L 1 B 150/06 SF

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 4 RA 1344/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 B 150/06 SF
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat den Antrag der Klägerin, den Sachverständigen Dr. S wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, zutreffend durch Beschluss vom 17. Juli 2006 zurückgewiesen. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab (§ 142 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die Beschwerdebegründung führt zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann der Ablehnungsantrag vom 23. Dezember 2005 – bezogen auf das Gutachten vom 6. Dezember 2004 und die ergänzende gutachterliche Äußerung vom 27. Juni 2005 – schon deshalb keinen Erfolg haben, weil er aus den vom Sozialgericht dargelegten Gründen verspätet gestellt worden ist. Die Maßgeblichkeit des § 406 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) – in Verbindung mit § 118 Abs. 1 SGG – und seine entsprechende Anwendung in Fällen der vorliegenden Art auch für das sozialgerichtliche Verfahren wird in der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur, soweit ersichtlich, nicht in Zweifel gezogen. Dafür besteht auch kein Grund. Angesichts der bekannten entsprechenden Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Vorschriften über die Beweisaufnahme – insbesondere auch derjenigen über den Sachverständigenbeweis – auch im sozialgerichtlichen Verfahren hätte es bei der Neufassung des § 406 Abs. 2 ZPO durch das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I Seite 2847) anderenfalls vielmehr nahe gelegen, das sozialgerichtliche Verfahren von der entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift auszunehmen. Das ist jedoch nicht geschehen (vgl. auch Bundestags-Drucksache 11/3621 Seite 74). Der Gesetzesbegründung (aaO) lässt sich im Gegenteil durch die Bezugnahme auch auf § 67 Abs. 1 SGG im Zusammenhang mit § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO (positiv) entnehmen, dass die entsprechende Anwendbarkeit gewollt war.

Die Klägerin hat den Ablehnungsantrag auch nicht bereits am 31. Januar 2005 und auch noch nicht am 7. September 2005 gestellt. Der Behauptung einer "starken Antipathie bzw. der eindeutigen Befangenheit" des Gutachters im Zusammenhang mit der Darlegung von Mängeln des Gutachtens bzw. der ergänzenden gutachterlichen Äußerung und der Ankündigung von Gegengutachten lässt sich noch kein Ablehnungsantrag entnehmen, jedenfalls nicht – wie hier – bei sachkundiger Vertretung der Klägerin. Dies wird bestätigt durch die Formulierung des Ablehnungsantrags vom 23. Dezember 2005, in welchem es heißt, dass "nunmehr" beantragt werde, den gerichtlichen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Die Behauptung der Befangenheit ist – auch Losgelöst von einem Ablehnungsantrag – geeignet, das Gericht zur Prüfung von Amts wegen zu veranlassen, ob das Gutachten schon – oder auch – deswegen nicht überzeugen kann. Die Ansicht der Klägerin, das Sozialgericht hätte die Frage der Befangenheit des Sachverständigen schon von Amts wegen prüfen müssen, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage aber insoweit, als ein Sachverständiger nicht von Amts wegen aus Gründen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, worum es hier allein geht.

Der Ablehnungsantrag vom 23. Dezember 2005 kann schließlich auch nicht im Hinblick auf die – u.a. hierzu eingeholte – Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen vom 14. Januar 2006 Erfolg haben. Wegen des bezüglich des Gutachtens vom 6. Dezember 2004/ der gutachterlichen Äußerung vom 27. Juni 2005 verspäteten Ablehnungsantrags könnte dieser auf der Grundlage einer nachträglichen gutachterlichen Äußerung ohnehin nicht mehr zur Feststellung der Befangenheit des Sachverständigen bei Erstellung der früheren Gutachten und damit zur Begründetheit des Ablehnungsantrags insoweit führen, sondern allenfalls zur Feststellung seiner neuerlichen Befangenheit und Begründetheit des Ablehnungsantrags in Bezug auf die Stellungnahme vom 14. Januar 2006. Auch das ist jedoch zu verneinen.

Letztlich geht es im Hinblick auf den Ablehnungsantrag – und dabei sei die Ausgangssituation der Erstattung des Gutachtens vom 6. Dezember 2004 verdeutlichend mit einbezogen – wesentlich darum, ob der Sachverständige einerseits sich der Klägerin gegenüber beim Untersuchungstermin unangemessen verhalten, andererseits sein Gutachten in verschleiernder Weise auf unzureichende Grundlagen gestützt und schließlich auf die Kritik an seinem Gutachten unangemessen reagiert hat, und zwar in einer Weise, dass diese Umstände – ggf. – mangelnde Unparteilichkeit und Voreingenommenheit der Klägerin gegenüber besorgen lassen.

Soweit die Klägerin die Aufforderung des Sachverständigen sich zu entkleiden nach den näheren Umständen als unangemessen empfand, ließ diese Aufforderung weder für sich allein noch im Hinblick darauf, dass die Klägerin ihr keine Folge leistete, besorgen, der Sachverständige könnte sich auch bei Erstellung des Gutachtens "unangemessen" verhalten, und zwar im Sinne einer Gutachtenerstattung ohne Bemühen um Gründlichkeit und Sachgerechtigkeit zum Nachteil der Klägerin. Dies käme nur in Betracht, wenn das Verhalten des Sachverständigen als Ausdruck mangelnden Respekts der Klägerin gegenüber verstanden werden müsste und so eine eher willkürliche Begutachtung befürchten lassen könnte. Davon kann jedoch im Hinblick auf die Darstellung der Umstände durch den Sachverständigen nicht ausgegangen werden. Ebenso wenig kann bei nüchterner Betrachtung unterstellt werden, der Sachverständige könnte das Nicht-Folge-Leisten der Klägerin zum Anlass genommen haben, ihr mit Voreingenommenheit zu begegnen. Dafür hätte es schon besondere Anhaltspunkte bedurft, die der Senat nicht zu erkennen vermag.

Der Sachverständige hat auch die Grundlagen seiner Begutachtung offen gelegt. Er hat einerseits auf die Mitarbeit der Ärztin Dr. B und andererseits darauf hingewiesen, dass die körperliche Untersuchung nicht so wie beabsichtigt habe durchgeführt werden können und so zur Verkürzung der Untersuchungszeit insbesondere durch ihn selbst geführt habe. Ferner hat er darauf hingewiesen, dass bei einem (schwerpunktmäßig) den psychischen Bereich betreffenden Gutachten die körperliche Untersuchung nicht im Vordergrund stehe und eine nur orientierende Einschätzung zum körperlichen Zustand unter Berücksichtigung der Angaben der zu Untersuchenden und des Akteninhalts genügen könne. Im Übrigen hat er nicht in Abrede gestellt, bei der Untersuchung durch Dr. B nicht anwesend gewesen zu sein. Er hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er seine (eigene) Untersuchung in Gegenwart eines weiteren Arztes/einer Ärztin durchführe. Schließlich hat die "Gegengutachterin" B in ihrem am 30. Mai 2005 vorgelegten Gutachten ausgeführt, dass der körperliche Untersuchungsbefund (einschließlich des neurologischen) nicht von dem Befund im Gutachten des abgelehnten Sachverständigen abweiche. Von daher fehlt es auch insoweit an Anhaltspunkten für eine zu besorgende Voreingenommenheit der Klägerin gegenüber. Was ferner die psychisch-psychiatrischen Beschwerden betrifft, so kann aus der Feststellung des Sachverständigen, die notwendige Befunderhebung und Einschätzung des psychischen Befundes sei in seiner rund 20 Minuten dauernden psychiatrischen Untersuchung fachärztlich gut möglich gewesen, nicht auf Besorgnis der Befangenheit geschlossen werden. Schreibt der Sachverständige sich solche Fähigkeiten zu, ist dies kein Grund, seine Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Über die Frage, ob ein auf so kurzer Untersuchung beruhendes nervenärztliches Gutachten überzeugen kann, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zu entscheiden.

Schließlich vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der abgelehnte Sachverständige in der Entgegnung auf die Kritik an seinem Gutachten den Boden der Sachlichkeit verlassen hat. Das gilt insbesondere hinsichtlich seiner Auseinandersetzung mit dem Gegengutachten der Ärztin B. Wenn er dieses Gutachten nur unter dem Aspekt parteilicher Unterstützung für nachvollziehbar hält, mag dies Voreingenommenheit gegenüber der Ärztin B besorgen lassen können, nicht aber gegenüber der Klägerin. Er tritt jedenfalls dieser damit nicht zu nahe, denn immerhin befand sich die Klägerin bei Erstattung des Gegengutachtens bereits seit annähernd einem Jahr in Behandlung dieser Gutachterin. Von daher entbehrt die Annahme, beim Gutachten der Ärztin B könne es sich um ein Parteigutachten handeln, nicht jeglicher sachlicher Grundlage. Grundsätzlich würden immer Bedenken bestehen, einen behandelnden Arzt als Gerichtsgutachter heranzuziehen. Soweit der Sachverständige der Kritik an seinem Gutachten mit gewissen Poiantierungen (die auch als Schärfen wahrgenommen werden mögen) begegnet, verlassen auch diese – jedenfalls im Bezug auf die Klägerin – nicht den Boden der Sachlichkeit. Wenn der Sachverständige insbesondere von "sekundärem Krankheitsgewinn" und "massivem Rentenbegehren" spricht, ist dies als fachärztliche Äußerung zu begreifen. Dass diese Äußerungen nicht als Herabsetzung oder gar Beleidigung zu verstehen sind, geht klar schon daraus hervor, dass der Sachverständige in seinem Gutachten vom 6. Dezember 2004 zum Ergebnis kommt, es handle sich bei der Fehlhaltung der Klägerin nicht um ein bewusstes Verhalten im Sinne einer Begehrensvorstellung.

Nach allem musste die Beschwerde erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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