L 1 KR 35/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 21 KR 689/01
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 35/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten für beide Instanzen zu tragen. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Höhe der Vergütung für Leistungen der häuslichen Krankenpflege.

Die Klägerin betreibt einen privaten Pflegedienst und erbrachte u. a. Leistungen der häuslichen Krankenpflege für Mitglieder der Beklagten. In den Jahren 2000 und 2001 kürzte die Beklagte eine Reihe von Rechnungen in Fällen, in denen das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen verordnet und dies als Pflegeleistung erbracht worden war. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellungen in der Klageschrift vom 17. Juli 2001 sowie in den Schriftsätzen der Klägerin vom 2. November 2001 (Blatt 36 ff. der Gerichtsakte), 20. Februar 2002 (Blatt 59 f. der Gerichtsakte), 7. Januar 2003 (Blatt 70ff. der Gerichtsakte), 29. August 2003 (Blatt 116 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Zur Begründung der vorgenommenen Kürzungen berief sich die Beklagte jeweils darauf, dass die Position Nr. 2263 ("Kompressionsstrümpfe/-hose, An und Aus") der Anlage 2 zu dem u. a. zwischen der Klägerin und der Beklagten in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 2002 geltenden Vertrag über die Durchführung häuslicher Krankenpflege gemäß § 132a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) (im Folgenden: HKP-Vertrag) in Höhe von 14,95 DM bzw. 7,64 EUR nur einmal pro Tag abgerechnet werden könne. Diese umfasse sowohl das An- als auch das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe.

Gegen diese Kürzungen hat sich die Klägerin mit ihrer am 17. Juli 2001 erhobenen Klage gewandt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass nach der vertraglichen Regelung die Position Nr. 2263 zweimal täglich anfalle, nämlich einmal beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe und dann noch einmal beim Ausziehen. Eine solche Auslegung entspreche dem übereinstimmenden Willen der vertragsschließenden Personen vom Zentralverband Hamburger Pflegedienste e. V. und von den Ersatzkassenverbänden. Nach Kündigung des bis zum 31. Dezember 1995 geltenden HKP-Vertrags seien die Hamburger Pflegedienste und die Ersatzkassen übereingekommen, dass ab April 1996 die Leistungen des An- und des Ausziehens von Kompressionsstrümpfen je Besuch mit einem Betrag in Höhe von 16,25 DM zuzüglich der Wegepauschale zu vergüten seien. Im Rahmen der Verhandlungen für den ab 1. Januar 1999 geltenden HKP-Vertrag sei man davon ausgegangen, dass diese Regelung bei einer Kürzung der Leistung des An- und des Ausziehens von Kompressionsstrümpfen um je 1,30 DM beibehalten werden solle. Entsprechend habe die Beklagte - wie sämtliche anderen Ersatzkassen auch - zunächst die beantragte Vergütung vorgenommen und dies erst im Laufe des Jahres 2000 nach Inkrafttreten der Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege vom 16. Februar 2000 dahingehend geändert, dass die Position Nr. 2263 nur noch einmal pro Tag vergütet worden sei. Die Beklagte müsse sich jedoch an der vertraglichen Regelung festhalten lassen.

Die Beklagte hat den von der Klägerin behaupteten übereinstimmenden Willen der vertragsschließenden Personen bestritten und unter Vorlage von Schriftverkehr und Aktenvermerken aus dem Zeitraum der Verhandlungen für den HKP-Vertrag ausgeführt, dass die Hamburger Pflegedienste eine Regelung angestrebt hätten, wonach das An- oder Ausziehen mit einem Betrag von 14,95 DM hätte vergütet werden sollen. Dieser im Gegensatz zur erfolgten "Und"-Verknüpfung stehende Formulierungswunsch sei nicht in den Vertrag aufgenommen worden. Es wäre auch widersinnig, wenn gerade diese Position eine nahezu hundertprozentige Erhöhung erfahren hätte. Bis zum 31. Dezember 1998 habe lediglich für das Anlegen von Kompressionsstrümpfen ein Vergütungsanspruch bestanden, das Ausziehen sei nicht vergütungsfähig gewesen. Im Übrigen sei das Ausziehen von Kompressionsstrümpfen deutlich weniger aufwändig als das Anziehen, so dass nicht nachvollziehbar wäre, warum beide Leistungen jeweils mit 14,95 DM hätten vergütet werden sollen. Die Regelung in dem seit 1. Januar 2003 geltenden Vertrag, wonach das Anziehen von Kompressionsstrümpfen mit 5,00 EUR und das Ausziehen mit 3,00 EUR vergütet werde, zeige, dass in dem Zeitraum davor nicht eine insgesamt fast doppelt so hohe Vergütung wie seither vereinbart gewesen sein könne. Dass die Beklagte vorübergehend die zweimalige Abrechnung der Position 2263 ohne Beanstandung gelassen habe, beruhe darauf, dass dies übersehen worden sei. Sie gehe generell davon aus, dass Abrechnungen vertragskonform erfolgen. Anders wären die zahlreichen Abrechnungen mit entsprechenden Zahlungsfristen gar nicht zu bewältigen. Intensive Abrechnungsprüfungen erfolgen nur in einer gewissen Anzahl stichprobenartig. Im Rahmen einer derartigen Prüfung müsse aufgefallen sein, dass die strittige Gebührenziffer in der Vergangenheit nicht vertragskonform abgerechnet worden sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. März 2006 abgewiesen und sich dabei der nicht veröffentlichten, aber den Beteiligten bekannten, erfolglos mit der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG 25. Juli 2005 - B 3 KR 15/05 B) angegriffenen Entscheidung des erkennenden Senats vom 9. Februar 2005 - L 1 KR 116/04 zu derselben Streitfrage angeschlossen. Die Regelung unter Position Nr. 2263 sei eindeutig in dem Sinne, dass An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe eine Leistung sei, die nur einmal mit 14,95 DM zu vergüten sei. Den Anträgen der Klägerin, für ihre Behauptungen, insbesondere hinsichtlich der angeblich übereinstimmenden Vorstellungen der handelnden Personen bei den Vertragsverhandlungen, Beweis durch Einvernahme von näher bezeichneten Zeugen aus dem Vorstand des Zentralverbandes Hamburger Pflegedienste e.V. und von den Ersatzkrankenkassenverbänden zu erheben, sei nicht nachzugehen gewesen, weil es hierauf in Anbetracht des maßgeblichen klaren Wortlauts der streitigen Vergütungsregelung, die von ihrer wirtschaftlichen Seite durch die Nachfolgeregelung bestätigt werde, nicht ankomme. Auch daraus, dass die Beklagte zunächst Abrechnungen nicht beanstandet habe, sei es, weil sie einen anderen Rechtsstandpunkt eingenommen habe, sei es, weil sie die Abrechnung gegen den Wortlaut in Ermangelung regelmäßiger Prüfungen nicht erkannt habe, könne die Klägerin keinen Anspruch auf eine weitere Vergütung herleiten.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 13. Juli 2006 zugestellte Urteil am 14. August 2006, einem Montag, Berufung eingelegt, mit der sie ihr Zahlungsbegehren unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens weiter verfolgt und ergänzend vorträgt, die vorgenommen Kürzungen stellten auch eine nachträgliche Verordnungsbeschränkung dar. Denn die Beklagte habe die ärztlichen Verordnungen für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen zunächst jeweils uneingeschränkt bewilligt. Verordnungsbeschränkungen seien dann nur unter Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) möglich. Hieran fehle es aber. Deshalb müssten nun auch sowohl das An- als auch das Ausziehen vergütet werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 5.105,02 EUR nebst Zinsen in der im Schriftsatz vom 12. September 2006 im Einzelnen bezeichneten Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und nimmt darüber hinaus Bezug auf eine weitere Entscheidung des erkennenden Senats vom 17. November 2004 - L 1 KR 165/03 sowie eine solche des Landessozialgerichts Hessen vom 3. März 2005 - L 1 KR 380/03, beide nicht veröffentlicht. Sie nimmt ferner Bezug auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 15. November 2006 (L 1 KR 31/06).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung, über die der Senat nach §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Vergütung für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen im Rahmen der für Mitglieder der Beklagten in den Jahren 2000 bis 2001 erbrachten häuslichen Krankenpflege.

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch ist § 8 des HKP-Vertrags in Verbindung mit Position Nr. 2263 der dortigen Anlage 2 ("Kompressionsstrümpfe/-hose, An und Aus ... 14,95 DM"). Mit dem Sozialgericht und entgegen der Auffassung der Klägerin hält der erkennende Senat diese Regelung nach ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung in nunmehr schon ständiger Rechtsprechung für eindeutig.

Die Vergütung von einmalig 14,95 DM umfasst sowohl das An- als auch das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe. Anderenfalls hätte die Formulierung lauten müssen "An oder Aus" bzw. "jeweils 14,95 DM".

Dass auch den an den Vertragsverhandlungen beteiligten Personen diese inhaltlichen Unterschiede je nach Wortwahl bewusst waren, ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Vermerk über das Gespräch mit den Pflegeverbänden vom 17. August 1998 (Blatt 91 ff., 92 der Verwaltungsakte) sowie dem Vertragsentwurf der Pflegeverbände als Anlage zum Schreiben vom 6. Oktober 1998, dortige Position 2200 (Blatt 73 f., 85 der Verwaltungsakte).

Eine Vergleichbarkeit der Position Nr. 2263 der Höhe der Vergütung nach mit den anderen Position des HKP-Vertrages besteht nur dann, wenn man diese Position im Sinne der Auffassung der Beklagten versteht. Die Vergütung in Höhe von 14,95 DM ist die höchste im HKP-Vertrag vorgesehene und wird unter anderem erbracht für das Absaugen, die Bedienung und Überwachung des Beatmungsgeräts, die Decubitusbehandlung/-versorgung, das Verabreichen von Sondennahrung, die Stomaversorgung, das Anlegen und Wechseln von Verbänden, wobei hier ausdrücklich in den Erläuterungen klar gestellt wird, dass das Entfernen und Anlegen von Verbänden zusammen als nur eine Leistung vergütet wird. Etwas geringer vergütet werden unter anderem die Katheterisierung der Harnblase, Wechsel und Überwachung einer Magensonde und mit etwa der Hälfte die Gabe von Injektionen, Einreibungen, Injektionen, Spülungen oder auch die Blutzuckermessung. Die Grundpflege wird mit 20,60 DM vergütet. In dem vorgenannten Gefüge würde die Position Nr. 2263 bei einer Auslegung dahingehend, dass für morgendliches Anziehen und abendliches Ausziehen von Kompressionstrümpfen insgesamt 29,90 DM anfielen, der Höhe nach unverhältnismäßig erscheinen, unabhängig davon, dass eine Gleichbewertung von aufwändigem Anziehen einerseits und deutlich weniger aufwändigem Ausziehen andererseits nicht nachvollziehbar erschiene.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es angesichts der Eindeutigkeit der Auslegung nach Wortlaut und systematischer Stellung weder auf die Vorstellungen der in den Vertragsverhandlungen auftretenden Personen an noch auf die weiteren von ihr schriftsätzlich unter Beweis gestellten Tatsachen. Vergütungsregelungen sind stets eng nach ihrem Wortlaut, ergänzend auch noch nach dem systematischem Zusammenhang, auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG 13. Dezember 2001 - B 3 KR 1/01 R, SozR 3-5565 § 14 Nr. 2, sowie 21.02.2002 - B 3 KR 30/01 R, Breith 2002, 601; LSG Hessen, a.a.O.). Nur dann können sie ihren Zweck erfüllen, der in der routinemäßigen Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen besteht. Ein dem Wortlaut entgegenstehender Wille der Vertragsschließenden ist gemessen hieran nur dann zu berücksichtigen, wenn dieser Wille übereinstimmend und auch entsprechend dokumentiert ist, sei es in einer Protokollnotiz zu der vertraglichen Regelung oder in dem zur Überwindung von Meinungsverschiedenheiten vereinbarten Verfahren der Vertragsparteien (LSG Hessen 29.06.2006 - L 1 KR 7/05, n.v.). Hieran fehlt es vorliegend. Die Änderung des HKP-Vertrags mit Wirkung ab 1. Januar 2003 hinsichtlich der strittigen Position dahingehend, dass nunmehr das Anziehen von Kompressionstrümpfen mit 5,00 EUR und das Ausziehen mit 3,00 EUR vergütet und beides getrennt aufgeführt wird, spricht vielmehr dafür, dass ein Auslegungsstreit bestand und im Sinne der Beklagten geregelt worden ist.

Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung berührt der vorliegende Streit nicht die ärztlichen Verordnungen und deren Bewilligung durch die Beklagte. Im Streit ist namentlich nicht, ob jeweils An- und Ausziehen ärztlich verordnet bzw. zu verordnen war und ob diese Leistung erbracht werden durfte, sondern lediglich, wie die verordnete und erbrachte Leistung zu vergüten ist. Diese Frage beantwortet der HKP-Vertrag in der oben dargestellten Weise. Der Einschaltung des MDK bedurfte es hierfür nicht.

Die Kostenentscheidung beruht, da das Verfahren vor dem 2. Januar 2002 rechtshängig geworden ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 6. SGG-Änderungsgesetz, BGBl. I Seite 2144), auf § 193 SGG in der bis 1. Januar 2002 geltenden Fassung (§ 193 a.F.). Nach § 193 Abs. 4 Satz 2 SGG a.F. waren der Klägerin unter Abänderung der insoweit unrichtigen Kostenentscheidung des Sozialgerichts die außergerichtlichen Kosten der Beklagten für beide Instanzen aufzuerlegen. Dies entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache. Dem Rechtsmittelgericht ist es auch nicht verwehrt, die Kostenentscheidung des Sozialgerichts zu Ungunsten des Rechtsmittelklägers zu ändern. Das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers erstreckt sind nämlich nur auf den der Disposition der Beteiligten unterliegenden Streitgegenstand, der durch das Rechtsmittel in die höhere Instanz gelangt ist, nicht aber auf solche im angefochtenen Urteil enthaltenen Entscheidungen, die – wie die Kostenentscheidung (vgl. § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG) – der Disposition der Beteiligten entzogen und daher ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten von Amts wegen zu treffen sind (BSG 10.09.1987 – 10 Rar 10/86 – SozR 4100 § 141b Nr. 40).

Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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