L 1 Ar 888/76

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 418/75
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 888/76
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Besteht Streit über die Höhe des Abzweigungsbetrages (§ 123 AFG a.F., § 48 Abs. 1 SGB-AT), so liegt ein Höhenstreit i.S. des § 147 SGG nicht vor.
2. Erfolgt die Abzweigung aufgrund eines Unterhaltstitels, dann bestimmt dieser den Unterhaltsanspruch. Ändern sich die Verhältnisse, so findet insoweit eine Überprüfung im sozialgerichtlichen Verfahren nicht statt.
3. Zur Bestimmung der angemessenen Höhe des Abzweigungsbetrages (§ 48 Abs. 1 SGB-AT) kommt es darauf an, ob der Sozialleistungsberechtigte für seinen eigenen Lebensbedarf selbst aufkommen kann und darüberhinaus über Mittel verfügt. Das bedeutet, daß der Versicherungsträger im Rahmen seines Handlungsspielraums die Prüfung der Einzelbedürfnisse am Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ausrichtet, jedoch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsbeschleunigung schematisieren sollte. Ein vernünftiger Maßstab ist insoweit das Doppelte des jeweils für das gesamte Bundesgebiet geltenden durchschnittlichen Eckregelsatzes der Sozialhilfe für Haushaltsvorstände und Alleinstehende.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 1976 wird zurückgewiesen.

II. Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 5. August 1976 und 25. Mai 1977 wird abgewiesen.

III. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Abzweigungsbeträge von der Arbeitslosenhilfe (Alhi), dem Unterhaltsgeld (Uhg) und dem Arbeitslosengeld (Alg) in dem Zeitraum vom 27. März 1975 bis 4. Dezember 1976.

Der Kläger, der vom 1. Februar 1973 bis 30. Juni 1974 als Pressebüroexpedient bei einem Reisebüro (C. L. GmbH, ) in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hatte, bezog von der Beklagten ab 1. Juli 1974 Alg mit einer Anspruchsdauer von 156 Wochentagen. Der Bemessung des Alg lag ein monatliches Arbeitsentgelt von 2.000,– DM brutto im letzten abgerechneten Monat zugrunde. Der wöchentliche Leistungssatz des Alg betrug 214,20 DM bzw. ab 1. Januar 1975 228,– DM. Seit 7. März 1975 wurden von dem Alg wöchentlich 59,40 DM für den Unterhalt seiner beiden Söhne D. und B. Z. (Beigeladene zu 1) und zu 2) abgezweigt. Diese entstammen der im Jahre 1967 geschiedenen Ehe des Klägers mit G. Z. Frau G. Z. arbeitet als Krankenschwester. Nach einem vor dem Landgericht Kaiserslautern am 13. März 1973 abgeschlossenen Vergleich hat sich der Kläger verpflichtet, seinem Sohn D. Z. einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 200,– DM und seinem Sohn B. Z. einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 100,– DM zu zahlen.

Nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs wurde dem Kläger ab 27. März 1975 sog. Anschluß-Alhi bewilligt (Bescheid vom 14. April 1975). Der Leistungssatz der ausgezahlten Alhi betrug wöchentlich 194,40 DM, ab 18. Juli 1975 wöchentlich 214,20 DM und ab 21. November 1975 192,60 DM.

Von der Alhi wurde der Betrag von wöchentlich 59,40 DM für den Unterhalt der Beigeladenen zu 1) und 2) weiterhin abgezweigt. Mit seinem Widerspruch beanstandete der Kläger die Höhe des Abzweigungsbetrages. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg; er wurde mit Wiederspruchsbescheid vom 13. Oktober 1975 zurückgewiesen.

Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Auffassung, der Abzweigungsbetrag müsse auf 40,– DM wöchentlich vermindert werden, weil die Alhi geringer sei als das bisher gezahlte Alg. Insbesondere aber habe dem Unterhaltsvergleich seinerzeit sein damaliges monatliches Arbeitsentgelt von 2.000,– DM zugrunde gelegen. Während er von der Beklagten nur geringe wöchentliche Leistungen beziehe, sei das Gehalt seiner geschiedenen Frau angestiegen.

Das Sozialgericht (SG) forderte von G. Z. eine Verdienstbescheinigung an, nach der deren Brutto-Verdienst im April 1976 2.416,30 DM betrug.

Die Alhi wurde bis zum 29. Mai 1976 geleistet. Ab 31. Mai 1976 nahm der Kläger an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung zum Buchhalter bei der Handelsschule S. in F. teil. Die Maßnahme dauerte bis zum 26. November 1976. Der Leistungssatz des für diese Zeit gezahlten Ug betrug wöchentlich 188,40, ab 2. Juli 1976 wöchentlich 203,40 DM und ab 16. Juli 1976 wöchentlich 280,20 DM. Ab 30. Juli 1976 wurden wiederum 59,40 DM wöchentlich für den Unterhalt der Beigeladenen zu 1) und 2) abgezweigt (Bescheid vom 5. August 1976). Der Kläger hatte am 3. August 1976 beim Arbeitsamt Frankfurt am Main vorgesprochen und erklärt, er sei damit einverstanden, daß von seinem Uhg weiterhin Abzweigungen vorgenommen würden.

Mit Urteil vom 31. August 1976 wies das SG Frankfurt am Main die Klage ab mit der Begründung, die Beklagte habe bei der Festlegung des Abzweigungsbetrages von dem ihr zustehenden Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht.

Die Abzweigung sei zutreffend erfolgt. Der Bescheid über die Abzweigung von Uhg vom 5. August 1976 wurde in dem Urteil nicht aufgeführt.

Gegen dieses zwecks Zustellung an den Kläger mittels eingeschriebenen Briefes am 10. September 1976 zur Post aufgelieferte Urteil richtet sich die am 11. Oktober 1976 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingelegte Berufung des Klägers. Er ist weiterhin der Auffassung, daß der Abzweigungsbetrag auf 40,– DM wöchentlich herabzusetzen sei.

Für die Zeit vom 27. November 1976 bis zu seiner Arbeitsaufnahme am 4. Dezember 1976 wurde dem Kläger Alg bewilligt (Bescheid vom 25. Mai 1977). Von dem nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von 565,– DM bemessenen Alg wurden wöchentlich 69,30 DM für den Unterhalt der Beigeladenen zu 1) und zu 2) abgezweigt.

Der Kläger verblieb bei seinem Begehren, daß der wöchentliche Abzweigungsbetrag auf 40,– DM herabzusetzen sei. Von der Alhi, dem Uhg und dem Alg sei ihm deshalb zuviel abgezogen worden. Seit seiner Arbeitsaufnahme komme er seinen Unterhaltsverpflichtungen wieder voll nach.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 1976 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14. April 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1975 sowie der Bescheide vom 5. August 1976 und 25. Mai 1977 zu verurteilen, den Abzweigungsbetrag von der Arbeitslosenhilfe, dem Unterhaltsgeld und dem Arbeitslosengeld auf wöchentlich lediglich 40,– DM festzusetzen und entsprechend höhere Beträge dieser Leistungen an ihn auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Berufung zurückzuweisen,
ferner, die Klage gegen die Bescheide vom 5. August 1976 und 25. Mai 1977 abzuweisen.

Die Beklagte hält die Berufung nach § 147 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für unzulässig, weil sie die Höhe der zu gewährenden Leistungen betreffe. Die Berufung sei aber jedenfalls unbegründet, weil sie ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt habe.

Die Beigeladenen haben sich (sinngemäß) dem Antrag der Beklagten angeschlossen.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Leistungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft. Der Berufungsausschließungsgrund gemäß § 147 SGG greift nicht ein, weil Streit über die Höhe der Leistungen (Alhi, Uhg, Alg) nicht besteht. Streitig ist allein die Höhe des Abzweigungsbetrages und nicht die Höhe des Alhi-Uhg- und Alg-Anspruchs selbst, so daß die Voraussetzungen des § 147 SGG nicht vorliegen (vgl. BSG, SozR 1500 § 147 SGG Nr. 2; Schönefelder-Kranz-Wanka, Komm. zum Arbeitsförderungsgesetz – AFG –, § 123, Anm. 1, Anm. 4; Maier, Die Auszahlung von Rentenleistungen nach dem SGB. Sgb. 1976, S. 305, 307).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zutreffend hat das SG entschieden, daß die Abzweigung von der Alhi (Bescheid vom 14. April 1975 und Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1975) gemäß § 123 AFG in der ab 1. Januar 1975 geltenden Fassung bzw., ab 1. Januar 1976, gemäß § 48 Abs. 1 SGB-AT nicht zu beanstanden ist. Zwar hat der Kläger vorgetragen, daß auf Grund von Abänderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Unterhaltstitel (Vergleich vor dem Landgericht Kaiserslautern vom 13. März 1973) die unterhaltsrechtlichen Beziehungen nicht mehr präge. Dieser Einwand ist aber im Rahmen des § 123 a.F. und des § 48 Abs. 1 SGB-AT nicht beachtlich. Insoweit kommt es allein auf den Unterhaltstitel an. Ändern sich die Verhältnisse, kann nur durch eine Abänderungsklage die Wirkung des Titels ganz oder teilweise beseitigt werden (§ 323 Zivilprozeßordnung – ZPO –). Solange dies nicht geschehen ist, bestimmt der Unterhaltstitel (§ 794 ZPO) den Unterhaltsanspruch (vgl. Maier, a.a.O., S. 308, 310). Eine Überprüfung im sozialgerichtlichen Verfahren findet nicht statt. Hinsichtlich der Höhe des Abzweigungsbetrages hat die Beklagte von dem ihr insoweit zustehenden pflichtgemäßen Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht. Eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens oder die Ausübung des Ermessens in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ist nicht erkennbar (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Es ist nicht zu beanstanden, wen die Beklagte in Anwendung der bis 31. Dezember 1975 geltenden Bestimmung des § 123 AFG die Tabelle über das pfändbare Arbeitseinkommen (Anlagen zu § 850 c ZPO) als Anhaltspunkt zur Bestimmung des abzuzweigenden "angemessenen Teils” der Alhi herangezogen hat, weil der Alhi – wie dem Alg – Lohnersatzfunktion zukommt (vgl. Schönefelder/Kranz/Wanka, a.a.O., Anm. 5 zu § 123 AFG in der ab 1. Januar 1975 geltenden Fassung). Danach war bei einem Nettoeinkommen von wöchentlich bis zu 182,– DM schon ein Betrag in Höhe von 72,80 DM pfändbar. Der Abzweigungsbetrag von 59,40 DM liegt somit unterhalb der Pfändungsgrenze.

Die Höhe des Abzweigungsbetrages ist auch im Hinblick auf § 48 SGB-AT, der nach Streichung des § 123 AFG mit Wirkung vom 1. Januar 1976 anzuwenden ist, nicht zu beanstanden. Bei dem Sozialleistungsberechtigten liegt Leistungsfähigkeit danach vor, wenn er für seinen eigenen Lebensbedarf selbst aufkommen kann und darüber hinaus über Mittel verfügt. Das bedeutet für die Anwendung der Soforthilfevorschrift des § 48 Abs. 1 SGB-AT, daß im Rahmen des Handlungsspielraumes des Versicherungsträgers dieser die Prüfung der Einzelbedürfnisse an dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ausrichtet, jedoch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsbeschleunigung schematisieren sollte. Ein vernünftiger Maßstab ist hier das Doppelte des jeweils für das gesamte Bundesgebiet geltenden durchschnittlichen Eckregelsatzes der Sozialhilfe für Haushaltsvorstände und Alleinstehende (vgl. Maier, a.a.O., S. 309). Der Durchschnittsbetrag für diesen Personenkreis betrug im Jahre 1976 268,– DM monatlich (vgl. Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Frankfurt am Main, März 1976, Nr. 3, 56. Jahrgang, S. 90), so daß maßgebend für die Leistungsfähigkeit ein Betrag von 536,– DM monatlich ist. Da der einfache Eckregelsatz nach seiner Bestimmung den Lebensbedarf für Haushaltsvorstände und Alleinstehende ohne Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles wiedergibt und vom Sozialhilfeträger um die besonderen Zuschläge wie Miet- und Alterszuschlag bzw. einem Zuschlag für Behinderte und ähnliches zu erhöhen ist, werden mit der Verdoppelung des Eckregelsatzes alle diese individuellen Bedürfnisse des Leistungsempfängers pauschal abgegolten, so daß für die Prüfung der Leistungsfähigkeit weitere Zuschläge nicht mehr zugerechnet zu werden brauchen (vgl. Maier, a.a.O., S. 309; ferner Verbandskommentar zum SGB-AT, § 48 SGB-AT, Anm. 6.2.223). Die Alhi des Klägers liegt aber mit einem höheren Betrag als es der Abzweigungsbetrag ausmacht über dem nach diesen Grundsätzen festgestellten Betrag, was für die gesamte Alhi-Bezugszeit im Jahr 1976 gilt. Der Kläger ist deshalb in Höhe des Abzweigungsbetrages als leistungsfähig im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB-AT anzusehen.

Dies gilt auch hinsichtlich den Abzweigungen von Uhg (Bescheid vom 5. August 1976) und von Alg (Bescheid vom 25. Mai 1977) für die Zeiträume vom 30. Juni 1977 an (Uhg) bzw. 27. November 1976 bis 4. Dezember 1976 (Alg). Somit war die Klage des Klägers gegen diese Bescheide abzuweisen. Diese Bescheide sind gemäß §§ 96, 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, weil sie im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses ergangen sind, welches auch durch die Teilnahme des Klägers an der Bildungsmaßnahme, die zur Zahlung von Uhg führte, nicht unterbrochen worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Oktober 1977, 7 RAr-82/76 –).

Über den Bescheid vom 5. August 1976 hat der Senat mitentscheiden können, weil dieser Bescheid vom Sozialgericht nicht einbezogen wurde, die Beteiligten jedoch diesen übergangenen Teil des Streitgegenstandes in ihre Berufsanträge aufgenommen haben (vgl. BSG, Urteil vom 6. Oktober 1977 a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil keine der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG aufgeführten Gründe vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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