S 11 RJ 1107/03

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 11 RJ 1107/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 02.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2003 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beschäftigung im Ghetto Tarnow von Juni 1941 bis Dezember 1942 sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmung zu leisten. 3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Leistung einer Altersrente unter Anerkennung einer Beschäftigung im Ghetto.

Die am XX.XX.1912 in Tarnow geborene Klägerin lebt seit 1947 in den USA. Sie ist als Verfolgte anerkannt und nach dem Bundesentschädigungsgesetz – BEG – entschädigt worden.

Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens hatte die Klägerin in einer eidesstattlichen Erklärung vom Juni 1956 angegeben, dass, als die Deutschen nach Polen gekommen seien, sie sofort verpflichtet gewesen sei, eine Armbinde zu tragen. Sie sei gezwungen worden, zu arbeiten und habe ab 1940 Zwangsarbeit für deutsche Behörden, Militäruniformen, machen müssen. Von 1941 – 1943 habe sie im Ghetto Tarnow gelebt. Sie habe "ausser dem Ghetto gearbeitet unter Aufsicht von einem SS- Beamten". Danach sei sie in verschiedene Konzentrationslager gekommen, im September 1943 in das KZ Plaszow, im Oktober 1944 in das KZ Auschwitz, im Januar 1945 nach Bergen- Belsen, im Februar 1945 Glenau und im April 1945 nach Mauthausen. In einer weiteren Erklärung vom Oktober 1956 hatte die Klägerin unter anderem erneut bestätigt, dass sie außerhalb des Ghettos unter Aufsicht eines SS-Beamten, die immer dort waren, habe arbeiten müssen. Die Zeugin R. H. hatte in einer Erklärung vom 29.10.1956 die Angaben der Klägerin bestätigt und angegeben, dass " in June 1942 the ghetto in Tarnow was closed We had to leave for work with police escorts as well as with Jewish and German police ".

In einem nervenärztlichen Gutachten vom Juni 1961 wird beschrieben, dass die Klägerin nach eigenen Angaben eine Ausbildung als Schneiderin absolviert habe. Im Ghetto habe sie weiter etwa 8 Monate als Schneiderin gearbeitet. An alle anderen Einzelheiten im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg, an die Arbeiten in den Konzentrationslagern wie in einer Munitionsfabrik, habe sich die Klägerin nur anhand von Aufzeichnungen erinnern können. Alles andere sei unklar und schattenhaft für sie.

Am 4.10.2002 beantragte die Klägerin die Leistung einer Altersrente unter Berücksichtigung der Beschäftigung im Ghetto Tarnow. Im Fragebogen der Beklagten gab die Klägerin folgendes an: "tailor, manufactures military uniforms, money and food".

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2.4.2003 ab mit der Begründung, die Klägerin habe nach eigenen Angaben außerhalb des Ghettos unter Bewachung gearbeitet. Hieraus ergebe sich kein Hinweis darauf, dass die Klägerin die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt habe.

Der Widerspruch vom 09.05.2003, mit welchem der Bevollmächtigte der Klägerin darauf verwies, dass unter Beschäftigung im Ghetto auch eine Tätigkeit gemeint sei, die außerhalb des Ghettos ausgeübt worden sei und es sich bei Tätigkeiten der jüdischen Arbeitskolonnen um begehrte Tätigkeiten gehandelt habe, blieb erfolglos und wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2003 zurückgewiesen. Die Beklagte verblieb bei ihrer Ansicht, dass kein Anhalt für eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss vorliege.

Mit ihrer Klage vom 24.11.2003 verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Sie gibt an, bis zum Beginn der Verfolgung angestellte Schneiderin gewesen zu sein. Sie habe dann im Ghetto weiterhin als Schneiderin gearbeitet, und zwar in einer außerhalb des Ghettos in der N.-Straße gelegenen Uniformschneiderei. Sie habe Sachbezüge und einige Zloty erhalten. Aufsicht sei von einem Mitarbeiter des Wirtschafts- und Verwaltungsamtes oder des NS- Kraftfahrerkorps geführt worden. Sie habe das Ghetto nur unter Aufsicht verlassen. Entgeltlich sei die Arbeit gewesen, da die Klägerin Zloty für ihre Arbeit erhalten habe, wie angestellte Schneiderinnen. Im übrigen sei zu berücksichtigen, dass nach den Richtlinien vom 05.07.1940, der Verordnung vom 15.12.1941 und rückschauend aufgrund der Schreiben des SSPF Galizien vom 23.10.1942 und vom 6.11.1942 ein Lohnanspruch bestanden habe. In diesen Schreiben sei bestimmt worden, dass die Lohnzahlungen an die jüdischen Arbeitskräfte im Distrikt Galizien, die bei der Rüstungsinspektion beschäftigt seien, ab dem 1.11.1942 einzustellen seien. Für Beschäftigte beim Wehrkreisbefehlshaber im Generalgouvernement habe diese Regelung ab 15.11.1942 gegolten. Aus diesen Unterlagen sei daher zu schließen, dass die Betreffenden einen Anspruch auf Lohnzahlungen gehabt hätten, und zwar über den Oktober 1942 hinaus auch für jüdische Arbeiter, die nicht bei den genannten Stellen beschäftigt gewesen waren.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 2.4.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beschäftigung im Ghetto Tarnow vom Juni 1941 bis Dezember 1942 sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu leisten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Inhalt der Rentenakten.

Zur Ermittlung des Sachverhaltes hat das Gericht die Entschädigungsakte für die Klägerin des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogen.

Die Zeugin H1 W. hat in ihrer Erklärung vom Oktober 2006 bestätigt, dass die Klägerin und sie als Schneiderinnen im Ghetto gearbeitet hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Prozessakte der Kammer, die Rentenakte der Beklagten und die Entschädigungsakte des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg, die vorgelegen haben und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 19.10.2006 gemacht worden sind, wegen deren Verlauf auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Leistung einer Altersrente unter Berücksichtigung der Beschäftigung im Ghetto Tarnow und weiterer Ersatzzeiten. Die Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und waren daher aufzuheben.

Versicherte haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie - das 65. Lebensjahr vollendet und - die Wartezeit erfüllt haben (§ 35 Sozialgesetzbuch, 6.Buch, SGB VI).

Die Klägerin hat das 65. Lebensjahr vollendet. Sie erfüllt auch die allgemeine Wartezeit.

Auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren werden Kalendermonate mit Beitragszeiten und auch Ersatzzeiten angerechnet (§§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).

Die Klägerin hat zwar weder Pflichtbeitragszeiten noch freiwillige Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung. Pflichtbeitragszeiten sind aber auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Solche Zeiten liegen bei der Klägerin jedoch vor, denn bei ihr liegen Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto vor, für die Beiträge als gezahlt gelten.

Nach § 2 Absatz 1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto – ZRBG - gelten Beiträge als gezahlt und zwar - für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungs¬gesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebietes sowie - für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).

Nach § 1 Absatz 1 Satz 1 ZRBG sind Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gegeben, wenn sich diese dort zwangsweise aufgehalten haben und wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde, 2. das Ghetto sich einem Gebiet befand, dass vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG).

Für die Feststellung der nach dem ZRBG maßgeblichen Tatsachen genügt deren Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung – WGSVG -). Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wenn die "gute Möglichkeit" besteht, dass der behauptete Vorgang sich so zugetragen hat, wie der Antragsteller es geltend macht (BSG, Urteil vom 3. 2.1999, B 9 V 33/97 R).

Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass sich die Klägerin mindestens in dem Zeitraum von Mai 1940 bis September 1943 in Tarnow, ihrem Geburtsort, aufgehalten hat.

Nach den eigenen Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren und auch im Rentenverfahren hat sich diese vom Mai 1940 bis Juni 1941 im Zwangsarbeitslager Tarnow und seit Juni 1941 bis September 1943 im Ghetto Tarnow aufhalten müssen.

Nach den dem Gericht zugänglichen Unterlagen wurde Tarnow im Gebiet des damaligen Distriktes Krakau in dem im Oktober 1939 gegründeten Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete am 08.09.1939 von den deutschen Truppen besetzt. Vom ersten Tag der Besatzung an wurden die Juden zur Zwangsarbeit herangezogen und ihrer Habe beraubt. Unter der Verordnung vom November 1939 waren alle Juden ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, einen Judenstern zu tragen. Anfang November 1939 wurde ein Judenrat eingesetzt. Seit Frühjahr 1940 sahen sich die Juden mit zunehmend härteren Erlassen konfrontiert (vgl. hierzu Enzyklopädie des Holocaust, Bd. III).

Hinsichtlich des Zeitpunktes der Errichtung des Ghettos Tarnow liegen abweichende Angaben vor. So geht KEOM (www.keom.de) davon aus, dass das Ghetto Tarnow am 1.2.1942 eröffnet und ab September 1943 liquidiert wurde, unter anderem nach Krakau- Plaszow. Ab November 1943 habe die Verpflichtung zur Zwangsarbeit bestanden. Demgegenüber ist in der ARC Ghetto Liste (www.deathcamps.org ) festgestellt, dass das Ghetto in Tarnow schon von März 1941 bis September 1943 bestanden habe. Das jüdische Museum in Tarnow wiederum gibt in einer Mitteilung an das Sozialgericht Hamburg vom Juni 2006 an, dass das Ghetto in Tarnow von Oktober 1941 als "jüdischer Wohnstadtteil" eingerichtet worden sein soll; ab Juni 1942 habe es sich um ein geschlossenes Ghetto gehandelt, welches Anfang 1944 endgültig liquidiert worden sei. Die Enzyklopädie des Holocaust benennt den Juni 1942 als Zeitpunkt, in welchem das Ghetto in Tarnow errichtet worden sei.

Aufgrund dieser Daten hat die Kammer keinen Zweifel, dass sich die Klägerin in dem von ihr angegebenen Zeitraum von Juni 1941 bis September 1943 im Ghetto Tarnow hat aufhalten müssen. Auch wenn die Daten von einander abweichen, liegt es für die Kammer nahe, dass im Juni 1941 bereits ein Ghetto bestanden hatte. Selbst wenn aber unter Berücksichtigung der bei KEOM verfügbaren Daten von einer späteren Ghettoerrichtung auszugehen wäre, sind dennoch mindestens Zeiten einer Beschäftigung der Klägerin im Ghetto ab Februar 1942 anzurechnen.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin der nach eigenen Angaben von Mai 1940 bis Juni 1941 im Tarnow bereits Zwangsarbeit geleistet hat und daher möglicherweise die Angaben der Klägerin zum Beginn des Aufenthaltes im Ghetto unklar sind, denn die Einschränkung der Freizügigkeit und Konzentration der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement begann, wie oben beschrieben, bereits zu einem erheblich früheren Zeitpunkt als die Errichtung der Ghettos, und zwar schon mit der Verordnung über die Kennzeichnung vom 23.11.1939 sowie der Wohnsitzbindung mit der Durchführungsverordnung zur Verordnung vom 26.10.1939 über die Einführung des Arbeitszwanges vom 11.12.1939. Unzweifelhaft ist unter Berücksichtigung der historischen Unterlagen, dass unmittelbar nach der Besetzung Tarnows Zwangsarbeiten auszuführen waren.

Vor diesem Hintergrund ist es aber für die Kammer nachvollziehbar, dass die Angaben über den Beginn des Aufenthaltes in einem Ghetto unscharf sind, insbesondere, da die Klägerin sich weiterhin in dem Ort Tarnow aufgehalten hatte; eine gewissermaßen örtliche Zäsur zu diesem Zeitpunkt daher noch nicht stattgefunden hatte.

Die Klägerin hat in dieser Zeit auch eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt. Dieses ergibt sich nachvollziehbar aus dem Gesamtzusammenhang der vorliegenden Akten.

Bereits in dem Entschädigungsverfahren hatte die Klägerin angegeben, sie habe während des Aufenthaltes im Ghetto Tarnow Militäruniformen hergestellt, und zwar für deutsche Behörden. Diese Angaben sind sowohl in den während des Entschädigungsverfahrens eingeholten medizinischen Gutachten als auch von den damaligen Zeuginnen bestätigt worden. Für die Kammer ist es daher glaubhaft, dass die Klägerin während des Aufenthaltes im Ghetto gearbeitet hat.

Glaubhaft im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist ebenfalls, dass die Klägerin diese Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im Ghetto Zwangsarbeit hat ausüben müssen, liegen zur Überzeugung der Kammer nicht vor.

Von dem den Vorschriften des ZRBG zu Grunde liegenden versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ist die Zwangsarbeit abzugrenzen. Die Auslegung des Begriffes Beschäftigung hat sich dabei an der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes, wie sie auch im Übrigen den Entscheidungen zur Beschäftigung im Ghetto Lodz zugrunde lagen (Urteil des BSG vom 18.06.1997, 5 RJ 66/95), zur Abgrenzung von versicherungspflichtiger freier Beschäftigung gegenüber Zwangsarbeit zu orientieren, denn die im ZRBG genannten Kriterien knüpfen ersichtlich an die bisherige Rechtsprechung an (BT-Ds vom 19.3.2002, 14/8583, S. 5). Gesichert werden soll damit, dass ein gewisser Bezug zur Versichertengemeinschaft noch gegeben ist, denn der Gesetzgeber hat mit dem ZRBG zwar eine Lücke bei der Wiedergutmachung schließen wollen, dennoch kein reines Entschädigungsgesetz geschaffen (vgl. dazu Urteil des BSG vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R m.w.N. und Urteil vom 20.7.2005, B 13 RJ 37/04 R).

Kennzeichnend für ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Rentenversicherungsrechtes ist sein Zustandekommen durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und sein Zweck, nämlich der Austausch von Arbeitsleistung gegen Arbeitsentgelt. Keine versicherungspflichtigen Beschäftigung liegt demgegenüber vor bei Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang. Typischerweise werden hier die Zwangsarbeiter bestimmten Unternehmen oder auch staatlichen Projekten zugewiesenen, ohne dass die Arbeiter selbst Einfluss auf die Zuweisung haben. Ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit wird nicht oder nur in sehr geringem Maße an die Arbeiter ausgezahlt. Die Arbeit wird unter Bewachung geleistet, um zu verhindern, dass sich die Arbeiter aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (vgl. Urteil des BSG vom 10.12.1974, BSGE 38, 245). Je mehr damit die Arbeit von obrigkeitsrechtlichem Zwang bestimmt wird, desto mehr handelt es sich hierbei um Zwangsarbeit. Allerdings hat allein die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit dem für Juden bestehenden Arbeitszwang nach der Rechtsprechung des BSG noch nicht dazu geführt, das sämtliche Arbeitsverhältnisse derart obrigkeitlich überlagert gewesen waren, dass von genereller, also die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse betreffenden Zwangsarbeit auszugehen ist (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 14.7.1999, B 13 RJ 71/98). Die unter den Bedingungen des Ghettos ausgeübte Arbeitsleistung ist daher dann keine Zwangsarbeit, wenn ein eigener Willensentschluss zur Arbeitsaufnahme vorhanden war und nicht der Betroffene durch staatliche Zwangsmaßnahmen zur Arbeit in bestimmten Unternehmen oder Projekten verpflichtet wurde. Der hoheitlich angeordnete Aufenthalt in einem Ghetto regelte nur die allgemeinen Lebensumstände.

Aus den historischen Unterlagen ist erkennbar, dass das Ghettoleben bestimmt sein konnte durch in diesem Sinne geforderte Zwangsarbeit. In diesem Fall wurden die betroffenen Juden teilweise bereits auf der Straße abgefangen und zu den jeweiligen Arbeitsplätzen verbracht. Generell oblag den Judenräten die Umsetzung der im Ghetto bestehenden Verpflichtung, Arbeiten auszuüben. In diesen Fällen bestand für jüdische Bewohner die Verpflichtung, an bestimmten Tagen Arbeiten für die Gemeinschaft auszuüben. Am Beispiel des Warschauer Ghettos beschreibt Prof. G. in seinem Gutachten vom September 2005, dass der Judenrat alle dem Arbeitszwang unterliegenden Juden registrierte, namentliche Arbeitsaufforderungen und Arbeitskarten ausstellte und so versucht habe, den Arbeitszwang gleichmäßig zu verteilen. Damit bestand die Verpflichtung an bestimmten Tagen des Monats zuarbeiten, an den anderen Tagen waren die Bewohner frei (vgl. Gutachten Prof. G. , Seite 4,5). Unter Berücksichtigung des angeordneten Arbeitszwanges wird in dem Gutachten von einer eingeschränkten faktischen Freiwilligkeit gesprochen, denn es gab die Möglichkeit, Vertreter zu benennen, die statt der Aufgerufenen die Arbeit ausführten. Die Vertretung, so der Gutachter, sei im Allgemeinen durch den Judenrat organisiert worden. Er habe als eine Art Arbeitsverleiher fungiert, indem sich die Vertreter freiwillig zur Verfügung gestellt haben. Die Entscheidung zur Arbeit sei trotz des bestehenden Arbeitszwangs daher von den persönlichen Verhältnissen abhängig gewesen.

Parallel zur beschriebenen Zwangsarbeit bestand mithin auch die Möglichkeit, dass Arbeit im Sinne einer "freien" Beschäftigung, allerdings unter den Lebensbedingungen des Ghettos, ausgeübt wurde. Anhaltspunkte hierzu ergeben sich zum einen aus den mittlerweile vielzählig vorliegenden Erinnerungen von Ghettobewohnern. Im Übrigen betont Prof. G. in seinem Gutachten, dass Arbeit im Ghetto ein Privileg war und sich die Bewohner hierum bemühten, weil dadurch eine bessere Versorgung, bevor allem aber eine besserer Schutz vor Deportationen erhofft wurde.

Anhaltspunkte für mögliche freiwillige Tätigkeiten ergeben sich zum anderen auch aus der Anordnung zur Durchführung des Arbeitseinsatzes der jüdischen Bevölkerung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 (veröffentlicht in Documenta Occupationis Bd. VI, S. 568 ff), die für das Generalgouvernement festhielt, dass in allen geeigneten Fällen "zunächst der Versuch der Beschäftigung der Juden im freien Arbeitsverhältnis zu unternehmen" sei. Die Beschäftigung von Juden habe zweierlei zum Ziel, und zwar "1. die bestmögliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Allgemeinen, und 2. die Sicherung des eigenen und des Lebensunterhalts der Familie. Demgemäß kann sich der Arbeitseinsatz der Juden in zwei Formen vollziehen: a) durch Beschäftigung der nicht zur Zwangsarbeit aufgerufenen Juden im freien Arbeitsverhältnis; die Arbeitsbedingungen sind in einer besonderen Tarifordnung im einzelnen noch festzulegen ( ) b) durch die Einberufung von Juden zur Zwangsarbeit auf Grund der Verordnung vom 26.10.1939, die eine Entlohnung nicht vorsieht.

Die Form zu b) kommt im allgemeinen nur in Frage bei größeren Projekten, bei denen eine große Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt, lagermäßig untergebracht und bewacht werden kann. ( ) "

Hieraus wird nach Auffassung der Kammer deutlich, dass neben "echten" Zwangsarbeiten auch Tätigkeiten existiert hatten, die zwar auf dem generellen Arbeitszwang für Juden basierten, jedoch konkret als freie Beschäftigungsverhältnisse aus eigenem Willensentschluss aufgenommen worden waren und, worauf noch einzugehen sein wird, gegen Entgelt ausgeübt worden waren.

Zur Überzeugung der Kammer ist davon auszugehen, dass die Klägerin die von ihr ausgeübte Arbeit aus eigenem Willensentschluss aufgenommen hat. Zwar hat die Klägerin selber hierzu keine weiteren Angaben gemacht. Wie sich aber aus den Akten ergibt, hatte die Klägerin vor Beginn der Verfolgung eine Ausbildung als Schneiderin absolviert und in diesem Beruf gearbeitet. Vor dem Hintergrund der Literatur ist es für die Kammer in vollem Umfang nachvollziehbar, dass die Klägerin, die zu Beginn des von ihr beschriebenen Aufenthalts im Ghetto etwa 29 Jahre alt gewesen war, diese Tätigkeiten aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hatte. Dieses ergibt sich zum einen auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. G., der beschreibt, dass handwerkliche Tätigkeiten diejenigen waren, die in der Regel auch im Ghetto weiter ausgeübt werden konnten. Zum anderen ergibt sich aufgrund der Literatur, dass insbesondere im Ghetto Tarnow verschiedene Schneidereien betrieben wurden; genannt werden hier beispielsweise Madritsch und Lauer. Unter anderem wurden in diesen Schneidereien Uniformen genäht.

Mithin ist zur Überzeugung der Kammer glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit, dass die Klägerin ihren bisherigen Beruf als Schneiderin auch im Ghetto Tarnow aus eigenem Willensentschluss weiter ausgeübt hat.

Dagegen spricht nicht, dass die Klägerin nach eigenen Angaben in einer Schneiderei außerhalb des Ghettos gearbeitet hat. Wie die Zeugin H. in ihrer Erklärung während des Entschädigungsverfahrens angegeben hatte, mussten sie das Ghetto verlassen, um zur Arbeit zu kommen: "we had to leave for work with police escorts ...". Hieraus ist zu schließen, dass die Klägerin tagsüber das Ghetto verlassen hatte, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Dieses führt jedoch nicht dazu, dass es sich hierbei um die Folge eines Arbeitszwanges aufgrund von obrigkeitlicher Anordnung, mithin Zwangsarbeit gehandelt hatte, sondern war vielmehr Folge der Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung. Das Bundessozialgericht hat ausgeführt, dass Zwangsarbeit in solchen Fällen vorliegen kann, wenn die Bewachung aus dem Grunde erfolge, dass sich die Arbeiter nicht aus dem "obrigkeitlichen Gewahrsam " entfernen sollen. Durch die Bewachung auf dem Weg von und zum Arbeitsplatz soll jedoch nicht der obrigkeitliche Gewahrsam gesichert werden, sondern hier der zwangsweise Aufenthalt im Ghetto.

Die Bewachung auf dem Weg zur Arbeitsstelle, die die Klägerin angeben hatte, steht damit ebenfalls einer Tätigkeit aus freiem Willensentschluss nicht entgegen. Die Kammer schließt sich hier der Ansicht der Kammer 19 des SG Hamburg in dem Urteil vom 17.5.2005 (AZ S 19 RJ 1061/03) in vollem Umfang an.

Auch bei den außerhalb des Gettos verrichteten Arbeiten mit einer täglichen Rückkehr ins Ghetto handelt es sich um Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto nach § 1 Abs. 1 ZRBG. Der Wortlaut der Vorschrift ist dahingehend auszulegen ist, dass es hinsichtlich der Voraussetzungen nach dem ZRBG auf den Aufenthalt im Ghetto ankommt, und nicht darauf, ob auch der Ort der Beschäftigung innerhalb des Ghettos lag. Ein Aufenthalt in einem Ghetto liegt jedoch auch dann vor, wenn der Betreffende von dort täglich zur Arbeit gehen musste und abends zurückkehrte. Bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit hat es sich auch um eine Tätigkeit gegen Entgelt gehandelt. Zwar hat die Klägerin in dem damaligen Entschädigungsverfahren hierzu keinerlei Angaben gemacht. Hieraus ist jedoch nicht zu folgern, dass die Angaben der Klägerin im Rentenverfahren, sie habe Sachbezüge und einige Zloty für ihre Arbeit erhalten, nicht zutreffend sein können, da die Frage eines Entgeltbezuges für das Entschädigungsverfahren bedeutungslos war. Die - erst - im Rentenverfahren gemachten Angaben hinsichtlich des Entgeltes lassen sich anhand der der Kammer vorliegenden historischen Unterlagen nachvollziehen. Prof. G. beschreibt in seinem Gutachten (a.a.O.), dass große Textilfirmen Löhne, wenn auch sehr niedrig, an die arbeitenden Juden zahlten. Zwar beschreibt er dies für das Ghetto Warschau. Er stellt jedoch weiterhin fest, dass vergleichbare Zustände in anderen größeren Ghettos bestanden hatten. Das Ghetto in Tarnow mit etwa 40.000 Bewohnern (vgl. hierzu ARC Ghetto Liste) war in den Bereich der größeren Ghettos einzuordnen. Hinsichtlich der Gegenleistungen für Arbeit beschreibt Prof. G., dass auswärtige Firmen, die die jüdische Arbeitskraft in Anspruch nahmen, hierfür eine Vergütung hatten zahlen müssen. Diese Zahlungen gingen jedoch in der Regel nicht an die Arbeitenden selber, sondern an den Judenrat. Dieser habe er einen Teil der Bezüge einbehalten und eine weitere Anteil an die Arbeitenden weitergegeben. Hinsichtlich der Textilfirmen in Warschau beschreibt Prof. G., dass dort je nach Qualifikation zwischen 6 und 15 Zloty abzüglich des Essensgeldes gezahlt worden war. Für das Ghetto Tarnow ist jedoch darüber hinaus zu berücksichtigen, dass hier nachweislich verschiedene Textilfirmen ansässig gewesen waren, so dass die Annahme einer Entgeltzahlung, wie sie die Klägerin beschreibt, glaubhaft im Sinne einer guten Möglichkeit ist.

Mindestens hatte die Klägerin aber einen Entgeltanspruch. Dieses ergibt sich unter Berücksichtigung der Anordnung vom 5.7.1940 (a.a.O.). Hier heißt es unter IV: " bisher fand eine regelrechte Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte meist nicht statt. Inzwischen sind jedoch langsam die Geldreserven der Judenräte erschöpft. Um die Arbeitsfähigkeit der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt dir Familie sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden, muss mit diesem bisherigen Grundsatz gebrochen und eine ordnungsgemäße Entlohnung gefordert werden. Bei der lagermäßigen Unterbringung der zu Zwangsarbeiten einberufenen Juden findet, wie schon erwähnt, keine Entlohnung, sondern nur eine Gewährung von Leistungsprämien als Anreiz zur Leistungssteigerung statt ... Bei den nicht zu Zwangsarbeit einberufenen, sondern vermittelten Arbeitskräften hat eine ordnungsgemäße Entlohnung aufgrund der noch zu erlassenden Tarifordnung zu erfolgen. Um dem Träger der Arbeit einen Anreiz zur Beschäftigung von Juden zu geben, soll die Beschäftigung im Allgemeinen auf Akkordbasis erfolgen, wobei der Leistungslohn für Juden etwa 20 % unter dem gleichen Lohn für polnische Arbeitskräfte liegt. Falls eine Beschäftigung auf Akkordbasis nicht möglich ist, ist der Stundenlohn nach einer Tarifordnung für polnische Arbeitskräfte - vermindert um 20 Prozent - zu gewähren. Einzelheiten werden in der in Kürze zu erlassenden Tarifordnung festgelegt. Jedoch kann hiernach schon jetzt verfahren werden. In diesen Fällen ist außerdem zu prüfen, ob der Lohn unmittelbar an den empfangsberechtigten Juden oder an den Judenrat, dem die soziale Betreuung der Juden und ihrer Familien aus Mitteln der Judengemeinde in erster Linie obliegt, zu zahlen ist. Die vermittelten jüdischen Arbeitskräfte sind von den Betriebsführern selbstverständlich zur Sozialversicherung anzumelden. "

Wie ausgeführt, ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin nicht lagermäßig untergebracht und Zwangsarbeit geleistet hatte und hatte daher einen Lohnanspruch für die von ihr ausgeübte Tätigkeit gehabt. Unter Berücksichtigung der genannten Verordnung ist von dem Entgeltanspruch mindestens seit Juli 1940, im Falle der Klägerin daher mit Beginn der Tätigkeit im Ghetto, auszugehen.

In Anbetracht der vorliegenden Verordnungen ist jedoch ein Ende der entgeltlichen Tätigkeit im November 1942 anzunehmen. Seit diesem Zeitpunkt war, wie ausgeführt, der Entgeltanspruch nicht mehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben.

Da es sich mithin bei der Tätigkeit der Klägerin in dem genannten Zeitraum um eine entgeltliche Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss gehandelt hatte, ist von versicherungspflichtiger Tätigkeit auszugehen. Auch hier ist die bisherige Rechtsprechung des BSG anzuwenden, wonach die Versicherungspflicht einer Beschäftigung an die Entgeltlichkeit anknüpft (vgl. hierzu BSG Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Diese Entgeltlichkeit ist vorliegend gegeben, auch wenn die Klägerin nach eigenen Angaben lediglich einige Zloty und "food" erhalten hatte. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es nämlich nicht auf eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit an, wobei allerdings das Entgelt auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, ein Mindestmaß erreichen muss (BSG Urteil vom 7.10.2004, a.a.O.). Von diesem Mindestmaß ist aber zur Überzeugung der Kammer vorliegend auszugehen. Wie in dem Gutachten von Prof. G. beschrieben, erreichten die an Schneider(innen) gezahlten Löhne Beträge zwischen 6 und 15 Zloty. Wenn die Klägerin nun von "einigen Zloty" spricht, ist dies nachvollziehbar. Sie wird, da sie lediglich eine abgeschlossene Ausbildung hatte, nicht im oberen Entgeltbereich gelegen haben.

Damit hat aber die Klägerin ein im Rahmen des ZRBG maßgebliches Entgelt erhalten. Die Kammer ist ebenfalls der Auffassung, dass vor dem Hintergrund der damals in den Ghettos herrschenden Verhältnisse auch die Frage der Entgelthöhe entsprechend zu berücksichtigen ist und schließt sich damit den Auffassungen in den Urteilen der Kammern 9 und 20 des SG Hamburg (Urteil vom 9.2.2006, S 9 RJ 896/03 und Urteil vom 2.5.2006, S 20 RJ 611/04) in vollem Umfang an.

Dieses Entgelt hat demzufolge auch zur Versicherungspflicht geführt. Dass dies auch schon in der Verordnung vom 5.7.1940 entsprechend gesehen wurde, ergibt sich aus dem letzten Satz in dem Abschnitt IV, wonach "die vermittelten jüdischen Arbeitskräfte selbstverständlich zur Sozialversicherung anzumelden" gewesen sind. Aufgrund dieser Formulierung ist daher davon auszugehen, dass auch unter den im Ghetto herrschenden Arbeitsbedingungen von einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgegangen worden war. Dass die - nach der Verordnung - zu zahlenden Beiträge letztlich nicht den jüdischen Arbeitern zugute kommen sollten (eine Rentenleistung an jüdische Arbeiter war unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ausgeschlossen worden), steht einer zeitlichen Versicherungspflicht jedoch nicht entgegen.

Demzufolge hat die Klägerin im Ghetto Tarnow ein Beschäftigungsverhältnis aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt. Für die Klägerin waren daher rentenrechtliche Beitragszeiten von Juni 1941 mit Beginn des Aufenthaltes im Ghetto bis Dezember 1942 nebst weiterer Ersatzzeiten anzurechnen und ein Anspruch auf Leistung einer Altersrente unter Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG festzustellen.

Es kommt hierbei nicht darauf an, ob die Klägerin dem vom Fremdrentengesetz (FRG) erfaßten Personenkreis, insbesondere dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat. Ausdrücklich ist seitens des bei der Gesetzgebung federführenden ehemaligen Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung betont worden, dass das ZRBG die Berücksichtigung von Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in einem Ghetto verfolge, unabhängig davon, ob der Verfolgte zu dem Personenkreis des FRG oder zu dem deutschen Sprach- und Kulturkreis gehöre (Bericht zur Umsetzung des ZRBG, S. 7). Das nunmehr zuständige Ministerium hat diese Haltung bestätigt (vgl. Schrieben vom 10.3.2006 als Antwort auf ein Schreiben des Jose Moskowitch an Bundeskanzlerin Merkel). Zwar hat der vierte Senat des LSG Nordrhein-Westfalen die Auffassung vertreten, dass der Kreis der anspruchsberechtigten Personen durch die Normen des ZRBG nicht über die bestehenden Vorschriften des FRG, WGSVG und SGB VI hinaus erweitert werden solle. Dieser Ansicht kann sich die Kammer, in Übereinstimmung mit den Kammern 9, 10 und 20 des SG Hamburg jedoch nicht anschließen (vgl hierzu insbesondere die Ausführungen im Urteil vom 3.5.2006, S 10 RJ 944/03). Anhaltspunkte für eine in diesem Sinne einschränkende Auslegung ergeben sich aufgrund der dem Gericht vorliegenden Korrespondenz der Ministerien nicht.

Aus alldem ergibt sich mithin, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Leistung einer Altersrente nach den Vorschriften des ZRBG und weiterer Ersatzzeiten nach § 250 Absatz 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin – leistungsausschließend – bereits eine Leistung aus einem anderen (ausländischen) System der sozialen Sicherheit erhält (vgl. hierzu BT-Drs. 14/8583, S. 6), liegen nicht vor.

Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG – stattzugeben.
Rechtskraft
Aus
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