L 17 U 199/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 355/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 199/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 07.04.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung einer koronaren Herzkrankheit wie eine Berufskrankheit (BK) nach § 9 Abs 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) streitig.

Am 10.04.2002 machte der 1956 geborene Kläger eine BK wegen Vorhofflimmern geltend. Er war von September 1972 bis März 1981 mit Küchentätigkeiten, insbesondere als Koch beschäftigt. Von April 1981 bis August 1987 war er als Arbeiter in einer Metallfabrik tätig. Seit November 1987 übte er den Beruf eines selbstständigen Versicherungskaufmannes aus. Neben einem Arbeitsunfall im Jahr 1996 (Schleudertrauma der Halswirbelsäule) machte er in seiner bisherigen Berufstätigkeit Stress, Hektik, Zeitdruck, Depression sowie Angstzustände geltend. Nach seinen Angaben arbeitete er als Selbstständiger in einer 60-Stunden-Woche.

Im März 2002 befand er sich in stationärer Behandlung in der Herz- und Gefäßklinik Bad N ... Dort wurden eine koronare 1-Gefäßerkrankung mit hochgradiger RPLS-Stenose bei instabiler Angina pectoris, asymptomatische Sinusbrachykardien, ein obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom sowie Hyperlipidämie als Gesundheitsstörungen festgestellt (Befundbericht des Allgemeinarztes Dr.W. vom 12.03.2002).

Mit Bescheid vom 07.08.2002 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) ab. Danach falle die vom Kläger gemeldete Erkrankung nicht unter eine der in der Anlage 1 der BKV aufgeführten Listenkrankheiten.

Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, dass koronare Herzerkrankungen besonders häufig solche Personen heimsuchten, die rastlos und ehrgeizig nach Erfolg im Beruf strebten. Zu dieser Personengruppe habe er gehört, solange er als Versicherungsvertreter aktiv gewesen sei.

Mit Bescheid vom 14.11.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zusätzlich aus, dass auch eine BK nach § 9 Abs 2 SGB VII nicht anerkannt werden könne.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, seine Herzerkrankung wie eine BK anzuerkennen und dem Grunde nach zu entschädigen.

Auf Anfrage des SG hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BmGS) am 26.11.2003 mitgeteilt, dass zur Frage der Verursachung einer koronaren Herzerkrankung als Folge der Einwirkung von Stress bei selbstständigen Handelsvertretern derzeit keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen. Der Sachverständigenrat habe diese Fragestellung bisher auch nicht geprüft. Bei stressbedingt verursachten Erkrankungen seien die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII nicht erfüllt. Stress als solcher stelle keine Krankheit dar.

Mit Urteil vom 07.04.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des BmGS gestützt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, es liege insoweit eine Rechtsschutzlücke vor, als er nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Berufsrisiken eine BK erlitten habe. Zudem sei im Rahmen eines Gentestes festgestellt worden, dass er veränderte Blutplättchen habe. Diese Veränderung sei angeboren, führe nunmehr aber dazu, dass er unfallbedingt ein verschärftes Schmerzempfinden besitze.

Der Senat hat Befundberichte der Allgemeinärzte Dr.R. vom 16.07.2004 und Dr.W. vom 22.07.2004 sowie die Akte des Amtes für Versorgung und Familienförderung W. (Schwerbehindertenakte) zum Verfahren beigezogen. Außerdem hat der Kläger einen Arztbericht des Prof. Dr.S. (Schmerzambulanz des Universitätsklinikums W.) vom 17.10.2005 vorgelegt. Darin wird im Wesentlichen ein chronisches Schmerzsyndrom mit gravierendem psychosozialen Folgekomplex beschrieben.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 07.04.2004 und des Bescheides vom 07.08.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.11.2002 zu verurteilen, seine Herzerkrankung wie eine BK anzuerkennen und dem Grunde nach zu entschädigen. Vorsorglich beantragt er, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würz burg vom 07.04.2004 zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung der bei ihm vorliegenden Herzerkrankung wie eine BK gemäß § 9 Abs 2 SGB VII.

Unstreitig liegt beim Kläger keine BK nach der Anlage zur BKV (Listenkrankheit) vor. Nach § 9 Abs 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist, oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine BK nach Abs 1 Satz 2 erfüllt sind (Verursachung durch besondere Einwirkungen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft; bestimmte Personengruppen sind durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung diesen Einwirkungen ausgesetzt). Die Träger der Unfallversicherung sollen also im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs 1 SGB VII erfüllt sind.

Auf diese Weise können auch Krankheiten als Berufskrankheiten entschädigt werden, obwohl der Verordnungsgeber wegen der mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht tätig geworden ist. Wenn der Verordnungsgeber eine Krankheit nicht in der BKV bezeichnet oder die dort bisher bestimmten einschränkenden Voraussetzungen noch nicht aufgehoben hat, räumt der Gesetzgeber in § 9 Abs 2 SGB VII dem Träger der Unfallversicherung ausdrücklich das Recht und die Pflicht ein, im Einzelfall anstelle des noch nicht tätig gewordenen Verordnungsgebers in zwei voneinander zu unterscheidenden Verfahrensschritten vorzugehen, nämlich zunächst festzustellen, ob nach neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen die Voraussetzungen für die Aufnahme der betreffenden Krankheit in die BKV erfüllt sind und dann die betreffende Krankheit wie eine BK zu entschädigen (BSG vom 19.01.1995 - 2 RU 14/94 -).

Die vom Kläger als berufsbedingt (insbesondere durch Stress) geltend gemachte Herzerkrankung ist als solche von der medizinischen Wissenschaft noch nicht als berufsbedingte Krankheit anerkannt worden. Es liegen keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse seit der letzten Ergänzung der BKV vor (BK-Änderungsverordnung vom 05.09.2002), die eine Anerkennung und Entschädigung nach § 9 Abs 2 SGB VII rechtfertigen würden. Dies kommt auch im Schreiben des BmGS vom 26.11.2003 zum Ausdruck, wonach zur Frage der Verursachung einer koronaren Herzerkrankung als Folge der Einwirkung von Stress bei selbstständigen Handelsvertretern derzeit keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen (ebenso Urteil LSG Rheinland-Pfalz vom 16.12.1992 - L 3/U 5/92 -). Dies bedeutet, dass bei stressbedingt verursachten Erkrankungen neue wissenschaftliche epidemiologische Erkenntnisse über die überhäufige Erkrankung bestimmter Personengruppen nicht nachgewiesen sind, auch nicht hinsichtlich eines "Burn-out-Syndroms" (siehe Urteil LSG Rheinland-Pfalz vom 10.06.2003 - L 3 U 76/03 -). Es ist daher auch weiterhin davon auszugehen, dass körperliche und seelische Dauerbelastungen, insbesondere chronischer psychischer Stress bzw. Dysstress als in Betracht kommende Ursache eines Herzinfarktes und damit auch von Herzerkrankungen nicht als BK anerkannt werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Aufl, S 893).

Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Herzerkrankung wie eine BK, da die erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Einer weiteren medizinischen Abklärung hat es insoweit nicht bedurft. Das Urteil des SG Würzburg und die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Berufung war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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