S 20 SO 81/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 81/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 27.06.2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 17.07., 19.07. und 31.08.2006 und des Wider spruchsbescheides vom 19.10.2006 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2006 bis 30.06.2007 weitere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu gewähren. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber ob der Kläger für den Bewilligungszeitraum 01.07.2006 bis 30.06.2007 Leistungen der Grundsicherung (GSi) bei Erwerbsminderung ohne bedarfsmindernde Anrechnung von Kindergeld beanspruchen kann.

Der am 00.00.1962 geborene Kläger ist seit mindestens 1987 dauerhaft voll erwerbsgemindert. Seine Eltern sind geschieden. Seine Mutter, mit der er nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt, bei der er sich aber häufig aufhält, erhält für ihn Kindergeld in Höhe von monatlich 154,00 EUR. Sie selbst bezog bis September 2006 Arbeitslosengeld II, auf das das Kindergeld nicht angerechnet wurde. Von Januar 2003 bis Juni 2006 bezog der Kläger GSi-Leistungen von der Stadt M, seit August 2005 im Hinblick auf die klarstellende Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ohne bedarfsmindernde Anrechnung des Kindergeldes. Seit 01.07.2006 wohnt der Kläger in H.

Am 21.06.2006 beantragte er beim Beklagten GSi-Leistungen, u.a. mit dem Hinweis, die Zahlung des Kindergeldes "erfolgt an meine Mutter, die den Betrag von 154,00 EUR an mich weiterleitet".

Durch Bescheid vom 27.06.2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger GSi-Leistungen für die Zeit vom 01.07.2006 bis 30.06.2007 unter bedarfsmindernder Anrechnung des an seine Mutter monatlich gezahlten Kindergeldes von 154,00 EUR.

Dagegen legte der Kläger am 14.07.2006 Widerspruch ein. Er verwies auf Urteile des BVerwG und die bisherige Praxis der Nichtanrechnung des Kindergeldes durch die Stadt M seit August 2005.

Durch Änderungsbescheide vom 17.07., 19.07. und 31.08.2006 bewilligte der Beklagte GSi-Leistungen in geänderter Höhe, jedoch jeweils unter bedarfsmindernder Anrechnung des Kindergeldes.

Durch Widerspruchsbescheid vom 19.10.2006, zugestellt am 24.10.2006, wies er den Widerspruch zurück: Zwar sei nach dem BVerwG-Urteil vom 17.12.2003 Kindergeld sozialhilferechtliches Einkommen dessen, an den es ausgezahlt werde; insofern handele es sich bei dem an die Mutter gezahlten Kindergeld grundsätzlich um deren Einkommen. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn das Kindergeld dem Kind gesondert zugewendet werde. So sei es hier, da der Kläger im Antrag angegeben habe, seine Mutter leite das an sie gezahlte Kindergeld an ihn weiter.

Dagegen hat der Kläger am 24.11.2006 Klage erhoben. Er trägt vor, das Kindergeld werde zwar auf das Konto seiner Mutter gezahlt; jedoch gebe es über die Verwendung des Geldes keine Vereinbarung zwischen ihm und ihr. Er gehöre zu einem Personenkreis, der besonderen Schutz bedürfe; seine Mutter setze das Kindergeld ein, um ihm die Teilnahme am öffentlichen Leben, wie z.B. Angeln oder Kinobesuch, zu ermöglichen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 17.07, 19.07. und 31.08.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2006 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.07.2006 bis 30.06.2007 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, das Kindergeld sei auf die dem Kläger zustehenden GSi-Leistungen bedarfsmindernd anzurechnen, weil es an ihn weitergeleitet werde.

In der mündlichen Verhandlung hat die Mutter des Klägers, die ihn im Rechtsstreit als Bevollmächtigte vertritt, auf Befragen erklärt, sie erhalte das Kindergeld für ihren Sohn auf ihr Konto; sie zahle das Geld nicht bar oder per Dauerauftrag auf das Konto des Klägers, verwende es aber für Dinge, die er sich von der ihm zustehenden GSi-Leistung nicht leisten könne. Sie meine damit besondere Auslagen wie z.B. zum Angeln gehen, am Wochenende einfach mal wegzufahren oder ähnliches. Das Kindergeld werde von ihr nicht auf den Euro genau jeden Monat für den Kläger verbraucht; mal sei es mehr, mal sei es weniger. Wenn sie gegenüber dem Beklagten oder der zuständigen Arbeitsgemeinschaft für die Grundsicherung Arbeitssuchender erklärt habe, das Kindergeld an ihren Sohn weitergeleitet zu haben, dann sei das nicht so zu verstehen, dass sie ihm Barbeträge zur Verfügung gestellt, sondern so, dass sie von dem Geld Ausgaben für ihn getätigt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide des Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) da sie rechtswidrig sind. Er hat Anspruch auf GSi-Leistung ohne Anrechnung des seiner Mutter gezahlten Kindergeldes und Nachzahlung der dadurch zu wenig erbrachten GSi-Leistungen seit dem 01.07.2006 in Höhe von monatlich 154,00 EUR.

Der Kläger ist - unstreitig - leistungsberechtigt im Sinne von § 41 Abs. 1 Nr. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der Anspruch auf die GSi-Leistung steht zwar unter dem Vorbehalt, dass die Leistungsberechtigten ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können (§ 41 Abs. 2 SGB XII). Das für den Kläger an seine Mutter gezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR monatlich ist jedoch kein im Sinne von § 41 Abs. 2 SGB XII einzusetzendes Einkommen des Klägers.

Gemäß § 41 Abs. 2 SGB XII gelten für den Einsatz von Einkommen und Vermögen die §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert, soweit ihre Anrechnenbarkeit nicht in diesem oder anderen Gesetzen oder einer Rechtsverordnung ausgeschlossen ist. Zum Kindergeld bestimmt § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, dass es bei Minderjährigen dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen ist, soweit es bei diesen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt wird. Da der Kläger volljährig ist, trifft diese Einkommenszuordnung auf ihn nicht zu. Kindergeld ist sozialhilferechtlich Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 28/04 = NJW 2005, 2873 = FEVS 57, 499; Urteil vom 17.12.2003 - 5 C 25/02 = NJW 2004, 2541 = FEVS 56, 307; Sächsisches OVG, Urteil vom 25.01.2005 - 4 B 580/04; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.04.2006 - L 8 SO 121/05). Da das Kindergeld nicht dem Kläger, sondern seiner Mutter ausgezahlt wurde und wird, stellt es kein berücksichtungsfähiges Einkommen des Klägers dar und ist nicht geeignet, seinen GSi-Bedarfs zu mindern.

Dem Anspruch des Klägers auf ungekürzte GSi kann nicht entgegengehalten werden, dass sein GSi-Bedarf im Umfang von 154,00 EUR monatlich durch tatsächliche Unterhalts- leistungen seiner Mutter gedeckt wurden und werden. Soweit in diese Richtung das OVG NRW im Beschluss vom 02.04.2004 (12 B 1577/03) argumentiert hat, ist das BVerwG in seiner Entscheidung vom 28.04.2005 (a.a.O.) dieser Auffassung entgegengetreten. In dem dort entschiedenen wie in dem hier vorliegenden Fall des Klägers wird das Kindergeld von der Mutter des Klägers nicht für denselben Bedarf verwendet, für den der Kläger Leistungen nach den §§ 41ff SGB XII erhält. Bei einem behinderten Kind wie dem Kläger sind die Aufwendungen zur Teilnahme am allgemeinen Leben regelmäßig erheblich höher als bei gesunden Sozialhilfeempfängern. Wenn die Mutter des Klägers das ihr gezahlte Kindergeld für solche besonderen Aufwendungen einsetzt, beispielsweise zu dem Zweck, dass der Kläger zum Angeln geht, am Wochenende mal etwas Besonderes unternimmt oder sich etwas Außergewöhnliches anschaffen kann, entspricht dies auch der besonderen Zweckbestimmung des Kindergeldes, zur wirtschaftlichen Entlastung von kindbedingten Mehrkosten der allgemeinen Lebensführung beizutragen (BVerwG a.a.O.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der volljährige Kläger nicht bei seiner Mutter, sondern in einer eigenen Wohnung lebt. Soweit § 1 Abs. 1 Nr. 8 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) bestimmt, dass im Rahmen des Alg II-Bezuges Kindergeld für volljährige Kinder des Hilfebedürftigen nicht als Einkommen zu berück- sichtigen ist, soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende voll- jährige Kind weitergeleitet wird, folgt daraus lediglich, dass das Kindergeld, welches der Mutter des Klägers gezahlt worden ist und wird, nicht auf das ihr bis September 2006 zustehende Alg II angerechnet werden durfte. Daraus lässt sich aber nicht im Umkehr- schluss folgern, dass es deshalb auf die GSi-Leistungen des Klägers bedarfsmindernd angerechnet werden durfte und darf.

Durch die bedarfsmindernde Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen des Klägers hat der Beklagte seit 01.06.2006 monatlich 154,00 EUR zu wenig an GSi-Leistungen erbracht. Diese hat er für die Vergangenheit nachzuzahlen und künftig (zumindest bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts am 30.06.2007) zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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