Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 342/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Verlängerung der Drei-Monats-Frist nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 EWG-VO Nr. 1408/71 wird ermessensfehlerfrei abgelehnt, wenn der Arbeitslose im Land seiner Arbeitssuche bereits längere Zeit vor Ablauf der Drei-Monats-Frist erkennbar keine Aussicht auf Vermittlung in Arbeit hatte, jedoch in diesem Land verblieb und nur wegen einer kurz vor dem Ende der Drei-Monats-Frist eingetretenen Erkrankung nicht rechtzeitig in die Bundesrepublik, Deutschland zurückkehren konnte.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Februar 1977 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Wiederbewilligung vom Arbeitslosengeld – Alg – bei Anweisung der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Art. 69.
Die Klägerin ist italienische Staatsangehörige. Sie war bis zum 25. April 1975 als Näherin beschäftigt und bezog ab 30. April 1975 Alg, bewilligt für 156 Tage. Am 23. Mai 1975 beantragte sie die Ausstellung einer Bescheinigung nach dem Vordruck E 303 für ausländische Arbeitnehmer, die Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft – EG – sind; sie wollte sich in Z., Italien, um eine Arbeitsstelle bemühen. Nach den Feststellungen des Arbeitsamtes Gießen waren für die Klägerin seinerzeit keine geeigneten Stellen im Arbeitsamtsbezirk vorhanden. Dieses bescheinigte ihr am 26. Mai 1975 antragsgemäß, daß der Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit gemäß Vordruck E 303 bis zum 27. August 1975 aufrecht erhalten bleibe. Seinerzeit hatte die Klägerin noch eine Restanspruchsdauer von 132 Tagen. Nach ihrer Ankunft in Italien meldete sie sich bei der Gemeinde-Vermittlungsstelle in Z. (C.) arbeitslos, eine Arbeit konnte ihr jedoch nicht vermittelt werden. Ausweislich der Auskunft dieser Vermittlungsstelle vom 26. Februar 1976, die auf einem Vordruck der Beklagten erteilt worden war, hatte die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Arbeitslosmeldung keine Aussicht, innerhalb von drei Monaten in Arbeit vermittelt zu werden; die Vermittlungsaussichten hätten sich in den folgenden Wochen auch nicht erheblich verbessert; wegen Krankheit habe sie sich aus dem Leistungsbezug nicht abgemeldet. Am 23. August 1975 erkrankte die Klägerin, wie aus einem Attest des Arztes D. D. G. – Ort nicht leserlich – folgt; danach war sie bis zum 2. September 1975 arbeitsunfähig. Nach ihren Angaben hatte sie in der Nacht zum 23. August 1975 eine Nierenkolik bekommen. Sie sei deshalb erst am 27. August 1975 nach Einholung ärztlichen Rates als Mitfahrerin in dem Pkw eines Landsmannes in die Bundesrepublik Deutschland zurück gefahren, wo sie in L. am 29. August 1975, einem Freitag, gegen Abend eingetroffen sei.
Die Klägerin meldete sich am 1. September 1975 beim Arbeitsamt Gießen arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von Alg. Sie gab an, durch ihre Krankheit ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen zu sein, innerhalb der Dreimonatsfrist in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, da sie plötzlich erkrankt sei. Bereits für den 23. August 1975 sei die Rückreise geplant gewesen. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 11. September 1975 ab; zur Begründung bezog sie sich auf die Überschreitung der Dreimonatsfrist. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1976 zurück, nachdem sie ihrer Hauptstelle Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte. Zur Begründung führte sie an, die Klägerin Habe die Dreimonatsfrist nach Art. 69 Abs. 1 der EWG-VO Nr. 1408/71 versäumt. Es liege auch kein Ausnahmefall nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 der VO 1408/71 vor, wonach die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger diese Frist verlängern kann. In Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens sei ein derartiger Ausnahmefall nicht festzustellen. Art. 69 Abs. 1 der VO 1408/71 räume dem Arbeitslosen die Mitnähme des deutschen Leistungsanspruchs nach Italien nur zum Zwecke der Arbeitsuche ein. Vorliegend habe die Gemeinde-Vermittlungsstelle in Z. jedoch mitgeteilt, daß dort für die Klägerin weder zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung noch in den darauf folgenden Wochen Aussicht auf Vermittlung in Arbeit bestanden habe. Schon längere Zeit vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei ihr Verbleiben in Italien nicht mehr vom Zwecke der Arbeitsuche her erforderlich gewesen. Wenn sie sich dennoch dort weiter aufgehalten habe, so müsse sie auch das Risiko tragen, während eines anderweitig motivierten Verweilens durch unvorhergesehene Ereignisse daran gehindert worden zu sein, rechtzeitig zurückzukehren.
Gegen diesen der Klägerin am 19. Mai 1976 zugestellten Bescheid erhob diese am 24. Mai 1976 Klage. Sie trug vor, es liege ein Ausnahmefall nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 EWG-VO 1408/71 vor. Auch wenn sie durch die örtliche Arbeitsvermittlung in Italien nicht sogleich habe vermittelt werden können, so habe sie doch innerhalb der Dreimonatsfrist sich um eine Arbeitsstelle bemüht und angenommen, eine solche zu finden. Erst als sie erkannt habe, daß ihre Bemühungen erfolglos seien, habe sie sich gegen Ende der Dreimonatsfrist zur Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland entschlossen. Erst kurz vor Ablauf der Frist, am Abfahrtstage, sei sie am 23. August 1975 derart erkrankt, daß sie nicht reisefähig gewesen sei. Sogleich nach Wiederherstellung ihrer Reisefähigkeit habe sie am 27. August 1975 die Rückreise angetreten.
Das Sozialgericht Gießen hob mit Urteil von 17. Februar 1977 die angefochtenen Bescheide auf. Zur Begründung führte es an, die Beklagte habe unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ihr Ermessen fehlerhaft gebraucht, da ihre Entscheidung nicht dem Sinn der aus Art. 69 Abs. 2 EWG-VO 1408/71 zu entwickelnden sachlichen Gesichtspunkte entsprochen habe. Sachfremd seien die Erwägungen der Beklagten, die Klägerin habe sich bereits vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zum Zwecke der Arbeitsuche in Italien aufgehalten, da Aussicht auf Vermittlung nicht bestanden habe. Demgegenüber habe die Klägerin sich jedoch glaubhaft darum bemüht, auch ohne Hilfe der zuständigen Stellen auf eigene Initiative hin eine Arbeit zu finden. Deshalb sei sie berechtigt gewesen, die Dreimonatsfrist voll auszuschöpfen. Die Erkrankung sei für die Verzögerung auch ursächlich geworden und sie habe sich nach Wegfall das Hindernisses auch sogleich bei der Beklagten wieder gemeldet.
Gegen dieses der Beklagten am 9. März 1977 zugestellte Urteil richtet sich ihre mit Schriftsatz vom 24. März 1977, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 29. März 1977, eingelegte Berufung.
Sie trägt vor, die Berufung sei zulässig, da wiederkehrende Leistungen für mehr als 13 Wochen, nämlich Alg für 123 Wochentage, in Streit stünden. Zudem sei die Berufung über den konkreten Leistungsantrag hinaus zulässig, weil dem Anspruchsverlust, gleich dem Rechtsfolgen der Bestimmung des § 119 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –, weitreichende soziale Bedeutung zukomme. Ein Anspruch auf Alg ab 1. September 1975 stehe der Klägerin nicht zu, da die Anwaltschaft aus dem Beschäftigungsverhältnis vor dem ersten Versicherungsfall am 30. April 1975 erloschen sei, nachdem sie nicht rechtzeitig bis zum 27. August 1975 aus Italien zurückgekehrt sei. Ein Ausnahmefall nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 EWG-VO 1408/71 liegt nicht vor, wie sie ermessensfehlerfrei festgestellt habe. Das Verbleiben der Klägerin in ihrem Heimatstaat sei bereits längere Zeit vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zum Zwecke der Arbeitsuche erforderlich gewesen. Dies sei jedoch das maßgebliche Kriterium für die Erhaltung des Anspruchs. Eine andere Beurteilung wäre im Falle der Klägerin beispielsweise dann gerechtfertigt gewesen, wenn aussichtsreiche Einstellungsgespräche diese bewogen hätten, erst gegen Ende der Dreimonatsfrist in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Eine durch keine konkreten Anhaltspunkte begründete Hoffnung, bis zum Ablauf der Frist eine Arbeitsstelle in Italien zu finden, rechtfertige es nicht, in Anwendung der Ausnahmeregelung ein Überschreiten der Frist zu billigen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Februar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich den rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils an und trägt vor, am 20. Februar 1978 wieder eine Arbeitsstelle gefunden zu haben.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten, Stamm-Nr.xxx, Arbeitsamt X., der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Vornehmlich ist die Berufung nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, weil Alg für die Dauer von 132 Wochentagen und damit ein Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen in Streit steht. Darüberhinaus wäre die Berufung auch zulässig, wenn entgegen den Feststellungen des Sozialgerichts Leistungen nur in geringerem Umfange, als dies die Leistungsgrenze des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG vorsieht, streitbefangen wären. Denn die Versäumung der dreimonatigen Frist nach Art. 69 EWG-VO Nr. 1408/71 führt dazu, daß Ansprüche aus der Anwartschaft sowohl auf Alg als auch auf Anschluß – Alhi erlöschen. Insoweit wird zu Recht vergleichsweise auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 119 Abs. 3 AFG (BSG, Urteil vom 23. April 1975, Az.: 7 RAr 114/74) Bezug genommen, wonach die Berufung trotz Einschränkung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG dann zulässig ist, wenn durch die streitbefangene Entscheidung eine über den konkreten Leistungsantrag hinausgehende weitreichende soziale Bedeutung angenommen werden kann (vgl. Urteil des LSG für das Saarland, vom 1. Dezember 1976, Az.: L-2/Ar –13/76 – rechtskräftig –).
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtens; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg ab 1. September 1975, da die Anwartschaft aus der Beschäftigung vor dem ersten Versicherungsfall am 30. April 1975 erloschen ist, nachdem sie nicht rechtzeitig – nämlich bis zum 27. August 1975 – aus Italien zurückkehrte.
Ein voll arbeitsloser Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates erfüllt und sich in einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten begibt, um dort eine Beschäftigung zu suche, behält den Anspruch auf diese Leistungen nur Unter folgenden Voraussetzungen und innerhalb folgender Grenzen (Art. 69 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71):
a) Der Arbeitslose muß vor seiner Abreise während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates als Arbeitsuchender gemeldet gewesen sein und dieser zur Verfügung gestanden haben. Die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger kann jedoch seine Abreise vor Ablauf dieser Frist genehmigen;
b) der Arbeitslose muß sich bei der Arbeitsverwaltung jedes Mitgliedstaates, in den er sich begibt, als Arbeitsuchender melden und sich der dortigen Kontrolle unterwerfen. Für den Zeitraum vor der Anmeldung gilt diese Bedingung als erfüllt, wenn die Anmeldung innerhalb von 7 Tagen nach dem Zeitpunkt erfolgt, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand. In außergewöhnlichen Fällen kann diese Frist von der zuständigen Arbeitsverwaltung oder dem zuständigen Träger verlängert werden;
c) der Leistungsanspruch wird während höchstens drei Monaten von dem Zeitpunkt an aufrechterhalten, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand; dabei darf die Gesamtdauer der Leistungsgewährung den Zeitraum nicht überschreiten, für den nach den Rechtsvorschriften dieses Staats Anspruch auf Leistungen besteht (Art. 69 Abs. 1 VO Nr. 1408/71).
Abs. 2 von Art. 69 EWG-VO Nr. 1408/71 sieht vor, daß der Arbeitslose weiterhin Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates hat, wenn er vor Ablauf des Zeitraums in dem er nach Abs. 1 c Anspruch auf Leistungen hat, in den zuständigen Staat zurückkehrt; er verliert jedoch jeden Ansprach auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, wenn er nicht vor Ablauf dieses Zeitraumes dorthin zurückkehrt. In Ausnahmefällen kann die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger diese Frist verlängern.
Wie das Sozialgericht zu Recht feststellte, hat die Klägerin die Dreimonatsfrist, auf die auch ausdrücklich in dem entsprechenden Merkblatt im Zusammenhang mit dem Vordruck E 303 hingewiesen, wird, überschritten, wenn sie erst am 29. August 1975 in der Bundesrepublik Deutschland eintraf und sich am 1. September 1975 beim Arbeitsamt Gießen meldete. Denn die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit war nur ausweislich der ihr erteilten Bescheinigung bis zum 27. August 1975 bewilligt.
Darüberhinaus sind auch nicht die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 der EWG-VO 1408/71 hinsichtlich der Annahme eines Ausnahmefalles gegeben. Insoweit ist der Beklagten ein Ermessen eingeräumt, wie dies der Gesetzgeber ausdrücklich in der Wortwahl "kann verlängern” zum Ausdruck gebracht hat. Deshalb ist insoweit die Überprüfung der Entscheidung durch das Gericht nach §54 Abs. 2 S. 2 SGG eingeschränkt.
Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG).
Eine Ermessensüberschreitung, wie auch ein Ermessensfehlgebrauch, kann seitens der Beklagten in der ablehnenden Entscheidung nicht gesehen werden. Eine Ermessensüberschreitung läge nur dann vor, wenn die äußeren, für das Handeln der Behörde gesetzten Schränken überschritten wären, wenn die Behörde demnach eine vom Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge angeordnet hätte. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil das Gesetz ausdrücklich den Verlust jeden Anspruchs auf Leistungen vorsieht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt gleichfalls nicht vor; Voraussetzung für diesen wäre, daß von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden wäre. Bei dieser Fallgestaltung hat die Behörde zwar eine nach dem Gesetz an sich zulässige Rechtsfolge angeordnet; der gedankliche Weg der Entscheidung ist jedoch rechtlich fehlerhaft und zu beanstanden. Die Fehlerhaftigkeit kann regelmäßig in der Zugrundelegung unsachgemäßer Erwägungen wie auch in den Mängeln der Begründung liegen. In Anwendung dieser Regeln ist der Entscheidung der Beklagten nicht zu entnehmen, daß sachfremde Motive unter Berücksichtigung des Einzelfalles wie unter Sinn und Zweck der Bestimmung des § 69 VO Nr. 1408/71 herangezogen wurden.
Die Beklagte hat sich bei ihrer Entscheidung, die sie in ihrem Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1976 nach Einschaltung der Hauptstelle der Bundesanstalt hinsichtlich der Ermessenserwägungen begründete, maßgeblich davon leiten lassen, die in Art. 69 Abs. 1 EWG-VO 1408/71 enthaltene Vergünstigung in Form der Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs setze die fortdauernde Absicht des Arbeitnehmers voraus, eine Beschäftigung zu suchen. Weiterhin hat sie maßgeblich darauf abgestellt, daß dem Entschluß zum weiteren Verbleiben im Mitgliedstaat eine konkrete Chance zum Finden einer Arbeitsstelle zugrundeliegen muß. Auch diese Auslegung und Anwendung der Vorschrift des Art. 69 ist nicht zu beanstanden. Den Sinn und Zweck der Bestimmung des Art. 69 EWG-VO Nr. 1408/71 ist es, eines Mitglied der EG die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen, um so den Zustand der Arbeitslosigkeit zu beenden. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte bei ihrer Entscheidung darauf abstellt, daß bei der Beurteilung der Einhaltung der Dreimonatsfrist und der Annahme eines Ausnahmefalles stets eine konkrete Chance der Beendigung der Arbeitslosigkeit bestanden haben muß. Daß innerhalb der Dreimonatsfrist, solange der Arbeitslose bei einer Vermittlungsstelle eines EG-Landes gemeldet ist, die Erhaltung der Anwartschaft in jedem Falle angenommen wird, stellt insoweit eine Begünstigung des Arbeitslosen dar, die nicht in jedem Falle zur Annahme eines Ausnahmefalles führen kann, wenn dieser sich am Ende der Frist auch unverschuldet, nicht innerhalb dieser zurückmelden kann. Der maßgeblichen Vorschrift ist auch nicht zwingend zu entnehmen, daß der Frage des Verschuldens bei der Fristüberschreitung in jedem Falle, unabhängig von der Beurteilung der Chance zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, besondere Bedeutung beizumessen ist. Eine derartige Bestimmung hätte der Gesetzgeber ohne weiteres aufnehmen können, etwa in dem Sinne, daß er in Satz 2 von Art. 69 Abs. 2 VO 1408/71 einen Nachsatz eingefügt hätte, der die unverschuldete Überschreitung der Frist mit einbezieht (vgl. Urteil des LSG für das Saarland vom 1. Dezember 1976, L-2/Ar – 13/76).
Bei der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung der Bestimmung des § 69 VO 1408/71 ist durchaus gewährleistet, daß in Einklang mit dem angeführten Sinn und Zweck der Vorschrift Ausnahmetatbestände denkbar sind, in denen ein Überschreiten der Dreimonatsfrist den Leistungsanspruch nicht wegfallen läßt. Diese können beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn bis zum Ende der Dreimonatsfrist eine entscheidende Besserung der Arbeitsmarktlage seitens der Vermittlungsstelle festgestellt wird oder eine konkrete Aussicht zur Aufnahme einer Beschäftigung beispielsweise nach Abschluß eines entsprechenden Vorvertrages bestanden hat. Erkrankt in diesem falle ein Arbeitnehmer gegen Ende der Dreimonatsfrist und scheitert die Arbeitsaufnahme letztlich und wird so die Rückkehr in den Mitgliedstaat, dessen Leistungsgewährung aufgeschoben ist, verzögert, kann durchaus eine Fristverlängerung geboten sein. Derartige Umstände hat die Klägerin jedoch nicht vorgetragen. Vielmehr konnte sie von Anfang an davon ausgehen, eine Vermittlung durch die örtliche Vermittlungsstelle werde aussichtslos sein, wie sie dies auch im ihrem Schriftsatz vom 17. August 1976 ausdrücklich einräumt. Sie trägt auch selbst vor, durch die örtliche Vermittlungsstelle seien selten Arbeitsstellen vermittelt worden. Richtig ist, daß hinsichtlich des Auslandsaufenthaltes nicht allein auf die Vermittlung durch die amtliche Vermittlungsstelle abgestellt werden darf. Vielmehr räumt der Verordnungsgeber auch ausdrücklich die Möglichkeit der Eigeninitiative ein, die auch als solche schützenswert i.S.d. Anspruchserhaltung ist. Es ist jedoch nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte diese Möglichkeit nur dann als schützenswert i.S.d. Einhaltung der Dreimonatsfrist erachtet, wenn diese hinsichtlich der Findung eines Arbeitsplatzes konkrete Ergebnisse annehmen läßt. Allein die von der Klägerin bekundete Hoffnung, doch noch einen Arbeitsplatz bis zum Ende der Dreimonatsfrist zu finden, reicht hierfür nicht aus und ist nicht geeignet, ihr das Risiko, sich nicht rechtzeitig zurückmelden zu können, abzunehmen. Dabei kann auch nicht ins Gewicht fallen, daß die Klägerin nur für wenige Tage die Dreimonatsfrist überschritten hat, da diese den Charakter einer Ausschlußfrist mit der Folge des Verlustes einer materiell-rechtlichen Rechtsposition beinhaltet.
Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 69 VO 1408/71 kann den Rechtsausführungen des Sozialgerichts auch nicht insoweit zugestimmt werden, als dieses eine Ausschöpfung der Dreimonatsfrist schlechthin als schützenswert erachtet und insoweit auf die Wahrung verfahrensrechtlicher fristen Bezug nimmt. Im Unterschied zu verfahrensrechtlichen Vorschriften steht hier im Vordergrund, daß die Ausschöpfung der Dreimonatsfrist stets von dem Ziel begleitet sein muß, den Zustand der Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Demgegenüber gewähren Verfahrensfristen lediglich Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, entsprechende Prozeßerklärungen innerhalb einer bestimmten Frist abzugeben. Ereignisse während des Laufs der Verfahrensfrist sind unerheblich, es sei denn, sie sind geeignet, die Einhaltung der Verfahrensfrist zu verhindern. Demgegenüber besteht während des Auslandsaufenthaltes i.S.d. § 69 VO 1408/71 ein Dauerrechtsverhältnis zum Leistungsträger, hier der Beklagten, fort, wobei das anspruchsbegründende Fortbestellen dieses Rechtsverhältnisses von bestimmten Voraussetzungen, die der Leistungsbezieher erfüllen muß, abhängig gemacht wird. Wenn die Klägerin dennoch nicht schon nach einem Monat zurückkehrte, und sich auch nicht außerhalb ihres Aufenthaltsortes in Italien mit Aussicht auf Erfolg um Arbeit bemühte, trägt sie – trotz anzunehmender unverschuldeter Erkrankung – das volle Risiko für die verspätete Rückkehr. Der Beklagten kann somit ein Ermessensmißbrauch i.S. eines Ermessensfehlgebrauchs nicht vorgehalten werden, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 69 Abs. 2 VO/EWG Nr. 1408/71 verneint hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Auslegung der Bestimmung des Art. 69 Abs. 2 Nr. 2 VO/EWG Nr. 1408/71, die die Beklagte ihrer Ermessensentscheidung zugrundegelegt hat, ist bisher einer höchstrichterlichen Überprüfung nicht unterzogen werden.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Wiederbewilligung vom Arbeitslosengeld – Alg – bei Anweisung der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Art. 69.
Die Klägerin ist italienische Staatsangehörige. Sie war bis zum 25. April 1975 als Näherin beschäftigt und bezog ab 30. April 1975 Alg, bewilligt für 156 Tage. Am 23. Mai 1975 beantragte sie die Ausstellung einer Bescheinigung nach dem Vordruck E 303 für ausländische Arbeitnehmer, die Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft – EG – sind; sie wollte sich in Z., Italien, um eine Arbeitsstelle bemühen. Nach den Feststellungen des Arbeitsamtes Gießen waren für die Klägerin seinerzeit keine geeigneten Stellen im Arbeitsamtsbezirk vorhanden. Dieses bescheinigte ihr am 26. Mai 1975 antragsgemäß, daß der Anspruch auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit gemäß Vordruck E 303 bis zum 27. August 1975 aufrecht erhalten bleibe. Seinerzeit hatte die Klägerin noch eine Restanspruchsdauer von 132 Tagen. Nach ihrer Ankunft in Italien meldete sie sich bei der Gemeinde-Vermittlungsstelle in Z. (C.) arbeitslos, eine Arbeit konnte ihr jedoch nicht vermittelt werden. Ausweislich der Auskunft dieser Vermittlungsstelle vom 26. Februar 1976, die auf einem Vordruck der Beklagten erteilt worden war, hatte die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Arbeitslosmeldung keine Aussicht, innerhalb von drei Monaten in Arbeit vermittelt zu werden; die Vermittlungsaussichten hätten sich in den folgenden Wochen auch nicht erheblich verbessert; wegen Krankheit habe sie sich aus dem Leistungsbezug nicht abgemeldet. Am 23. August 1975 erkrankte die Klägerin, wie aus einem Attest des Arztes D. D. G. – Ort nicht leserlich – folgt; danach war sie bis zum 2. September 1975 arbeitsunfähig. Nach ihren Angaben hatte sie in der Nacht zum 23. August 1975 eine Nierenkolik bekommen. Sie sei deshalb erst am 27. August 1975 nach Einholung ärztlichen Rates als Mitfahrerin in dem Pkw eines Landsmannes in die Bundesrepublik Deutschland zurück gefahren, wo sie in L. am 29. August 1975, einem Freitag, gegen Abend eingetroffen sei.
Die Klägerin meldete sich am 1. September 1975 beim Arbeitsamt Gießen arbeitslos und beantragte die Wiederbewilligung von Alg. Sie gab an, durch ihre Krankheit ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen zu sein, innerhalb der Dreimonatsfrist in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, da sie plötzlich erkrankt sei. Bereits für den 23. August 1975 sei die Rückreise geplant gewesen. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 11. September 1975 ab; zur Begründung bezog sie sich auf die Überschreitung der Dreimonatsfrist. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1976 zurück, nachdem sie ihrer Hauptstelle Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte. Zur Begründung führte sie an, die Klägerin Habe die Dreimonatsfrist nach Art. 69 Abs. 1 der EWG-VO Nr. 1408/71 versäumt. Es liege auch kein Ausnahmefall nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 der VO 1408/71 vor, wonach die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger diese Frist verlängern kann. In Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens sei ein derartiger Ausnahmefall nicht festzustellen. Art. 69 Abs. 1 der VO 1408/71 räume dem Arbeitslosen die Mitnähme des deutschen Leistungsanspruchs nach Italien nur zum Zwecke der Arbeitsuche ein. Vorliegend habe die Gemeinde-Vermittlungsstelle in Z. jedoch mitgeteilt, daß dort für die Klägerin weder zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung noch in den darauf folgenden Wochen Aussicht auf Vermittlung in Arbeit bestanden habe. Schon längere Zeit vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei ihr Verbleiben in Italien nicht mehr vom Zwecke der Arbeitsuche her erforderlich gewesen. Wenn sie sich dennoch dort weiter aufgehalten habe, so müsse sie auch das Risiko tragen, während eines anderweitig motivierten Verweilens durch unvorhergesehene Ereignisse daran gehindert worden zu sein, rechtzeitig zurückzukehren.
Gegen diesen der Klägerin am 19. Mai 1976 zugestellten Bescheid erhob diese am 24. Mai 1976 Klage. Sie trug vor, es liege ein Ausnahmefall nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 EWG-VO 1408/71 vor. Auch wenn sie durch die örtliche Arbeitsvermittlung in Italien nicht sogleich habe vermittelt werden können, so habe sie doch innerhalb der Dreimonatsfrist sich um eine Arbeitsstelle bemüht und angenommen, eine solche zu finden. Erst als sie erkannt habe, daß ihre Bemühungen erfolglos seien, habe sie sich gegen Ende der Dreimonatsfrist zur Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland entschlossen. Erst kurz vor Ablauf der Frist, am Abfahrtstage, sei sie am 23. August 1975 derart erkrankt, daß sie nicht reisefähig gewesen sei. Sogleich nach Wiederherstellung ihrer Reisefähigkeit habe sie am 27. August 1975 die Rückreise angetreten.
Das Sozialgericht Gießen hob mit Urteil von 17. Februar 1977 die angefochtenen Bescheide auf. Zur Begründung führte es an, die Beklagte habe unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ihr Ermessen fehlerhaft gebraucht, da ihre Entscheidung nicht dem Sinn der aus Art. 69 Abs. 2 EWG-VO 1408/71 zu entwickelnden sachlichen Gesichtspunkte entsprochen habe. Sachfremd seien die Erwägungen der Beklagten, die Klägerin habe sich bereits vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zum Zwecke der Arbeitsuche in Italien aufgehalten, da Aussicht auf Vermittlung nicht bestanden habe. Demgegenüber habe die Klägerin sich jedoch glaubhaft darum bemüht, auch ohne Hilfe der zuständigen Stellen auf eigene Initiative hin eine Arbeit zu finden. Deshalb sei sie berechtigt gewesen, die Dreimonatsfrist voll auszuschöpfen. Die Erkrankung sei für die Verzögerung auch ursächlich geworden und sie habe sich nach Wegfall das Hindernisses auch sogleich bei der Beklagten wieder gemeldet.
Gegen dieses der Beklagten am 9. März 1977 zugestellte Urteil richtet sich ihre mit Schriftsatz vom 24. März 1977, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 29. März 1977, eingelegte Berufung.
Sie trägt vor, die Berufung sei zulässig, da wiederkehrende Leistungen für mehr als 13 Wochen, nämlich Alg für 123 Wochentage, in Streit stünden. Zudem sei die Berufung über den konkreten Leistungsantrag hinaus zulässig, weil dem Anspruchsverlust, gleich dem Rechtsfolgen der Bestimmung des § 119 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –, weitreichende soziale Bedeutung zukomme. Ein Anspruch auf Alg ab 1. September 1975 stehe der Klägerin nicht zu, da die Anwaltschaft aus dem Beschäftigungsverhältnis vor dem ersten Versicherungsfall am 30. April 1975 erloschen sei, nachdem sie nicht rechtzeitig bis zum 27. August 1975 aus Italien zurückgekehrt sei. Ein Ausnahmefall nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 EWG-VO 1408/71 liegt nicht vor, wie sie ermessensfehlerfrei festgestellt habe. Das Verbleiben der Klägerin in ihrem Heimatstaat sei bereits längere Zeit vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr zum Zwecke der Arbeitsuche erforderlich gewesen. Dies sei jedoch das maßgebliche Kriterium für die Erhaltung des Anspruchs. Eine andere Beurteilung wäre im Falle der Klägerin beispielsweise dann gerechtfertigt gewesen, wenn aussichtsreiche Einstellungsgespräche diese bewogen hätten, erst gegen Ende der Dreimonatsfrist in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Eine durch keine konkreten Anhaltspunkte begründete Hoffnung, bis zum Ablauf der Frist eine Arbeitsstelle in Italien zu finden, rechtfertige es nicht, in Anwendung der Ausnahmeregelung ein Überschreiten der Frist zu billigen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Februar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich den rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils an und trägt vor, am 20. Februar 1978 wieder eine Arbeitsstelle gefunden zu haben.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten, Stamm-Nr.xxx, Arbeitsamt X., der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Vornehmlich ist die Berufung nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, weil Alg für die Dauer von 132 Wochentagen und damit ein Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen in Streit steht. Darüberhinaus wäre die Berufung auch zulässig, wenn entgegen den Feststellungen des Sozialgerichts Leistungen nur in geringerem Umfange, als dies die Leistungsgrenze des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG vorsieht, streitbefangen wären. Denn die Versäumung der dreimonatigen Frist nach Art. 69 EWG-VO Nr. 1408/71 führt dazu, daß Ansprüche aus der Anwartschaft sowohl auf Alg als auch auf Anschluß – Alhi erlöschen. Insoweit wird zu Recht vergleichsweise auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 119 Abs. 3 AFG (BSG, Urteil vom 23. April 1975, Az.: 7 RAr 114/74) Bezug genommen, wonach die Berufung trotz Einschränkung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG dann zulässig ist, wenn durch die streitbefangene Entscheidung eine über den konkreten Leistungsantrag hinausgehende weitreichende soziale Bedeutung angenommen werden kann (vgl. Urteil des LSG für das Saarland, vom 1. Dezember 1976, Az.: L-2/Ar –13/76 – rechtskräftig –).
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtens; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alg ab 1. September 1975, da die Anwartschaft aus der Beschäftigung vor dem ersten Versicherungsfall am 30. April 1975 erloschen ist, nachdem sie nicht rechtzeitig – nämlich bis zum 27. August 1975 – aus Italien zurückkehrte.
Ein voll arbeitsloser Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates erfüllt und sich in einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten begibt, um dort eine Beschäftigung zu suche, behält den Anspruch auf diese Leistungen nur Unter folgenden Voraussetzungen und innerhalb folgender Grenzen (Art. 69 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71):
a) Der Arbeitslose muß vor seiner Abreise während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung des zuständigen Staates als Arbeitsuchender gemeldet gewesen sein und dieser zur Verfügung gestanden haben. Die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger kann jedoch seine Abreise vor Ablauf dieser Frist genehmigen;
b) der Arbeitslose muß sich bei der Arbeitsverwaltung jedes Mitgliedstaates, in den er sich begibt, als Arbeitsuchender melden und sich der dortigen Kontrolle unterwerfen. Für den Zeitraum vor der Anmeldung gilt diese Bedingung als erfüllt, wenn die Anmeldung innerhalb von 7 Tagen nach dem Zeitpunkt erfolgt, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand. In außergewöhnlichen Fällen kann diese Frist von der zuständigen Arbeitsverwaltung oder dem zuständigen Träger verlängert werden;
c) der Leistungsanspruch wird während höchstens drei Monaten von dem Zeitpunkt an aufrechterhalten, von dem ab der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung des Staates, den er verlassen hat, nicht mehr zur Verfügung stand; dabei darf die Gesamtdauer der Leistungsgewährung den Zeitraum nicht überschreiten, für den nach den Rechtsvorschriften dieses Staats Anspruch auf Leistungen besteht (Art. 69 Abs. 1 VO Nr. 1408/71).
Abs. 2 von Art. 69 EWG-VO Nr. 1408/71 sieht vor, daß der Arbeitslose weiterhin Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates hat, wenn er vor Ablauf des Zeitraums in dem er nach Abs. 1 c Anspruch auf Leistungen hat, in den zuständigen Staat zurückkehrt; er verliert jedoch jeden Ansprach auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates, wenn er nicht vor Ablauf dieses Zeitraumes dorthin zurückkehrt. In Ausnahmefällen kann die zuständige Arbeitsverwaltung oder der zuständige Träger diese Frist verlängern.
Wie das Sozialgericht zu Recht feststellte, hat die Klägerin die Dreimonatsfrist, auf die auch ausdrücklich in dem entsprechenden Merkblatt im Zusammenhang mit dem Vordruck E 303 hingewiesen, wird, überschritten, wenn sie erst am 29. August 1975 in der Bundesrepublik Deutschland eintraf und sich am 1. September 1975 beim Arbeitsamt Gießen meldete. Denn die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit war nur ausweislich der ihr erteilten Bescheinigung bis zum 27. August 1975 bewilligt.
Darüberhinaus sind auch nicht die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes nach Art. 69 Abs. 2 S. 2 der EWG-VO 1408/71 hinsichtlich der Annahme eines Ausnahmefalles gegeben. Insoweit ist der Beklagten ein Ermessen eingeräumt, wie dies der Gesetzgeber ausdrücklich in der Wortwahl "kann verlängern” zum Ausdruck gebracht hat. Deshalb ist insoweit die Überprüfung der Entscheidung durch das Gericht nach §54 Abs. 2 S. 2 SGG eingeschränkt.
Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG).
Eine Ermessensüberschreitung, wie auch ein Ermessensfehlgebrauch, kann seitens der Beklagten in der ablehnenden Entscheidung nicht gesehen werden. Eine Ermessensüberschreitung läge nur dann vor, wenn die äußeren, für das Handeln der Behörde gesetzten Schränken überschritten wären, wenn die Behörde demnach eine vom Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge angeordnet hätte. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil das Gesetz ausdrücklich den Verlust jeden Anspruchs auf Leistungen vorsieht. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt gleichfalls nicht vor; Voraussetzung für diesen wäre, daß von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden wäre. Bei dieser Fallgestaltung hat die Behörde zwar eine nach dem Gesetz an sich zulässige Rechtsfolge angeordnet; der gedankliche Weg der Entscheidung ist jedoch rechtlich fehlerhaft und zu beanstanden. Die Fehlerhaftigkeit kann regelmäßig in der Zugrundelegung unsachgemäßer Erwägungen wie auch in den Mängeln der Begründung liegen. In Anwendung dieser Regeln ist der Entscheidung der Beklagten nicht zu entnehmen, daß sachfremde Motive unter Berücksichtigung des Einzelfalles wie unter Sinn und Zweck der Bestimmung des § 69 VO Nr. 1408/71 herangezogen wurden.
Die Beklagte hat sich bei ihrer Entscheidung, die sie in ihrem Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1976 nach Einschaltung der Hauptstelle der Bundesanstalt hinsichtlich der Ermessenserwägungen begründete, maßgeblich davon leiten lassen, die in Art. 69 Abs. 1 EWG-VO 1408/71 enthaltene Vergünstigung in Form der Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs setze die fortdauernde Absicht des Arbeitnehmers voraus, eine Beschäftigung zu suchen. Weiterhin hat sie maßgeblich darauf abgestellt, daß dem Entschluß zum weiteren Verbleiben im Mitgliedstaat eine konkrete Chance zum Finden einer Arbeitsstelle zugrundeliegen muß. Auch diese Auslegung und Anwendung der Vorschrift des Art. 69 ist nicht zu beanstanden. Den Sinn und Zweck der Bestimmung des Art. 69 EWG-VO Nr. 1408/71 ist es, eines Mitglied der EG die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat zu ermöglichen, um so den Zustand der Arbeitslosigkeit zu beenden. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte bei ihrer Entscheidung darauf abstellt, daß bei der Beurteilung der Einhaltung der Dreimonatsfrist und der Annahme eines Ausnahmefalles stets eine konkrete Chance der Beendigung der Arbeitslosigkeit bestanden haben muß. Daß innerhalb der Dreimonatsfrist, solange der Arbeitslose bei einer Vermittlungsstelle eines EG-Landes gemeldet ist, die Erhaltung der Anwartschaft in jedem Falle angenommen wird, stellt insoweit eine Begünstigung des Arbeitslosen dar, die nicht in jedem Falle zur Annahme eines Ausnahmefalles führen kann, wenn dieser sich am Ende der Frist auch unverschuldet, nicht innerhalb dieser zurückmelden kann. Der maßgeblichen Vorschrift ist auch nicht zwingend zu entnehmen, daß der Frage des Verschuldens bei der Fristüberschreitung in jedem Falle, unabhängig von der Beurteilung der Chance zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, besondere Bedeutung beizumessen ist. Eine derartige Bestimmung hätte der Gesetzgeber ohne weiteres aufnehmen können, etwa in dem Sinne, daß er in Satz 2 von Art. 69 Abs. 2 VO 1408/71 einen Nachsatz eingefügt hätte, der die unverschuldete Überschreitung der Frist mit einbezieht (vgl. Urteil des LSG für das Saarland vom 1. Dezember 1976, L-2/Ar – 13/76).
Bei der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung der Bestimmung des § 69 VO 1408/71 ist durchaus gewährleistet, daß in Einklang mit dem angeführten Sinn und Zweck der Vorschrift Ausnahmetatbestände denkbar sind, in denen ein Überschreiten der Dreimonatsfrist den Leistungsanspruch nicht wegfallen läßt. Diese können beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn bis zum Ende der Dreimonatsfrist eine entscheidende Besserung der Arbeitsmarktlage seitens der Vermittlungsstelle festgestellt wird oder eine konkrete Aussicht zur Aufnahme einer Beschäftigung beispielsweise nach Abschluß eines entsprechenden Vorvertrages bestanden hat. Erkrankt in diesem falle ein Arbeitnehmer gegen Ende der Dreimonatsfrist und scheitert die Arbeitsaufnahme letztlich und wird so die Rückkehr in den Mitgliedstaat, dessen Leistungsgewährung aufgeschoben ist, verzögert, kann durchaus eine Fristverlängerung geboten sein. Derartige Umstände hat die Klägerin jedoch nicht vorgetragen. Vielmehr konnte sie von Anfang an davon ausgehen, eine Vermittlung durch die örtliche Vermittlungsstelle werde aussichtslos sein, wie sie dies auch im ihrem Schriftsatz vom 17. August 1976 ausdrücklich einräumt. Sie trägt auch selbst vor, durch die örtliche Vermittlungsstelle seien selten Arbeitsstellen vermittelt worden. Richtig ist, daß hinsichtlich des Auslandsaufenthaltes nicht allein auf die Vermittlung durch die amtliche Vermittlungsstelle abgestellt werden darf. Vielmehr räumt der Verordnungsgeber auch ausdrücklich die Möglichkeit der Eigeninitiative ein, die auch als solche schützenswert i.S.d. Anspruchserhaltung ist. Es ist jedoch nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte diese Möglichkeit nur dann als schützenswert i.S.d. Einhaltung der Dreimonatsfrist erachtet, wenn diese hinsichtlich der Findung eines Arbeitsplatzes konkrete Ergebnisse annehmen läßt. Allein die von der Klägerin bekundete Hoffnung, doch noch einen Arbeitsplatz bis zum Ende der Dreimonatsfrist zu finden, reicht hierfür nicht aus und ist nicht geeignet, ihr das Risiko, sich nicht rechtzeitig zurückmelden zu können, abzunehmen. Dabei kann auch nicht ins Gewicht fallen, daß die Klägerin nur für wenige Tage die Dreimonatsfrist überschritten hat, da diese den Charakter einer Ausschlußfrist mit der Folge des Verlustes einer materiell-rechtlichen Rechtsposition beinhaltet.
Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 69 VO 1408/71 kann den Rechtsausführungen des Sozialgerichts auch nicht insoweit zugestimmt werden, als dieses eine Ausschöpfung der Dreimonatsfrist schlechthin als schützenswert erachtet und insoweit auf die Wahrung verfahrensrechtlicher fristen Bezug nimmt. Im Unterschied zu verfahrensrechtlichen Vorschriften steht hier im Vordergrund, daß die Ausschöpfung der Dreimonatsfrist stets von dem Ziel begleitet sein muß, den Zustand der Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Demgegenüber gewähren Verfahrensfristen lediglich Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, entsprechende Prozeßerklärungen innerhalb einer bestimmten Frist abzugeben. Ereignisse während des Laufs der Verfahrensfrist sind unerheblich, es sei denn, sie sind geeignet, die Einhaltung der Verfahrensfrist zu verhindern. Demgegenüber besteht während des Auslandsaufenthaltes i.S.d. § 69 VO 1408/71 ein Dauerrechtsverhältnis zum Leistungsträger, hier der Beklagten, fort, wobei das anspruchsbegründende Fortbestellen dieses Rechtsverhältnisses von bestimmten Voraussetzungen, die der Leistungsbezieher erfüllen muß, abhängig gemacht wird. Wenn die Klägerin dennoch nicht schon nach einem Monat zurückkehrte, und sich auch nicht außerhalb ihres Aufenthaltsortes in Italien mit Aussicht auf Erfolg um Arbeit bemühte, trägt sie – trotz anzunehmender unverschuldeter Erkrankung – das volle Risiko für die verspätete Rückkehr. Der Beklagten kann somit ein Ermessensmißbrauch i.S. eines Ermessensfehlgebrauchs nicht vorgehalten werden, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 69 Abs. 2 VO/EWG Nr. 1408/71 verneint hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Auslegung der Bestimmung des Art. 69 Abs. 2 Nr. 2 VO/EWG Nr. 1408/71, die die Beklagte ihrer Ermessensentscheidung zugrundegelegt hat, ist bisher einer höchstrichterlichen Überprüfung nicht unterzogen werden.
Rechtskraft
Aus
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