L 14 B 1163/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AS 912/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 1163/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 1. November 2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig für den Bewilligungszeitraum Juni bis November 2006 an die Antragstellerin zu 1) insgesamt 2.332,95 (zweitausenddreihundertzweiunddreißig 95/100) Euro und an die Antragstellerin zu 2) insgesamt 1.741,67 (eintausendsiebenhunderteinundvierzig 67/100) Euro unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu zahlen. Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellerinnen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde erweist sich als weitgehend begründet.

Soweit die Antragstellerinnen im Beschwerdeverfahren auch Leistungen für die Zeit ab Dezember 2006 beanspruchen, ist ihr Begehren allerdings unzulässig und die Beschwerde insoweit zurückzuweisen. Zuständig für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist sowohl nach § 86b Abs. 1 wie auch Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG] "das Gericht der Hauptsache". Die Hauptsache, die derzeit anhängig ist, ist aber (jedenfalls zulässigerweise) – lediglich – das nunmehr mit der Klage beim Sozialgericht Potsdam (S 19 AS 2295/06) verfolgte Begehren der Antragstellerinnen, für den im dort angegriffenen Bescheid vom 23. Juni 2006 geregelten Bewilligungsabschnitt (1. Juni bis 30. November 2006) höhere Leistungen zu erhalten. Die im Bescheid vom 27. November 2006 für den nachfolgenden Bewilligungsabschnitt (vom 1. Dezember 2006 bis 31. Mai 2007) getroffenen Regelungen (Verwaltungsakte) werden nicht nach § 96 SGG oder in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift Gegenstand des jetzt beim Sozialgericht anhängigen Klageverfahrens (BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R –). Insoweit wäre – nach durchgeführtem Vorverfahren – eine weitere Klage zu erheben und dementsprechend – ggfl. auch vor Klageerhebung (§ 86b Abs. 3 SGG) – bei dem für diese Klage zuständigen "Gericht der Hauptsache" ein Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu stellen.

Im Übrigen hat die Beschwerde im Wesentlichen Erfolg.

Dem Senat ist im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes eine vollständige Aufklärung der Sachlage (die zuvörderst der Antragsgegnerin obliegt) nicht möglich, so dass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –).

Dabei ist davon auszugehen, dass bislang vollkommen ungeklärt ist, ob überhaupt tatsächliche Umstände vorliegen, die den (wertenden) Schluss zulassen könnten, dass die Antragstellerin zu 1) und der Vater der Antragstellerin zu 2) "in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenleb(en), dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen" (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB II]), so dass die Antragsgegnerin berechtigt wäre, das Einkommen des Vaters der Antragstellerin zu 2) bei der Berechnung der den Antragstellerinnen zu gewährenden Leistungen zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II).

Abgesehen davon, dass aus dem "Ermittlerbericht" vom 5. April 2006 keineswegs – wie das Sozialgericht "angemerkt" hat – hervorgeht, dass der Vater der Antragstellerin zu 2) "nach den Aussagen der Antragstellerin bereits seit einem halben Jahr überwiegend in ihrer Wohnung wohnt und übernachtet", sondern allenfalls, dass die Antragstellerin zu 1) mitgeteilt habe, dieser "schlafe ab und zu in ihrer Wohnung, wenn er Frühschicht habe" bzw. sie "(eingestanden habe), dass (er) sich seit etwa einem halben Jahr schon hier aufhalte, aber sowohl hier als auch in seiner Wohnung schlafe", bestreiten die Antragstellerinnen, dass die Angaben der Antragstellerin zu 1) in diesem Bericht zutreffend wiedergegeben sind. Aber selbst wenn es stimmen sollte, dass sich der Vater der Antragstellerin zu 2) "seit etwa einem halben Jahr" – ständig? wie oft? wie lange? – in der Wohnung "aufhält", in der auch seine Tochter lebt, sich dort ein Werkzeugkoffer (der nach Angaben der Antragstellerin zu 1) ihr gehört), "Kontoauszüge der letzten Jahre", Versandhaus-Rechnungen, "umfangreiche Herrenkosmetika" (eine Zahnbürste und eine Dose Rasierschaum?) sowie mindestens sieben Paar Herrenschuhe und weitere Herrenbekleidungsstücke befinden sollten, ja sogar wenn der Vater der Antragstellerin zu 2) dort – wie oft? – nicht auf der Klappcouch, sondern mit der Antragstellerin zu 1) im Doppelbett schlafen sollte, aber auch in seiner Wohnung, würde dies nicht zwingend die Annahme begründen, die Antragstellerin zu 1) lebte mit ihm "in einem gemeinsamen Haushalt" zusammen. Hierfür sind irgendwelche Tatsachen nicht genannt, geschweige denn ermittelt worden. Dagegen spricht bereits entscheidend der von der Antragsgegnerin nicht bezweifelte Umstand, dass der Vater der Antragstellerin zu 2) eine eigene Wohnung hat, die er auch bewohnt und offenbar – so jedenfalls die Einlassung der Antragstellerin zu 1) vom 21. April 2006 – auch nicht aufgeben möchte. Falls dies zutreffen sollte – wozu ggfl. auch er zu befragen wäre bzw. weitere sachgerechte Ermittlungen anzustellen wären –, könnte dies darauf hindeuten, dass er dort einen eigenen Haushalt führt und zumindest er von der Antragstellerin zu 1) unabhängig sein möchte und gerade keinen "gemeinsamen Haushalt" mit ihr führen will und auch nicht führt. "Eheähnlich" wäre ein solcher Zustand jedenfalls kaum. Bezeichnenderweise hat das Sozialgericht auch nur vom "Haushalt der Antragstellerin zu 1)" gesprochen.

Angesichts dieser ungeklärten Sachlage sind den Antragstellerinnen vorläufig (unter dem Vorbehalt einer endgültigen Klärung im Hauptsacheverfahren) die zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens dienenden Leistungen zu gewähren (BVerfG, a.a.O.). Bei deren Höhe geht der Senat von der der ihnen für Mai 2006 (ohne Berücksichtigung des Einkommens des Vaters der Antragstellerin zu 2)) gewährten Leistungen aus, hält allerdings zumindest im Eilverfahren die Gewährung eines Zuschlags für einen Mehrbedarf für Alleinerziehende angesichts der Beteiligung des Vaters der Antragstellerin zu 2) an deren Erziehung nicht für geboten.

Wie sowohl die Antragsgegnerin wie auch das Sozialgericht zu der Auffassung gelangen konnten, eine um mehr als 200 Euro monatlich hinter dem gegenwärtigen zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlichen Bedarf zurückbleibende Leistung begründe nicht die Gefahr "wesentlicher Nachteile" (§ 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), kann der Senat nicht nachvollziehen.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG. Mit Rücksicht auf den weitgehenden Erfolg der Antragstellerinnen hält der Senat eine vollständige Kostenerstattung für angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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