufgestellten Grundsätze nicht mehr gelten, denn die Anrechnung des Ehegatten- und Familieneinkommens und die Beschränkung der Belastungsgrenze auf Zuzahlungen im eigentlichen Sinne war auch im alten Recht vorgesehen und lag der Entscheidung des BSG zu Grunde. § 62 Abs. 3 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung verwies auf § 61 Abs. 3 und 5 SGB V. Nach § 61 Abs. 3 galten als Einnahmen zum Lebensunterhalt der Versicherten auch die Einnahmen anderer in dem gemeinsamen Haushalt lebender Angehöriger und Angehöriger des Lebenspartners. Dies galt somit auch bei der Ermittlung der Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 2 SGB V a. F. Diese Regelung ist nunmehr in § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V n. F. einheitlich übernommen worden.
Der Senat folgt der Rechtsauffassung des BSG in der vorgenannten Entscheidung, dass die Einbeziehung auch solcher Einkünfte, die nicht im Versicherungsrahmen der GKV erzielt werden, verfassungsgemäß ist. Allerdings ist das BSG auf der Grundlage der alten Rechtslage davon ausgegangen, dass die §§ 61, 62 SGB V a. F. noch eine Härtefallregelung enthielten. Zwar ist dies nach der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung nicht mehr der Fall, dies führt aber nicht dazu, dass bei insoweit gleichem Wortlaut eine andere Rechtslage des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzunehmen wäre. Denn die Belastbarkeit des Versicherten ist durch die Gesamtheit der Familieneinnahmen unabhängig von deren Herkunftsart geprägt. Es könnten andererseits Ungleichbehandlungen auftreten, wenn nur die im Rahmen der GKV erzielten Einnahmen berücksichtigt würden, andere Einnahmen dagegen nicht; deren Abgrenzung wäre schwierig. Daher ist auch nach dem neuen Recht nicht zu beanstanden, dass das Ehegatteneinkommen bei der Bemessung der Belastungsgrenze berücksichtigt wird.
Die Klägerin macht zu Unrecht einen atypischen Fall geltend, indem sie darauf hinweist, dass auch die Postbeamtenkrankenkasse Zuzahlungen erhebt, die ihrerseits bei dem Erreichen der Belastungsgrenze nicht berücksichtigungsfähig seien. Dieser Ansatz lässt bereits unberücksichtigt, dass es hier um die Bemessung der Belastungsgrenze geht, also um die Frage der Anrechnung des Familieneinkommens; die andere Frage, ob die Belastungsgrenze durch bereits erfolgte Zuzahlungen – auch durch die des Ehegatten – erreicht wird, ist hier nicht im Streit. Ferner hat bereits das BSG in dem Urteil vom 19. Februar 2002 darauf hingewiesen, dass Zuzahlungen im Sinne des (jetzt) § 62 Abs. 2 SGB V nur solche im Sinne der GKV sind, nicht aber Belastungen durch Aufwendungen für Krankenbehandlungen im Rahmen einer privaten Versicherung. Diese Abgrenzung ist grundsätzlich sachgerecht. Die GKV und die private Krankenversicherung sind getrennte Krankenversicherungssysteme, deren Regelungen nicht miteinander verknüpft werden können. Anderenfalls würde sich das Abgrenzungsproblem stellen, dass auch andere gesundheitsbedingte Belastungen bzw. Aufwendungen im Rahmen des § 62 SGB V herangezogen werden müssten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 19. Februar 2002 besteht kein Grund im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Klägerin Zuzahlungen zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen hat. Dabei geht es um die Höhe der Belastungsgrenze.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert, seit 1994 im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Ihr Ehemann war früher Postbeamter, ist nun pensioniert und bei der Postbeamtenkrankenkasse gegen Krankheit versichert. Im Hinblick auf die Änderungen der Zuzahlungsregelungen zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum 1. Januar 2004 fragte die Klägerin bei der Beklagten an, wie sich die Belastungsgrenze für die Zuzahlungen in der Krankenversicherung angesichts der Tatsache errechne, dass ihr Ehemann privat gegen Krankheit versichert sei. Mit Bescheid vom 2. März 2004 teilte die Beklagte ihr mit, bei der Berechnung des Familieneinkommens im Sinne des § 62 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) werde bei Ehepaaren das gemeinsame Einkommen angerechnet, unabhängig davon, ob beide Partner in der GKV versichert seien. Bei der Prüfung, ob die Belastungsgrenze überschritten werde, würden die gesetzlichen Zuzahlungen beider Partner angerechnet. Die Postbeamtenkrankenkasse sei keine gesetzliche Krankenkasse, sondern eine private Krankenversicherung und könne daher keine gesetzlichen Zuzahlungen erheben. Daher könnten etwaige dortige Eigenbeteiligungen auf die Zuzahlungen nicht angerechnet werden, auch wenn sie von den Beträgen her denen der GKV glichen. Dagegen legte die Klägerin am 30. März 2004 Widerspruch ein, mit dem sie ausführte, die Postbeamtenkrankenkasse sei eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und eine Sozialeinrichtung der früheren Deutschen Bundespost. Daher sei sie mit einer privaten Krankenversicherung nicht vergleichbar. Mit Wirkung vom 1. Ja¬nuar 2004 habe sie die Zuzahlungsregelungen denen der gesetzlichen Krankenversicherung angeglichen, wobei allerdings das Ehegatteneinkommen nicht berücksichtigt werde, wenn dieser Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Ihr Ehemann habe Versorgungsbezüge und eine gesetzliche Altersrente von insgesamt 23.943,00 EUR jährlich, sie jährliche Rentenbezüge in Höhe von 15.212,00 EUR. Es ergebe sich daraus für sie eine Eigenbeteiligung in Höhe von 696,00 EUR und für ihren Ehemann in Höhe von 479,00 EUR, insgesamt 1.175,00 EUR jährlich. Dies entspreche einer Gesamtbelastung von 3 % des Jahreseinkommens. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2004 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, Zuzahlungen seien von den Versicherten bis zur Belastungsgrenze zu leisten, die bei 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt liege, bei chronisch Kranken bei 1 %. Bei der Ermittlung der Belastungsgrenze würden die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen und des Lebenspartners jeweils zusammengerechnet. Für den ersten Angehörigen des Versicherten seien die Bruttoeinnahmen um 15 % der jährlichen Bezugsgröße, die 2004 28.980,00 EUR betragen habe, zu mindern. Diese Regelung sei gesetzlich vorgesehen, der Gesetzeswortlaut eindeutig.
Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 22. Juni 2004 beim Sozialgericht Itzehoe Klage erhoben, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, die Postbeamtenkrankenkasse, bei der ihr Ehemann als ehemaliger Beamter des mittleren Dienstes pflichtversichert sei, sei zwar eine private Krankenversicherung, jedoch erhebe sie wie die gesetzlichen Krankenkassen seit dem 1. Januar 2004 Zuzahlungen. Sie hat eine Zuzahlungsgrenze für
ihren Mann in Höhe von 3 % und für sich in Höhe von 4,5 % errechnet.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu ver- urteilen, ihre Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 2 SGB V allein nach ihren Einnahmen zu berechnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 9. November 2005 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe ein Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn die Zuzahlungen erst in der Zukunft zu leisten seien, denn sie habe ein Rechtsinteresse daran, zu wissen, in welcher Höhe sie belastet werde. Außerdem liege eine belastende Verwaltungsentscheidung vor. Die Beklagte gehe zu Recht bei der Belastungsgrenze von dem Einkommen beider Ehegatten aus. Dies entspreche dem Gesetzeswortlaut des § 62 Abs. 2 SGB V. Das Begehren der Klägerin, die Belastungsgrenze allein an ihrem Einkommen auszurichten, widerspreche dem Gesetzeswortlaut. Die Klägerin übersehe, dass die Postbeamtenkrankenkasse keine Krankenkasse der GKV sei. Dabei sei unmaßgeblich, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts strukturiert sei. Denn die gesetzlichen Krankenkassen seien abschließend in § 4 Abs. 2 SGB V genannt; dort sei die Postbeamtenkrankenkasse nicht aufgeführt. § 62 Abs. 2 SGB V differenziere bei den Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt nicht zwischen Mitgliedern der GKV und anderen Personen, die in der GKV nicht versichert seien. Vielmehr solle die Zuzahlungsregelung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familie bzw. Bedarfsgemeinschaft berücksichtigen. Es könne offen bleiben, ob bei dieser Berechnungsweise die vom Ehegatten geleisteten Zuzahlungen an die Beihilfe im Rahmen der Belastungen zu subtrahieren seien, da die Klägerin insoweit ausdrücklich keine Entscheidung begehrt habe. Die Zulässigkeit der Berechnungsweise sei höchstrichterlich (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002, B 1 KR 20/00 R) entschieden worden.
Gegen die ihr am 19. November 2005 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 29. November 2005 beim Schleswig-Holstei¬nischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, ebenso wie nur ihre Belastungen bei den Zuzahlungen berücksichtigt werden könnten, sei auch nur ihr Einkommen bei der Belastungsgrenze anrechenbar. Sie verweist erneut darauf, dass die Postbeamtenkrankenkasse ihren Zuzahlungskatalog dem der GKV zum 1. Januar 2004 angepasst habe, und die Beihilfe nicht mehr erstatte als die gesetzlichen Krankenkassen. Sofern – wie das Sozialgericht ausgeführt habe – die Postbeamtenkrankenkasse nicht in § 4 Abs. 2 SGB V genannt sei, müsse sie dort durch den Gesetzgeber aufgenommen werden. Das Sozialgericht habe sich zu Unrecht auf die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung gestützt, denn diese beziehe sich auf die alte Rechtslage, die bis zum 31. Dezember 2003 bestanden habe.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 9. No- vember 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 4. Juni 2004 aufzuheben und die Be- klagte zu verpflichten, bei der Berechnung der Belastungsgrenze für die Zuzahlungen nach § 62
Abs. 2 SGB V allein ihr eigenes Einkommen anzu- rechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an der in den angefochtenen Bescheiden geäußerten Rechtsauffassung fest.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Verfahrensakte vorgelegen. Zur Ergänzung wird darauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Lage der Akten entscheiden. Die Beteiligten sind in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. In dem auf den 13. De¬zember 2006 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung ist keiner von ihnen erschienen.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass das Einkommen ihres Ehemannes im Rahmen der Zuzahlung unberücksichtigt bleibt.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Zulässigkeit der Klage angenommen. Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur für eine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert. Denn mit Eintritt deren Bestandskraft gemäß § 39 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) und § 77 SGG würde die Berechnungsweise der Beklagten unabhängig von der materiellen Rechtslage wirksam. Allerdings bedürfte es nicht der Verurteilung der Beklagten, eine andere Berechnungsweise vorzunehmen; es bedürfte nicht eines Leistungsausspruchs nach § 54 Abs. 5 SGG. Denn mit Aufhebung der angefochtenen Bescheide träte die materielle Rechtslage nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des Senats in Kraft.
Die Entscheidung der Beklagten, das Einkommen des Ehemannes der Klägerin bei der Berechnung der Belastungsgrenze zu berücksichtigen, ist nicht zu beanstanden. Sie steht mit § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V im Einklang. In der Fassung des Art. 1 Nr. 40 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 14. November 2003 (BGBl. I, S. 2190), die mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in Kraft trat, sind bei der Ermittlung der Belastungsgrenze für die Zuzahlungen nach Abs. 1 die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen des Versicherten und des Lebenspartners jeweils zusammenzurechnen. In den folgenden Vorschriften sind für die Familienangehörigen Minderungsbeträge genannt und bestimmte Einnahmen von der Anrechnung aus sozialen Gründen ausgenommen. Das Einkommen des Ehegatten ist in diesen Ausnahmevorschriften nicht genannt. Die Beklagte hat § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V angewandt. Dies ist – auch unter verfassungsrechtlichen Gründen – nicht zu beanstanden.
Der Wortlaut des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V verlangt bei der Ermittlung der Belastungsgrenze ausdrücklich die Berücksichtigung sämtlicher Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Angehörigen sowie des Lebenspartners, sofern sie im gemeinsamen Haushalt leben. Dieser Wortlaut ist eindeutig und erlaubt keine abweichende Interpretation. Insbesondere nimmt er keine Unterscheidung zwischen Angehörigen vor, die in der GKV oder privat krankenversichert sind. Dies hat das BSG bereits mit Urteil vom 19. Februar 2002 (B 1 KR 20/00 R) entschieden. Die Entscheidung erging zwar noch zu dem alten, bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Recht, das auf der Grundlage des Gesetzes vom 23. Juni 1997 basierte und seitdem mehrfach geändert worden war. Die alte Befreiungsregelung hatte gegenüber der Neufassung ab 2004 eine anders geartete Struk¬tur. Nach dem alten Recht waren im gesamten Gesetz bestimmte Zuzahlungsregelungen enthalten. In den §§ 61 und 62 SGB V wurden Härtefälle gebildet, die zu einer vollständigen (§ 61) oder einer anteiligen Befreiung (§ 62) von den Zuzahlungen führten. Demgegenüber sieht das neue, ab 1. Januar 2004 geltende Recht keine Härtefallregelungen mehr vor, sondern nur noch die einheitliche Zuzahlungsregelung des § 61 SGB V und die Regelung über die Belastungsgrenze in § 62 SGB V. Die zum 1. Januar 2004 vorgenommene Rechtsänderung führt aber nicht dazu, dass die vom BSG im Urteil vom 19. Februar 2002 aufgestellten Grundsätze nicht mehr gelten, denn die Anrechnung des Ehegatten- und Familieneinkommens und die Beschränkung der Belastungsgrenze auf Zuzahlungen im eigentlichen Sinne war auch im alten Recht vorgesehen und lag der Entscheidung des BSG zu Grunde. § 62 Abs. 3 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung verwies auf § 61 Abs. 3 und 5 SGB V. Nach § 61 Abs. 3 galten als Einnahmen zum Lebensunterhalt der Versicherten auch die Einnahmen anderer in dem gemeinsamen Haushalt lebender Angehöriger und Angehöriger des Lebenspartners. Dies galt somit auch bei der Ermittlung der Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 2 SGB V a. F. Diese Regelung ist nunmehr in § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V n. F. einheitlich übernommen worden.
Der Senat folgt der Rechtsauffassung des BSG in der vorgenannten Entscheidung, dass die Einbeziehung auch solcher Einkünfte, die nicht im Versicherungsrahmen der GKV erzielt werden, verfassungsgemäß ist. Allerdings ist das BSG auf der Grundlage der alten Rechtslage davon ausgegangen, dass die §§ 61, 62 SGB V a. F. noch eine Härtefallregelung enthielten. Zwar ist dies nach der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung nicht mehr der Fall, dies führt aber nicht dazu, dass bei insoweit gleichem Wortlaut eine andere Rechtslage des § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzunehmen wäre. Denn die Belastbarkeit des Versicherten ist durch die Gesamtheit der Familieneinnahmen unabhängig von deren Herkunftsart geprägt. Es könnten andererseits Ungleichbehandlungen auftreten, wenn nur die im Rahmen der GKV erzielten Einnahmen berücksichtigt würden, andere Einnahmen dagegen nicht; deren Abgrenzung wäre schwierig. Daher ist auch nach dem neuen Recht nicht zu beanstanden, dass das Ehegatteneinkommen bei der Bemessung der Belastungsgrenze berücksichtigt wird.
Die Klägerin macht zu Unrecht einen atypischen Fall geltend, indem sie darauf hinweist, dass auch die Postbeamtenkrankenkasse Zuzahlungen erhebt, die ihrerseits bei dem Erreichen der Belastungsgrenze nicht berücksichtigungsfähig seien. Dieser Ansatz lässt bereits unberücksichtigt, dass es hier um die Bemessung der Belastungsgrenze geht, also um die Frage der Anrechnung des Familieneinkommens; die andere Frage, ob die Belastungsgrenze durch bereits erfolgte Zuzahlungen – auch durch die des Ehegatten – erreicht wird, ist hier nicht im Streit. Ferner hat bereits das BSG in dem Urteil vom 19. Februar 2002 darauf hingewiesen, dass Zuzahlungen im Sinne des (jetzt) § 62 Abs. 2 SGB V nur solche im Sinne der GKV sind, nicht aber Belastungen durch Aufwendungen für Krankenbehandlungen im Rahmen einer privaten Versicherung. Diese Abgrenzung ist grundsätzlich sachgerecht. Die GKV und die private Krankenversicherung sind getrennte Krankenversicherungssysteme, deren Regelungen nicht miteinander verknüpft werden können. Anderenfalls würde sich das Abgrenzungsproblem stellen, dass auch andere gesundheitsbedingte Belastungen bzw. Aufwendungen im Rahmen des § 62 SGB V herangezogen werden müssten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 19. Februar 2002 besteht kein Grund im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision.
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