Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 1 P 24/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 14/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 P 4/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 1. März 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II bzw. I.
Die 1958 geborene Klägerin leidet an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung mit narkolepsieartigen Symptomen, depressiven Störung und Adipositas. Sie beantragte am 24. September 2004 Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Bayern nach Hausbesuch vom 28. Oktober 2004 ein. Danach besteht kein Zeitbedarf für den Bereich Grundpflege; für hauswirtschaftliche Versorgung setzte der Gutachter einen Zeitbedarf von 35 Minuten pro Tag an. Mit Bescheid vom 2. November 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des MDK nach Hausbesuch vom 17. Februar 2005 ein. Im Bereich der Grundpflege falle danach lediglich im Bereich Ernährung ein Hilfebedarf von vier Monaten täglich für mundgerechte Zubereitung der Nahrung an. Für die hauswirtschaftliche Versorgung seien 45 Minuten anzusetzen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2005 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Bayreuth begehrte die Klägerin Pflegeleistungen mindestens nach der Pflegestufe I. Sie leide an Narkolepsie. Die Anfälle träten unvorhergesehen auf und dauerten von drei Sekunden bis maximal drei Tage. In letzter Zeit sei es praktisch an jedem Tag zu Anfällen gekommen. Sie müsse deshalb ständig unter Aufsicht stehen. Der Zeitbedarf an Grundpflege sei eher mit 24 Stunden anzugeben. In jedem Fall umfasse die Pflegebedürftigkeit mehr als 90 Minuten.
Das Sozialgericht beauftragte den Sozialmediziner Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach dem Gutachten vom 14. September 2005 besteht bei der Klägerin als pflegebegründende Diagnose eine dissoziative Persönlichkeitsstörung mit narkolepsieartiger Symptomgestaltung, eine depressive Störung sowie eine Adipositas. Obwohl es sich um ein schwerwiegendes neuropsychiatrisches Krankheitsbild handele, sei der daraus resultierende Grundpflegebedarf als gering anzusehen. Die Verrichtungen der Grundpflege würden noch weitgehend selbstständig, allerdings völlig unregelmäßig und unstrukturiert, ausgeführt. Der Hilfebedarf liege eindeutig unterhalb der Pflegestufe I. Der erforderliche Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege betrage fünf Minuten (Körperpflege vier Minuten; Mobilität eine Minute), für hauswirtschaftliche Versorgung 47 Minuten, insgesamt 52 Minuten. Es sei ein allgemeiner psychosozialer Betreuungsaufwand erforderlich, der im Rahmen des Grundpflegebedarfs nicht berücksichtigt werden könne. Eine dauerhafte Beaufsichtigung und Betreuung seien nicht erforderlich und erfolgten auch tatsächlich zur Zeit nicht.
Der Sach- und Streitstand wurde mit dem Beteiligten in nichtöffentlicher Sitzung am 16. Februar 2006 erörtert. Auf die Niederschrift der Sitzung wird Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten des Dr. H. sowie den Gutachten des MDK. Trotz des schwerwiegenden neuropsychiatrischen Krankheitsbildes sei der berücksichtigungsfähige Grundpflegebedarf gering. Die Klägerin räume selbst ein, dass sie sich derzeit noch weitgehend selbst versorgen könne. Der Hilfebedarf sei als allgemeine psychosoziale Betreuung nicht berücksichtigungsfähig.
Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein und beantragte mit Schriftsatz vom 22. März 2006, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 1. März 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung der Pflegestufe II bzw. I zu gewähren. Zur Begründung machte sie geltend, die Gutachter hätten die neurologischen Defizite übersehen. Man könne sie nicht alleine lassen, da sie völlig unkontrolliert in einen ohnmächtigen Zustand verfalle. Auch sei in dem psychischen Zustand, in dem sie sich derzeit befinde, mit Suizidversuchen zu rechnen. Ihr Stimmungsbild sei negativ. Sie müsse ständig betreut werden. Die notwendige allgemeine psychosoziale Betreuung müsse im Rahmen des Grundpflegebedarfs Berücksichtigung finden.
Der Senat holte ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. vom 10. August 2006 nach ambulanter Untersuchung ein. Er diagnostizierte eine schwere dissoziative Störung mit dissoziativen Bewegungsstörungen und dissoziativen Anfällen. Eine Narkolepsie bestehe nicht. Die Klägerin sei während des größten Teils des Tages allein. In dieser Zeit sei sie offensichtlich in der Lage, ihren Grundbedürfnissen alleine nachzukommen. Schwere Zwischenfälle, Stürze o.ä. seien bislang nicht eingetreten. Sogar Bereiche der hauswirtschaftlichen Versorgung würden in diesen Zeiträumen übernommen. Auch ergebe sich keine Überwachungspflichtigkeit der Klägerin. Die dissoziative Störung sei deshalb nicht pflegerelevant. Die Klägerin könne zwar ihre Krankheit nicht überwinden, jedoch sei sie in der Lage, sich zu pflegen, zu ernähren und zu bewegen sowie die hauswirtschaftlichen Verrichtungen teilweise selbstständig durchzuführen. Es bestehe deshalb kein Zeitbedarf für die Grundpflege bzw. die hauswirtschaftliche Versorgung.
Die Klägerin behauptet, sie leide tatsächlich an einer Narkolepsie. Die Nervenklinik B. habe am 31. Oktober 2003 eine Narkolepsie nach einer stationären Behandlung vom 7. bis 10. September 2003 bestätigt. Sie sei allein aufgrund der gesundheitlichen Auffälligkeiten überwachungsbedürftig. Es sei zwar richtig, dass sie sich über weite Tagesabschnitte selbstständig versorge, doch könne eine Person, die an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leide, nicht unbeaufsichtigt bleiben. Die Tatsache, dass sie sich bei Stürzen während eines Anfalls bisher nicht verletzt habe, beweise nicht, dass solche Stürze in der Zukunft nicht erfolgen könnten.
Die Klägerin wiederholt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 22. März 2006.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 1. März 2006 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 SGB XI Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen (Gesamtpflegebedarf); hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (Grundpflegebedarf). Für die Zubilligung der Pflegestufe I muss der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten, für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten betragen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Ob Pflegebedürftigkeit vorliegt, richtet sich danach, inwieweit die Ausführung der gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens krankheits- oder behinderungsbedingt eingeschränkt oder aufgehoben ist und ein Bedarf an Hilfeleistungen besteht (Udsching, SGB XI, 2. Aufl., § 14 Rdnr. 3). Hierunter fallen nur die Grundpflege im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI) sowie die hauswirtschaftliche Versorgung.
Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass der Klägerin keine Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung zustehen. Das Sozialgericht bezog sich dabei vor allem auf die gutachterlichen Äußerungen des Dr. H. sowie die Stellungnahmen des MDK. Zu Recht hat es die Klage demgemäß abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Bestätigt wird dies durch das vom Senat eingeholte nervenärztliche Gutachten des Dr. K. , nach dem kein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege besteht. Dabei kann der Senat im Ergebnis dahingestellt lassen, ob von einer dissoziativen Störung oder einer Narkolepsie auszugehen ist. Durch den ärztlichen Bericht der Nervenklinik B. vom 31. Oktober 2003 wird nicht belegt, dass bei der Klägerin eine Narkolepsie vorliegt. Diese Verdachtsdiagnose erschien den Ärzten durch den festgestellten genetischen Marker lediglich wahrscheinlicher. Entscheidend ist für die Einstufung in eine Pflegestufung nicht die medizinische Diagnose, sondern der dadurch verursachte tatsächliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Soweit die Berufung damit begründet wird, dass bei der Klägerin jederzeit ein Anfall auftreten könne und deshalb eine ständige Überwachung notwendig sei, vermag dies keinen pflegerelevanten Hilfebedarf zu begründen. Zum einen räumt die Klägerin selbst ein, dass sie sich unter der Woche über weite Tagesabschnitte selbst versorgt. Die Grundpflege und zumindest teilweise auch die hauswirtschaftliche Versorgung kann sie in diesen Zeiträumen selbstständig durchführen. Zum anderen gelangt auch der medizinische Sachverständige Dr. K. zu dem Ergebnis, dass eine Überwachungspflichtigkeit der Klägerin nicht besteht. Aber selbst wenn eine solche Überwachung notwendig wäre und durch den Ehemann bzw. den Sohn der Klägerin in der übrigen Zeit erfolgen sollte, liegt nur eine allgemeine Aufsicht vor, die im Rahmen der Ermittlung des Zeitbedarfs für die Grundpflege nicht zu berücksichtigen ist. Das Bundesssozialgericht (hier zitierte aus: BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001, Az.: B 3 P 4/01 B) hat bereits mehrfach entschieden, dass eine allgemeine Aufsicht nicht ausreicht, weil eine nennenswerte Beanspruchung der Pflegeperson damit nicht verbunden ist. Ein Beaufsichtigungsbedarf ist nur zu berücksichtigen, wenn die Pflegeperson dabei nicht nur verfügbar und einsatzbereit, sondern durch die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen - wie bei der Übernahme von Verrichtungen - auch zeitlich und örtlich in der Weise gebunden ist, dass sie vorübergehend an der Erledigung anderer Dinge gehindert ist, denen sie sich widmen würde bzw. könnte (z.B. Arbeiten aller Art im Haushalt oder Freizeitgestaltung), wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde (Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 und 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 6). Dementsprechend wurde eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme als berücksichtigungsfähige Hilfe eingestuft, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (Urteil des 10. Senats vom 27. August 1998 - B 10 KR 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 7).
Nach Angaben der Klägerin konnte es bei den narkolepsieartigen Anfällen zwar zu einem Tonusverlust, bei dem grundsätzlich Sturzgefahr besteht. Jedoch hat sich die Klägerin bisher bei derartigen Anfällen nie verletzt, was gegen ihre Gefährdung spricht.
Der Senat vertritt daher die Auffassung, dass eine Beaufsichtigung, ob ein plötzlicher Tonusverlust der Muskulatur (Kataplexie) auftritt, allenfalls als ein "Im-Auge-Behalten" gewertet werden kann. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin unter einer dissoziativen Störung bzw. narkolepsieartigen Symptomen leidet. Diese erfordern eine allgemeine psychosoziale Betreuung, die jedoch nicht den Bereich der Grundpflege betrifft und somit im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht berücksichtigungsfähig ist.
Der Senat kann im Ergebnis dahingestellt lassen, ob kein oder nur ein geringer Grundpflegebedarf besteht, da dieser nach der einheitlichen Gutachtenslage jedenfalls deutlich unter 45 Minuten liegt. Es wird keine Pflegestufe erreicht. Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II bzw. I.
Die 1958 geborene Klägerin leidet an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung mit narkolepsieartigen Symptomen, depressiven Störung und Adipositas. Sie beantragte am 24. September 2004 Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Bayern nach Hausbesuch vom 28. Oktober 2004 ein. Danach besteht kein Zeitbedarf für den Bereich Grundpflege; für hauswirtschaftliche Versorgung setzte der Gutachter einen Zeitbedarf von 35 Minuten pro Tag an. Mit Bescheid vom 2. November 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine erneute Stellungnahme des MDK nach Hausbesuch vom 17. Februar 2005 ein. Im Bereich der Grundpflege falle danach lediglich im Bereich Ernährung ein Hilfebedarf von vier Monaten täglich für mundgerechte Zubereitung der Nahrung an. Für die hauswirtschaftliche Versorgung seien 45 Minuten anzusetzen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2005 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Bayreuth begehrte die Klägerin Pflegeleistungen mindestens nach der Pflegestufe I. Sie leide an Narkolepsie. Die Anfälle träten unvorhergesehen auf und dauerten von drei Sekunden bis maximal drei Tage. In letzter Zeit sei es praktisch an jedem Tag zu Anfällen gekommen. Sie müsse deshalb ständig unter Aufsicht stehen. Der Zeitbedarf an Grundpflege sei eher mit 24 Stunden anzugeben. In jedem Fall umfasse die Pflegebedürftigkeit mehr als 90 Minuten.
Das Sozialgericht beauftragte den Sozialmediziner Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach dem Gutachten vom 14. September 2005 besteht bei der Klägerin als pflegebegründende Diagnose eine dissoziative Persönlichkeitsstörung mit narkolepsieartiger Symptomgestaltung, eine depressive Störung sowie eine Adipositas. Obwohl es sich um ein schwerwiegendes neuropsychiatrisches Krankheitsbild handele, sei der daraus resultierende Grundpflegebedarf als gering anzusehen. Die Verrichtungen der Grundpflege würden noch weitgehend selbstständig, allerdings völlig unregelmäßig und unstrukturiert, ausgeführt. Der Hilfebedarf liege eindeutig unterhalb der Pflegestufe I. Der erforderliche Zeitaufwand für die Verrichtungen der Grundpflege betrage fünf Minuten (Körperpflege vier Minuten; Mobilität eine Minute), für hauswirtschaftliche Versorgung 47 Minuten, insgesamt 52 Minuten. Es sei ein allgemeiner psychosozialer Betreuungsaufwand erforderlich, der im Rahmen des Grundpflegebedarfs nicht berücksichtigt werden könne. Eine dauerhafte Beaufsichtigung und Betreuung seien nicht erforderlich und erfolgten auch tatsächlich zur Zeit nicht.
Der Sach- und Streitstand wurde mit dem Beteiligten in nichtöffentlicher Sitzung am 16. Februar 2006 erörtert. Auf die Niederschrift der Sitzung wird Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten des Dr. H. sowie den Gutachten des MDK. Trotz des schwerwiegenden neuropsychiatrischen Krankheitsbildes sei der berücksichtigungsfähige Grundpflegebedarf gering. Die Klägerin räume selbst ein, dass sie sich derzeit noch weitgehend selbst versorgen könne. Der Hilfebedarf sei als allgemeine psychosoziale Betreuung nicht berücksichtigungsfähig.
Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein und beantragte mit Schriftsatz vom 22. März 2006, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 1. März 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung der Pflegestufe II bzw. I zu gewähren. Zur Begründung machte sie geltend, die Gutachter hätten die neurologischen Defizite übersehen. Man könne sie nicht alleine lassen, da sie völlig unkontrolliert in einen ohnmächtigen Zustand verfalle. Auch sei in dem psychischen Zustand, in dem sie sich derzeit befinde, mit Suizidversuchen zu rechnen. Ihr Stimmungsbild sei negativ. Sie müsse ständig betreut werden. Die notwendige allgemeine psychosoziale Betreuung müsse im Rahmen des Grundpflegebedarfs Berücksichtigung finden.
Der Senat holte ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. vom 10. August 2006 nach ambulanter Untersuchung ein. Er diagnostizierte eine schwere dissoziative Störung mit dissoziativen Bewegungsstörungen und dissoziativen Anfällen. Eine Narkolepsie bestehe nicht. Die Klägerin sei während des größten Teils des Tages allein. In dieser Zeit sei sie offensichtlich in der Lage, ihren Grundbedürfnissen alleine nachzukommen. Schwere Zwischenfälle, Stürze o.ä. seien bislang nicht eingetreten. Sogar Bereiche der hauswirtschaftlichen Versorgung würden in diesen Zeiträumen übernommen. Auch ergebe sich keine Überwachungspflichtigkeit der Klägerin. Die dissoziative Störung sei deshalb nicht pflegerelevant. Die Klägerin könne zwar ihre Krankheit nicht überwinden, jedoch sei sie in der Lage, sich zu pflegen, zu ernähren und zu bewegen sowie die hauswirtschaftlichen Verrichtungen teilweise selbstständig durchzuführen. Es bestehe deshalb kein Zeitbedarf für die Grundpflege bzw. die hauswirtschaftliche Versorgung.
Die Klägerin behauptet, sie leide tatsächlich an einer Narkolepsie. Die Nervenklinik B. habe am 31. Oktober 2003 eine Narkolepsie nach einer stationären Behandlung vom 7. bis 10. September 2003 bestätigt. Sie sei allein aufgrund der gesundheitlichen Auffälligkeiten überwachungsbedürftig. Es sei zwar richtig, dass sie sich über weite Tagesabschnitte selbstständig versorge, doch könne eine Person, die an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leide, nicht unbeaufsichtigt bleiben. Die Tatsache, dass sie sich bei Stürzen während eines Anfalls bisher nicht verletzt habe, beweise nicht, dass solche Stürze in der Zukunft nicht erfolgen könnten.
Die Klägerin wiederholt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 22. März 2006.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 1. März 2006 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.
Pflegebedürftige können nach § 37 Abs. 1 S. 1 bis 3 SGB XI Pflegegeld erhalten, wenn sie die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson (§ 19 S. 1 SGB XI) in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellen und mindestens die Pflegestufe I vorliegt.
Maßgebend für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen (Gesamtpflegebedarf); hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (Grundpflegebedarf). Für die Zubilligung der Pflegestufe I muss der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten, für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten betragen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Ob Pflegebedürftigkeit vorliegt, richtet sich danach, inwieweit die Ausführung der gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens krankheits- oder behinderungsbedingt eingeschränkt oder aufgehoben ist und ein Bedarf an Hilfeleistungen besteht (Udsching, SGB XI, 2. Aufl., § 14 Rdnr. 3). Hierunter fallen nur die Grundpflege im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI) sowie die hauswirtschaftliche Versorgung.
Zutreffend ging das Sozialgericht davon aus, dass der Klägerin keine Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung zustehen. Das Sozialgericht bezog sich dabei vor allem auf die gutachterlichen Äußerungen des Dr. H. sowie die Stellungnahmen des MDK. Zu Recht hat es die Klage demgemäß abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Bestätigt wird dies durch das vom Senat eingeholte nervenärztliche Gutachten des Dr. K. , nach dem kein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege besteht. Dabei kann der Senat im Ergebnis dahingestellt lassen, ob von einer dissoziativen Störung oder einer Narkolepsie auszugehen ist. Durch den ärztlichen Bericht der Nervenklinik B. vom 31. Oktober 2003 wird nicht belegt, dass bei der Klägerin eine Narkolepsie vorliegt. Diese Verdachtsdiagnose erschien den Ärzten durch den festgestellten genetischen Marker lediglich wahrscheinlicher. Entscheidend ist für die Einstufung in eine Pflegestufung nicht die medizinische Diagnose, sondern der dadurch verursachte tatsächliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Soweit die Berufung damit begründet wird, dass bei der Klägerin jederzeit ein Anfall auftreten könne und deshalb eine ständige Überwachung notwendig sei, vermag dies keinen pflegerelevanten Hilfebedarf zu begründen. Zum einen räumt die Klägerin selbst ein, dass sie sich unter der Woche über weite Tagesabschnitte selbst versorgt. Die Grundpflege und zumindest teilweise auch die hauswirtschaftliche Versorgung kann sie in diesen Zeiträumen selbstständig durchführen. Zum anderen gelangt auch der medizinische Sachverständige Dr. K. zu dem Ergebnis, dass eine Überwachungspflichtigkeit der Klägerin nicht besteht. Aber selbst wenn eine solche Überwachung notwendig wäre und durch den Ehemann bzw. den Sohn der Klägerin in der übrigen Zeit erfolgen sollte, liegt nur eine allgemeine Aufsicht vor, die im Rahmen der Ermittlung des Zeitbedarfs für die Grundpflege nicht zu berücksichtigen ist. Das Bundesssozialgericht (hier zitierte aus: BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001, Az.: B 3 P 4/01 B) hat bereits mehrfach entschieden, dass eine allgemeine Aufsicht nicht ausreicht, weil eine nennenswerte Beanspruchung der Pflegeperson damit nicht verbunden ist. Ein Beaufsichtigungsbedarf ist nur zu berücksichtigen, wenn die Pflegeperson dabei nicht nur verfügbar und einsatzbereit, sondern durch die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen - wie bei der Übernahme von Verrichtungen - auch zeitlich und örtlich in der Weise gebunden ist, dass sie vorübergehend an der Erledigung anderer Dinge gehindert ist, denen sie sich widmen würde bzw. könnte (z.B. Arbeiten aller Art im Haushalt oder Freizeitgestaltung), wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde (Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 und 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 6). Dementsprechend wurde eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme als berücksichtigungsfähige Hilfe eingestuft, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (Urteil des 10. Senats vom 27. August 1998 - B 10 KR 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 7).
Nach Angaben der Klägerin konnte es bei den narkolepsieartigen Anfällen zwar zu einem Tonusverlust, bei dem grundsätzlich Sturzgefahr besteht. Jedoch hat sich die Klägerin bisher bei derartigen Anfällen nie verletzt, was gegen ihre Gefährdung spricht.
Der Senat vertritt daher die Auffassung, dass eine Beaufsichtigung, ob ein plötzlicher Tonusverlust der Muskulatur (Kataplexie) auftritt, allenfalls als ein "Im-Auge-Behalten" gewertet werden kann. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Klägerin unter einer dissoziativen Störung bzw. narkolepsieartigen Symptomen leidet. Diese erfordern eine allgemeine psychosoziale Betreuung, die jedoch nicht den Bereich der Grundpflege betrifft und somit im Rahmen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht berücksichtigungsfähig ist.
Der Senat kann im Ergebnis dahingestellt lassen, ob kein oder nur ein geringer Grundpflegebedarf besteht, da dieser nach der einheitlichen Gutachtenslage jedenfalls deutlich unter 45 Minuten liegt. Es wird keine Pflegestufe erreicht. Die Berufung ist deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved