S 13 KR 74/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 74/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 9/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Operation zur Brustvergrößerung.

Bei der 1978 geborenen Klägerin besteht eine anlagebedingte Unterentwicklung beider Brüste (Mammahypoplasie/Mikromastie). Nach 2 Schwangerschaften und Stillphasen haben sich ihre Brüste weiter zurückgebildet.

Am 14.02.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten einer Brustvergrößerungsoperation (Brustaufbauplastik/Mammaaugmentation). Zur Begründung legte sie eine Stellungnahme des Leitenden Arztes der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Krankenhaus E., Dr. W., vom 06.02.2006 vor. Darin hieß es, dass Form und Größe der Brüste für das Alter der Klägerin vollständig untypisch seien und zu einem sehr starken Leidensdruck bei ihr geführt hätten; sie fühle sich nicht mehr als richtige Frau und habe massive Schamgefühle; dies habe sich auch bereits auf den partnerschaftlichen Bereich sehr belastend ausgewirkt. In einer weiteren ärztlichen Stellungnahme vom 05.09.2006 empfahl der Leiter der Brustklinik des Marienhospital Aachen, Dr. E., ebenfalls die Durchführung einer Mammaaugmentation beidseits. Die Klägerin legte auch ein Lichtbild ihrer Brüste vor, das sich in der Verwaltungsakte der Beklagten befindet.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dr. O. kam nach körperlicher Untersuchung der Klägerin und Auswertung eines Sonographiebefundes der Brust am 11.09.2006 zum Ergebnis, dass das Drüsengewebe regelrecht angelegt sei und im Hinblick auf die kleinen Brüste eine Indikation für eine Brustaufbauplastik nicht gegeben sei.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 14.09.2006 ab. Dagegen legte die Klägerin am 18.09.2006 Widerspruch ein mit der Begründung, sie fühle sich nicht mehr als richtige Frau, schäme sich vor ihrem Mann und ziehe sich nur noch im Dunkeln aus; sie befinde sich bereits wegen reaktiver Depression in psycho- therapeutischer Behandlung. Die Klägerin legte hierzu ein ärztliches Attest des behandelnden Neurologen/Psychiaters vom 18.08.2006 vor; in diesem wird beschrieben, dass sich die Klägerin wegen reaktiver Depression aufgrund einer massiven Rückbildung der Brust in fachärztlicher Behandlung befinde; eine medikamentöse Therapie und kontinuierlich stützende Gespräche fänden statt, hätten jedoch keine Besserung erbracht; aus ärztlicher Sicht sei dringend eine plastische Operation zu empfehlen, da die Klägerin emotional sehr instabil sei, Suizidgedanken entwickele und sich familiäre Probleme bis zur Scheidung hin entwickeln könnten. Des weiteren legte die Klägerin einen ärztlichen Bericht des Frauenarztes Dr. T. vom 05.10.2006 vor, indem ebenfalls wegen des psychischen Leidensdrucks eine Brustvergrößerungsoperation empfohlen wurde.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 23.10.2006 zurück mit der Begründung, bei der Brustaufbauplastik handele es sich grundsätzlich um eine so genannte "kosmetische Operation" für die die gesetzliche Krankenversicherung nicht in Anspruch genommen werden könne. Ein krankhafter Befund, der ausnahmsweise eine solche Operation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erlaube, liege nicht vor.

Dagegen hat die Klägerin am 30.10.2006 Klage erhoben. Sie verweist auf die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und meint, die Brustaufbauplastik sei von der Beklagten zu leisten, da sie den einzigen Weg darstelle, um das seelische Gleichgewicht wieder zu erlangen. Aufgrund des enormen Leids habe sie sich entschlossen, sich bereits am 25.01.2007 einer Operation zu unterziehen. Die Kosten hierfür beliefen sich auf 4.000 EUR; 2.000 EUR habe sie bereits angezahlt.

Die Klägerin beantragt dem Sinne ihres schriftsätzlichen Vorbringens nach,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.09.2006 in der Fassung des Widerspruchsbe- scheides vom 23.10.2006 zu verurteilen, ihr eine Operation zur Brustvergrößerung zu gewähren, hilfsweise, die Kosten einer solchen Operation zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat keinen Anspruch auf eine Brustvergrößerungsoperation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt also eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtssprechung ein regelwidriger, vom Leidbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R = BSGE 93, 252 = SozR 4-2005 § 27 Nr. 3 = USK 2004-92 m.w.N.). Bei der Klägerin liegt jedoch keine körperliche Anomalität vor, die als Krankheit in diesem Sinne zu bewerten wäre. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG a.a.O.). Die bei der Klägerin bestehende Mammahypoplasie kann schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil damit keine körperliche Fehlfunktion verbunden ist. Der MDK hat nach Auswertung des Sonographiebefundes der Brüste festgestellt, dass das Drüsengewebe in beiden Brüsten regelrecht angelegt ist. Die Klägerin bestreitet dies nicht; sie hat selbst angegeben, ihre Kinder gestillt zu haben. Allein das fehlende Fettgewebe macht den Zustand der Brüste nicht zu einem krankhaften.

Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen einer äußerlichen Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Die behandelnden Ärzte der Klägerin haben mit keinem Wort von einem entstellenden Aussehen der Brüste gesprochen. Die Kammer konnte sich anhand des in der Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Lichtbildes davon überzeugen, dass die Brüste der Klägerin zwar klein, aber keineswegs entstellend sind. Die Bezeichnung des Zustands ihrer Brüste als "Entstellung" wäre mit dem Krankheitsbegriff kaum in Einklang zu bringen, vor allem wenn man die außerordentliche Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust berücksichtigt (vgl. dazu auch BSG a.a.O.).

Die von der Klägerin als zu klein empfundenen Brüste bedingen nach den Mitteilungen ihrer behandelnden Ärzte ersichtlich keinerlei körperliche Beeinträchtigungen, sondern haben ausschließlich psychische Auswirkungen. Die psychische Belastung der Klägerin rechtfertigt aber keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kammer folgt auch insoweit der ausführlichen Begründung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 19.10.2004 (a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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