L 4 R 1614/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 3827/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 R 1614/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. September 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beschäftigungszeiten der Klägerin von November 1976 bis Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG zu bewerten sind.

Die 1953 geborene Klägerin absolvierte von 1972 bis 1976 erfolgreich ein Ingenieurstudium an der Hochschule für Verkehrswesen. Mit Urkunde vom 29. Oktober 1976 erwarb sie das Recht, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Die Klägerin war zuletzt vom 1. Januar 1986 bis zum 31. Januar 1991 als Projektingenieurin und Bereichsbauleiterin bei der Baudirektion Hauptstadt Berlin des Ministeriums für Bauwesen beschäftigt.

Am 17. Dezember 2003 beantragte sie bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Mit Bescheid vom 27. Februar 2004 und Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Feststellung der Beschäftigungszeit vom 1. Oktober 1976 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG ab, weil die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Eine Versorgungsanwartschaft sei nicht entstanden. Weder habe eine positive Versorgungszusage zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am Stichtag 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt worden, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Bei der Baudirektion Hauptstadt Berlin handele es sich nicht um einen volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) und auch nicht um einen im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 gleichgestellten Betrieb. Das AAÜG sei damit nicht anwendbar.

Mit der am 30. Juni 2004 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Unstreitig habe sie aufgrund ihrer Qualifikation die Tätigkeit eines Ingenieurs ausgeübt. Die Rechtsauffassung der Beklagten, wonach ihr Anspruch am Anstellungsbetrieb scheitere, weil dieser kein volkseigener Betrieb oder ein diesem gleichgestellter Betrieb gewesen sei, werde nicht geteilt. Es entziehe sich ihrer Kenntnis, ob ihr Arbeitgeber Baudirektion Hauptstadt Berlin in das VEB – Register eingetragen gewesen sei. Die Gleichstellung sei aber jedenfalls durch die Anweisung über die Umbildung der Aufbauleitung Sondervorhaben Berlin in Baudirektion Hauptstadt Berlin des Ministeriums für das Bauwesen vom 1. August 1983 erfolgt. Das Besondere der Baudirektion Hauptstadt Berlin seien im Wesentlichen die spezifischen Bauobjekte wie etwa das heutige H Hotel am G gewesen. Die Baudirektion habe über Elektriker, Fernmeldetechniker für Telefonanlagen, Kran- und LKW-Fahrer, Betonarbeiter und Zimmerleute, Stuckateure und andere Mitarbeiter verfügt, wobei ca. drei Viertel der ungefähr 290 Mitarbeiter auf den Baustellen des Arbeitgebers tätig gewesen seien.

Die Beklagte hat eine Auskunft des Amtsgerichts Charlottenburg – Handelsregister – vom 21. April 1994 vorgelegt, wonach die Baudirektion Hauptstadt Berlin nicht im Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragen, sondern dem Ministerrat der DDR unterstellt und angegliedert gewesen ist.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. September 2005 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Versorgungszusage scheitere daran, dass sie weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb noch in einem gleichgestellten Betrieb beschäftigt gewesen sei. Die Baudirektion Hauptstadt Berlin sei nicht in das Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragen gewesen und erfülle damit nicht das Erfordernis eines VEB. Fehle es am Vorliegen eines volkseigenen Betriebes, komme es auf die von der Klägerin behauptete Produktionstätigkeit nicht mehr an. Die Baudirektion Hauptstadt Berlin des Ministeriums für Bauwesen sei auch kein gleichgestellter Betrieb im Sinne der Versorgungsordnung, da sie in der abschließenden Aufzählung des § 1 Abs. 2 der 2. DB nicht genannt werde. Eine Erweiterung der gleichgestellten Betriebe und Einrichtungen komme nicht in Betracht.

Gegen den ihr am 15. September 2005 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin vom 13. Oktober 2005. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Die Beklagte habe in ihrer bisherigen Verwaltungspraxis ehemaligen Mitarbeitern der Baudirektion Hauptstadt Berlin die Zusatzversorgung dem Grunde nach zuerkannt, sodass dies auch ihr zustehe. Darüber hinaus verkenne die erstinstanzliche Entscheidung, dass sie angesichts ihres Berufs als Diplomingenieurin jederzeit einen Antrag auf Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem bei ihrem Arbeitgeber hätte stellen können, der auch positiv beschieden worden wäre. Darüber hinaus sei sie der Auffassung, dass materiellrechtlich die Baudirektion Hauptstadt Berlin ein volkseigener Betrieb gewesen sei, da sie dessen Kriterien rechtlich und tatsächlich erfüllt habe. Zumindest habe es sich um einen dem volkseigenen Betrieb gleichgestellten Betrieb gehandelt, was sich aus der Konstituierung der Baudirektion Hauptstadt Berlin und der Definierung dieser Organisation als einem volkseigenen Betrieb gleichgestellt nach dem Beschluss des Politbüros des ZK der SED und des Präsidiums des Ministerrats von 1983 ergebe.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. September 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Zeitraum vom 01. November 1976 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Die Klägerin habe unstreitig im Juni 1990 eine Beschäftigung bei der Baudirektion Hauptstadt Berlin ausgeübt. Die Annahme eines Produktionsbetriebes im Bereich der Industrie und des Bauwesens lasse sich daraus jedoch nicht herleiten.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten und zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten sind auf diese Möglichkeit mit der Ladung hingewiesen worden (§§ 110 Absatz 1 Satz 2, 126 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Das Sozialgericht Berlin beurteilt die Sach- und Rechtslage in seinem Gerichtsbescheid vom 08. September 2005 zutreffend.

Zur Begründung nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf das den Beteiligten bekannte rechtskräftige Urteil des 1. Senats des Landessozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2005, L 1 RA 52/03, in dem es heißt:

Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger die begehrte Feststellung (nach § 8 AAÜG) nicht zusteht, weil das AAÜG auf ihn keine Anwendung findet. Nach § 1 Abs. 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2). Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist die Vorschrift im Hinblick auf deren Satz 2 darüber hinaus verfassungskonform ausdehnend dahin auszulegen, dass die Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nicht nur durch die tatsächliche Einbeziehung zu DDR-Zeiten bis zur Schließung der Versorgungssysteme (am 30. Juni 1990) bzw. danach aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften (Rehabilitierungsentscheidung) begründet wird, sondern auch dadurch, dass jemand aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 1. August 1991 gegebenen Rechtslage einen "Anspruch auf Versorgungszusage" nach den bundesrechtlich fortgeltenden leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme gehabt hätte (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts [BSG] vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 12/13 und - B 4 RA 3/02 R - = SozR 3 a.a.O. Nr. 7 S. 54, ständige Rechtsprechung). Zu den in diesem Sinne fortgeltenden leistungsrechtlichen Regelungen gehört die - für den Kläger allein in Betracht kommende - Vorschrift des § 1 der Verordnung über die AVItech vom 17. August 1950 (vgl. Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 AAÜG) in der Bedeutung, die sie durch § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der 2. DB gefunden hat (vgl. BSG a.a.O. Nr. 2 S. 13). Voraussetzung für den Anspruch auf Versorgungszusage war danach außer der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen - u.a. die des Ingenieurs - (persönliche Voraussetzung), und der tatsächlichen Ausübung der entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine solche in einem volkseigenen oder diesem gleichgestellten Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens handelte - betriebliche Voraussetzung - (vgl. BSG-Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - = SozR 3 a.a.O. Nr. 6 S. 40 und SozR 3 a.a.O. Nr. 7 S. 60). Der Kläger erfüllte zwar die persönliche, möglicherweise auch die sachliche, nicht aber die betriebliche Voraussetzung, und zwar jedenfalls deshalb, weil er am 30. Juni 1990 in keinem VEB und auch in keinem gleichgestellten Betrieb nach § 1 Abs. 2 der 2. DB beschäftigt war. Die Baudirektion war kein VEB. Sie war eine dem Ministerium für Bauwesen unterstellte juristische Person und Haushaltsorganisation eigener Art, die zwar "vom Charakter und von den Aufgaben her die Stellung" eines VEB einnahm (§ 2 der Anweisung vom 2. Januar 1973) und auf die bestimmte für VEB geltende Rechtsvorschriften Anwendung fanden (§ 3 Abs. 2 der Anweisung). Gerade diese - wenn auch weitgehende, so doch letztlich begrenzte - Bezugnahme auf das für VEB geltende Recht in der Gründungsanweisung macht aber deutlich, dass es sich bei der Baudirektion um keinen VEB im Sinne der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979 handelte. Anderenfalls hätte die Baudirektion einen Namen geführt, der die Bezeichnung "VEB" enthielt, und wäre im Rechtsverkehr unter diesem Namen aufgetreten (§ 31 Abs. 3 der Verordnung vom 8. November 1979). Das für VEB maßgebliche Recht hätte ohne weiteres auf sie Anwendung gefunden und es hätte keiner besonderen Verweisung bedurft. Im Übrigen wurde die Baudirektion entgegen der Darstellung des Klägers - anders als VEB - nicht von einem Direktor, sondern - wie das SG bereits zutreffend festgestellt hatte - (Kombinaten gleich) von einem Generaldirektor geleitet. Die Baudirektion nahm eben "nur" vom "Charakter" und von den Aufgaben her die Stellung eines VEB ein. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Baudirektion wirtschaftsrechtlich einem VEB gleichgestellt gewesen sein mag, wie dem Statistischen Betriebsregister der DDR entnommen werden könnte. Jedenfalls fehlt es an einem Anhalt dafür, dass von der Verordnung über die AVItech - also versorgungsrechtlich - auch juristische Personen erfasst sein sollten, die keine VEB im Sinne der Verordnung vom 8. November 1979 waren. ( ) Angesichts dessen ist nicht weiter darauf einzugehen, dass die Einordnung der Baudirektion in der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR unter die "sonstigen produzierenden Betriebe" und nicht unter den Wirtschaftszweig "Bauwirtschaft" (mit der Ordnungszahl 2 beginnender fünfstelliger Schlüssel) eher dagegen spricht, dass der Baudirektion ihre eigene Bautätigkeit das Gepräge gegeben hat (vgl. BSG-Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 18/03 R - = SozR 4-8570 § 1 Nr. 1). Die Baudirektion war schließlich auch kein gleichgestellter Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 2. DB. Das hat das SG zutreffend dargelegt. Darauf wird Bezug genommen. Die Aufzählung der gleichgestellten Betriebe ist abschließend. Sie duldet wegen des Neueinbeziehungsverbotes keine Erweiterung (vgl. BSG SozR 3 a.a.O. Nr. 6 S. 50).

Diesen zutreffenden und auch dem Fall der Klägerin vollständig gerecht werdenden Ausführungen, denen der erkennende Senat sich bereits mit dem den Beteiligten ebenfalls bekannten Urteil vom 9. Juni 2006, L 4 RA 28/04, in einem vergleichbaren Fall angeschlossen hat, und denen auch – wie die Klägerin selbst vorträgt - der 16. Senat mit Beschluss vom 13. April 2006, L 16 R 1071/05, folgt, ist nichts hinzuzufügen. Die Berufung kann danach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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