L 17 U 25/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 241/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 25/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.11.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des zweiten Rechtszuges zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Ereignis vom 03.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der 1957 geborene Kläger erlitt am 03.07.2001 einen Unfall. Beim Abstecken einer neuen Achse auf der B 29 hielt er einen Reflektor in seinen Händen. Dabei übersah er den Gehsteig und blieb mit dem linken Fuß daran hängen. Ohne zu stürzen knickte er in verstärkter Varusstellung mit dem Sprunggelenk um. Er verspürte ein Verletzungsgefühl im linken Kniegelenk, konnte aber noch drei Tage ohne große Probleme weiterarbeiten. Der Orthopäde Dr.H. stellte bei ihm eine Distorsion des linken Kniegelenkes sowie einen Außenmeniskusschaden fest (H-Arzt-Bericht vom 06.07.2001). Arbeitsunfähig krank war der Kläger erst ab 31.07.2001 - mit Unterbrechungen - bis 21.11.2001.

Die Beklagte holte Arztberichte des Orthopäden Dr.J. vom 26.07.2001 / 01.08.2001 / 13.08.2001 / 03.09.2001 (mit Arthroskopie des linken Kniegelenkes am 31.07.2001 und Histologiebericht vom 02.08.2001), des Orthopäden Dr.H. vom 18.09.2001 sowie den Entlassungsbericht des Chirurgen Dr.B. vom 18.10.2001 (stationärer Aufenthalt im Krankenhaus Markt W. vom 15. bis 24.10.2001 - Arthroskopie des linken Kniegelenkes am 16.10.2001) ein. Anschließend erstellte der Orthopäde Dr.H. am 18.12.2001 ein Gutachten, in dem er als durch das Unfallereignis bedingte Verletzungen eine vordere Kreuzbandruptur des linken Kniegelenkes sowie einen Innenmeniskuseinriss angab. Unabhängig davon sei ein Knorpelschaden im medialen Kniebinnenbereich des linken Kniegelenkes nachweisbar. Zwar habe ein adäquates Trauma nicht vorgelegen, dennoch seien die frischen Einrisse nicht weg zu diskutieren. Die MdE schätzte er mit 20 vH ein. Die Beklagte hat dem mit Stellungnahme ihres beratenden Arztes, des Chirurgen Dr.B. , vom 21.02.2002 widersprochen. Sie sah das Ereignis als unwesentliche Gelegenheitsursache an.

Nach Beiziehung der Unterlagen des Reha-Gesundheitszentrums W. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.04.2002 die Anerkennung des Ereignisses vom 03.07.2001 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie an, dass bereits vor dem Ereignis vom 03.07.2001 erhebliche Vorschäden am linken Kniegelenk bestanden hätten. Der fortgeschrittene Knorpelschaden über der Oberschenkelrolle stelle einen schon lange in Entwicklung stehenden Abnutzungsschaden dar. Der Vorgang vom 03.07.2001 sei eine unwesentliche Gelegenheitsursache für das Bemerkbarwerden vorbestehender fortgeschrittener Verschleißschäden i.S. des endgültigen Abrisses eines schon stark vorgeschädigten vorderen Kreuzbandes und i.S. der damit zusammenhängenden Zerreißung eines ebenfalls schon vorgeschädigten Innenmeniskus bei hierfür typischen ausgeprägten Knorpelschäden in der innenseitigen Kniegelenkkammer gewesen. Der Vorgang selbst sei nicht geeignet gewesen, einen Kreuzbandriss im linken Kniegelenk zu verursachen (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 29.07.2002).

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, den Unfall vom 03.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Das SG hat ein Gutachten des Orthopäden Dr.H. vom 19.11.2003 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass es durch das Unfallereignis zu einer Verdrehung des linken Knies gekommen sei. Bei dem geschilderten Unfallmechanismus sei eine unfallbedingte Kreuzbandschädigung nicht von vorneherein auszuschließen. Dr.J. habe bei der Knieoperation am 31.07.2001 sich dahin festgelegt, dass eine frische vordere Kreuzbandruptur und wohl auch frische Innenmeniskusruptur vorgelegen habe. In Übereinstimmung mit Dr.H. und Dr.J. spreche mehr für als gegen eine unfallbedingte Schädigung des vorderen Kreuzbandes und damit auch des Innenmeniskus. Eine MdE von 20 vH bestehe bis April 2002. Für die Zeit danach sei eine MdE rentenberechtigenden Grades nicht mehr vorhanden.

Mit Urteil vom 19.11.2003 hat das SG die Beklagte verpflichtet, den Unfall vom 03.07.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen, als Unfallfolgen "Riss des vorderen Kreuzbandes und Innenmeniskus links mit Schwellneigung und reizlosen Narben, Kreuzbandrekonstruktion" festzustellen und vom 22.11.2001 bis 30.04.2002 Rente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und unter Verweisung auf eine gutachtliche Stellungnahme des Chirurgen Dr.L. vom 07.01.2004 vorgetragen, der Geschehensablauf, wie ihn der Kläger geschildert habe, sei nicht geeignet gewesen, die in Rede stehenden Schäden (Riss des vorderen Kreuzbandes und Innenmeniskus links) zu verursachen. Das Hängenbleiben bzw. Anstoßen mit dem linken Fuß an der Bordsteinkante sei nicht vergleichbar mit einem "Tritt ins Leere". Der weitere Verletzungsverlauf bzw. das Verhalten des Klägers sprächen gegen das Vorliegen eines schweren, unfallbedingten Kniebinnenschadens und auch das Schadensbild schließe einen Unfallzusammenhang aus. Der Innenmeniskus könne durch einen Mechanismus, der isoliert das vordere Kreuzband schädige, nicht verletzt werden.

Der Senat hat eine Auskunft über Erkrankungen des Klägers von der Techniker-Krankenkasse A. vom 09.03.2004 sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen. Sodann hat der Chirurg Dr.W. am 28.03.2005/ 15.05.2006/29.05.2006 ein Gutachten erstellt und ausgeführt, dass der Unfall zu einer Zerrung des lateralen Kapsel-Band-Apparates und einer Knorpelkontusion medialseitig mit nachfolgender Ergussbildung geführt habe. Eine Zerreißung des vorderen Kreuzbandes und des Innenmeniskushinterhorns als Folge des Unfallereignisses sei aber auszuschließen. Dagegen spreche die Beschreibung der degenerativen Veränderungen am vorderen Kreuzband im histologischen und Operations-Bericht als Hinweis auf eine bereits vorbestehende chronische Instabilität. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sowie eine MdE resultiere aus den Verletzungsfolgen des Ereignisses vom 03.07.2001 nicht.

Für die Beklagte hat der Chirurg Dr.B. mit gutachtlicher Stellungnahme vom 12.04.2005 im Wesentlichen die Ausführungen des Dr.W. bestätigt.

Auf Veranlassung des Klägers hat der Chirurg PD Dr.I. am 27.07.2005/02.08.2006 ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellt. Danach sei der Unfall geeignet gewesen, eine vordere Kreuzbandruptur und einen Innenmeniskusschaden auszulösen. Bei röntgenologisch vorbestehenden Degenerationszeichen sowie einem arthroskopisch verifizierten vorbestehenden Knorpelschaden seien die Zerreißung des vorderen Kreuzbandes und der Riss am Innenmeniskus wesentlich als unfallursächlich zu bewerten. Mit Wahrscheinlichkeit sei durch den Unfall auch der vorbestehende Knorpelschaden noch verschlimmert worden. Die MdE sei mit 20 vH zu bewerten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 19.11.2003 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 24.04.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2002 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 19.11.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweier Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das SG hat zu Recht als Folgen des Arbeitsunfalles vom 03.07.2001 einen "Riss des vorderen Kreuzbandes und Innenmeniskus links mit Schwellneigung und reizlosen Narben, Kreuzbandrekonstruktion" angenommen und bis 30.04.2002 Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH gewährt.

Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 56 Abs 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge des Arbeitsunfalles um wenigstens 20 vH gemindert ist. Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannt werden kann, ist, dass zwischen der unfallbringenden versicherten Tätigkeit und dem Unfall sowie dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein ursächlicher Zusammenhang liegt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff nur dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127, 129; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4.Aufl, Anm 3, 3.4 zu § 548 RVO).

Nach Auffassung des Senats ist es bei dem Unfallereignis vom 03.07.2001 zu einer Verdrehung des linken Knies gekommen. Der Kläger selbst hat glaubhaft vorgetragen, dass er sich beim Rückwärtslaufen nach Hängenbleiben mit dem linken Fuß das linke Knie nach außen verdreht habe. Dabei habe er einen "Riss" am linken Knie verspürt. Dieser Unfallhergang war geeignet, eine vordere Kreuzbandruptur und einen Innenmeniskusschaden auszulösen, wie Priv.Doz. Dr.I. und Dr.H. zutreffend ausführen. Die Gutachter, die eine andere Meinung vertreten, übersehen, dass das nicht durch hohe Gewalt verursachte Umknicktrauma den muskulär darauf in keiner Weise vorbereiteten Kläger traf. Dieser hatte sich nämlich voll auf seine Messtätigkeit konzentriert. Die muskuläre Gegenreaktion gegen das Umknicken lief damit verzögert an, so dass sich auch das einfache Wegknicken des Knies auf die Stabilisatoren (Kreuzbänder) auswirkte. Ein Arbeitsunfall liegt demnach vor.

In Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen Dr.H. und Priv.Doz. Dr.I. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger durch den Arbeitsunfall vom 03.07.2001 eine unfallbedingte Kreuzbandschädigung erlitten hat. Die röntgenologisch vorbestehenden Degenerationszeichen sowie der arthroskopisch verifizierte vorbestehende Knorpelschaden schließen eine unfallbedingte Zerreißung des vorderen Kreuzbandes und einen unfallbedingten Riss am Innenmeniskus nicht aus. Der Arbeitsunfall hat chronische Kniegelenksbeschwerden im Bereich des linken Kniegelenkes sowie Zeichen einer chronischen teilkompensierten Instabilität verursacht.

Dem Gutachten des Dr.W. vermag der Senat nicht zu folgen. Entgegen dessen Auffassung kann ein Verdrehtrauma des linken Kniegelenkes als gesichert gelten. Die Annahme einer vorbestehenden Instabilität des Kniegelenkes ist - auch unter Berücksichtigung der Anamnese - nicht vertretbar. Der Kläger war zu keinem Zeitpunkt wegen Knieproblemen in ärztlicher Behandlung gewesen.

Dr.B. geht von falschen Voraussetzungen aus, wenn er annimmt, dass der Kläger noch über einen Monat nach dem Arbeitsunfall weiter gearbeitet habe, bis er sich erstmals beim Arzt vorstellte. Die in den Akten festgehaltenen Angaben des Klägers weisen darauf hin, dass dieser direkt nach dem Unfallereignis zunehmende Beschwerden im linken Knie verspürte und sich nach drei Tagen (nach zwei Tagen Innendienst und wenig körperlicher Belastung) bei Dr.H. vorstellte. Dieser ging dann von zumindest anteiligen Zeichen einer frischen Verletzung aus und hat die entsprechende Diagnostik veranlasst. Es wurde dann bei der Kernspintomographie im Juli die Kreuzbandverletzung auch bestätigt. Das Verhalten des Klägers nach dem Unfall war verletzungskonform. Dr.J. hat sich bei der Knieoperation am 31.07.2000 diagnostisch eindeutig festgelegt. Er geht von einer frischen vorderen Kreuzbandruptur und wohl auch frischen Innenmeniskusruptur aus. Den Knorpelschaden im innenseitigen Kniebereich selbst schätzt er als unfallunabhängig ein. Hierzu passt auch der feingewebliche Untersuchungsbefund, der Vernarbungen am Kreuzband lediglich am Rand beschreibt, insgesamt aber von einem frischen Riss ausgeht. Damit bestätigen sowohl der intraoperative Befund als auch die pathologisch-histologische Begutachtung die wesentliche traumatische Verursachung des Meniskus- und Kreuzbandschadens. Die vorbestehende Degeneration am Innenmeniskus und am vorderen Kreuzband war hingegen nur von geringer Natur.

In Übereinstimmung mit Dr.H. , Priv.Doz. Dr.I. , aber auch Dr.H. und Dr.J. sprechen also mehr Argumente für als gegen eine unfallbedingte Schädigung des vorderen Kreuzbandes und damit verbunden auch des Innenmeniskus. Die Bewertung des Unfallschadens mit einer MdE von 20 vH bis April 2002 entspricht den üblichen unfallrechtlichen Bewertungsregeln.

Nach alledem hat der Kläger Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente bis 30.04.2002. Die Berufung der Beklagten musste erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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