L 7 AS 203/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AS 447/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 203/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11b AS 5/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte aufgelaufene Stromkosten der Kläger als Darlehen zu übernehmen hat.

Seit 01.01.2005 beziehen der 1950 geborene Kläger zu 1), der mit seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2), in Bedarfsgemeinschaft lebt, Arbeitslosengeld II (Alg II). Am 10.05.2006 beantragten die Kläger bei der Beklagten telefonisch die Übernahme von Stromkosten bzw. die Gewährung eines entsprechenden Darlehens, weil ihnen am Nachmittag der Strom gesperrt worden sei. Die Kläger hatten dem Stromversorger zuletzt am 20.04.2005 eine monatliche Abschlagszahlung in Höhe von 230 EUR geleistet. Die Stromversorgung wurde am 21.06.2006 wieder freigeschaltet, nachdem die Kläger zugesagt hatten, einen Betrag von 100 EUR an den Stromversorger zu zahlen. Bis zur Stromabschaltung hatten die offenen Kosten 2.254,98 EUR betragen. Am 16.05.2006 teilte der Stromversorger der Beklagten mit, dass er die Stromlieferung auch bei einer nur siebzigprozentigen Zahlung (d.h. 1.579 EUR) wieder aufgenommen hätte. Eine Sperrung der Stromversorgung wäre vermeidbar gewesen, wenn die Kläger im Vorfeld Angebote für Teilzahlungen oder Ratenabwicklung gemacht hätten.

Mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatten die Kläger vor dem Sozialgericht Augsburg (SG) geltend gemacht, die Klägerin zu 2) sei wegen einer Diabeteserkrankung auf gekühlte Lebensmittel bzw. gekühlte Insulin-Injektionen angewiesen. Die Beklagte holte am 18.05.2006 telefonisch die Auskunft einer Apotheke ein. Danach muss nicht die gesamte Menge des verordneten Insulins abgeholt werden. Es bestehe die Möglichkeit, nur die jeweils benötigte Menge abzuholen. Eine Kühlung sei nur erforderlich, wenn das Insulin für längere Zeit auf Vorrat gelagert werde.

Mit Bescheid vom 18.05.2006 lehnte die Beklagte die Übernahme der rückständigen Stromkosten mit der Begründung ab, die Kläger hätten, obwohl sie laufend Alg II erhalten hätten, die Stromkosten nicht bezahlt, lediglich am 20.04.2005 hätten sie 230 EUR geleistet. Es ergebe sich die Prognose, dass auch künftig die Stromkosten nicht bezahlt würden. Nach Abwägung der Belange der Allgemeinheit unter dem Gesichtspunkt einer sparsamen und effektiven Verwendung öffentlicher Mittel gegenüber dem Interesse der Kläger könne das beantragte Darlehen nicht gewährt werden. Der Widerspruch, mit dem die Kläger geltend machten, die Beklagte habe zur Frage der Kühlung des Insulins nicht ihre Amtsärztin gehört, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.06.2006).

Mit ihrer am 06.06.2006 zum SG erhobenen Klage machten die Klä-ger wiederum geltend, das benötigte Insulin müsse gekühlt wer-den. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.07.2006 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, nach § 22 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) könnten Schulden übernommen werden. Der Leistungsträger habe dabei eine Ermessensentscheidung zu treffen. Es müsse der Verlust der Unterkunft drohen oder aktuell eine vergleichbare Notlage bestehen. Gerechtfertigt sei die Übernahme von Schulden dann, wenn der Hilfebedürftige dadurch wieder in die Lage versetzt werde, seinen Bedarf künftig aus eigenen Mitteln zu decken. Den Klägern drohe aber keine Wohnungslosigkeit, weil sie zum 01.07. 2006 eine andere Wohnung angemietet hätten. Wenn der Umzug in den Bereich eines anderen Energieversorgers erfolge, könnten aus den aufgelaufenen Schulden aus Stromlieferungen auch keine aktuellen Stromversorgungsprobleme in der neuen Wohnung entstehen. Bezüglich der Höhe der Schulden für den Strom sei der Hinweis der Beklagten zutreffend, dass sie auch aus dem Bewohnen eines unangemessen großen Hauses resultierten. Es handele sich um eine Ermessensleistung, bei der die gerichtliche Überprüfbarkeit eingeschränkt sei. Die Ermessenserwägungen der Beklagten seien sachgerecht. Ein Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor.

Der Kläger hat gegen den am 04.06.2006 zugestellten Gerichtsbe-scheid am 07.08.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, die Ermessenserwägungen seien sehr einseitig.

Die Kläger stellen sinngemäß den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juli 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag vom 10. Mai 2006 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; denn die Kläger begehren Geldleistungen von mehr als 500 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist nicht begründet, weil den Klägern kein Anspruch auf die Bewilligung eines Darlehens zusteht. Nach § 23 Abs. 5 SGB II (in der seit 01.04.2006 gültigen Fassung) können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass der Beklagten bei der Entscheidung, ob sie ein Darlehen bewilligt, ein Ermessen zu-steht. Dies ergibt sich aus der Formulierung "können" in § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II.

Die Gerichte sind bezüglich der Überprüfung von Ermessensent-scheidungen eines Leistungsträgers gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG darauf beschränkt zu kontrollieren, ob dieser (1.) seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (Ermessens-nichtgebrauch), er (2.) mit seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt hat (Ermessensüberschreitung), oder (3.) von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit und Ermessensmissbrauch). - Bei der Überprüfung darf das Gericht nicht eigene Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen des Leistungsträgers setzen. Die Prüfung hat sich auf die Frage zu beschränken, ob die dargelegten Ermessenserwägungen den Rahmen der §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überschreiten.

Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Beklagte im darge-stellten Sinne nicht ermessensfehlerhaft gehandelt. Die Kläger machen zwar geltend, die Ermessenserwägungen der Beklagten seien sehr einseitig, worin diese Einseitigkeit besteht, haben sie jedoch nicht dargestellt.

Wie sich aus einem Aktenvermerk (Blatt C 519 der Beklagtenakte) ergibt, hat die Beklagte das Für und Wider einer Darlehensbewilligung eingehend abgewogen. Als Grund für eine Bewilligung sah sie lediglich die Lebenseinschränkung und die Kühlung des Insulins an. Gegen die Darlehensgewährung sprachen nach ihrer Ansicht u.a. folgende Gründe: Monatelang keinen Strom gezahlt, keine Ratenzahlung vereinbart, keine Kleinkinder im Haushalt, Höhe der aufgelaufenen Schulden, Insulinvorrat kann in Apotheke gekühlt werden, Unterkunft ohnehin durch Räumungsklage gefähr-det, Stromkosten weit überhöht, da unangemessene Unterkunft. Dass das Insulin nicht gekühlt werden musste, ist nach der von der Beklagten eingeholten Auskunft einer Apotheke schlüssig und bedarf keiner weiteren Sachaufklärung. Ob die Kläger das Darle-hen in absehbarer Zeit zurückzahlen können, ist zumindest frag-lich; denn der Kläger zu 1) hat 2004 zwei Autos gekauft, für die er Darlehen aufgenommen hat, die er monatlich bis zum Jahr 2010 mit 326,25 EUR und 290,92 EUR tilgen muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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