L 6 B 677/06 R

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 9 R 139/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 B 677/06 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. März 2006 aufgehoben. Außergerichtliche Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des Rechtstreits war die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer über den 31. Dezember 2004 hinaus.

Die Antragsgegnerin hatte dem Antragsteller Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31. Dezember 2003 bewilligt (Bescheid vom 12. Dezember 2002). Auf seinen Weitergewährungsantrag vom 11. September 2003 hatte sie die Begutachtung des Antragsstellers durch die Fachärztin für Chirurgie Dr. Dr. A veranlasst, die im Hinblick auf die zwischenzeitlich eingetretene Besserung des Gesundheitszustandes die Herstellung eines vollschichtigen Leistungsvermögens mit Ablauf eines weiteren Jahres, d.h. bis Ende Dezember 2004 prognostizierte (Gutachten vom 27. November 2003). Gegen den die Dauer der Rentengewährung bis zum 31. Dezember 2004 erstreckenden Bescheid vom 16. Dezember 2003 legte der Antragsteller mit der Begründung Widerspruch ein, er sei zu 50 % schwerbeschädigt und auch trotz der Bemühungen des Arbeitsamtes nicht mehr integrierbar. Nach Zurückweisung des Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid vom 22. April 2004 erhob der Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) Klage zum Aktenzeichen S 9 RJ 158/04. Das SG holte zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und beauftragte, nachdem der Antragsteller den Entlassungsbrief der A Klinik B vom 11. November 2004 (Empfehlung einer operativen Behandlung zur Dekompression L1/L2 etc) vorgelegt hatte, den Chefarzt der orthopädischen-rheumatologischen Abteilung des I-Krankenhaus Prof. Dr. S mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens (Beweisanordnung vom 29. November 2004).

Mit am 01. Februar 2005 bei der Antragsgegnerin eingegangenem Schreiben vom 30. Januar 2005, dem SG vorgelegt am 15. Februar 2005, beantragte der Antragsteller die einstweilige Fortzahlung der Rente bis zu abschließenden Klärung im anhängigen Klageverfahren unter Bezugnahme auf die Operationsindikation im Entlassungsbericht vom 11. November 2004. Er verfüge über kein laufendes Einkommen, da das JobCenter M durch Bescheid vom 20. Januar 2005 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen fehlender Bedürftigkeit im Hinblick auf sein die Grundfreibeträge von 10.200,00 EUR übersteigendes Vermögen von insgesamt 13.095,55 EUR abgelehnt habe. Nach dem das am 03. März 2005 erstellte Gutachten von Prof. Dr. S am 11. März 2005 bei Gericht eingegangen und am 01. April 2005 an die Beteiligten zur Stellungnahme abgesandt worden war, erkannte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 14. April 2005 den geltend gemachten Rentenanspruch auf Dauer an. Mit Bescheid vom 19. April 2005 führte sie ihr Anerkenntnis aus. Daraufhin nahm der Kläger, der am 04. April 2005 die Vertretung durch seinen Bevollmächtigten bei Gericht angezeigt hatte, mit Schreiben vom 27. April 2005 den Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz zurück und beantragte, der Antragsgegnerin die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf zu erlegen.

Das SG hat durch Beschluss vom 16. März 2006 die Antragsgegnerin zur Tragung der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, da der Antragsteller mit seinem Klagebegehren durchgedrungen sei, habe die Antragsgegnerin die Klageerhebung wie auch das einstweilige Rechtsschutzverfahren veranlasst. Darüber hinaus habe der Antragsteller – wie aus dem Anerkenntnis zu schließen sei – einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen können. Gleiches gelte für einen Anordnungsgrund, da er über keine anderweitigen Einnahmen verfügt habe. Unter Anwendung des Veranlassungsprinzips sei es gerechtfertigt, der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Die Erfolgaussichten des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz seien nicht gegeben gewesen. Zwar könne das Vorliegen eines Anordnungsanspruches unterstellt werden, jedoch fehle es an einem Anordnungsgrund, d.h. an der Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile, denn es sei dem Antragsteller nicht unzumutbar gewesen, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Er habe schließlich über Vermögen verfügt. Eine Gefährdung seiner Existenz bzw. Vernichtung der Lebensgrundlage durch das Abwarten sei nicht erkennbar. Zudem könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erst nach Einleitung der medizinischen Beweiserhebung gestellt worden sei.

Der Antragsteller hat hierzu wie folgt Stellung genommen: Sein Vermögen habe aus Versicherungen und Festgeldanlagen bestanden, die nur sukzessiv unter deutlichem Wertverlust hätten aufgelöst werden können. Der Eintritt eines Vermögensschadens hätte von ihm nicht abgewartet werden müssen.

Bei Entscheidungsfindung haben die Verfahrensakte sowie die Streitakte S 9 RJ 158/04 des SG Frankfurt (Oder) und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin vorgelegen.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), der im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b SGG entsprechend Anwendung findet (vgl Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 193 RdNr 2, § 176 RdNr 5), entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren - wie hier - anders als durch Urteil bzw. Beschluss beendet wird. Die Kostenentscheidung ist grundsätzlich unter Berücksich¬tigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, d.h. ohne weitere Beweiserhebung allein zum Zweck der Kostenentscheidung, nach billigem Ermessen (BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 2 mwN) zu treffen, wobei der voraussichtliche Prozesserfolg, der nach den Verhältnissen vor Eintritt der Erledigung zu beurteilen ist (HK-SGG/Groß, 2. Auflage, § 193 Rn 23), die Kostenverteilung entscheidend beeinflusst. Des Weiteren ist erheblich, aus welchem Grunde die Rechtsbehelfe eingelegt wurden (Gesichtspunkt der Veranlassung) und worauf die Erledigung des Verfahrens beruht.

In Anwendung dieser Kriterien ist die Antragsgegnerin nicht zur Tragung der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das einstweilige Rechtsschutzverfahren zu verpflichten. So ist hinsichtlich der Erfolgsaussicht des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung) zunächst anzumerken, dass die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches (Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer über den 31. Dezember 2004 hinaus) noch nicht mit Eingang des Antrages vom 30. Januar 2005 beim SG Frankfurt (Oder) am 15. Februar 2005 erfolgt war. Denn allein die Bezugnahme auf den zum Hauptsacheverfahren (S 9 RJ 158/04) eingereichten Entlassungsbrief der A Klinik B vom 11. November 2004 (Empfehlung einer weiteren operativen Behandlung) reichte hierfür nicht aus, da ihm nicht entnommen werden kann, welche konkreten Funktionseinschränkungen beim Antragsteller vorlagen und wie diese sich auf seine berufliche Leistungsfähigkeit auswirkten. Hierzu bedurfte es vielmehr einer Untersuchung und Auswertung durch einen medizinischen Sachverständigen, die das SG auch mit Beweisanordnung vom 29. November 2004 bereits umgehend veranlasst hatte. Vielmehr kann von einer Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches frühestens im Zeitpunkt des Einganges bei Gericht (11. März 2005) des den Anspruch des Antragstellers stützenden Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S vom 03. März 2005 ausgegangen werden. Eben so wenig war im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung noch in der Zeit bis zur Rücknahme dieses Antrages am 27. April 2005 das Vorliegen der besonderen Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) für eine vorläufige Regelung glaubhaft gemacht worden. Ob ein Anordnungsgrund – die besondere Eilbedürftigkeit einer Regelung – vorgelegen hat, ist damit ausgehend von diesem Zeitpunkt (11. März 2005) zu beurteilen, da erst ab diesem Zeitpunkt beide Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund) vorgelegen haben können. Ab dem Eingang des Sachverständigengutachtens war indes bereits ersichtlich, dass in relativ kurzer Zeit eine verbindliche Erklärung der Antragsgegnerin zu dem von dem Antragsteller erhobenen Anspruch vorliegen würde, wobei eine positive Entscheidung zu erwarten war. Angesichts dieser Gegebenheiten war die Situation vor Ablauf der der Antragsgegnerin gesetzten Frist zur Stellungnahme (die nach dem weiteren Verlauf eingehalten wurde) nicht dahingehend zu beurteilen, dass eine vorläufige Sicherung der Rechte des Antragstellers geboten bzw. im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig war. Dies gilt in Ansehung des ab dem 11. März 2005 nur noch kurzen Überbrückungszeitraums und den bestehenden wirtschaftlichen Verhältnissen. Zwar sind dem Antragsteller ausweislich des vorgelegten Bescheides des JobCenter M vom 20. Januar 2005 auf Grund seines den Freibetrag übersteigenden Vermögens Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II abgelehnt worden, daraus lassen sich jedoch keine wesentlichen Nachteile im Sinne einer Existenzgefährdung oder Vernichtung der Lebensgrundlage erkennen. Vielmehr war der Antragsteller im Hinblick auf das vorliegende Vermögen in der Lage, seinen Lebensunterhalt vorläufig selbst zu bestreiten. Zumal der Antragsteller wegen des laufenden Rentenfeststellungsverfahrens durchgehend krankenversichert in der Krankenversicherung der Rentner (§ 5 Abs. 1 Ziff. 11 i.V.m. § 189 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) war und ihm für die Dauer des laufenden Rentenrechtsstreites hierfür keine zusätzlichen Kosten entstehen konnten. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit des Einsatzes des vorhandenen Vermögens bestanden im hier entscheidungserheblichen Zeitraum bis zur Rücknahme des Antrages (Ende April 2005) nicht. Dies wird vom Antragsteller erstmals im Beschwerdeverfahren behauptet. Dem steht jedoch die Entscheidung des JobCenters entgegen, welches auf Grund der vorgelegten Vermögensnachweise zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das Vermögen verwertbar und dessen Verwertung offensichtlich nicht unwirtschaftlich ist (vgl. § 12 Abs. 1 und Abs. 2 Zif. 6 SGB II).

Eine Kostentragung durch die Antragsgegnerin kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Veranlassung in Betracht. So hat die Antragsgegnerin ihre Verwaltungsentscheidung auf eigene Ermittlungen (Gutachten Dr. Dr. A) gestützt und den Widerspruch gegen die Befristung der Erwerbsminderungsrente bis zum 31. Dezember 2004 zügig entschieden. Erst die Entwicklung des Gesundheitszustandes des Antragstellers im Laufe des Klageverfahrens (Nichteintritt der medizinisch begründeten Besserungsprognose/Verschlechterung der Spinalkanalstenose) und das Ergebnis der gerichtlichen Begutachtung haben zur Begründung des geltend gemachten Dauerrentenanspruches geführt, dem die Antragsgegnerin durch ihr Anerkenntnis unverzüglich Rechnung getragen hat.

Eine Kostenentscheidung hat im Beschwerdeverfahren nach §§ 193, 172 SGG nicht zu ergehen (vgl Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 193 RdNr 17).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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