Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 RJ 40/02
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 R 174/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Feststellung der Nichtigkeit des die Gewährung von Waisenrente ablehnenden Bescheides der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hansestadt Hamburg vom 31. Oktober 1945.
Der am XX.XXXXX 1928 geborene Kläger ist Sohn des am X.XXXXXXXXX 1896 in B. geborenen und am XX.XXXXXXXX 1943 in Auschwitz gestorbenen F. H. (H1), der jüdischer Zugehörigkeit und Verfolgter war, und der 1937 verstorbenen H2 H. (H1) geb. J ... Sein Vater absolvierte eine Ausbildung als kaufmännischer Angestellter in M. von April 1912 bis März 1914, war Speditionsangestellter, gemeiner Soldat im Infanterieregiment 156 von November 1916 bis Januar 1919 und arbeitete von April 1927 bis September 1938 als Abteilungsleiter (Expedient) bei der Fa. R. & Söhne in deren Hamburger Zweigniederlassung, wofür Marken für die Angestelltenversicherung nach einem Bruttoverdienst von monatlich 380,00 RM geklebt wurden (Bescheinigung vom 6. August 1945). Im Januar 1939 wurde dem Vater ein Wehrpass ausgestellt. Vom 17. Mai bis 21. Dezember 1940 war er als Erdarbeiter bei der Hoch- und Tiefbaufirma H3 F1 in Hamburg-W. tätig, später vom 21. bis 28. Januar 1941 bei einem Hamburger Bauamt.
Der Kläger, der bei den leichtathletischen Wettkämpfen seiner Schule in seiner Altersklasse 1942 den 1. Platz errungen und ein Ehrenblatt erhalten hatte, galt nach den nationalsozialistischen Bestimmungen als Halbjude und musste deshalb am 20. März 1943 die H4 (Oberschule für Jungen) in Hamburg mit dem Abgangszeugnis von diesem Tage verlassen. Er war zunächst als Lagerarbeiter bei der Fa. Autoteile K. beschäftigt, bevor er mit Verpflichtungsbescheid des Arbeitsamtes Hamburg vom 23. Oktober 1944 mit Wirkung ab 27. Oktober 1944 auf Grund der Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs vom 13. Februar 1939 (RGBl. I S. 206) und der Dienstpflicht-Durchführungsanordnung vom 2. März 1939 (RGBl. I S. 403) als Arbeiter bei der Bauverwaltung Hamburg dienstverpflichtet wurde, nach seinen Angaben bis 26. April 1945 und unter Aufsicht der Gestapo. Auf dem Verpflichtungsbescheid ist des Klägers undatierte Angabe vermerkt, dass er seit dem 1. September 1945 25 RM im Monat erhalte und vorher nicht unterstützt worden sei. Nach dem Inhalt der Bescheinigung des Arbeitsamtes Hamburg vom 30. Mai 1945 war der Kläger auf Anordnung der (NSdAP-) Kreisleitung 4 wegen seiner Abstammung nicht in eine Lehrstelle, sondern in ungelernte Arbeit vermittelt worden.
Die LVA Hansestadt Hamburg entschied unter dem 31. Oktober 1945 unter dem Aktenzeichen A.-O. 1870/45 gegenüber dem damaligen Vormund des Klägers, dass auf Anordnung der britischen Militärregierung nach dem Tode eines Versicherten dessen Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr Waisenrente erhalten. Erhalte ein Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahres Schul- oder Berufsausbildung, so werde die Rente für deren Dauer gewährt, jedoch nicht über das vollendete 16. Lebensjahr hinaus. Selbst dann, wenn beim Kläger die Voraussetzungen für die Zahlung der Waisenrente für die Zeit vom 1. November 1938 bis zum 31. März 1944 vorgelegen hätten, würde keine Zahlung stattfinden können, da gem. Anordnung der Militärregierung Rentenzahlungen vor dem 4. Mai 1945 (Tag der Besetzung) nicht vorgenommen werden dürften. Der für den Kläger gestellte Antrag - dessen Datum nicht ersichtlich ist - auf Gewährung von Waisenrente werde daher als erledigt angesehen. Hiergegen wandte sich der Vormund des Klägers nicht.
Vor dem 1945 gestellten Antrag des Vormundes war ein Waisenrentenantrag vom Kläger nicht gestellt worden. Bereits am 1. September 1945 begann der Kläger nach seiner Darstellung eine kaufmännische Lehre, die er krankheitsbedingt unterbrach, aber - in einem anderen Ausbildungsbetrieb - der Fa. O. B1 - am 31. August 1948 beendete. Von 1948 bis 1951 leistete er in Israel Wehrdienst, kehrte anschließend nach Deutschland zurück, begann im April 1952 bei der Oberfinanzdirektion eine Laufbahn im mittleren Dienst, bestand 1958 die Prüfung zum Steuerfachwirt und wurde zum Steuerinspektor ernannt. Nach dem vom Kläger verwendeten Briefkopf hat er den Grad eines Diplom-Finanzwirts (FH) erlangt und führt die Berufsbezeichnung Steuerberater.
Am 12. Dezember 1996 vertrat der Kläger gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten - im folgenden Beklagte - die Ansicht, der Bescheid vom 31. Oktober 1945 müsse unrichtig sein, weil in anderen Fällen in Hamburg Kinder bis zur Beendigung ihrer Schul- und Berufsausbildung auch über das vollendete 16. Lebensjahr hinaus Waisenrente erhalten hätten, wie er kürzlich (1996) erfahren habe. Er habe auf Grund des Umstandes, dass ihm Waisenrente nicht gewährt worden sei, 1945 seine Schulausbildung nicht wie geplant beenden können, sondern diese später mühsam in Abendkursen nachholen müssen.
Nach wechselseitigem Schriftverkehr der Beteiligten berief sich die Beklagte auf die Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 3 Abs. 3 der britischen Militärregierung vom 14. Oktober 1945 (- MP 42001 -), an die sich die LVA Hansestadt Hamburg im Bescheid vom 31. Oktober 1945 gehalten habe. Sie könne nicht bestätigen, dass andere Waisen bei einem gleichen Sachverhalt über das 16. Lebensjahr hinaus Waisenrente erhalten hätten.
Am 21. Dezember 2000 griff der Kläger die Angelegenheit wieder auf. Die Beklagte teilte ihm unter dem 31. Januar 2001 mit, ihren Schreiben wenig hinzufügen zu können. Selbst wenn, wie der Kläger behauptet hatte, hinsichtlich des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe oder dieser Bescheid rechtswidrig (und aufzuheben) sei, könne es zu einer Zahlung von Geldleistungen nicht mehr kommen, weil Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme eines Bescheides erbracht werden könnten (§ 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB X )).
Der Kläger gab sich damit nicht zufrieden und meinte, dass ihm wenigstens - weil die SVD Nr. 3 erst am 1. November 1945 in Kraft getreten sei - Waisenrente bis 31. Oktober 1945 nachträglich hätte gewährt werden müssen. Unter Anwendung der SVD Nr. 1 vom 28. August 1945 (MP 42048/1) und der SVD Nr. 3 habe er Anspruch auf rückwirkende Zahlung der Waisenrente für die Zeit vom 1. November 1938 bis 31. Oktober 1945 gehabt. Diese Zahlung hätte ihn zur Fortführung der unterbrochenen Schulausbildung befähigt. Der Bescheid vom 31. Oktober 1945 sei nichtig, die Nichtigkeit nach § 40 Abs. 5 SGB X festzustellen.
Mit Bescheid vom 16. März 2001 lehnte die Beklagte die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ab, weil das SGB X erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten sei und § 40 SGB X auf vor dem 1. Januar 1981 erlassene Verwaltungsakte keine Anwendung finde. Hiergegen erhob der Kläger am 5. April 2001 Widerspruch und begehrte weiter die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945, hilfsweise dessen Zurücknahme.
Die Beklagte nahm den Bescheid vom 16. März 2001 zurück. Im Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2001 führte sie aus, für den Vater des Klägers sei der letzte Beitrag im Jahre 1938 zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Damit habe die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) entsprechend § 126 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die Entscheidung über den Feststellungsantrag treffen müssen. Deren Zuständigkeit ergebe sich auch aus dem ein Aktenzeichen der Angestelltenversicherung tragenden Bescheid vom 31. Oktober 1945, der von der LVA Hansestadt Hamburg nur deshalb getroffen worden sei, weil sie nach dem Kriege bis zur Gründung der BfA im Jahre 1953 auch für die Durchführung der Angestelltenversicherung zuständig gewesen sei. Der Bescheid vom 16. März 2001 sei folglich rechtswidrig und aufzuheben, eine sachliche Entscheidung über den Widerspruch aus Zuständigkeitsgründen allerdings nicht möglich. Sämtliche Vorgänge würden an die BfA - die eine Versicherungsnummer für den Vater des Klägers nicht hat ermitteln können - abgegeben, die einen neuen Bescheid erteilen werde.
Hierzu kam es indes nicht, weil der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2001 - zur Post gegeben am 10. Dezember 2001 - am 10. Januar 2002 vor dem Sozialgericht Klage erhoben hat.
Der Kläger hat vorgebracht, er habe - wie auch sein Vormund - 1945 auf die Richtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 vertraut. Ihm hätte damals rückwirkend vom 1. November 1943 bis 31. Oktober 1945, zumindest vom 4. Mai bis 31. Oktober 1945, Waisenrente gewährt werden müssen. Die Vorschriften der britischen Militärregierung, auf die sich die Beklagte stütze, hätten einen Waisenrentenanspruch nicht ausgeschlossen, sondern allenfalls vorübergehend die Auszahlung beschränkt. Er habe an der Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ein berechtigtes Interesse. Seine gesamte Lebensführung in Bezug auf Schulbildung, Ausbildung und beruflichen Werdegang sei durch die Auswirkungen dieses Bescheides nachteilig geprägt worden. Er sei gezwungen gewesen, selbsttätig seinen Lebensunterhalt durch Aufnahme von Arbeits- bzw. Lehrverhältnissen zu finanzieren. Dadurch sei ihm ein finanzieller Schaden entstanden, weil er deutliche Erwerbsnachteile aufgrund seiner verfolgungsbedingten Benachteiligung erlitten habe. Die Beklagte sei für die Feststellung der Nichtigkeit des in Rede stehenden Bescheides auch zuständig, weil sein Vater zuletzt (bei der Fa. H3 F1 als Erdarbeiter) eine invalidenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe. Das auf dem Bescheid vom 31. Oktober 1945 angegebenen Aktenzeichen lasse nicht den zwingenden Schluss zu, dass sein Vater zuletzt der Angestelltenversicherung unterlegen habe.
Das Landgericht Hamburg hat die vom Kläger am 23. Dezember 2003 gegen die Beklagte wegen Amtshaftung erhobene Schadensersatzklage durch Urteil vom 16. Juli 2004 (303 O 585/03) abgewiesen. Es hat dahingestellt lassen, ob der Bescheid vom 31. Oktober 1945 rechtswidrig sei, ob eine schuldhafte Amtspflichtverletzung vorliege und ob letztere für den behaupteten Schaden kausal gewesen sei (was allenfalls für die Zeit ab der Waisenrentenantragstellung bis spätestens Ende Oktober 1945 in Betracht komme). Der Kläger habe nämlich nicht einmal ansatzweise vorgetragen, wieso ihm durch eine Rentenzahlung für nur wenige Monate eine erfolgreiche Schulausbildung hätte ermöglicht werden können bzw. weshalb die gewünschte Schulausbildung allein wegen der Nichtzahlung der Waisenrente unterblieben sei. Jedenfalls unterliege ein etwaiger Anspruch in jedem Fall der Verjährung, auf die sich die Beklagte berufen habe. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss vom 17. November 2004 (1 U 150/04) zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten zwecks Erlasses eines Gerichtsbescheides angehört. Mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2006 hat es die Klage, die es im Hauptantrag auf Aufhebung des Bescheides vom 16. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2001 und Feststellung, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1940 nichtig ist, und im Hilfsantrag auf Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 gerichtet gesehen hat, als unzulässig abgewiesen. Es fehle für den Hauptantrag an einem berechtigten Feststellungsinteresse und für den Hilfsantrag an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Gegen den ihm am 8. September 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29. September 2006 Berufung eingelegt.
Er bemängelt, dass das Sozialgericht auf keines der von ihm angeführten höchstrichterlichen Urteile eingegangen sei, und sieht das Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage in seiner Sondersituation und in der Wiederherstellung seines persönlichen Ansehens und seiner Würde begründet. Die Vorenthaltung der Waisenrente gegen den ihm unter den besonderen Umständen seines Falles einen Herstellungsanspruch gegen die Beklagte. Entgegen deren Auffassung stehe § 99 Abs. 2 SGB VI einer Leistung nicht entgegen (Hinweis auf Bundessozialgericht ( BSG ) 6. März 2005, B 4 RA 38/02 R). Soweit sich die Beklagte auf Verjährung berufe, sei dies rechtsmissbräuchlich. Durch den Herstellungsanspruch sei er so zu stellen, als habe er mit Hilfe der Waisenrente seine Schulausbildung beendet und habe statt im mittleren Dienst sofort im gehobenen Dienst der Finanzbehörden beginnen können. Schließlich bestehe der Herstellungsanspruch auch deshalb, weil er vom Rentenversicherungsträger 1945 nicht darauf hingewiesen worden sei, dass er in anderen Besatzungszonen Anspruch auf Waisenrente habe, sofern er dort seinen Wohnsitz nehme, was er als Vollwaise ohne weiteres hätte befolgen können. Art. II und Art. V des Kontrollratsgesetzes Nr. 1 gälten seines Erachtens fort und begründeten eine Verpflichtung der Beklagten, ihn im Wege der positiven Bescheidung seiner Anträge zu rehabilitieren (Wiedergutmachung).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2001 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 nichtig ist, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 31. Oktober 1945 zurückzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und das Vorbringen des Klägers nicht für geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Der Bescheid vom 31. Oktober 1945 sei zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig gewesen. Nach der britischen Militäranordnung vom 2. Oktober 1945 (609/Lab/15/2 = Staatsarchiv Hamburg, Bestand 351-10 Sozialbehörde II, Signatur 730.00-1) seien Rentennachzahlungen für die Zeit vor dem 4. Mai 1945 verboten gewesen. Die SVD Nr. 3 sei nicht erst am 1. November 1945, sondern sofort nach Verkündung am 14. Oktober 1945 in Kraft getreten. Erst im Jahre 1949 sei das Verbot, Rentennachzahlungen rückwirkend für die Zeit vor dem 4. Mai 1945 zu erbringen, durch das Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 (VOBl. für die Britische Zone 1949, S. 393) iVm der Hamburger Verfügung vom 29. Dezember 1949 (Gen. II/214b) und der Ersten Durchführungsverordnung vom 22. August 1950 (Hamburgisches GVOBl. Nr. 41, S. 185) aufgehoben worden. Der Kläger habe von der in diesem Gesetz eingeräumten Antragsmöglichkeit, ihm rückwirkend Waisenrente zu zahlen, nicht Gebrauch gemacht. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne ihm insoweit nicht gewährt werden. Als Neuantrag scheitere ein Leistungsanspruch bereits an § 99 Abs. 2 SGB VI. Im Übrigen sei fraglich, ob für den Vater des Klägers in der Zeit vom 17. Mai bis 21. Dezember 1940 Beiträge zur Invalidenversicherung abgeführt worden seien.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )).
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Es sind weder die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die gerichtliche Feststellung, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 nichtig ist, noch ein Rechtsschutzbedürfnis dafür gegeben, die Beklagte zur Rücknahme dieses Bescheides zu verurteilen.
Soweit der Kläger gegen den Bescheid vom 16. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2001 Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) - kombiniert mit der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 - erhebt, ist die Klage allerdings nicht bereits deshalb unzulässig, weil die Beklagte durch ihren Widerspruchsbescheid den Bescheid vom 16. März 2001 ausdrücklich aufgehoben hat. Zwar ist der Kläger nicht mehr dadurch beschwert, dass die Beklagte seinen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ablehnt. Er kann aber iSd § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGG deshalb beschwert sein, weil die Beklagte es nunmehr unterlässt, die begehrte Feststellung zu treffen. Da die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (vgl. § 40 Abs. 5 SGB X) selbst einen Verwaltungsakt darstellt (vgl. Roos, in: von Wulffen, SGB X, 4. Aufl. 2001, § 40 Rdnr. 23), beschwert die Unterlassung dieser Feststellung den Kläger möglicherweise. Das würde, falls nicht andere Gründe der Zulässigkeit entgegenstehen, für die Annahme der Zulässigkeit ausreichen. Solch ein anderer Grund liegt hier vor.
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist nämlich deshalb unzulässig, weil der Kläger iSd § 55 Abs. 1 SGG kein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung der behaupteten Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 hat. Das geforderte berechtigte Feststellungsinteresse, ein Sonderfall des allgemeinen Rechtsschutzinteresses, ist jedes nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Es kann etwa bei Unsicherheit über die Rechtslage oder in Fällen vorliegen, in denen ein Rechtsschein, den der nichtige Verwaltungsakt setzt, beseitigt werden soll. An diesen Voraussetzungen mangelt es indes hier, weil das Interesse des Klägers nicht gerechtfertigt ist.
Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Kläger keinerlei wirtschaftliche Nachteile hat, wenn die begehrte Feststellung nicht erfolgt, bzw. keinerlei Vorteile, wenn sie erfolgt. Für den - inzwischen rechtskräftig zu Ungunsten des Klägers abgeschlossenen - Amtshaftungsprozess konnte die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 schon deshalb keine Relevanz haben, weil sein Anspruch sowohl an der Verjährungseinrede der Beklagten als auch an der Nichtfeststellbarkeit der Kausalität zwischen diesem Bescheid und dem behaupteten Schaden - scheitern musste. Nach rechtskräftigem Abschluss des Amtshaftungsprozesses hat die Feststellung der Nichtigkeit des in Rede stehen Bescheides absolut keine Bedeutung mehr.
Soweit der Kläger meint, durch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 würde seine Würde und sein persönliches Ansehen wiederhergestellt, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Ablehnung der Waisenrente mit Bescheid vom 31. Oktober 1945 gibt keinen Anhalt dafür, dass hierdurch die Persönlichkeit des Klägers herabgewürdigt und er als Verfolgter in seinem Ansehen herabgesetzt worden ist. Dies war auch nicht Intention des Bescheides. Mit ihm ist ein Unwerturteil über den Kläger, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat, in keiner Weise verbunden. Eine objektive Betrachtung gebietet dieses Ergebnis; eine andere Auffassung setzte das Verwaltungshandeln der LVA Hansestadt Hamburg und des Bediensteten, der für diesen Bescheid verantwortlich gezeichnet hat, grundlos herab.
Im Übrigen, ohne dass es wegen vorstehender Gründe darauf ankommt, ist auch nicht erkennbar, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 in Ansehung von § 40 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB X nichtig sein könnte. Er leidet einerseits nicht an einem besonders schwerwiegenden und - bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände - offensichtlichen Fehler, andererseits liegen die in § 40 Abs. 2 SGB X aufgeführten Voraussetzungen nicht vor. Insbesondere ist kein Verstoß gegen die guten Sitten zu erkennen. Vielmehr fußt der Bescheid, wie seine Begründungsführung unschwer erkennen lässt, durchaus auf einer an der damaligen - von Anordnungen der britischen Militärregierung bestimmten - Rechtslage sich orientierenden rechtlichen Subsumtion.
Zu Recht hat das Sozialgericht auch das Rechtsschutzbedürfnis für den Hilfsantrag des Klägers verneint. Der auf Zurücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 gerichtete Antrag ist unzulässig. Aus der Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945, die allenfalls auf § 44 SGB X gestützt werden kann - diese Vorschrift ist stets anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben werden soll, was auch dann gilt, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist (Art. II § 40 Abs. 2 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl. I S. 1469, ber. S. 2218), zumal ein Fall des Art. II 40 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht vorliegt -, erwüchse dem Kläger kein materieller Vorteil. Denn einer nachträglichen Zahlung von Waisenrente stünde § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X entgegen.
Nach dieser Vorschrift werden, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Zwar gilt die Reichsversicherungsordnung (RVO), nach der die Waisenrentenzahlung nur erfolgen könnte, nach § 68 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) idF des Gesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1983; zuvor Art. II § 1 Nr. 4 SGB I) als besonderer Teil des SGB. Ob § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X die nachträgliche Erbringung von Sozialleistungen auch gestattet, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt auf nicht zu den besonderen Teilen des SGB gehörenden Anordnungen der britischen Militärregierung, welche Bestimmungen der RVO vorübergehend außer Kraft gesetzt haben, beruht, kann offen bleiben. Denn die Ausschlussregelung des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X, eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung, greift in jedem Fall. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass selbst dann, wenn von einem Überprüfungsantrag vom 12. Dezember 1996 ausgegangen wird, eine Nachzahlung von Waisenrente für den Fall der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 nicht erfolgen kann. Hat der aufzuhebende Verwaltungsakt in den letzten vier Jahren vor dem Überprüfungsantrag - wie hier - keine Wirkung gezeigt, die durch eine Aufhebung beseitigt werden könnte, braucht die Verwaltung dessen Rechtswidrigkeit gar nicht erst zu prüfen (vgl. BSG 6. März 1991 - 9b Rar 7/90, SGb 1991, 498 mit Anm. Wallerath). Entsprechendes gilt für das gerichtliche Verfahren, für das es in einem solchen Fall an einem rechtlichen Interesse mangelt.
Im Übrigen ist, ohne dass es darauf hier ankommt, auch nicht erkennbar, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 iSd § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X das Recht unrichtig angewandt hat oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, so dass deshalb Waisenrente an den Kläger nicht gezahlt worden ist. Vielmehr spricht angesichts des Wortlauts der SVD Nr. 3 vom 14. Oktober 1945 iVm der Anordnung der britischen Militärbehörde in Hamburg vom 2. Oktober 1945 viel dafür, dass die getroffene Entscheidung dem damaligen Recht entsprach.
Die Zulässigkeit des Hilfsantrags ergibt sich auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Durch die Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 kann der Kläger nicht so gestellt werden, als habe er 1945 Hamburg verlassen und Wohnsitz in einer anderen Besatzungszone genommen, in der er Anspruch auf Waisenrente gehabt hätte. Eine solche Fiktion ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht zu erreichen. Durch den Herstellungsanspruch werde Versicherte zwar so gestellt, als hätten sie eine - unterbliebene - Rechtshandlung (z. B. Antragstellung) vorgenommen, wenn der Versicherungsträger sie auf diese nahe liegende Gestaltungsmöglichkeit nicht hingewiesen, also eine Beratungspflicht iSd § 14 SGB I verletzt hat. Zur Beratungspflicht gehört jedoch nicht der Rat an eine Waise, den Heimatort zu verlassen und in eine andere Besatzungszone zu ziehen, weil sie dort eventuell Anspruch auf Waisenrente hat. Ein ausschließlich tatsächliches Verhalten - das damalige Verbleiben des Klägers in Hamburg – kann durch einen Herstellungsanspruch nicht ungeschehen gemacht werden.
Gleiches gilt, soweit der Kläger meint, er könne durch die Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 so gestellt werden, als hätte er - wenn ihm damals Waisenrente gewährt worden wäre - die Voraussetzungen für die gehobene Laufbahn der Finanzverwaltung Hamburgs erfüllt. Abgesehen davon, dass eine Ursächlichkeit zwischen der Ablehnung der Waisenrente im Oktober 1945 und der beruflichen Qualifizierung nicht belegt ist, zielt auch dieses Vorbringen nicht auf die Verbringung des Klägers in eine Rechtsposition, in die er gekommen wäre, wenn er von der LVA Hansestadt Hamburg auf eine nahe liegende, klar zu Tage tretende Rechtshandlung hingewiesen worden wäre, sondern ebenfalls nur auf ein tatsächliches Verhalten, das er erbracht hätte - nämlich den Abschluss eine höher qualifizierten Ausbildung - , wenn ihm Waisenrente gewährt worden wäre.
Im Übrigen muss sich der Kläger, soweit ihm vom 1. November 1943 bis Kriegsende Waisenrentenleistungen vorenthalten worden sind bzw. er solche nicht erhalten hat, weil er sie aus Verfolgungsgründen nicht beantragt hat, vorhalten lassen, dass er die bis zum Jahre 1957 bestehende Antragsmöglichkeit nach § 6 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 nicht genutzt hat.
Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Feststellung der Nichtigkeit des die Gewährung von Waisenrente ablehnenden Bescheides der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hansestadt Hamburg vom 31. Oktober 1945.
Der am XX.XXXXX 1928 geborene Kläger ist Sohn des am X.XXXXXXXXX 1896 in B. geborenen und am XX.XXXXXXXX 1943 in Auschwitz gestorbenen F. H. (H1), der jüdischer Zugehörigkeit und Verfolgter war, und der 1937 verstorbenen H2 H. (H1) geb. J ... Sein Vater absolvierte eine Ausbildung als kaufmännischer Angestellter in M. von April 1912 bis März 1914, war Speditionsangestellter, gemeiner Soldat im Infanterieregiment 156 von November 1916 bis Januar 1919 und arbeitete von April 1927 bis September 1938 als Abteilungsleiter (Expedient) bei der Fa. R. & Söhne in deren Hamburger Zweigniederlassung, wofür Marken für die Angestelltenversicherung nach einem Bruttoverdienst von monatlich 380,00 RM geklebt wurden (Bescheinigung vom 6. August 1945). Im Januar 1939 wurde dem Vater ein Wehrpass ausgestellt. Vom 17. Mai bis 21. Dezember 1940 war er als Erdarbeiter bei der Hoch- und Tiefbaufirma H3 F1 in Hamburg-W. tätig, später vom 21. bis 28. Januar 1941 bei einem Hamburger Bauamt.
Der Kläger, der bei den leichtathletischen Wettkämpfen seiner Schule in seiner Altersklasse 1942 den 1. Platz errungen und ein Ehrenblatt erhalten hatte, galt nach den nationalsozialistischen Bestimmungen als Halbjude und musste deshalb am 20. März 1943 die H4 (Oberschule für Jungen) in Hamburg mit dem Abgangszeugnis von diesem Tage verlassen. Er war zunächst als Lagerarbeiter bei der Fa. Autoteile K. beschäftigt, bevor er mit Verpflichtungsbescheid des Arbeitsamtes Hamburg vom 23. Oktober 1944 mit Wirkung ab 27. Oktober 1944 auf Grund der Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs vom 13. Februar 1939 (RGBl. I S. 206) und der Dienstpflicht-Durchführungsanordnung vom 2. März 1939 (RGBl. I S. 403) als Arbeiter bei der Bauverwaltung Hamburg dienstverpflichtet wurde, nach seinen Angaben bis 26. April 1945 und unter Aufsicht der Gestapo. Auf dem Verpflichtungsbescheid ist des Klägers undatierte Angabe vermerkt, dass er seit dem 1. September 1945 25 RM im Monat erhalte und vorher nicht unterstützt worden sei. Nach dem Inhalt der Bescheinigung des Arbeitsamtes Hamburg vom 30. Mai 1945 war der Kläger auf Anordnung der (NSdAP-) Kreisleitung 4 wegen seiner Abstammung nicht in eine Lehrstelle, sondern in ungelernte Arbeit vermittelt worden.
Die LVA Hansestadt Hamburg entschied unter dem 31. Oktober 1945 unter dem Aktenzeichen A.-O. 1870/45 gegenüber dem damaligen Vormund des Klägers, dass auf Anordnung der britischen Militärregierung nach dem Tode eines Versicherten dessen Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr Waisenrente erhalten. Erhalte ein Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahres Schul- oder Berufsausbildung, so werde die Rente für deren Dauer gewährt, jedoch nicht über das vollendete 16. Lebensjahr hinaus. Selbst dann, wenn beim Kläger die Voraussetzungen für die Zahlung der Waisenrente für die Zeit vom 1. November 1938 bis zum 31. März 1944 vorgelegen hätten, würde keine Zahlung stattfinden können, da gem. Anordnung der Militärregierung Rentenzahlungen vor dem 4. Mai 1945 (Tag der Besetzung) nicht vorgenommen werden dürften. Der für den Kläger gestellte Antrag - dessen Datum nicht ersichtlich ist - auf Gewährung von Waisenrente werde daher als erledigt angesehen. Hiergegen wandte sich der Vormund des Klägers nicht.
Vor dem 1945 gestellten Antrag des Vormundes war ein Waisenrentenantrag vom Kläger nicht gestellt worden. Bereits am 1. September 1945 begann der Kläger nach seiner Darstellung eine kaufmännische Lehre, die er krankheitsbedingt unterbrach, aber - in einem anderen Ausbildungsbetrieb - der Fa. O. B1 - am 31. August 1948 beendete. Von 1948 bis 1951 leistete er in Israel Wehrdienst, kehrte anschließend nach Deutschland zurück, begann im April 1952 bei der Oberfinanzdirektion eine Laufbahn im mittleren Dienst, bestand 1958 die Prüfung zum Steuerfachwirt und wurde zum Steuerinspektor ernannt. Nach dem vom Kläger verwendeten Briefkopf hat er den Grad eines Diplom-Finanzwirts (FH) erlangt und führt die Berufsbezeichnung Steuerberater.
Am 12. Dezember 1996 vertrat der Kläger gegenüber der Rechtsvorgängerin der Beklagten - im folgenden Beklagte - die Ansicht, der Bescheid vom 31. Oktober 1945 müsse unrichtig sein, weil in anderen Fällen in Hamburg Kinder bis zur Beendigung ihrer Schul- und Berufsausbildung auch über das vollendete 16. Lebensjahr hinaus Waisenrente erhalten hätten, wie er kürzlich (1996) erfahren habe. Er habe auf Grund des Umstandes, dass ihm Waisenrente nicht gewährt worden sei, 1945 seine Schulausbildung nicht wie geplant beenden können, sondern diese später mühsam in Abendkursen nachholen müssen.
Nach wechselseitigem Schriftverkehr der Beteiligten berief sich die Beklagte auf die Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 3 Abs. 3 der britischen Militärregierung vom 14. Oktober 1945 (- MP 42001 -), an die sich die LVA Hansestadt Hamburg im Bescheid vom 31. Oktober 1945 gehalten habe. Sie könne nicht bestätigen, dass andere Waisen bei einem gleichen Sachverhalt über das 16. Lebensjahr hinaus Waisenrente erhalten hätten.
Am 21. Dezember 2000 griff der Kläger die Angelegenheit wieder auf. Die Beklagte teilte ihm unter dem 31. Januar 2001 mit, ihren Schreiben wenig hinzufügen zu können. Selbst wenn, wie der Kläger behauptet hatte, hinsichtlich des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe oder dieser Bescheid rechtswidrig (und aufzuheben) sei, könne es zu einer Zahlung von Geldleistungen nicht mehr kommen, weil Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme eines Bescheides erbracht werden könnten (§ 44 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB X )).
Der Kläger gab sich damit nicht zufrieden und meinte, dass ihm wenigstens - weil die SVD Nr. 3 erst am 1. November 1945 in Kraft getreten sei - Waisenrente bis 31. Oktober 1945 nachträglich hätte gewährt werden müssen. Unter Anwendung der SVD Nr. 1 vom 28. August 1945 (MP 42048/1) und der SVD Nr. 3 habe er Anspruch auf rückwirkende Zahlung der Waisenrente für die Zeit vom 1. November 1938 bis 31. Oktober 1945 gehabt. Diese Zahlung hätte ihn zur Fortführung der unterbrochenen Schulausbildung befähigt. Der Bescheid vom 31. Oktober 1945 sei nichtig, die Nichtigkeit nach § 40 Abs. 5 SGB X festzustellen.
Mit Bescheid vom 16. März 2001 lehnte die Beklagte die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ab, weil das SGB X erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten sei und § 40 SGB X auf vor dem 1. Januar 1981 erlassene Verwaltungsakte keine Anwendung finde. Hiergegen erhob der Kläger am 5. April 2001 Widerspruch und begehrte weiter die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945, hilfsweise dessen Zurücknahme.
Die Beklagte nahm den Bescheid vom 16. März 2001 zurück. Im Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2001 führte sie aus, für den Vater des Klägers sei der letzte Beitrag im Jahre 1938 zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Damit habe die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) entsprechend § 126 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die Entscheidung über den Feststellungsantrag treffen müssen. Deren Zuständigkeit ergebe sich auch aus dem ein Aktenzeichen der Angestelltenversicherung tragenden Bescheid vom 31. Oktober 1945, der von der LVA Hansestadt Hamburg nur deshalb getroffen worden sei, weil sie nach dem Kriege bis zur Gründung der BfA im Jahre 1953 auch für die Durchführung der Angestelltenversicherung zuständig gewesen sei. Der Bescheid vom 16. März 2001 sei folglich rechtswidrig und aufzuheben, eine sachliche Entscheidung über den Widerspruch aus Zuständigkeitsgründen allerdings nicht möglich. Sämtliche Vorgänge würden an die BfA - die eine Versicherungsnummer für den Vater des Klägers nicht hat ermitteln können - abgegeben, die einen neuen Bescheid erteilen werde.
Hierzu kam es indes nicht, weil der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 2001 - zur Post gegeben am 10. Dezember 2001 - am 10. Januar 2002 vor dem Sozialgericht Klage erhoben hat.
Der Kläger hat vorgebracht, er habe - wie auch sein Vormund - 1945 auf die Richtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 vertraut. Ihm hätte damals rückwirkend vom 1. November 1943 bis 31. Oktober 1945, zumindest vom 4. Mai bis 31. Oktober 1945, Waisenrente gewährt werden müssen. Die Vorschriften der britischen Militärregierung, auf die sich die Beklagte stütze, hätten einen Waisenrentenanspruch nicht ausgeschlossen, sondern allenfalls vorübergehend die Auszahlung beschränkt. Er habe an der Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ein berechtigtes Interesse. Seine gesamte Lebensführung in Bezug auf Schulbildung, Ausbildung und beruflichen Werdegang sei durch die Auswirkungen dieses Bescheides nachteilig geprägt worden. Er sei gezwungen gewesen, selbsttätig seinen Lebensunterhalt durch Aufnahme von Arbeits- bzw. Lehrverhältnissen zu finanzieren. Dadurch sei ihm ein finanzieller Schaden entstanden, weil er deutliche Erwerbsnachteile aufgrund seiner verfolgungsbedingten Benachteiligung erlitten habe. Die Beklagte sei für die Feststellung der Nichtigkeit des in Rede stehenden Bescheides auch zuständig, weil sein Vater zuletzt (bei der Fa. H3 F1 als Erdarbeiter) eine invalidenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe. Das auf dem Bescheid vom 31. Oktober 1945 angegebenen Aktenzeichen lasse nicht den zwingenden Schluss zu, dass sein Vater zuletzt der Angestelltenversicherung unterlegen habe.
Das Landgericht Hamburg hat die vom Kläger am 23. Dezember 2003 gegen die Beklagte wegen Amtshaftung erhobene Schadensersatzklage durch Urteil vom 16. Juli 2004 (303 O 585/03) abgewiesen. Es hat dahingestellt lassen, ob der Bescheid vom 31. Oktober 1945 rechtswidrig sei, ob eine schuldhafte Amtspflichtverletzung vorliege und ob letztere für den behaupteten Schaden kausal gewesen sei (was allenfalls für die Zeit ab der Waisenrentenantragstellung bis spätestens Ende Oktober 1945 in Betracht komme). Der Kläger habe nämlich nicht einmal ansatzweise vorgetragen, wieso ihm durch eine Rentenzahlung für nur wenige Monate eine erfolgreiche Schulausbildung hätte ermöglicht werden können bzw. weshalb die gewünschte Schulausbildung allein wegen der Nichtzahlung der Waisenrente unterblieben sei. Jedenfalls unterliege ein etwaiger Anspruch in jedem Fall der Verjährung, auf die sich die Beklagte berufen habe. Das Hanseatische Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss vom 17. November 2004 (1 U 150/04) zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten zwecks Erlasses eines Gerichtsbescheides angehört. Mit Gerichtsbescheid vom 5. September 2006 hat es die Klage, die es im Hauptantrag auf Aufhebung des Bescheides vom 16. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2001 und Feststellung, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1940 nichtig ist, und im Hilfsantrag auf Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 gerichtet gesehen hat, als unzulässig abgewiesen. Es fehle für den Hauptantrag an einem berechtigten Feststellungsinteresse und für den Hilfsantrag an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Gegen den ihm am 8. September 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 29. September 2006 Berufung eingelegt.
Er bemängelt, dass das Sozialgericht auf keines der von ihm angeführten höchstrichterlichen Urteile eingegangen sei, und sieht das Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage in seiner Sondersituation und in der Wiederherstellung seines persönlichen Ansehens und seiner Würde begründet. Die Vorenthaltung der Waisenrente gegen den ihm unter den besonderen Umständen seines Falles einen Herstellungsanspruch gegen die Beklagte. Entgegen deren Auffassung stehe § 99 Abs. 2 SGB VI einer Leistung nicht entgegen (Hinweis auf Bundessozialgericht ( BSG ) 6. März 2005, B 4 RA 38/02 R). Soweit sich die Beklagte auf Verjährung berufe, sei dies rechtsmissbräuchlich. Durch den Herstellungsanspruch sei er so zu stellen, als habe er mit Hilfe der Waisenrente seine Schulausbildung beendet und habe statt im mittleren Dienst sofort im gehobenen Dienst der Finanzbehörden beginnen können. Schließlich bestehe der Herstellungsanspruch auch deshalb, weil er vom Rentenversicherungsträger 1945 nicht darauf hingewiesen worden sei, dass er in anderen Besatzungszonen Anspruch auf Waisenrente habe, sofern er dort seinen Wohnsitz nehme, was er als Vollwaise ohne weiteres hätte befolgen können. Art. II und Art. V des Kontrollratsgesetzes Nr. 1 gälten seines Erachtens fort und begründeten eine Verpflichtung der Beklagten, ihn im Wege der positiven Bescheidung seiner Anträge zu rehabilitieren (Wiedergutmachung).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2001 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 nichtig ist, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 31. Oktober 1945 zurückzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und das Vorbringen des Klägers nicht für geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Der Bescheid vom 31. Oktober 1945 sei zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig gewesen. Nach der britischen Militäranordnung vom 2. Oktober 1945 (609/Lab/15/2 = Staatsarchiv Hamburg, Bestand 351-10 Sozialbehörde II, Signatur 730.00-1) seien Rentennachzahlungen für die Zeit vor dem 4. Mai 1945 verboten gewesen. Die SVD Nr. 3 sei nicht erst am 1. November 1945, sondern sofort nach Verkündung am 14. Oktober 1945 in Kraft getreten. Erst im Jahre 1949 sei das Verbot, Rentennachzahlungen rückwirkend für die Zeit vor dem 4. Mai 1945 zu erbringen, durch das Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 (VOBl. für die Britische Zone 1949, S. 393) iVm der Hamburger Verfügung vom 29. Dezember 1949 (Gen. II/214b) und der Ersten Durchführungsverordnung vom 22. August 1950 (Hamburgisches GVOBl. Nr. 41, S. 185) aufgehoben worden. Der Kläger habe von der in diesem Gesetz eingeräumten Antragsmöglichkeit, ihm rückwirkend Waisenrente zu zahlen, nicht Gebrauch gemacht. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne ihm insoweit nicht gewährt werden. Als Neuantrag scheitere ein Leistungsanspruch bereits an § 99 Abs. 2 SGB VI. Im Übrigen sei fraglich, ob für den Vater des Klägers in der Zeit vom 17. Mai bis 21. Dezember 1940 Beiträge zur Invalidenversicherung abgeführt worden seien.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ( SGG )).
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Es sind weder die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die gerichtliche Feststellung, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 nichtig ist, noch ein Rechtsschutzbedürfnis dafür gegeben, die Beklagte zur Rücknahme dieses Bescheides zu verurteilen.
Soweit der Kläger gegen den Bescheid vom 16. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2001 Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) - kombiniert mit der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 - erhebt, ist die Klage allerdings nicht bereits deshalb unzulässig, weil die Beklagte durch ihren Widerspruchsbescheid den Bescheid vom 16. März 2001 ausdrücklich aufgehoben hat. Zwar ist der Kläger nicht mehr dadurch beschwert, dass die Beklagte seinen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 ablehnt. Er kann aber iSd § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGG deshalb beschwert sein, weil die Beklagte es nunmehr unterlässt, die begehrte Feststellung zu treffen. Da die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (vgl. § 40 Abs. 5 SGB X) selbst einen Verwaltungsakt darstellt (vgl. Roos, in: von Wulffen, SGB X, 4. Aufl. 2001, § 40 Rdnr. 23), beschwert die Unterlassung dieser Feststellung den Kläger möglicherweise. Das würde, falls nicht andere Gründe der Zulässigkeit entgegenstehen, für die Annahme der Zulässigkeit ausreichen. Solch ein anderer Grund liegt hier vor.
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist nämlich deshalb unzulässig, weil der Kläger iSd § 55 Abs. 1 SGG kein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung der behaupteten Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 hat. Das geforderte berechtigte Feststellungsinteresse, ein Sonderfall des allgemeinen Rechtsschutzinteresses, ist jedes nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Es kann etwa bei Unsicherheit über die Rechtslage oder in Fällen vorliegen, in denen ein Rechtsschein, den der nichtige Verwaltungsakt setzt, beseitigt werden soll. An diesen Voraussetzungen mangelt es indes hier, weil das Interesse des Klägers nicht gerechtfertigt ist.
Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Kläger keinerlei wirtschaftliche Nachteile hat, wenn die begehrte Feststellung nicht erfolgt, bzw. keinerlei Vorteile, wenn sie erfolgt. Für den - inzwischen rechtskräftig zu Ungunsten des Klägers abgeschlossenen - Amtshaftungsprozess konnte die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 schon deshalb keine Relevanz haben, weil sein Anspruch sowohl an der Verjährungseinrede der Beklagten als auch an der Nichtfeststellbarkeit der Kausalität zwischen diesem Bescheid und dem behaupteten Schaden - scheitern musste. Nach rechtskräftigem Abschluss des Amtshaftungsprozesses hat die Feststellung der Nichtigkeit des in Rede stehen Bescheides absolut keine Bedeutung mehr.
Soweit der Kläger meint, durch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 würde seine Würde und sein persönliches Ansehen wiederhergestellt, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Ablehnung der Waisenrente mit Bescheid vom 31. Oktober 1945 gibt keinen Anhalt dafür, dass hierdurch die Persönlichkeit des Klägers herabgewürdigt und er als Verfolgter in seinem Ansehen herabgesetzt worden ist. Dies war auch nicht Intention des Bescheides. Mit ihm ist ein Unwerturteil über den Kläger, wie das Sozialgericht zu Recht ausgeführt hat, in keiner Weise verbunden. Eine objektive Betrachtung gebietet dieses Ergebnis; eine andere Auffassung setzte das Verwaltungshandeln der LVA Hansestadt Hamburg und des Bediensteten, der für diesen Bescheid verantwortlich gezeichnet hat, grundlos herab.
Im Übrigen, ohne dass es wegen vorstehender Gründe darauf ankommt, ist auch nicht erkennbar, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 in Ansehung von § 40 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB X nichtig sein könnte. Er leidet einerseits nicht an einem besonders schwerwiegenden und - bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände - offensichtlichen Fehler, andererseits liegen die in § 40 Abs. 2 SGB X aufgeführten Voraussetzungen nicht vor. Insbesondere ist kein Verstoß gegen die guten Sitten zu erkennen. Vielmehr fußt der Bescheid, wie seine Begründungsführung unschwer erkennen lässt, durchaus auf einer an der damaligen - von Anordnungen der britischen Militärregierung bestimmten - Rechtslage sich orientierenden rechtlichen Subsumtion.
Zu Recht hat das Sozialgericht auch das Rechtsschutzbedürfnis für den Hilfsantrag des Klägers verneint. Der auf Zurücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 gerichtete Antrag ist unzulässig. Aus der Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945, die allenfalls auf § 44 SGB X gestützt werden kann - diese Vorschrift ist stets anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben werden soll, was auch dann gilt, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist (Art. II § 40 Abs. 2 des Gesetzes vom 18. August 1980, BGBl. I S. 1469, ber. S. 2218), zumal ein Fall des Art. II 40 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht vorliegt -, erwüchse dem Kläger kein materieller Vorteil. Denn einer nachträglichen Zahlung von Waisenrente stünde § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X entgegen.
Nach dieser Vorschrift werden, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Zwar gilt die Reichsversicherungsordnung (RVO), nach der die Waisenrentenzahlung nur erfolgen könnte, nach § 68 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) idF des Gesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1983; zuvor Art. II § 1 Nr. 4 SGB I) als besonderer Teil des SGB. Ob § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X die nachträgliche Erbringung von Sozialleistungen auch gestattet, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt auf nicht zu den besonderen Teilen des SGB gehörenden Anordnungen der britischen Militärregierung, welche Bestimmungen der RVO vorübergehend außer Kraft gesetzt haben, beruht, kann offen bleiben. Denn die Ausschlussregelung des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X, eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung, greift in jedem Fall. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass selbst dann, wenn von einem Überprüfungsantrag vom 12. Dezember 1996 ausgegangen wird, eine Nachzahlung von Waisenrente für den Fall der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 31. Oktober 1945 nicht erfolgen kann. Hat der aufzuhebende Verwaltungsakt in den letzten vier Jahren vor dem Überprüfungsantrag - wie hier - keine Wirkung gezeigt, die durch eine Aufhebung beseitigt werden könnte, braucht die Verwaltung dessen Rechtswidrigkeit gar nicht erst zu prüfen (vgl. BSG 6. März 1991 - 9b Rar 7/90, SGb 1991, 498 mit Anm. Wallerath). Entsprechendes gilt für das gerichtliche Verfahren, für das es in einem solchen Fall an einem rechtlichen Interesse mangelt.
Im Übrigen ist, ohne dass es darauf hier ankommt, auch nicht erkennbar, dass der Bescheid vom 31. Oktober 1945 iSd § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X das Recht unrichtig angewandt hat oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, so dass deshalb Waisenrente an den Kläger nicht gezahlt worden ist. Vielmehr spricht angesichts des Wortlauts der SVD Nr. 3 vom 14. Oktober 1945 iVm der Anordnung der britischen Militärbehörde in Hamburg vom 2. Oktober 1945 viel dafür, dass die getroffene Entscheidung dem damaligen Recht entsprach.
Die Zulässigkeit des Hilfsantrags ergibt sich auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Durch die Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 kann der Kläger nicht so gestellt werden, als habe er 1945 Hamburg verlassen und Wohnsitz in einer anderen Besatzungszone genommen, in der er Anspruch auf Waisenrente gehabt hätte. Eine solche Fiktion ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht zu erreichen. Durch den Herstellungsanspruch werde Versicherte zwar so gestellt, als hätten sie eine - unterbliebene - Rechtshandlung (z. B. Antragstellung) vorgenommen, wenn der Versicherungsträger sie auf diese nahe liegende Gestaltungsmöglichkeit nicht hingewiesen, also eine Beratungspflicht iSd § 14 SGB I verletzt hat. Zur Beratungspflicht gehört jedoch nicht der Rat an eine Waise, den Heimatort zu verlassen und in eine andere Besatzungszone zu ziehen, weil sie dort eventuell Anspruch auf Waisenrente hat. Ein ausschließlich tatsächliches Verhalten - das damalige Verbleiben des Klägers in Hamburg – kann durch einen Herstellungsanspruch nicht ungeschehen gemacht werden.
Gleiches gilt, soweit der Kläger meint, er könne durch die Rücknahme des Bescheides vom 31. Oktober 1945 so gestellt werden, als hätte er - wenn ihm damals Waisenrente gewährt worden wäre - die Voraussetzungen für die gehobene Laufbahn der Finanzverwaltung Hamburgs erfüllt. Abgesehen davon, dass eine Ursächlichkeit zwischen der Ablehnung der Waisenrente im Oktober 1945 und der beruflichen Qualifizierung nicht belegt ist, zielt auch dieses Vorbringen nicht auf die Verbringung des Klägers in eine Rechtsposition, in die er gekommen wäre, wenn er von der LVA Hansestadt Hamburg auf eine nahe liegende, klar zu Tage tretende Rechtshandlung hingewiesen worden wäre, sondern ebenfalls nur auf ein tatsächliches Verhalten, das er erbracht hätte - nämlich den Abschluss eine höher qualifizierten Ausbildung - , wenn ihm Waisenrente gewährt worden wäre.
Im Übrigen muss sich der Kläger, soweit ihm vom 1. November 1943 bis Kriegsende Waisenrentenleistungen vorenthalten worden sind bzw. er solche nicht erhalten hat, weil er sie aus Verfolgungsgründen nicht beantragt hat, vorhalten lassen, dass er die bis zum Jahre 1957 bestehende Antragsmöglichkeit nach § 6 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 nicht genutzt hat.
Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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HAM
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