Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 190/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2590/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
vom 25.01.2007 für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente wegen den Folgen eines Arbeitsunfalls.
Der 1962 geborene Kläger verunglückte am 4. Dezember 1999 auf dem Weg zu seiner Arbeit als Kfz-Mechaniker, als er mit einem anderen Auto frontal zusammenstieß. Er erlitt dabei eine Sternunmfraktur und eine Fersenbeinfraktur rechts. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 25. September 2000.
Dr. v. A., Chefarzt der chirurgischen Klinik des Kreiskrankenhauses G., beschrieb im ersten Rentengutachten als Unfallfolge eine ausgeprägte Arthrose des unteren Sprunggelenks rechts. Im Bereich des Sternums, so führte er aus, seien die Beschwerden sehr dezent, geklagte Schmerzen im Bereich der linken Schulter seien unfallunabhängig (subacromiales Impingementsyndrom). Er schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 15 v. H. Dr. Schw. , Beratungsarzt der Beklagten, kam in seiner Einschätzung nach Aktenlage zu einer MdE um 10 v. H. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. April 2001 und Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2001 die Gewährung einer Verletztenrente ab.
Der Kläger hat hiergegen am 21. Januar 2002 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben und insbesondere auf Schmerzen im rechten Bein und in der linken Schulter hingewiesen.
Dr. P. , Chefarzt der chirurgischen Klinik des Krankenhauses F., hat in seinem Gutachten (Untersuchungstag 14. September 2004) als Unfallfolgen posttraumatische Arthrosen des rechten unteren und oberen Sprunggelenks sowie eine leichte Schädigung des linken Akromioklavikular(AC)-Gelenks angenommen. Die MdE hat er ebenfalls auf 15 v. H. eingeschätzt. Dr. R. , niedergelassen Orthopäde in U., hat in seinem auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten (Untersuchungstag 24. November 2005) als Unfallfolgen neben den genannten Arthrosen noch Restbeschwerden nach folgenlos verheilter Sternumfraktur und eine Chondropathia patellae links (Überlastungsschaden) angenommen sowie die MdE - auch unter Berücksichtigung der Kniegelenksproblematik - seit etwa einem Jahr auf 20 v. H. geschätzt. Dr. K. , Beratungsarzt der Beklagten, hat in einer Stellungnahme eine MdE um maximal 15 v. H. angenommen. Die Kniegelenksbeschwerden seien unfallunabhängig.
Mit Urteil vom 30. März 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass der knöchern fest verheilte Fersenbeinbruch und die Arthrosen lediglich eine MdE um 10 bis 15 v. H. bedingten. Die leichtgradige Bandlockerung des linken AC-Gelenks und der Schaden im Bereich des linken Kniegelenks seien mit Wahrscheinlichkeit nicht Unfallfolge.
Der Kläger hat gegen das ihm am 21. April 2006 zugestellte Urteil am 18. Mai 2006 Berufung eingelegt. Er sieht weiterhin eine MdE um 20 v. H. als angemessen zur Bewertung der Unfallfolgen an.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. März 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. Dezember 1999.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Die Unfallfolgen des Klägers erreichen kein solches Ausmaß, dass eine MdE um 20 v. H. anzunehmen wäre.
Die Fersenbeinfraktur ist knöchern verheilt. Die Sternumfraktur führt lediglich zu diskreten Beschwerden (leichter Druckschmerz). Diese Folgen bedingen also keine MdE.
Entgegen den Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren ist für die leichte Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks und die schwere Arthrose des rechten unteren Sprunggelenks (mit nahezu völliger Versteifung) keine MdE um 20 v. H. anzunehmen. Keiner der Gutachter im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren hat insoweit einen höheren Wert als 15 v. H. vertreten. Bei entsprechenden Äußerungen der behandelnden Ärzte (Dr. B., Schreiben vom 21. August 2000; Dr. v. A. , Mitteilung vom 26. September 2000) handelt es sich um vorläufige Schätzungen, denen nicht die Aussage- und Überzeugungskraft eines Gutachtens zukommt. Dr. v. A. hat seine Einschätzung in seinem späteren Gutachten dann auch revidiert. Auch nach der sozialmedizinischen Literatur lässt sich keine MdE um 20 v. H. rechtfertigen. Auf die entsprechenden Nachweise im Urteil des Sozialgerichts wird gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Der Hinweis des Klägers auf entsprechende Ausführungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Seite 746, geht fehl. Der Kläger übersieht, dass dort für eine weitergehende MdE eine "schmerzhafte Wackelsteife" verlangt wird. Zwar liegt beim Kläger ausweislich der gerichtlichen Gutachten eine "Wackelsteife" vor (Messblatt des Gutachtens von Dr. P. ; Seite 7 des Gutachtens von Dr. R.).Sie ist jedoch nicht "schmerzhaft". Keiner der Gutachter hat dies festgestellt. Vielmehr hat Dr. P. bei seiner Untersuchung ein flüssiges und symmetrisches Gangbild dokumentiert. Dementsprechend ist in diesem Zusammenhang auch keine weitere Sachaufklärung erforderlich.
Ob die von Dr. P. angenommene leichte Schädigung des AC-Gelenks links Unfallfolge ist, ist zweifelhaft. Der Senat kann sich hiervon nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit überzeugen und teilt die Bedenken des Sozialgerichts. Insbesondere erscheint die Argumentation von Dr. P. nicht stimmig. Er schließt aus den wenigen Hinweisen im Durchgangsarztbericht von Privatdozent Dr. K. vom 4. Dezember 1999 zu einer Gurtmarke im Bereich von Schlüssel- und Brustbein und einem Druckschmerz an der rechten AC-Spitze auf eine Seitenverwechslung. Damit hat er nicht viel mehr als eine vage Möglichkeit begründet, was nicht ausreicht. Gegen einen Zusammenhang spricht aber, dass eine einschlägige Gesundheitsbeeinträchtigung weder im Durchgangsarztbericht noch in späteren ärztlichen Äußerungen während der Heilbehandlung diagnostiziert worden ist. Auch ist auf die Einschätzung von Dr. v. A. hinzuweisen, der die entsprechenden Beschwerden als "sicher unfallunabhängig" einem subacromialen Impingementsyndrom zugeordnet hat. Dies entspricht auch dem Sonografiebefund von Dr. H. vom 8. April 2002, der degenerative Veränderungen der Supraspinatussehne auch an der rechten Schulter beschrieben hat. Im Übrigen ist Dr. P. auch unter Einbeziehung der Schädigung des AC-Gelenkes nicht zu einer MdE von 20 v. H. gelangt.
Die Kniegelenksbeschwerden links sind ebenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. In den Ausführungen von Dr. R. vermisst der Senat eine klare Beweisführung, wenn Dr. R. auch eine Meniskusläsion erwähnt, eine Überlastungsproblematik des linken Kniegelenks lediglich "nicht auszuschließen" vermag, die Ursache für im MRT festgestellte traumatische Veränderungen auch nur "möglicherweise" in einer langen vermehrten Belastung des linken Kniegelenks sieht, überhaupt die Kniegelenksproblematik "von hier nicht korrekt einstufen" kann, ja diese lediglich "möglicherweise als Folgeschäden" anzuerkennen seien. Schon durch die Wahl dieser Formulierungen offenbart er erhebliche Unsicherheiten und Zweifel. Wesentlich ist aber, dass die Kniegelenke durch den Unfall nicht unmittelbar geschädigt worden sind. Dr. K. hat zu Recht darauf hingewiesen, dass im Gutachten von Dr. P. ein nach kurzer Einlaufphase flüssiges und symmetrisches Gangbild beschrieben wird. Hiervon ausgehend wäre ein Überlastungsschaden nicht zu erwarten. Hinzu kommt, dass der Kläger Beschwerden an beiden Kniegelenken hat. Wenn man den Hinweis von Dr. R. in seiner ergänzenden Stellungnahme, dass der Kläger über viele Wochen an Gehstützen gehen musste, weiterverfolgt, dann wäre nach geeigneten Brückensymptomen zwischen den Beeinträchtigungen zu Anfang der Heilbehandlung und den erst Ende 2004 sicher festgestellten Kniegelenksbeschwerden zu fragen. Solche Brückensymptome hat Dr. R. nicht dargelegt. Auch sonst sind sie für den Senat nicht erkennbar. Insgesamt bewegen sich die Überlegungen von Dr. R. im Bereich der Spekulation und können daher nicht Grundlage der Bewertung des Senats sein.
Nach alledem bleibt es, wie ausgeführt, bei einer unfallbedingten MdE um 15 v. H., woraus kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenrente wegen den Folgen eines Arbeitsunfalls.
Der 1962 geborene Kläger verunglückte am 4. Dezember 1999 auf dem Weg zu seiner Arbeit als Kfz-Mechaniker, als er mit einem anderen Auto frontal zusammenstieß. Er erlitt dabei eine Sternunmfraktur und eine Fersenbeinfraktur rechts. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 25. September 2000.
Dr. v. A., Chefarzt der chirurgischen Klinik des Kreiskrankenhauses G., beschrieb im ersten Rentengutachten als Unfallfolge eine ausgeprägte Arthrose des unteren Sprunggelenks rechts. Im Bereich des Sternums, so führte er aus, seien die Beschwerden sehr dezent, geklagte Schmerzen im Bereich der linken Schulter seien unfallunabhängig (subacromiales Impingementsyndrom). Er schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 15 v. H. Dr. Schw. , Beratungsarzt der Beklagten, kam in seiner Einschätzung nach Aktenlage zu einer MdE um 10 v. H. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. April 2001 und Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2001 die Gewährung einer Verletztenrente ab.
Der Kläger hat hiergegen am 21. Januar 2002 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben und insbesondere auf Schmerzen im rechten Bein und in der linken Schulter hingewiesen.
Dr. P. , Chefarzt der chirurgischen Klinik des Krankenhauses F., hat in seinem Gutachten (Untersuchungstag 14. September 2004) als Unfallfolgen posttraumatische Arthrosen des rechten unteren und oberen Sprunggelenks sowie eine leichte Schädigung des linken Akromioklavikular(AC)-Gelenks angenommen. Die MdE hat er ebenfalls auf 15 v. H. eingeschätzt. Dr. R. , niedergelassen Orthopäde in U., hat in seinem auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten (Untersuchungstag 24. November 2005) als Unfallfolgen neben den genannten Arthrosen noch Restbeschwerden nach folgenlos verheilter Sternumfraktur und eine Chondropathia patellae links (Überlastungsschaden) angenommen sowie die MdE - auch unter Berücksichtigung der Kniegelenksproblematik - seit etwa einem Jahr auf 20 v. H. geschätzt. Dr. K. , Beratungsarzt der Beklagten, hat in einer Stellungnahme eine MdE um maximal 15 v. H. angenommen. Die Kniegelenksbeschwerden seien unfallunabhängig.
Mit Urteil vom 30. März 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass der knöchern fest verheilte Fersenbeinbruch und die Arthrosen lediglich eine MdE um 10 bis 15 v. H. bedingten. Die leichtgradige Bandlockerung des linken AC-Gelenks und der Schaden im Bereich des linken Kniegelenks seien mit Wahrscheinlichkeit nicht Unfallfolge.
Der Kläger hat gegen das ihm am 21. April 2006 zugestellte Urteil am 18. Mai 2006 Berufung eingelegt. Er sieht weiterhin eine MdE um 20 v. H. als angemessen zur Bewertung der Unfallfolgen an.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. März 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 4. Dezember 1999.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Die Unfallfolgen des Klägers erreichen kein solches Ausmaß, dass eine MdE um 20 v. H. anzunehmen wäre.
Die Fersenbeinfraktur ist knöchern verheilt. Die Sternumfraktur führt lediglich zu diskreten Beschwerden (leichter Druckschmerz). Diese Folgen bedingen also keine MdE.
Entgegen den Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren ist für die leichte Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks und die schwere Arthrose des rechten unteren Sprunggelenks (mit nahezu völliger Versteifung) keine MdE um 20 v. H. anzunehmen. Keiner der Gutachter im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren hat insoweit einen höheren Wert als 15 v. H. vertreten. Bei entsprechenden Äußerungen der behandelnden Ärzte (Dr. B., Schreiben vom 21. August 2000; Dr. v. A. , Mitteilung vom 26. September 2000) handelt es sich um vorläufige Schätzungen, denen nicht die Aussage- und Überzeugungskraft eines Gutachtens zukommt. Dr. v. A. hat seine Einschätzung in seinem späteren Gutachten dann auch revidiert. Auch nach der sozialmedizinischen Literatur lässt sich keine MdE um 20 v. H. rechtfertigen. Auf die entsprechenden Nachweise im Urteil des Sozialgerichts wird gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Der Hinweis des Klägers auf entsprechende Ausführungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Seite 746, geht fehl. Der Kläger übersieht, dass dort für eine weitergehende MdE eine "schmerzhafte Wackelsteife" verlangt wird. Zwar liegt beim Kläger ausweislich der gerichtlichen Gutachten eine "Wackelsteife" vor (Messblatt des Gutachtens von Dr. P. ; Seite 7 des Gutachtens von Dr. R.).Sie ist jedoch nicht "schmerzhaft". Keiner der Gutachter hat dies festgestellt. Vielmehr hat Dr. P. bei seiner Untersuchung ein flüssiges und symmetrisches Gangbild dokumentiert. Dementsprechend ist in diesem Zusammenhang auch keine weitere Sachaufklärung erforderlich.
Ob die von Dr. P. angenommene leichte Schädigung des AC-Gelenks links Unfallfolge ist, ist zweifelhaft. Der Senat kann sich hiervon nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit überzeugen und teilt die Bedenken des Sozialgerichts. Insbesondere erscheint die Argumentation von Dr. P. nicht stimmig. Er schließt aus den wenigen Hinweisen im Durchgangsarztbericht von Privatdozent Dr. K. vom 4. Dezember 1999 zu einer Gurtmarke im Bereich von Schlüssel- und Brustbein und einem Druckschmerz an der rechten AC-Spitze auf eine Seitenverwechslung. Damit hat er nicht viel mehr als eine vage Möglichkeit begründet, was nicht ausreicht. Gegen einen Zusammenhang spricht aber, dass eine einschlägige Gesundheitsbeeinträchtigung weder im Durchgangsarztbericht noch in späteren ärztlichen Äußerungen während der Heilbehandlung diagnostiziert worden ist. Auch ist auf die Einschätzung von Dr. v. A. hinzuweisen, der die entsprechenden Beschwerden als "sicher unfallunabhängig" einem subacromialen Impingementsyndrom zugeordnet hat. Dies entspricht auch dem Sonografiebefund von Dr. H. vom 8. April 2002, der degenerative Veränderungen der Supraspinatussehne auch an der rechten Schulter beschrieben hat. Im Übrigen ist Dr. P. auch unter Einbeziehung der Schädigung des AC-Gelenkes nicht zu einer MdE von 20 v. H. gelangt.
Die Kniegelenksbeschwerden links sind ebenfalls nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. In den Ausführungen von Dr. R. vermisst der Senat eine klare Beweisführung, wenn Dr. R. auch eine Meniskusläsion erwähnt, eine Überlastungsproblematik des linken Kniegelenks lediglich "nicht auszuschließen" vermag, die Ursache für im MRT festgestellte traumatische Veränderungen auch nur "möglicherweise" in einer langen vermehrten Belastung des linken Kniegelenks sieht, überhaupt die Kniegelenksproblematik "von hier nicht korrekt einstufen" kann, ja diese lediglich "möglicherweise als Folgeschäden" anzuerkennen seien. Schon durch die Wahl dieser Formulierungen offenbart er erhebliche Unsicherheiten und Zweifel. Wesentlich ist aber, dass die Kniegelenke durch den Unfall nicht unmittelbar geschädigt worden sind. Dr. K. hat zu Recht darauf hingewiesen, dass im Gutachten von Dr. P. ein nach kurzer Einlaufphase flüssiges und symmetrisches Gangbild beschrieben wird. Hiervon ausgehend wäre ein Überlastungsschaden nicht zu erwarten. Hinzu kommt, dass der Kläger Beschwerden an beiden Kniegelenken hat. Wenn man den Hinweis von Dr. R. in seiner ergänzenden Stellungnahme, dass der Kläger über viele Wochen an Gehstützen gehen musste, weiterverfolgt, dann wäre nach geeigneten Brückensymptomen zwischen den Beeinträchtigungen zu Anfang der Heilbehandlung und den erst Ende 2004 sicher festgestellten Kniegelenksbeschwerden zu fragen. Solche Brückensymptome hat Dr. R. nicht dargelegt. Auch sonst sind sie für den Senat nicht erkennbar. Insgesamt bewegen sich die Überlegungen von Dr. R. im Bereich der Spekulation und können daher nicht Grundlage der Bewertung des Senats sein.
Nach alledem bleibt es, wie ausgeführt, bei einer unfallbedingten MdE um 15 v. H., woraus kein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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