L 17 U 187/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 U 5007/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 187/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20.05.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 20.03.1998 (Unfall von E. A.) als Arbeitsunfall sowie die Entschädigung dem Grunde nach streitig.

Der Ehemann der Klägerin, E. A. (A), geb. 1914, erlitt am 20.03.1998 einen Unfall. Auf dem Weg zur Geflügelfütterung überquerte er eine Straße mit dem Futtereimer in der Hand und wurde am Gehsteig von einem vorbeifahrenden PKW erfasst (Unfallanzeige vom 27.03.1998). Er erlitt dabei eine isolierte Tibiakopftrümmerfraktur rechts mit Verdacht auf Beteiligung der Eminentia intercondylica, Fibulaköpfchenfraktur rechts, vollständige laterale Kapsel-Bandruptur des linken Kniegelenkes mit antero-lateraler und postero-lateraler Instabilität, Fissur im Bereich des Tibiakopfes lateral, Kontusion der rechten Schulter, Schädelkontusion sowie Risswunde des rechten Unterarmes. Anschließend befand er sich mehrmals in stationärer Behandlung.

Das eingefriedete Hühnergehege lag gegenüber dem Wohnhaus M. -Str., L. , auf der anderen Straßenseite. A. hat den Unfallhergang nochmals am 27.04.1998 geschildert. Sein Sohn A. führte am 20.03.1998 und 06.04.1998 aus, sein Vater habe über die Straße zum Hühnerfüttern gehen wollen. Das Hühnerfutter stamme aus eigener Produktion mit Zugabe von Legemehl. Er baue auf seinem landwirtschaftlichen Unternehmen, das 3,569 ha umfasse, Korn, Futtergerste, Raps, Kartoffeln usw. an. Das ganze Jahr über gehörten auch ca. 20 Hühner zum landwirtschaftlichen Betrieb. Der Vater selbst arbeite täglich mindestens 2 bis 3 Stunden mit, so wie alle Familienmitglieder, ohne dass er sich die Arbeit genau einteile. Da er, der Sohn, auch ein Fliesengeschäft betreibe und häufig auswärts sei, teilten sich die Enkel und A. die landwirtschaftliche Arbeit. Der Vater habe auch keine Speisereste verfüttert. Damit sei lediglich das im Eimer vorhandene Hühnerfutter abgedeckt worden. Die darin enthaltenen Körner seien mit Wasser angesetzt gewesen und aufgekeimt.

A. gab anlässlich einer Befragung am 10.07.1998 an, dass er Abfälle aus der Küche und aus der Familie der Enkelin wegbringen wollte. Der Haushaltsabfall habe ca. 1/3 des Eimers ausgemacht. Darauf seien noch 2/3 gekeimten Hafers gekommen. Das Getreide sei vom Sohn A. angebaut worden. Ihm selbst gehörten 12, dem Sohn A. 20 Hühner im Hühnergehege. Die Hühner habe er selbst versorgt. Körner seien dazugekauft worden, wenn die eigenen nicht ausreichten.

Die Polizeidienststelle Bad K. teilte am 10.07.1998 mit, der zuständige Sachbearbeiter erinnere sich, dass es sich bei dem "Hühnerfutter" um Speisereste gehandelt habe. Körner oder Ähnliches konnten nicht festgestellt werden. Der Ortsvertrauensmann R. M. führte am 16.07.1998 aus, dass 1996 bis 1998 von dem Sohn A. kein Getreide angebaut worden sei.

Mit Bescheid vom 28.07.1998 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Unfalles ab, weil kein Arbeitsunfall vorliege.

Während des anschließenden Widerspruchverfahrens verstarb A. am 08.08.1998.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 26.03.1999 zurück.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin (Ehefrau von A. als Rechtsnachfolgerin) Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, das Ereignis vom 20.03.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Grunde nach zu entschädigen.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass A. die Straße überqueren wollte, um Küchenabfälle aus seiner Küche und der der Enkelin zu entsorgen, d.h. an die Hühner zu verfüttern. A. habe kein landwirtschaftliches Unternehmen gehabt (privater unversicherter Haushalt). Ein landwirtschaftlicher Arbeitsunfall habe nicht vorgelegen.

Der Enkel des A., der Zeuge B. A. , hat anlässlich seiner Vernehmung am 20.05.2003 ausgeführt, dass Hühnerfutter (Legemehl, Hafer, Körner) regelmäßig bei der Firma B. gekauft worden sei. A. habe es dann mit Wasser aufgeweicht. Zusätzlich habe der Sohn A. eigenes Getreide zum Füttern verwendet. Auch sei nach dem Unfall noch gekeimtes Getreide auf der Straße gelegen.

Mit Urteil vom 20.05.2003 hat das SG die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 20.03.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Es hat ausgeführt, A. habe regelmäßig im landwirtschaftlichen Betrieb des Sohnes mitgearbeitet, die Hühner versorgt und am Unfalltag die Straße mit Körnerfutter für die Hühnerhaltung überquert. Das Hühnerfutter sei von der Firma B. bzw. von seinem Sohn beschafft worden.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, A. habe seine (eigenen) Hühner füttern wollen. Auch wollte er die angefallenen kompostierfähigen Abfälle durch Verfüttern an die Hühner entsorgen. Der Weg zum Hühnergehege sei identisch gewesen mit dem Weg zum Komposthaufen. Ein Versicherungsschutz habe nicht vorgelegen.

Die Klägerin hat ausgeführt, A. sei nicht unterwegs zum Kompost, sondern auf direktem Weg zur Hühnerfütterung gewesen. Dies stelle eine versicherte Tätigkeit dar. Unerheblich sei, womit A. die Hühner füttern wollte. Entscheidend sei allein, dass er zur Hühnerfütterung unterwegs war. Wenn er früher die Hühner als "seine" bezeichnete, so seien damit nicht die Eigentumsverhältnisse gemeint gewesen. Vielmehr liege insoweit ein emotionaler Bezug vor.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.2003 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Das Urteil des SG Würzburg vom 20.05.2003 ist im Tenor nicht zu beanstanden, da A. anlässlich des Unfalls vom 20.03.1998 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.

Nach § 123 Abs 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften für Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft zuständig. Versichert kraft Gesetzes sind dabei nach § 2 Abs 1 Nr 5a SGB VII auch nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige. Darunter fällt nach Abs 4 dieser Vorschrift auch der Vater eines Betriebsunternehmers.

Unstreitig war der Sohn A. des A. landwirtschaftlicher Unternehmer. Er besaß nach Lage der Akten ein landwirtschaftliches Unternehmen mit einer Fläche von 3,569 ha. Dabei kommt es aber nicht auf die Größe des Unternehmens an. A. verrichtete im Betrieb seines Sohnes täglich mindestens 2 - 3 Stunden landwirtschaftliche Arbeiten, ohne sich - wie alle Familienmitglieder - die Arbeit genau einzuteilen. Bereits in der Unfallanzeige vom 27.03.1998 werden als Aufgaben des A. Bäume ausschneiden, Holz hacken und Geflügel füttern genannt. Die Hühner waren dabei Bestandteil des landwirtschaftlichen Unternehmens (so der Sohn A. am 02.07.1998).

Am Unfalltag war A. auf dem Weg zur Geflügelfütterung. Er hatte sowohl in der Unfallanzeige vom 27.03.1998, am 27.04.1998 und am 21.03.1998 angegeben, dass er die Straße zum Hühnerfüttern überqueren wollte. Er überquerte die Straße mit einem Futtereimer in der Hand.

Anlässlich seiner Vernehmung am 10.07.1998 brachte er vor, dass er Küchenabfälle wegbringen wollte, wie z.B. Salat, Kartoffelschalen, gekochte Kartoffeln sowie gekeimten Hafer. Die Abfälle stammten aus seiner Küche bzw. aus der der Familie der Enkelin. Auf dem Eimer fügte er obendrauf das gekeimte Getreide. Nach seinen überzeugenden Angaben bestand der Inhalt des Eimers zu 1/3 aus Haushaltsabfall, zu 2/3 aus gekeimtem Hafer. Legemehl, Hafer und Körner stammten zum Teil aus eigenem Anbau des Sohnes A. , zum Teil wurden sie bei der Firma B. eingekauft. Körner kaufte der Sohn aber nur, wenn die eigenen nicht ausreichten. Der Senat geht davon aus, dass die Hühner mit dem aus dem landwirtschaftlichen Betrieb des Sohnes stammenden Futter überwiegend gefüttert wurden. Entgegen der Auffassung der Beklagten war das Interesse des A. darauf gerichtet, die Hühner zu füttern. Das Wegtragen kompostierfähiger Abfälle zu einem Komposthaufen kann nicht unterstellt werden. Insoweit ist auch das Urteil des LSG Hessen vom 29.09.1993 - L 3/U 590/93 - nicht einschlägig. Entscheidend ist, dass die Bodenbewirtschaftung zumindest teilweise der Gewinnung von Hühnerfutter diente. Es reicht dabei aus, wenn 1/5 des Futters aus eigener Erzeugung stammt (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5.Aufl, § 123, Anm. 4.6; BSG vom 21.03.1974- SGb 1974, 233 -). Dies war nach Auffassung des Senats bei A. der Fall.

Der Senat ist auch überzeugt, dass dem A. , dem Sohn A. 20 Hühner gehörten. A. versorgte sie aber alle. Die Ausführungen des A. kurz vor seinem Tod sind glaubwürdig und überzeugend. Es kommt nicht darauf an, dass nur ca. 32 Hühner gehalten wurden (BayLSG vom 19.10.1982, Breithaupt 1983, 877). Wenn A. manchmal von "seinen" Hühnern sprach, so waren damit nicht die Besitz- bzw. Eigentumsverhältnisse gemeint. Vielmehr ist dies als emotionaler Bezug anzusehen, da sich A. allein um die Hühner kümmerte.

A. stand daher anlässlich des Unfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Unfall ist als Arbeitsunfall anzuerkennen und nach Maßgabe der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen.

Die Berufung der Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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