L 15 B 74/06 SO PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 46/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 74/06 SO PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2006 geändert. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen gewährt und Rechtsanwalt J A, D Str., B beigeordnet, soweit sie die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung eines um arbeitstäglich 2,58 EUR höheren Regelsatzes begehrt hat.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1985 geborene Antragstellerin, bei der ein Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – SGB IX – von 100 sowie die Voraussetzungen für die Merkzeichen a.G, H, RF,B und T anerkannt sind, erhält vom Antragsgegner seit Januar 2003 laufende Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz bzw. nach dem 4. und 6. Kapitel des SGB XII (Grundsicherung und Eingliederungshilfe für Behinderte). Sie besucht den Förderbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen und nimmt dort an der kostenfreien Gemeinschaftsverpflegung (Mittagessen) teil. Mit Bescheid vom 27.Mai 2005 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2005, wobei er den Regelsatz einer Haushaltsangehörigen zugrunde gelegt und dabei das kostenlose Mittagessen "zur Vermeidung einer Doppelleistung" und unter Hinweis auf § 42 Satz 1 Ziffer 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bedarfsmindernd mit arbeitstäglich 2,58 EUR berücksichtigt hat. Der dagegen gerichteten Widerspruch, mit dem die Antragstellerin den vollen Regelsatz einer Alleinstehenden in Höhe von 345,- EUR begehrt hat, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2005). Die am 11. Januar 2006 erhobene Klage, mit der die Antragstellerin ihr Begehren weiterverfolgt, ist noch anhängig. Ihren zugleich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 27. Mai 2006 abgelehnt. Die Antragstellerin könne nach § 3 der Regelsatz-Verordnung nicht den Regelsatz einer Alleinstehenden bzw. eines Haushaltsvorstandes beanspruchen, denn sie lebe in Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern. Die bedarfsmindernde Berücksichtigung des kostenlosen Mittagessens sei dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden. Wegen der mangelnden Erfolgsaussichten des Eilantrages komme die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht. Mit ihrer am 18. April 2006 bei Gericht eingegangenen Beschwerde wendet sich die Antragstellerin ausdrücklich nur gegen die Ablehnung des PKH-Antrages, dem jedenfalls wegen der unklaren Sach- und Rechtslage zu entsprechen gewesen sei.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, denn insoweit sind sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt (§ 73a Sozialgerichtsgesetz – SGG – i. V. m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung – ZPO –). Die Antragstellerin kann die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen, da sie ihren Lebensunterhalt nur aus den laufenden Leistungen der Grundsicherung bestreitet, die Vertretung durch einen Rechtsanwalt war angesichts der komplexen Sach- und Rechtslage erforderlich, und die Rechtsverfolgung bot im besonderen jedenfalls hinsichtlich der streitigen Regelsatzkürzung auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Antragstellerin hat im vorliegenden Verfahren und auch weiterhin im Klagewege im Ansatz zutreffend beanstandet, dass der Antragsgegner bei der Bewilligung der Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab Januar 2005 das Mittagessen bedarfsmindernd mit arbeitstäglich 2,58 EUR berücksichtigt hat. Dies führt dazu, dass der für sie zugrunde gelegte Regelsatz von monatlich 276,- EUR um durchschnittlich 54,18 EUR (bei 21 Arbeitstagen) "gekürzt" wird. Dieser Betrag, den der Antragsgegner aufgrund des von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz erlassenen Rundschreibens I Nr. 40/2004 vom 22. Dezember 2004 in Ansatz gebracht hat, dürfte entgegen der Auffassung des Sozialgerichts jedenfalls zu hoch angesetzt sein. Soweit das Gericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, dass der so bemessene Wert in nicht zu beanstandender Weise aus § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über den Wert der Sachbezüge in der Sozialversicherung vom 19. Dezember 1994 (BGBl. I S. 3849) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 22. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2663) abgeleitet worden sei – danach beträgt der Wert eines kostenlos zur Verfügung gestellten Mittagessens monatlich 78,25 EUR -, ist darauf hinzuweisen, dass bei der zur Begründung der streitigen Regelsatzkürzung herangezogenen Feststellung eines abweichenden Bedarfes gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht auf den Wert des erhaltenen Sachbezuges abgestellt werden kann, sondern der Wert des hierdurch gedeckten Bedarfes im Rahmen des sozialhilferechtlich maßgebenden Regelsatzes ausschlaggebend sein dürfte. Diesen Bedarfsanteil haben der Antragsgegner und das Sozialgericht aber bisher nicht ermittelt (vgl. hierzu ausführlich das Urteil des 23. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 28. September 2006 – L 23 SO 1094/05 – , zur Veröffentlichung in Juris vorgesehen; bei dem dort maßgeblichen Regelsatz von monatlich 331,- EUR hat das Gericht eine anderweitige Bedarfsdeckung durch die Teilnahme am Gemeinschaftsessen der Behindertenwerkstatt i. H. v. 35,40 EUR angenommen). Im Übrigen könnte unter dem Gesichtspunkt, dass Sinn und Zweck der Übernahme der Verpflegungskosten in der Werkstatt für behinderte Menschen sich nicht auf den bloßen Nährwert des Essens beschränken, sondern das integrative Moment der gemeinsamen Mahlzeit als eigenständige Eingliederungsleistung umfassen dürften, prüfungsbedürftig erscheinen, ob es sich bei der Teilnahme der Antragstellerin am kostenlos angebotenen Mittagessen in der Werkstatt ohne Kürzung des Regelsatzes – wie bei der früheren Leistungsgewährung bis einschließlich Dezember 2004 praktiziert – tatsächlich um eine dem Sozialhilferecht widersprechende doppelte Bedarfsdeckung handelt, die eine Identität der Bedarfstatbestände voraussetzen dürfte. Dies alles wirft – unabhängig vom offenen Ergebnis – durchaus schwierige Rechtsfragen auf, die die Beiordnung des von der Antragstellerin benannten Rechtsanwaltes zur Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren rechtfertigt. Bezüglich ihres weiteren Begehrens, Grundsicherung unter Zugrundelegung des Regelsatzes einer Alleinstehenden zu erhalten, hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe allerdings zu Recht wegen fehlender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt. Auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss wird Bezug genommen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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