L 7 SO 4966/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SO 1483/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4966/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. November 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

In diesem Verfahren begehrt der Kläger eine höhere Regelleistung im Rahmen der Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der am 1966 geborene Kläger bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ergänzend erhielt er seit dem Jahr 2004 Leistungen der Grundsicherung nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Seit dem Jahr 2005 erbringt die Beklagte ergänzend zu der Rente Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel SGB XII. Im Bescheid vom 14. April 2005 setzte sie die Leistung ab 1. Januar 2005 bis auf weiteres in Höhe von 224,88 EUR fest. Im Rahmen der Bedarfsberechnung ging sie von dem Regelsatz eines erwachsenen Haushaltsangehörigen aus, da der Kläger im Haus seiner Mutter lebt.

Hiergegen erhob der Kläger am 18. April 2005 Widerspruch und machte geltend, aus Gründen des Vertrauensschutzes müssten Leistungen in der bisherigen Höhe weiterbezahlt werden. Er begehre außerdem zusätzliche Leistungen. Kosten für den Nahverkehr seien nicht übernommen worden. Insgesamt erhalte er zu wenig. Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2005 zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es, seit Januar 2005 gelte das SGB XII und es könne nicht mehr auf die Regelungen des vorangegangenen Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung zurückgegriffen werden. Nach § 42 Abs. 1 SGB XII umfassten die Leistungen der Grundsicherung den maßgebenden Regelsatz und die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Daneben gebe es Mehrbedarfe entsprechend § 30 SGB XII sowie einmalige Bedarfe nach § 31 SGB XII. Ein Mehrbedarf könne im Falle des Klägers nicht gewährt werden, da er zwar voll erwerbsgemindert sei, aber sein Ausweis das Merkzeichen G nicht enthalte. Die anderen in § 30 SGB XII aufgeführten Mehrbedarfe träfen auf seine Person nicht zu. Die Übernahme weiterer Kosten könne nicht erfolgen.

Bereits am 18. April 2005 hatte der Kläger gegen den Bescheid vom 14. April 2005 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, über welche dieses nach Ergehen des Widerspruchsbescheides und nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 08.11.2005 entschieden hat. Die Klage sei unbegründet. Die Beklagte habe den Regelsatz zutreffend ermittelt und das sonstige Einkommen des Klägers ebenfalls richtig angerechnet. Die grundsätzlichen Einwendungen hinsichtlich der Höhe der Regelleistung könne das Gericht nicht nachvollziehen. Deren Höhe werde in regelmäßigen Abständen der Preisentwicklung und den allgemeinen Lebenshaltungskosten angepasst. Eine generelle Erhöhung des Regelbedarfs nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII komme im Falle des Klägers nicht in Betracht. Es sei nicht nachgewiesen, dass er einen Bedarf habe, der von der Regelleistung nicht oder nicht vollständig gedeckt sei oder der seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Die behaupteten außergewöhnlichen Belastungen (öffentlicher Nahverkehr, Kleidung, Praxisgebühr und Zuzahlung zu Medikamenten) stellten keine Ausgaben dar, die den Kläger im Vergleich zu anderen Leistungsbeziehern überdurchschnittlich belasteten. Auch die Anerkennung als Schwerbehinderter führe zu keiner anderen Bewertung. Ein Mehrbedarf sei nach den Regelungen des § 30 Abs. 1 SGB XII im Falle des Klägers nicht anzuerkennen. Eine Leistungserbringung in gleicher Höhe wie im Jahr 2004 - wie es der Kläger wünsche - sei gegen die geltende Gesetzeslage nicht möglich. Es gebe keinen Vertrauensschutz auf Aufrechterhaltung von Leistungen der Sozialhilfe in einer bestimmten Höhe.

Hiergegen richtet sich die am 22. November 2005 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingegange Berufung, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er trägt vor, ihm müssten die Leistungen weiter so bewilligt werden, wie sie in einem Vergleich vor dem Verwaltungsgericht Freiburg (4 K 1847/02) vereinbart worden seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. November 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14. April 2005 und des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2005 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen der Grundsicherung zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, mit einem Bescheid vom 14. Juni 2005 seien erhöhte Nebenkosten berücksichtigt worden, womit sie dem Vergleich in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom 29. Oktober 2002 Rechnung getragen habe.

Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, dass der Vergleich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren 4 K 1847/02 sich auf Leistungen ab August 2002 und dort auf die Anerkennung von Kosten der Unterkunft bezog.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen sowie auf die Akten der parallel zwischen den Beteiligten anhängigen Verfahren L 7 SO 4267/05 und L 7 SO 4967/05 und auf die dazugehörigen Akten des SG S 12 SO 1483/05, S 12 SO 3139/05 und S 12 SO 4967/05.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz des Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung über die Sache verhandeln und entscheiden, da in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 153 Abs. 1, § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs. 1 und 3 SGG) ist zulässig; insbesondere ist sie statthaft, weil der Kläger wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist aber unbegründet.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich ein höherer Anspruch nicht daraus, dass er möglicherweise unter der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage höhere Leistungen bezogen hat als unter der Geltung des SGB XII. Ein Bestands- oder Vertrauensschutz auf die Aufrechterhaltung nicht durch Beiträge selber mitfinanzierter, sondern steuerfinanzierter staatlicher Fürsorgeleistungen besteht weder nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 21. September 2006 - L 7 SO 5536/05 - und Beschluss vom 21. Juni 2006 - L 7 AS 3640/05 PKH-A), noch nach der des Bundessozialgerichts ((BSG); Urteile vom 23. November 2006 - B 11b AS 9 und 17/06 R -). Der Gesetzgeber ist vielmehr berechtigt gewesen, das System der staatlichen Fürsorgeleistungen neu zu ordnen.

Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, die Höhe des Regelsatzes sei aus materiellen verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung zahlreicher LSG und des BSG steht dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber bei der Festsetzung von Regelleistungen und Regelsätzen im Rahmen staatlicher Fürsorgeleistungen ein weites Ermessen zu, welches er mit der Neuordnung des Systems der steuerfinanzierten Sozialleistungen und der Neustrukturierung und Festsetzung der Regelleistung und der Regelsätze in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt hat (Urteil des Senats vom 23. November 2006 - L 7 AS 3639/05 -). Die Berechnungsmethoden, die zu der im Fall des Klägers angewendeten Höhe des Regelsatzes geführt haben, sind zulässig. Der errechnete Regelsatz ist ausreichend, um den Zielen des § 1 SGB XII zu entsprechen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005 - L 8 AS 2764/05 -, LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. November 2005 - L 3 AS 5/05 -, LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27. Februar 2006 - L 8 AS 11/05 -, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Mai 2006 - L 10 AS 1093/05 -, Bayerisches LSG, Urteil vom 18. Mai 2006 - L 11 AS 111/05 -, LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. August 2006 - L 8 AS 267/05 - und BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R -).

Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid auch zu Recht und zutreffend ausgeführt, dass im Falle des Klägers mangels näherer Angaben von seiner Seite nicht erkennbar ist, dass ein abweichender Bedarf im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII besteht, der unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, weshalb eine höhere Leistung erforderlich wäre. Insoweit trifft den Kläger aber eine Mitwirkungsobliegenheit dahingehend, dass er Angaben zu den seine persönlichen Lebensumstände betreffenden Angelegenheiten machen muss, um ggf Ermittlungen des Gerichts zu ermöglichen. Ohne solche konkreten Angaben ist das Gericht nicht gehalten, gewissermaßen ins Blaue hinein zu erforschen, ob im jeweiligen Fall besondere, abweichende Bedarfe bestehen (vgl. zu den Grenzen der gerichtlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung und zu den prozessualen Mitwirkungspflichten des Prozessbeteiligten Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19. Oktober 2001 - 1 B 24/01 - , InfAuslR 2002, 99 und Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Juni 2004 - 12 S 2654/03 -, FEVS 56/44 jeweils m.w.N. - auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Dies gilt bei der Beantragung von Sozialleistungen auch deshalb in besonderem Maße, weil den Betroffenen hier nach den §§ 60 ff Erstes Buch Sozialgesetzbuch besondere Mitwirkungspflichten auferlegt sind, deren Verletzung zur Begrenzung der Amtsermittlung führt (von Wulffen in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. § 20 Rdnr. 6).

Dass die Voraussetzungen für Mehrbedarfsleistungen im Sinne des § 30 SGB XII und für einmalige Leistungen im Sinne des § 31 SGB XII im Falle des Klägers nicht dargetan, geschweige denn bewiesen sind, hat das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt. Der Senat macht sich die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG). Insbesondere hat das SG auch zu Recht ausgeführt, dass gerade die vom Kläger erwähnten Belastungen (öffentlicher Nahverkehr, Kleidung usw.) von der Regelleistung erfasst und in dessen Berechnung eingeflossen sind. Dass auch die vom Kläger im Falle von Arztbesuchen zu entrichtende so genannte Praxisgebühr von der Regelleistung umfasst ist, hat der Senat in den zwischen den Beteiligten ergangenem Urteil vom heutigen Tage L 7 SO 4267/05 ausgeführt. Auch hierauf wird verwiesen. Bei dieser Sachlage ist keine Anspruchsgrundlage für eine - vom Kläger ohnehin nur unbestimmt und ohne Angabe eines Betrages formulierte - Erhöhung der gesetzlichen Leistungen ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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