L 19 B 703/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 6507/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 703/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. August 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von dem Antragsgegner Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Monate Juli und August 2006 ohne Anrechnung bzw. mit Anrechnung von erhaltenem Krankengeld für nur einen Monat sowie einen angemessenen Vorschuss.

Der Antragsteller war vom 1. bis 31. Januar 2006 arbeitsunfähig erkrankt und bezieht seit Februar 2006 von dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Nachdem er vor dem Sozialgericht Berlin Klage gegen die S erhoben hatte, wurde ihm von dieser am 9. Juni 2006 Krankengeld für den Monat Januar 2006 in Höhe von 1.357,80 Euro überwiesen. Der Antragsgegner informierte den Antragsteller mit Schreiben vom 13. Juni 2006 davon, dass er die Krankengeldnachzahlung als Einkommen nach § 11 SGB II ab Juli 2006 anrechnen werde, wobei der Betrag aufgeteilt und die Anrechnung für zwei Monate erfolgen werde, um den Krankenversicherungsschutz des Antragstellers nicht zu gefährden. Abschließend wies der Antragsgegner darauf hin, dass dieses Schreiben der Information diene, damit der Antragsteller sich gegebenenfalls darauf einstellen könne.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 30. Juni 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 1. Juli 2006 bis zum 31. August 2006 in Höhe von 53,10 Euro monatlich und für den Zeitraum 1. September 2006 bis 31. Dezember 2006 in Höhe von 702,- Euro monatlich. Für den Zeitraum 1. Juli 2006 bis 31. August 2006 rechnete der Antragsgegner als sonstiges Einkommen jeweils 678,90 Euro an und berücksichtigte eine Pauschale von 30,- Euro. Der Antragsteller legte gegen diesen Bescheid mit anwaltlichem Schreiben vom 19. Juli 2006 Widerspruch ein und beantragte am 20. Juli 2006 beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 2. August 2006 diesen Antrag zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) lägen nicht vor. Es fehle am eiligen Regelungsbedürfnis, das sich nur auf gegenwärtige existenzielle Notlagen beziehen könne. Dem Antragsteller sei es zumutbar, wegen der ihm von dem Antragsgegner für die Monate Juli und August 2006 abgezogenen Leistungen ein Widerspruchs- beziehungsweise Klageverfahren durchzuführen. Er verfüge unter Berücksichtigung des erhaltenen Krankengeldes und den für die Monate Juli und August 2006 von dem Antragsgegner bewilligten Leistungen über finanzielle Mittel, die ihn tatsächlich in die Lage versetzten, zumindest einstweilen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache seinen Lebensunterhalt zu sichern. Dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen das erhaltene Krankengeld mittlerweile aufgebraucht habe, reiche für die Annahme eines eiligen Regelungsbedürfnisses nicht aus. Der eingetretene Verbrauch lasse den Schluss zu, dass der Antragsteller über seine Verhältnisse lebe, womit er das Vorliegen eines eiligen Regelungsbedürfnisses zusätzlich widerlege.

Gegen diesen dem Antragsteller am 7. August 2006 zugestellten Beschluss richtet sich seine am 9. August 2006 eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, er verfüge gegenwärtig nicht über ausreichende, seinen Lebensunterhalt sichernde Mittel. Seinen am 1. August 2006 fälligen Mietzins habe er schuldig bleiben müssen. Er habe annehmen dürfen, das verspätet gezahlte Krankengeld im Rahmen seiner Lebensführung verbrauchen zu können, ohne spätere Ausfälle bei dem Arbeitslosengeld für zwei Monate befürchten zu müssen. Erst am 2. Juli 2006 habe er den Bescheid des Antragsgegners vom 30. Juni 2006 erhalten. Der Antragsgegner habe nicht erwarten können, dass er das erhaltene Krankengeld bis zu diesem Zeitpunkt aufspare. Eine Anrechnung laufender Einnahmen finde allenfalls für einen Monat statt. Auch bei der verspäteten Krankgeldzahlung handele es sich nicht um eine einmalige sondern eine laufende Leistung. Hilfsweise beantrage er die Gewährung eines Darlehens für den Monat August 2006.

Der Antragsgegner hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

II. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne einer Eilbedürftigkeit des Verfahrens) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht grundsätzlich sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 596/05 -). Handelt es sich wie hier um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die überragende Bedeutung dieser Leistungen für den Empfänger mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistungen - ggf. vermindert auf das absolut erforderliche Minimum - aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren sind.

Selbst wenn zu Gunsten des Antragstellers von einer Eilbedürftigkeit und dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes ausgegangen wird, so liegt bei Anwendung dieser Grundsätze ein Anordnungsanspruch nicht vor.

Der Antragsteller hat einen höheren als den mit Bescheid vom 30. Juni 2006 bewilligten Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 1. Juli 2006 bis 31. August 2006 nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner hat zu Recht in dem Bescheid die Krankengeldnachzahlung als Einkommen des Antragstellers berücksichtigt.

Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 19 Satz 1 SGB II setzt unter anderem Hilfebedürftigkeit des Antragstellers voraus. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II derjenige, der seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 11 Abs. 1 SGB II sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch sowie weitere aufgezählte Leistungen zu berücksichtigen. In Abs. 2 der Norm ist geregelt, welche Steuern, Beiträge und Aufwendungen von dem Einkommen abzusetzen sind. Des Weiteren ist in § 11 Abs. 3 SGB II aufgelistet, welche Einnahmen und Entschädigungen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. Ferner sind in der aufgrund § 13 SGB II erlassenen Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 20. Oktober 2004 (BGBl I. S. 2622, geändert am 22. August 2005 mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 (BGBl I S. 2499) - Alg II-V -) weitere Einnahmen aufgelistet, die beim Einkommen nicht berücksichtigt werden.

Die Krankengeldnachzahlung ist weder in § 11 Abs. 2 SGB II noch in § 11 Abs. 3 SGB II noch in der Alg II-V genannt und zählt daher nicht zu den Einnahmen, die nach diesen Normen als Einkommen nicht zu berücksichtigen oder vom Einkommen abzusetzen sind.

Die Krankengeldnachzahlung ist auch eine den Leistungszeitraum betreffende Einnahme. Maßgebend ist nicht, dass sie für den Monat Januar gezahlt worden ist, sondern wann der Betrag zugeflossen ist.

Der Antragsgegner hat die Krankengeldnachzahlung auch zu Recht als einmalige Leistung behandelt und dieses Einkommen auf zwei Monate verteilt. Sie ist keine laufende Einnahme für den Monat Juni 2006, in dem sie geflossen ist. Das ursprünglich zu gewährende Krankengeld ist zwar eine laufende Einnahme im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 Alg-V, die als Entgeltersatzleistung und somit für eine laufende Einnahme aus nichtselbständiger Arbeit gewährt wird. Bei der Krankengeldnachzahlung handelt es sich dagegen nicht um eine laufende, sondern um eine einmalige Einnahme im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alg-V, da sie nicht in dem Zeitraum, für den sie geschuldet wird, geleistet wird. Weil die Zahlung erst im Nachhinein erfolgt, handelt es sich nicht um eine Leistung, die an die Stelle einer für diesen Zeitraum geschuldeten Leistung aus einem Beschäftigungsverhältnis tritt. Vergleichbar mit Lohnnachzahlungen (dazu Hengelhaupt in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II, § 11 Rz. 45) ist sie daher als einmalige Einnahme zu beurteilen.

Der Antragsgegner hat zutreffend die Krankengeldnachzahlung reduziert um die Pauschale von 30,- Euro (§ 3 Nr. 1 Alg II-V) als Einkommen verteilt auf den Zeitraum von zwei Monaten (§ 2 Abs. 3 Alg II-V) berücksichtigt. Einmalige Einnahmen sind von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie zufließen (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V). Abweichend von der vorstehend genannten Regelung ist eine Berücksichtigung der Einnahmen ab dem Monat, der auf den Monat des Zuflusses folgt, zulässig, wenn Leistungen für den Monat des Zuflusses bereits erbracht worden sind (§ 2 Abs. 3 Satz 2 Alg II-V). Sie sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen (§ 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V). Vorliegend waren Leistungen für den Monat Juni 2006, in dem das Krankengeld nachgezahlt wurde, bereits von dem Antragsgegner erbracht worden. Die Verteilung auf zwei Monate begegnet bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keinen Bedenken, da bei einer Anrechnung der Einnahme nur in einem Monat der Antragsteller seinen Krankenversicherungsschutz verloren hätte.

Der Antragsteller hat gegenüber dem Antragsgegner keinen Anspruch auf Gewährung eines Darlehens für den Monat August 2006.

Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 23 Abs. 4 SGB II. Danach können Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehen erbracht werden, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn der Antragsteller erwartete im August 2006 keine Einnahmen. Der Verbrauch der bereits im Juni geflossenen und als Einnahme anzusehenden Krankengeldnachzahlung steht dem nicht gleich, da nach dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes im Hinblick auf zu erwartende Einnahmen und einen danach zu erwartenden späteren Fortfall der Hilfebedürftigkeit die Gewährung der Leistungen nur als Darlehen erfolgen soll.

Ein Anspruch auf Gewährung eines Darlehens besteht auch nicht gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Darlehen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasst nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Unabweisbar ist ein Bedarf immer dann, wenn es sich um einen unaufschiebbaren Bedarf handelt. In zeitlicher Hinsicht bedeutet dies, dass die Abdeckung eines Bedarfs keinen Aufschub duldet. Eine Bedarfsunterdeckung in Sinne dieser Norm liegt nicht vor. Der Antragsteller hat einen Verbrauch der ihm im Juni 2006 zugeflossenen Leistungen nicht glaubhaft gemacht, denn er hat nicht dargelegt, wofür er im Juni 2006 die Krankengeldnachzahlung in Höhe von 1.357,80 Euro und das erhaltende Arbeitslosengeld II in Höhe von 693,- Euro verbraucht hat. Dem eingereichten Kontoauszug vom 1. August 2006 kann zwar die Höhe des Kontostandes sowohl am 31. Juli 2006 als auch bei Erstellung des vorangegangenen Kontoauszugs entnommen werden. Er enthält jedoch keine Angaben darüber, welche Ausgaben der Antragsteller mit den zuvor genannten Leistungen im Juni 2006 getätigt hat. Die vom Antragsteller genannte Entrichtung des Mietzinses für Juni 2006 in Höhe von 357,- Euro und von Versicherungsbeiträgen in Höhe von 130,- Euro ist nur geeignet, einen teilweisen Verbrauch zu belegen. Offen bleibt danach noch ein Betrag in Höhe von 1.563,80 Euro. Wofür der Antragsteller diesen Betrag verbraucht hat, der doppelt so hoch ist wie die ihm von dem Antragsgegner für einen Monat gewährten Leistungen, wurde von ihm nicht vorgetragen und nicht glaubhaft gemacht.

Hinsichtlich der Miete für August 2006 liegen die Voraussetzungen für eine darlehensweise Bedarfsdeckung nach § 23 SGB II nicht vor. Nur wenn ein von der Regelleistung umfasster unabweisbarer Bedarf weder aus dem Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden kann, kommt gemäß § 23 Abs. 1 SGB II die Gewährung eines Darlehens durch den Leistungsträger in Betracht. Die Kosten für die Unterkunft und Heizung zählen nicht zu den Regelleistungen, sondern stehen neben diesen (vgl. Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 22 Rz. 13). Da die Leistungen für die Unterkunft durch die Regelleistung nicht mit abgegolten werden, scheidet eine darlehensweise Übernahme von Mietkosten nach § 23 SGB II aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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