Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 KR 1148/04
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 7/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beigeladene zu 1 hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versicherungspflicht des Klägers in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung seit dem 29. Dezember 2003 im Streit.
Der Kläger ist seit dem 26. September 1996 als Leiter der Zweigniederlassung Hamburg der BGI B. G. AG Insurance Brokers (G. AG) beschäftigt. Ihm ist hierfür Prokura gemeinsam mit einem anderen Prokuristen erteilt. Die G. AG ist eine Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht mit Sitz in Z./Schweiz. Seit dem 29. Dezember 2003 ist der Kläger als Mitglied des Verwaltungsrates der G. AG im Handelsregister Z. eingetragen.
Unter dem 17. Juni 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die versicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit bei der Zweigniederlassung Hamburg. Er wies auf seinen Prokuristen-Anstellungsvertrag vom 22. September 1996 hin sowie darauf, dass er ein von der Ertragslage des Unternehmens abhängiges Gehalt von derzeit monatlich 8.300 EUR erhalte, welches im Falle der Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von sechs Wochen weitergezahlt werde. Ferner erhalte er eine Gewinnbeteiligung.
Mit Bescheid vom 7. August 2003 stellte die Beklagte fest, dass er Kläger seit dem 26. September 1996 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als Arbeitnehmer stehe und deshalb der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliege, während er auf Grund seines monatlichen Einkommens in der Kranken- und Pflegeversicherung von der Versicherungspflicht befreit sei. Den hiergegen fristgerecht erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger auf seine Mitgliedschaft im Verwaltungsgrat der G. AG hingewiesen und die Auffassung vertreten hatte, der Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht stehe dem Vorstand einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht gleich, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2004 zurück. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung nach § 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) und in der Arbeitslosenversicherung nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), weil er nicht Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft sei. Die seit dem 29. Dezember 2003 bestehende Verwaltungsratsmitgliedschaft bei der G. AG stehe einer Vorstandsmitgliedschaft im Sinne des Aktiengesetzes nicht gleich.
Das Sozialgericht hat der daraufhin fristgerecht erhobenen Klage durch Urteil vom 1. November 2005 stattgegeben und den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids antragsgemäß insoweit aufgehoben, als dort festgestellt wurde, das der Kläger auch im Zeitraum ab 29. Dezember 2003 der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliege. Mitglieder des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft nach schweizerischem Rechts stünden den Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht rechtlich gleich. Die Regelungen des § 1 Satz 4 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III seien deshalb auf den Fall des Klägers analog anzuwenden.
Mit ihrer fristgerecht eingelegten Berufung trägt die Beigeladene zu 1 vor, § 1 Satz 4 SGB VI erfasse nur inländische Aktiengesellschaften. Organmitglieder eines ausländischen Unternehmens, das nicht als Aktiengesellschaft im Sinne des deutschen Aktienrechts in das inländische Handelsregister eingetragen sei, seien Mitgliedern des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht nicht gleichgestellt. Zwar werde die Vorschrift nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts über ihren Wortlaut hinaus noch auf die Vorstandsmitglieder großer Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit angewendet. Dies habe das Bundessozialgericht aber nur deshalb für geboten erachtet, weil solche Vorstandsmitglieder durch eine Reihe von Vorschriften des (deutschen) Versicherungsaufsichtsgesetzes den Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften rechtlich gleichgestellt seien. Das sei bei Organmitgliedern eines ausländischen Unternehmens nicht der Fall. Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks des § 1 Satz 4 SGB VI werde deutlich, dass ausländische Aktiengesellschaften von dieser Regelung nicht erfasst würden. Das Schutzbedürfnis der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften werde verneint, weil diese zu den "großen" Gesellschaften gehörten und ihre Vorstandsmitglieder deshalb wirtschaftlich in der Lage seien, sich außerhalb der Sozialversicherung gegen die Risiken des Arbeitslebens selbst zu schützen. In der Schweiz habe die Aktiengesellschaft keine derart herausragende Stellung. Sie sei vielmehr die am weitesten verbreitete Gesellschaftsform auch unter kleinen und kleinsten Unternehmen. Auch habe der Verwaltungsrat einer Schweizer Aktiengesellschaft keine mit dem Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft vergleichbare bedeutende Stellung. Es sei erlaubt, einen Teil der Geschäftsführung an andere, nicht im Gesetz vorgesehene Organe der Gesellschaft oder einzelne Personen zu delegieren. Das könne schließlich so weit gehen, dass der Verwaltungsrat lediglich noch Überwachungsfunktionen und die unübertragbaren Befugnisse wahrnehme und dann vergleichbar sei mit dem Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft. Demgegenüber leite der Vorstand der deutschen Aktiengesellschaft diese in eigener Verantwortung und könne darin nicht beschränkt werden.
Die Beigeladene zu 1 beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. November 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 2 stellen keinen Antrag.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Beigeladenen zu 1 entgegen. Er weist darauf hin, dass das Mindestkapital einer Schweizer Aktiengesellschaft mit 100.000 Schweizer Franken fast doppelt so hoch wie das Mindestkapital einer deutschen Aktiengesellschaft sei. Im Hinblick auf ihre Struktur entspreche die Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht der deutschen Aktiengesellschaft. Dies folge aus den einzelnen Vorschriften des Obligationenrechts, den Bestimmungen über die Schweizer Aktiengesellschaft. Die Beigeladene zu 1 unterliege auch einem Fehlverständnis, wenn Sie meine, dem Verwaltungsrat könnten die Kernfunktionen der Geschäftsführungsbefugnis entzogen werden. Dies sei vielmehr, wie sich aus Art. 716 Obligationenrecht ergebe, nicht der Fall.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der (notwendig) Beigeladenen zu 1 gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 75 Abs. 4 Satz 2 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid zu Recht aufgehoben, soweit er die Versicherungspflicht des Klägers in der Renten- und Arbeitslosenversicherung auch für einen Zeitraum nach dessen Bestellung zum Mitglied des Verwaltungsrates der G. AG ausspricht.
Nach den inhaltlich gleichen Vorschriften des § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III und § 1 Abs. 2 Satz 4 SGB VI sind Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Zu den hiernach nicht der Versicherungspflicht unterliegenden Personen zählt der Kläger im Hinblick auf seine Stellung als Mitglied einer Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht, und zwar ungeachtet der Frage, ob er im Übrigen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur G. AG im Sinne des § 7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) steht.
Der Beklagten ist nicht darin zu folgen, dass – dem Wortlaut der Vorschriften entsprechend – von der Versicherungspflicht befreit lediglich die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht sind. Schon für die Vorgängervorschriften des § 168 Abs. 6 Arbeitsförderungsgesetz und § 3 Abs. 1 a Angestelltenversicherungsgesetz hatte das Bundessozialgericht (27.03.1980 - 12 Rar 1/79, SozR 2400 § 3, Nr. 4) vertreten, dass diese Ausnahmevorschriften zwar eng auszulegen sind, sie jedoch gleichwohl einer analogen Anwendung auf einen anderen Sachverhalt nicht schlechthin entzogen sind und es hatte ihre Anwendung auf die stellvertretenden Mitglieder des Vorstandes erstreckt (BSG 18.09.1973 – 12 RK 5 /73, BSGE, 36, 164). Es hat ferner (BSG, 04.09.1979 – 7 Rar 57/78, BSGE 49, 22) unter Hinweis auf die fehlende soziale Schutzbedürftigkeit der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft die Vorenthaltung von Arbeitslosengeld für diesen Personenkreis gebilligt und diese Regelung namentlich nicht für verfassungswidrig gehalten (BSG 26.03.1992 – 11 Rar 15/91, DB 1992, 380). Dabei hat das Bundessozialgericht die Erstreckung auf andere Sachverhalte nicht von der Größe des jeweiligen Unternehmens, sondern von der Vergleichbarkeit der Rechtsform abhängig gemacht (BSG 07.03.1980, a.a.O., 19.06.2001 – B 12 KR 44/00 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 18). Dieser Rechtsprechung folgt der erkennende Senat. Ihr ist zu entnehmen, dass für die Entscheidung über die Versicherungspflicht nach den genannten Ausnahmevorschriften ausschließlich auf den Status als Vorstandsmitglied oder einen gleich zu behandelnden Status abzustellen ist (Kasseler Kommentar-Gürtner, § 1 SGB VI, Rn. 34). Für das gegenwärtig geltende Recht gilt nichts anderes, weil der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Rechtsprechung mit den späteren Änderungen zwar Missbrauchsfällen vorbeugen, den Kern dieser Regelung in der Gestalt, wie sie sich nach der Auslegung des Bundessozialgerichts ergab, aber unangetastet lassen wollte (BR-Drucksache 503/92; BT-Drucksache 11/5530, Seite 40 und BT-Drucksache 15/1893, Seite 12).
Danach ist der Kläger wie das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht zu behandeln. Eine derartige Gleichbehandlung gebietet der Vergleich der Regelungen des deutschen und des schweizerischen Aktienrechts. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1 tritt die wirtschaftliche Bedeutung der AG schweizerischen Rechts nämlich keinesfalls hinter diejenige der AG deutschen Rechts zurück, übertrifft sie vielmehr. Dies zeigt die Vorschrift über das Mindestkapital, welches nach Art. 621 des Schweizerischen Obligtionenrechts (OR) 100.000 Sfr beträgt und damit nahezu doppelt so hoch ist wie dasjenige der Aktiengesellschaft deutschen Rechts (vgl. § 7 Aktiengesetz – AktG = 50.000 EUR = 63.000 Sfr). Im Übrigen entspricht die Stellung des Verwaltungsrats (Art. 707 ff. OR) weitgehend demjenigen des Vorstandes (§§ 76 ff. AktG). Wie der Vorstand der AG nach deutschem Recht ist der Verwaltungsrat der AG nach schweizerischem Recht das verantwortliche Leitungsorgan der Gesellschaft. Für den Vorstand folgt dies aus § 76 AktG, wonach der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung leitet, und § 119 Abs. 2 AkG, wonach die Hauptversammlung nicht befugt ist, über Fragen der Geschäftsführung zu beschließen, wenn nicht der Vorstand es beantragt. Für den Verwaltungsrat folgt eben dies aus § 716 Abs. 2 OR, wonach der Vorstand die Geschäfte führt, und § 716a Abs. 1 OR, wonach ihm die Oberleitung der Gesellschaft nicht entzogen werden und er sie auch nicht auf Dritte übertragen darf. Dass der Verwaltungsrat nach Art. 716 Abs. 2 Halbsatz 2 OR befugt ist, Aufgaben der Geschäftsführung zu delegieren, steht dieser Sicht nicht entgegen. Denn allein er darf diese Delegation vornehmen und es muss ihm jedenfalls die "Oberleitung" verbleiben, er kann mithin auf Führungsentscheidungen trotz Delegation jederzeit Einfluss nehmen und ist auch in einem solchen Falle nicht – wie der Aufsichtsrat der AG deutschen Rechts (vgl. § 111 AktG) – auf die bloße Überwachung der Geschäftsführung beschränkt. Damit entspricht sein Status demjenigen des Vorstandes. Dies gebietet es, ihn auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht zu behandeln wie diesen.
Die Entscheidung des Sozialgerichts Köln vom 10.08.2004, auf welche sich die Beklagte für ihre gegenteilige Auffassung bezieht, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Gegenstand jenes Rechtsstreits war die Mitgliedschaft in einer irischen Private Limited Company, die – wie in der hierzu mittlerweile ergangenen Entscheidung des LSG Essen vom 16. Februar 2006 (L 5 KR 156/04, juris) zutreffend erörtert wird – wegen Fehlens eines Mindestkapitalerfordernisses der Aktiengesellschaft deutschen Rechts nicht vergleichbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht im Hinblick darauf, dass die Versicherteneigenschaft des Klägers im Streit ist, auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache. Danach hat die Beigeladene zu 1. als erfolglose Berufungsführerin die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu tragen.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versicherungspflicht des Klägers in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung seit dem 29. Dezember 2003 im Streit.
Der Kläger ist seit dem 26. September 1996 als Leiter der Zweigniederlassung Hamburg der BGI B. G. AG Insurance Brokers (G. AG) beschäftigt. Ihm ist hierfür Prokura gemeinsam mit einem anderen Prokuristen erteilt. Die G. AG ist eine Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht mit Sitz in Z./Schweiz. Seit dem 29. Dezember 2003 ist der Kläger als Mitglied des Verwaltungsrates der G. AG im Handelsregister Z. eingetragen.
Unter dem 17. Juni 2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die versicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit bei der Zweigniederlassung Hamburg. Er wies auf seinen Prokuristen-Anstellungsvertrag vom 22. September 1996 hin sowie darauf, dass er ein von der Ertragslage des Unternehmens abhängiges Gehalt von derzeit monatlich 8.300 EUR erhalte, welches im Falle der Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von sechs Wochen weitergezahlt werde. Ferner erhalte er eine Gewinnbeteiligung.
Mit Bescheid vom 7. August 2003 stellte die Beklagte fest, dass er Kläger seit dem 26. September 1996 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als Arbeitnehmer stehe und deshalb der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliege, während er auf Grund seines monatlichen Einkommens in der Kranken- und Pflegeversicherung von der Versicherungspflicht befreit sei. Den hiergegen fristgerecht erhobenen Widerspruch, mit dem der Kläger auf seine Mitgliedschaft im Verwaltungsgrat der G. AG hingewiesen und die Auffassung vertreten hatte, der Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht stehe dem Vorstand einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht gleich, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2004 zurück. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung nach § 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) und in der Arbeitslosenversicherung nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), weil er nicht Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft sei. Die seit dem 29. Dezember 2003 bestehende Verwaltungsratsmitgliedschaft bei der G. AG stehe einer Vorstandsmitgliedschaft im Sinne des Aktiengesetzes nicht gleich.
Das Sozialgericht hat der daraufhin fristgerecht erhobenen Klage durch Urteil vom 1. November 2005 stattgegeben und den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids antragsgemäß insoweit aufgehoben, als dort festgestellt wurde, das der Kläger auch im Zeitraum ab 29. Dezember 2003 der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliege. Mitglieder des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft nach schweizerischem Rechts stünden den Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht rechtlich gleich. Die Regelungen des § 1 Satz 4 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III seien deshalb auf den Fall des Klägers analog anzuwenden.
Mit ihrer fristgerecht eingelegten Berufung trägt die Beigeladene zu 1 vor, § 1 Satz 4 SGB VI erfasse nur inländische Aktiengesellschaften. Organmitglieder eines ausländischen Unternehmens, das nicht als Aktiengesellschaft im Sinne des deutschen Aktienrechts in das inländische Handelsregister eingetragen sei, seien Mitgliedern des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht nicht gleichgestellt. Zwar werde die Vorschrift nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts über ihren Wortlaut hinaus noch auf die Vorstandsmitglieder großer Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit angewendet. Dies habe das Bundessozialgericht aber nur deshalb für geboten erachtet, weil solche Vorstandsmitglieder durch eine Reihe von Vorschriften des (deutschen) Versicherungsaufsichtsgesetzes den Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften rechtlich gleichgestellt seien. Das sei bei Organmitgliedern eines ausländischen Unternehmens nicht der Fall. Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks des § 1 Satz 4 SGB VI werde deutlich, dass ausländische Aktiengesellschaften von dieser Regelung nicht erfasst würden. Das Schutzbedürfnis der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften werde verneint, weil diese zu den "großen" Gesellschaften gehörten und ihre Vorstandsmitglieder deshalb wirtschaftlich in der Lage seien, sich außerhalb der Sozialversicherung gegen die Risiken des Arbeitslebens selbst zu schützen. In der Schweiz habe die Aktiengesellschaft keine derart herausragende Stellung. Sie sei vielmehr die am weitesten verbreitete Gesellschaftsform auch unter kleinen und kleinsten Unternehmen. Auch habe der Verwaltungsrat einer Schweizer Aktiengesellschaft keine mit dem Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft vergleichbare bedeutende Stellung. Es sei erlaubt, einen Teil der Geschäftsführung an andere, nicht im Gesetz vorgesehene Organe der Gesellschaft oder einzelne Personen zu delegieren. Das könne schließlich so weit gehen, dass der Verwaltungsrat lediglich noch Überwachungsfunktionen und die unübertragbaren Befugnisse wahrnehme und dann vergleichbar sei mit dem Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft. Demgegenüber leite der Vorstand der deutschen Aktiengesellschaft diese in eigener Verantwortung und könne darin nicht beschränkt werden.
Die Beigeladene zu 1 beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. November 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 2 stellen keinen Antrag.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Beigeladenen zu 1 entgegen. Er weist darauf hin, dass das Mindestkapital einer Schweizer Aktiengesellschaft mit 100.000 Schweizer Franken fast doppelt so hoch wie das Mindestkapital einer deutschen Aktiengesellschaft sei. Im Hinblick auf ihre Struktur entspreche die Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht der deutschen Aktiengesellschaft. Dies folge aus den einzelnen Vorschriften des Obligationenrechts, den Bestimmungen über die Schweizer Aktiengesellschaft. Die Beigeladene zu 1 unterliege auch einem Fehlverständnis, wenn Sie meine, dem Verwaltungsrat könnten die Kernfunktionen der Geschäftsführungsbefugnis entzogen werden. Dies sei vielmehr, wie sich aus Art. 716 Obligationenrecht ergebe, nicht der Fall.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der (notwendig) Beigeladenen zu 1 gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 75 Abs. 4 Satz 2 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat den angefochtenen Bescheid zu Recht aufgehoben, soweit er die Versicherungspflicht des Klägers in der Renten- und Arbeitslosenversicherung auch für einen Zeitraum nach dessen Bestellung zum Mitglied des Verwaltungsrates der G. AG ausspricht.
Nach den inhaltlich gleichen Vorschriften des § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III und § 1 Abs. 2 Satz 4 SGB VI sind Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Zu den hiernach nicht der Versicherungspflicht unterliegenden Personen zählt der Kläger im Hinblick auf seine Stellung als Mitglied einer Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht, und zwar ungeachtet der Frage, ob er im Übrigen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur G. AG im Sinne des § 7 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) steht.
Der Beklagten ist nicht darin zu folgen, dass – dem Wortlaut der Vorschriften entsprechend – von der Versicherungspflicht befreit lediglich die Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht sind. Schon für die Vorgängervorschriften des § 168 Abs. 6 Arbeitsförderungsgesetz und § 3 Abs. 1 a Angestelltenversicherungsgesetz hatte das Bundessozialgericht (27.03.1980 - 12 Rar 1/79, SozR 2400 § 3, Nr. 4) vertreten, dass diese Ausnahmevorschriften zwar eng auszulegen sind, sie jedoch gleichwohl einer analogen Anwendung auf einen anderen Sachverhalt nicht schlechthin entzogen sind und es hatte ihre Anwendung auf die stellvertretenden Mitglieder des Vorstandes erstreckt (BSG 18.09.1973 – 12 RK 5 /73, BSGE, 36, 164). Es hat ferner (BSG, 04.09.1979 – 7 Rar 57/78, BSGE 49, 22) unter Hinweis auf die fehlende soziale Schutzbedürftigkeit der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft die Vorenthaltung von Arbeitslosengeld für diesen Personenkreis gebilligt und diese Regelung namentlich nicht für verfassungswidrig gehalten (BSG 26.03.1992 – 11 Rar 15/91, DB 1992, 380). Dabei hat das Bundessozialgericht die Erstreckung auf andere Sachverhalte nicht von der Größe des jeweiligen Unternehmens, sondern von der Vergleichbarkeit der Rechtsform abhängig gemacht (BSG 07.03.1980, a.a.O., 19.06.2001 – B 12 KR 44/00 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 18). Dieser Rechtsprechung folgt der erkennende Senat. Ihr ist zu entnehmen, dass für die Entscheidung über die Versicherungspflicht nach den genannten Ausnahmevorschriften ausschließlich auf den Status als Vorstandsmitglied oder einen gleich zu behandelnden Status abzustellen ist (Kasseler Kommentar-Gürtner, § 1 SGB VI, Rn. 34). Für das gegenwärtig geltende Recht gilt nichts anderes, weil der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Rechtsprechung mit den späteren Änderungen zwar Missbrauchsfällen vorbeugen, den Kern dieser Regelung in der Gestalt, wie sie sich nach der Auslegung des Bundessozialgerichts ergab, aber unangetastet lassen wollte (BR-Drucksache 503/92; BT-Drucksache 11/5530, Seite 40 und BT-Drucksache 15/1893, Seite 12).
Danach ist der Kläger wie das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht zu behandeln. Eine derartige Gleichbehandlung gebietet der Vergleich der Regelungen des deutschen und des schweizerischen Aktienrechts. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1 tritt die wirtschaftliche Bedeutung der AG schweizerischen Rechts nämlich keinesfalls hinter diejenige der AG deutschen Rechts zurück, übertrifft sie vielmehr. Dies zeigt die Vorschrift über das Mindestkapital, welches nach Art. 621 des Schweizerischen Obligtionenrechts (OR) 100.000 Sfr beträgt und damit nahezu doppelt so hoch ist wie dasjenige der Aktiengesellschaft deutschen Rechts (vgl. § 7 Aktiengesetz – AktG = 50.000 EUR = 63.000 Sfr). Im Übrigen entspricht die Stellung des Verwaltungsrats (Art. 707 ff. OR) weitgehend demjenigen des Vorstandes (§§ 76 ff. AktG). Wie der Vorstand der AG nach deutschem Recht ist der Verwaltungsrat der AG nach schweizerischem Recht das verantwortliche Leitungsorgan der Gesellschaft. Für den Vorstand folgt dies aus § 76 AktG, wonach der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung leitet, und § 119 Abs. 2 AkG, wonach die Hauptversammlung nicht befugt ist, über Fragen der Geschäftsführung zu beschließen, wenn nicht der Vorstand es beantragt. Für den Verwaltungsrat folgt eben dies aus § 716 Abs. 2 OR, wonach der Vorstand die Geschäfte führt, und § 716a Abs. 1 OR, wonach ihm die Oberleitung der Gesellschaft nicht entzogen werden und er sie auch nicht auf Dritte übertragen darf. Dass der Verwaltungsrat nach Art. 716 Abs. 2 Halbsatz 2 OR befugt ist, Aufgaben der Geschäftsführung zu delegieren, steht dieser Sicht nicht entgegen. Denn allein er darf diese Delegation vornehmen und es muss ihm jedenfalls die "Oberleitung" verbleiben, er kann mithin auf Führungsentscheidungen trotz Delegation jederzeit Einfluss nehmen und ist auch in einem solchen Falle nicht – wie der Aufsichtsrat der AG deutschen Rechts (vgl. § 111 AktG) – auf die bloße Überwachung der Geschäftsführung beschränkt. Damit entspricht sein Status demjenigen des Vorstandes. Dies gebietet es, ihn auch in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht zu behandeln wie diesen.
Die Entscheidung des Sozialgerichts Köln vom 10.08.2004, auf welche sich die Beklagte für ihre gegenteilige Auffassung bezieht, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Gegenstand jenes Rechtsstreits war die Mitgliedschaft in einer irischen Private Limited Company, die – wie in der hierzu mittlerweile ergangenen Entscheidung des LSG Essen vom 16. Februar 2006 (L 5 KR 156/04, juris) zutreffend erörtert wird – wegen Fehlens eines Mindestkapitalerfordernisses der Aktiengesellschaft deutschen Rechts nicht vergleichbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht im Hinblick darauf, dass die Versicherteneigenschaft des Klägers im Streit ist, auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache. Danach hat die Beigeladene zu 1. als erfolglose Berufungsführerin die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu tragen.
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
Saved