Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 6075/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 6097/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des SG Stuttgart vom 14.11.2006 wird aufgehoben. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2006 herzustellen, wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (Ast.), seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau und drei minderjährige Kinder beziehen seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 11.01.2006 bewilligte der Antragsgegner (Ag.) Leistungen vom 01.02. bis 31.03.2006 (Änderungsbescheid bezüglich der Höhe vom 06.02.2006).
Am 13.02.2006 sollte der Ast. eine Tätigkeit bei AGH Neue Arbeit im Elektro-Recycling aufnehmen. Bei einer persönlichen Vorsprache bei dem Ag. am gleichen Tag teilte der Ast. mit, dass er nach Arbeitsbeginn wieder gegangen sei, da er nicht schichten wolle. Nach einem Aktenvermerk der Ag. erschien der Ast. trotz persönlicher und telefonischer Aufforderung nicht zur Arbeitsaufnahme. Der Ast. wurde von der Ag. darauf hingewiesen, dass die Leistungen für 3 Monate um 30 % gekürzt würden, wenn er die Arbeit nicht aufnehme. Mit Bescheid vom 20.02.2006 senkte der Ag. den dem Ast. zustehenden Anteil des Alg II um 93,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.04. bis 30.06.2006 ab. Der Ast. habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die Arbeitsgelegenheit bei der Firma AGH aufgegeben, obwohl eine Fortführung der Tätigkeit zumutbar gewesen wäre. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid werde ab dem 01.04.2006 aufgehoben.
Mit weiterem Bescheid vom 23.03.2006 bewilligte der Ag. der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 01.04. bis 30.06.2006 Leistungen in Höhe von 1.130,37 EUR monatlich und für den Zeitraum vom 01.07. bis 30.09.2006 in Höhe von 1.223,37 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 23.03.2006 wurden die Leistungen für den 01.05. bis 30.06.2006 auf 1.161,- EUR monatlich festgesetzt. Der Minderungsbetrag war hierbei jeweils berücksichtigt.
Am 18.05.2006 erhob der Ast. gegen den Bescheid vom 20.02.2006 (Absenkung) Widerspruch, den der Ag. mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2006 als unzulässig wegen Fristversäumnis zurückwies. Dagegen erhob der Ast. vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage (S 4 AS 6058/06). Zusätzlich stellte der Ast. Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X mit Schreiben vom 16.05.2006. Mit Bescheid vom 23.08.2006 lehnte der Ag. den Antrag ab, da § 44 SGB X im Bereich des SGB II keine Anwendung finde. Mit Schreiben vom 29.08.2006 erhob der Ast. gegen diesen Bescheid ebenfalls Widerspruch, den der Ag. mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2006 zurückwies. Auch gegen diesen Bescheid ist ein Klageverfahren anhängig (S 4 AS 7480/06).
Am 11.08.2006 hat der Ast. beim SG wegen Absenkung des Arbeitslosengeldes II Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung trug er vor, er sei bis zum 26.12.2006 bei der Neue Arbeit gGmbH im Rahmen des § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II beschäftigt gewesen. Am 30.01.2006 sei eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen worden, wonach er sich am 01.02.2006 erneut bei der Neue Arbeit gGmbH vorstellen solle, um im Bereich Elektro- Recycling zu arbeiten. Bei dem Vorstellungsgespräch habe er vorgebracht, dass er wegen seiner familiären Situation nicht im Schichtbetrieb arbeiten könne. Seine Ehefrau könne nur weniger als 2 Stunden täglich arbeiten. Es sei ihr auch nur begrenzt möglich, den Haushalt zu führen bzw. sich um die Kinder zu kümmern. Die Tochter V. sei seit ihrer Geburt behindert und erfordere deshalb zusätzliche Aufmerksamkeit. Er selbst habe gesundheitliche Probleme wegen der Geruchsentwicklung beim Elektro-Recycling und sei dabei wiederholt ohnmächtig geworden. Der behandelnde Arzt habe festgestellt, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in diesem Bereich arbeiten dürfe.
Der Ast. habe nicht mehr die ausreichenden finanziellen Mittel, um sich und seine Familie zu ernähren. Die Familie habe insbesondere wegen der Tochter V. einen erhöhten Bedarf. Diese müsse eine Ganztagsschule besuchen, in der sie auch ihr Mittagessen einnehme. Die Kosten dieser Mahlzeit könne er nicht mehr zahlen. Er legte ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Herrn S. vom 13.03.2006 vor, in welchem ausgeführt wurde, aufgrund geruchsbedingter Kopfschmerzen und Schwindel sollte der Ast. nicht im Bereich der Elektronikmontage arbeiten.
Die Ag. trug vor, die Reduzierung der Regelleistung um 30 % sei für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2006 erfolgt und sei somit abgeschlossen. Seit 01.07.2006 werde die Regelleistung des Ast. wieder in ungekürzter Höhe ausbezahlt. Es liege somit keine Eilbedürftigkeit und in Folge dessen kein Anordnungsgrund vor.
Mit Beschluss vom 14.11.2006 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2006 bezüglich der für Juni 2006 verfügten Absenkung an. Es bestimmte weiter die in Vollziehung dieses Bescheids bereits einbehaltenen Beträge in Höhe von 93,00 EUR an den Kläger auszuzahlen. Der übrige Antrag wurde abgelehnt.
Entgegen der Auffassung des Ag. sei der Hauptsacherechtsbehelf nicht bereits deswegen aussichtslos, weil der Absenkungsbescheid bestandskräftig geworden wäre. Dies sei nicht der Fall. Zwar habe der Ast. erst am 18.05.2006 ausdrücklich und somit später als einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes Widerspruch eingereicht. Die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG finde jedoch dann keine Anwendung, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden sei. Dies sei hier der Fall. Im Bescheid vom 20.02.2006 sei ausgeführt, dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift "bei der oben genannten Stelle einzulegen" ist. Es ist jedoch nicht ohne weiteres erkennbar, welche Stelle dies sei (§ 36 SGB X). Im Briefkopf sei das JobCenter S. als entscheidende Stelle erkennbar. Als Anschriften sind jedoch angegeben E ..., S. sowie N ... , S ... Es sei somit für den Adressaten nicht eindeutig erkennbar, wohin er sich zur Einlegung seines Widerspruchs wenden müsse ( LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006 - 8 AS 4314/05). Damit gelte die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG, so dass der Widerspruch rechtzeitig eingelegt worden sei.
In der Sache sei der Absenkungsbescheid vom 20.02.2006 jedoch nur bezüglich der Regelung für Juni 2006 offensichtlich rechtswidrig. Nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II trete die Absenkung und der Wegfall mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt habe, folge. Der Bescheid vom 20.02.2006 sei dem Ast. noch im Februar bekannt gegeben worden, wie sich schon daran erkennen lasse, dass der Ast. bereits am 22.02.2006 wegen der Absenkung persönlich beim Ag. vorgesprochen habe. Die Absenkung hätte somit bereits ab 01.03.2006 verfügt werden müssen. Dementsprechend ende der Dreimonatszeitraum des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II mit dem 31.05.2006. Für eine Absenkung im Juni 2006 sei damit kein Raum. Der Bescheid sei insoweit offensichtlich rechtswidrig, so dass die aufgrund der Absenkung einbehaltenen Leistungen in Höhe von 93,00 EUR an den Ast. auszuzahlen seien. An einer Vollziehung des insoweit offensichtlich rechtswidrigen Bescheides bestehe kein öffentliches Interesse.
Hinsichtlich der Absenkung für April und Mai 2006 spreche jedoch mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die dem Kläger zugewiesene Arbeit bei AGH Neue Arbeit unzumutbar gewesen sei. Der Ast. habe im Februar die Aufnahme der Tätigkeit mit der Begründung abgelehnt, er wolle keine Schichtarbeit leisten. Nach seinem Vortrag im gerichtlichen Verfahren wären Schichten abwechselnd alle zwei Wochen von 6.00 bis 12.00 Uhr und von 12.00 bis 19.00 Uhr zu leisten gewesen. Es seien keine Gründe ersichtlich, warum dem Ast. derartige Wechselschichten nicht zumutbar sein sollten. Dass die Ehefrau des Ast. aufgrund ihrer Erkrankungen nicht in der Lage gewesen sein sollte, die drei Kinder im Alter von 4, 13 und 16 Jahren zu betreuen, sei nicht glaubhaft. Nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Ehefrau für leichte Tätigkeiten. Darüber hinaus besucht die Tochter V. eine Ganztagsschule mit Mittagstisch. Durch die Verteilung der Schichten wäre der Ast. in der Lage gewesen, die Kinder entweder morgens vor der Schule/Kindergarten zu betreuen oder er wäre bei Frühschicht bereits mittags wieder zu Hause gewesen, wenn die Kinder aus Schule bzw. Kindergarten gekommen seien.
Ob bei dem Ast. tatsächlich gesundheitliche Einschränkungen vorliegen hätten, wie in der hausärztlichen Bescheinigung dargestellt, die eine Tätigkeit im Bereich des Elektro-Recyclings ausschließen würden, erscheine fraglich. Dagegen spreche, dass im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 30.01.2006 eine Zuweisung zum Elektro-Recycling erfolgt sei. Bei Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schwindel durch die Geruchsentwicklung bei Tätigkeiten in diesem Bereich hätte es nahe gelegen, dass der Ast. bereits zu diesem Zeitpunkt auf seine Bedenken gegen eine derartige Tätigkeit hingewiesen hätte. Auch bei der Ablehnung der Arbeitsaufnahme am 13.02.2006 wurde wiederum nur das Argument der Schichtarbeit angeführt, gesundheitliche Probleme jedoch nicht erwähnt. Erst nach Verhängung der Sanktion habe der Ast. die hausärztliche Bescheinigung vorgelegt. Die Prüfung, ob es sich lediglich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelt, müsse jedoch einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Gegen diesen Beschluss hat der Ag. am 30.11.2006 beim SG Beschwerde eingelegt. Der Ag. begründete diese damit, der Bescheid vom 20.02.2006 sei bestandskräftig. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei richtig. In dem Bescheid werde nur eine Stelle genannt bei welcher die Widerspruchseinlegung erfolgen könne. Es sei unschädlich, wenn für eine Stelle zwei Adressen genannt würden. Des Weiteren sei der Bescheid auch nicht in der Sache rechtswidrig. Zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 20.02.2006 sei eine Absenkung zum Monat März 2006 wegen des bundesweit einheitlichen zentralen Zahlungsablaufs nicht mehr möglich gewesen. Da nach § 31 Abs. 6 S. 2 SGB II der Sanktionszeitraum auf 3 Monate festgelegt sei, wäre eine Verschiebung des Sanktionszeitraums um einen Monat wegen technischer Vorgaben geboten. Das SG half der Beschwerde nicht ab und legte diese dem LSG Baden-Württemberg zur Entscheidung vor.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.
Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zutreffend dargelegt. Insofern wird auf diesen Beschluss Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Entgegen der Rechtsauffassung des SG übersteigt das Suspensivinteresse des Ast. das öffentliche Vollzugsinteresse nicht. Deswegen hat es bei der gesetzlichen angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes zu verbleiben.
Der Rechtsbehelf in der Hauptsache hat eine geringe Erfolgsaussicht, da der angefochtene Bescheid mit hoher Wahrscheinlichkeit bestandskräftig geworden ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung war nicht unrichtig. Es war aus ihr jederzeit erkennbar bei welcher Stelle der Widerspruch einzulegen ist. Die einzige Stelle die im Bescheid genannt wurde, war das JobCenter S ... Für dieses JobCenter wurden zwei Anschriften genannt. Dies ist jedoch unschädlich, da die Einlegung des Widerspruchs unter jeder der genannten Adressen formgerecht und rechtzeitig hätte erfolgen können. Von daher unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, welcher dem vom SG zitierten Urteil (LSG Baden-Württemberg a.a.O.) zugrunde gelegen hat. In diesem Fall wurden im angefochtenen Bescheid zwei unterschiedliche Verwaltungsbehörden genannt. Diese Rechtsbehelfsbelehrung war somit nicht eindeutig und daher unrichtig.
Das Suspensivinteresse des Ast. ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Überprüfung nach § 44 SGB X.
Es spricht keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Aufhebungsbescheid rechtswidrig war. Die Argumentation des SG, dass die Absenkung bereits ab 01.03.2006 hätte verfügt werden müssen und dementsprechend der Dreimonatszeitraum des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II mit dem 31.05.2006 endet und für eine Absenkung im Juni 2006 ist damit kein Raum sei, ist nicht so überzeugend, dass sie zur offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Bescheids führen müsste. Das Vorbringen der Ag., dass die Sanktion aus technischen Gründen nicht im Folgemonat habe umgesetzt werden können, ist bei der Auslegung des § 31 Abs. 6 SGB II möglicherweise zu berücksichtigen. Bei einer Massenverwaltung sind die finanziellen Auswirkungen beim Gesetzesvollzug zu berücksichtigen. Zentrale Buchungsanweisungen bei Leistungsauszahlungen sind heute aus Kostengründen geboten, mit der Folge, dass Änderungen der Zahlungshöhe einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen. Dieser zeitliche Vorlauf ist unter Umständen zu akzeptieren, wenn dadurch der Gesetzeszweck nicht vereitelt wird. Dies ist bei der Verschiebung der Sanktion des § 31 SGB II um einen Monat im Regelfall nicht gegeben. Im Gegensatz zum Eintritt einer Sperrzeit (§ 144 Abs. 2,3 SGB III) tritt die Absenkung nach § 31 SGB II nicht unmittelbar kraft Gesetzes ein. Die nach Satz 2 dreimonatige Wirkung der Absenkung setzt das Wirksamwerden eines feststellenden Verwaltungsakts voraus. Dieser Verwaltungsakt hat als konstitutives Element die Fixierung des Beginns des Absenkungszeitraums. Über diesen Verwaltungsakt kann der Leistungsträger den Absenkungszeitraum zumindest indirekt steuern. Aus dem Gesetz ergibt sich lediglich, dass abgesenkt werden soll. Ein Zeitrahmen ist nicht normiert. In der Kommentarliteratur (Rixen in Eicher/Spellbrink SGB II § 31 Rz. 58; Berlit in LPK-SGB II § 31 Rz. 145) wird die Meinung vertreten, dass im Hinblick auf die Wirksamkeit der Sanktion ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Pflichtverletzung bestehen muss. Es wird ein Zeitraum zwischen 3 und 6 Monaten genannt. Hierbei wird darauf hingewiesen, dass angesichts der verbreiteten Zeitabläufe in der öffentlichen Verwaltung eine kürzere Frist praxisfern erscheine (Rixen a.a.O.). Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Daraus folgt aber, dass es keinen Unterschied bedeutet ist, ob die Beachtung verwaltungsinterner Zeitabläufe beim Erlass des Verwaltungsakts oder bei der Zahlungseinstellung erfolgt. Es erscheint deshalb unbeachtlich, ob die Absenkung im Folgemonat oder etwas später erfolgt, solange der oben genannte enge Zusammenhang mit der Pflichtverletzung besteht. Aus diesem Grunde überwiegt das Vollziehungsinteresse. Zusätzlich zu berücksichtigen ist auch die relativ geringe Sanktion von 93 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 173 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller (Ast.), seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau und drei minderjährige Kinder beziehen seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 11.01.2006 bewilligte der Antragsgegner (Ag.) Leistungen vom 01.02. bis 31.03.2006 (Änderungsbescheid bezüglich der Höhe vom 06.02.2006).
Am 13.02.2006 sollte der Ast. eine Tätigkeit bei AGH Neue Arbeit im Elektro-Recycling aufnehmen. Bei einer persönlichen Vorsprache bei dem Ag. am gleichen Tag teilte der Ast. mit, dass er nach Arbeitsbeginn wieder gegangen sei, da er nicht schichten wolle. Nach einem Aktenvermerk der Ag. erschien der Ast. trotz persönlicher und telefonischer Aufforderung nicht zur Arbeitsaufnahme. Der Ast. wurde von der Ag. darauf hingewiesen, dass die Leistungen für 3 Monate um 30 % gekürzt würden, wenn er die Arbeit nicht aufnehme. Mit Bescheid vom 20.02.2006 senkte der Ag. den dem Ast. zustehenden Anteil des Alg II um 93,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.04. bis 30.06.2006 ab. Der Ast. habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die Arbeitsgelegenheit bei der Firma AGH aufgegeben, obwohl eine Fortführung der Tätigkeit zumutbar gewesen wäre. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid werde ab dem 01.04.2006 aufgehoben.
Mit weiterem Bescheid vom 23.03.2006 bewilligte der Ag. der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 01.04. bis 30.06.2006 Leistungen in Höhe von 1.130,37 EUR monatlich und für den Zeitraum vom 01.07. bis 30.09.2006 in Höhe von 1.223,37 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 23.03.2006 wurden die Leistungen für den 01.05. bis 30.06.2006 auf 1.161,- EUR monatlich festgesetzt. Der Minderungsbetrag war hierbei jeweils berücksichtigt.
Am 18.05.2006 erhob der Ast. gegen den Bescheid vom 20.02.2006 (Absenkung) Widerspruch, den der Ag. mit Widerspruchsbescheid vom 11.07.2006 als unzulässig wegen Fristversäumnis zurückwies. Dagegen erhob der Ast. vor dem Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage (S 4 AS 6058/06). Zusätzlich stellte der Ast. Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X mit Schreiben vom 16.05.2006. Mit Bescheid vom 23.08.2006 lehnte der Ag. den Antrag ab, da § 44 SGB X im Bereich des SGB II keine Anwendung finde. Mit Schreiben vom 29.08.2006 erhob der Ast. gegen diesen Bescheid ebenfalls Widerspruch, den der Ag. mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2006 zurückwies. Auch gegen diesen Bescheid ist ein Klageverfahren anhängig (S 4 AS 7480/06).
Am 11.08.2006 hat der Ast. beim SG wegen Absenkung des Arbeitslosengeldes II Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung trug er vor, er sei bis zum 26.12.2006 bei der Neue Arbeit gGmbH im Rahmen des § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II beschäftigt gewesen. Am 30.01.2006 sei eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen worden, wonach er sich am 01.02.2006 erneut bei der Neue Arbeit gGmbH vorstellen solle, um im Bereich Elektro- Recycling zu arbeiten. Bei dem Vorstellungsgespräch habe er vorgebracht, dass er wegen seiner familiären Situation nicht im Schichtbetrieb arbeiten könne. Seine Ehefrau könne nur weniger als 2 Stunden täglich arbeiten. Es sei ihr auch nur begrenzt möglich, den Haushalt zu führen bzw. sich um die Kinder zu kümmern. Die Tochter V. sei seit ihrer Geburt behindert und erfordere deshalb zusätzliche Aufmerksamkeit. Er selbst habe gesundheitliche Probleme wegen der Geruchsentwicklung beim Elektro-Recycling und sei dabei wiederholt ohnmächtig geworden. Der behandelnde Arzt habe festgestellt, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in diesem Bereich arbeiten dürfe.
Der Ast. habe nicht mehr die ausreichenden finanziellen Mittel, um sich und seine Familie zu ernähren. Die Familie habe insbesondere wegen der Tochter V. einen erhöhten Bedarf. Diese müsse eine Ganztagsschule besuchen, in der sie auch ihr Mittagessen einnehme. Die Kosten dieser Mahlzeit könne er nicht mehr zahlen. Er legte ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Herrn S. vom 13.03.2006 vor, in welchem ausgeführt wurde, aufgrund geruchsbedingter Kopfschmerzen und Schwindel sollte der Ast. nicht im Bereich der Elektronikmontage arbeiten.
Die Ag. trug vor, die Reduzierung der Regelleistung um 30 % sei für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2006 erfolgt und sei somit abgeschlossen. Seit 01.07.2006 werde die Regelleistung des Ast. wieder in ungekürzter Höhe ausbezahlt. Es liege somit keine Eilbedürftigkeit und in Folge dessen kein Anordnungsgrund vor.
Mit Beschluss vom 14.11.2006 ordnete das SG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2006 bezüglich der für Juni 2006 verfügten Absenkung an. Es bestimmte weiter die in Vollziehung dieses Bescheids bereits einbehaltenen Beträge in Höhe von 93,00 EUR an den Kläger auszuzahlen. Der übrige Antrag wurde abgelehnt.
Entgegen der Auffassung des Ag. sei der Hauptsacherechtsbehelf nicht bereits deswegen aussichtslos, weil der Absenkungsbescheid bestandskräftig geworden wäre. Dies sei nicht der Fall. Zwar habe der Ast. erst am 18.05.2006 ausdrücklich und somit später als einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes Widerspruch eingereicht. Die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG finde jedoch dann keine Anwendung, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden sei. Dies sei hier der Fall. Im Bescheid vom 20.02.2006 sei ausgeführt, dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift "bei der oben genannten Stelle einzulegen" ist. Es ist jedoch nicht ohne weiteres erkennbar, welche Stelle dies sei (§ 36 SGB X). Im Briefkopf sei das JobCenter S. als entscheidende Stelle erkennbar. Als Anschriften sind jedoch angegeben E ..., S. sowie N ... , S ... Es sei somit für den Adressaten nicht eindeutig erkennbar, wohin er sich zur Einlegung seines Widerspruchs wenden müsse ( LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.2006 - 8 AS 4314/05). Damit gelte die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG, so dass der Widerspruch rechtzeitig eingelegt worden sei.
In der Sache sei der Absenkungsbescheid vom 20.02.2006 jedoch nur bezüglich der Regelung für Juni 2006 offensichtlich rechtswidrig. Nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB II trete die Absenkung und der Wegfall mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt habe, folge. Der Bescheid vom 20.02.2006 sei dem Ast. noch im Februar bekannt gegeben worden, wie sich schon daran erkennen lasse, dass der Ast. bereits am 22.02.2006 wegen der Absenkung persönlich beim Ag. vorgesprochen habe. Die Absenkung hätte somit bereits ab 01.03.2006 verfügt werden müssen. Dementsprechend ende der Dreimonatszeitraum des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II mit dem 31.05.2006. Für eine Absenkung im Juni 2006 sei damit kein Raum. Der Bescheid sei insoweit offensichtlich rechtswidrig, so dass die aufgrund der Absenkung einbehaltenen Leistungen in Höhe von 93,00 EUR an den Ast. auszuzahlen seien. An einer Vollziehung des insoweit offensichtlich rechtswidrigen Bescheides bestehe kein öffentliches Interesse.
Hinsichtlich der Absenkung für April und Mai 2006 spreche jedoch mehr für als gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die dem Kläger zugewiesene Arbeit bei AGH Neue Arbeit unzumutbar gewesen sei. Der Ast. habe im Februar die Aufnahme der Tätigkeit mit der Begründung abgelehnt, er wolle keine Schichtarbeit leisten. Nach seinem Vortrag im gerichtlichen Verfahren wären Schichten abwechselnd alle zwei Wochen von 6.00 bis 12.00 Uhr und von 12.00 bis 19.00 Uhr zu leisten gewesen. Es seien keine Gründe ersichtlich, warum dem Ast. derartige Wechselschichten nicht zumutbar sein sollten. Dass die Ehefrau des Ast. aufgrund ihrer Erkrankungen nicht in der Lage gewesen sein sollte, die drei Kinder im Alter von 4, 13 und 16 Jahren zu betreuen, sei nicht glaubhaft. Nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Ehefrau für leichte Tätigkeiten. Darüber hinaus besucht die Tochter V. eine Ganztagsschule mit Mittagstisch. Durch die Verteilung der Schichten wäre der Ast. in der Lage gewesen, die Kinder entweder morgens vor der Schule/Kindergarten zu betreuen oder er wäre bei Frühschicht bereits mittags wieder zu Hause gewesen, wenn die Kinder aus Schule bzw. Kindergarten gekommen seien.
Ob bei dem Ast. tatsächlich gesundheitliche Einschränkungen vorliegen hätten, wie in der hausärztlichen Bescheinigung dargestellt, die eine Tätigkeit im Bereich des Elektro-Recyclings ausschließen würden, erscheine fraglich. Dagegen spreche, dass im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 30.01.2006 eine Zuweisung zum Elektro-Recycling erfolgt sei. Bei Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schwindel durch die Geruchsentwicklung bei Tätigkeiten in diesem Bereich hätte es nahe gelegen, dass der Ast. bereits zu diesem Zeitpunkt auf seine Bedenken gegen eine derartige Tätigkeit hingewiesen hätte. Auch bei der Ablehnung der Arbeitsaufnahme am 13.02.2006 wurde wiederum nur das Argument der Schichtarbeit angeführt, gesundheitliche Probleme jedoch nicht erwähnt. Erst nach Verhängung der Sanktion habe der Ast. die hausärztliche Bescheinigung vorgelegt. Die Prüfung, ob es sich lediglich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelt, müsse jedoch einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Gegen diesen Beschluss hat der Ag. am 30.11.2006 beim SG Beschwerde eingelegt. Der Ag. begründete diese damit, der Bescheid vom 20.02.2006 sei bestandskräftig. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei richtig. In dem Bescheid werde nur eine Stelle genannt bei welcher die Widerspruchseinlegung erfolgen könne. Es sei unschädlich, wenn für eine Stelle zwei Adressen genannt würden. Des Weiteren sei der Bescheid auch nicht in der Sache rechtswidrig. Zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 20.02.2006 sei eine Absenkung zum Monat März 2006 wegen des bundesweit einheitlichen zentralen Zahlungsablaufs nicht mehr möglich gewesen. Da nach § 31 Abs. 6 S. 2 SGB II der Sanktionszeitraum auf 3 Monate festgelegt sei, wäre eine Verschiebung des Sanktionszeitraums um einen Monat wegen technischer Vorgaben geboten. Das SG half der Beschwerde nicht ab und legte diese dem LSG Baden-Württemberg zur Entscheidung vor.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.
Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zutreffend dargelegt. Insofern wird auf diesen Beschluss Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Entgegen der Rechtsauffassung des SG übersteigt das Suspensivinteresse des Ast. das öffentliche Vollzugsinteresse nicht. Deswegen hat es bei der gesetzlichen angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes zu verbleiben.
Der Rechtsbehelf in der Hauptsache hat eine geringe Erfolgsaussicht, da der angefochtene Bescheid mit hoher Wahrscheinlichkeit bestandskräftig geworden ist. Die Rechtsbehelfsbelehrung war nicht unrichtig. Es war aus ihr jederzeit erkennbar bei welcher Stelle der Widerspruch einzulegen ist. Die einzige Stelle die im Bescheid genannt wurde, war das JobCenter S ... Für dieses JobCenter wurden zwei Anschriften genannt. Dies ist jedoch unschädlich, da die Einlegung des Widerspruchs unter jeder der genannten Adressen formgerecht und rechtzeitig hätte erfolgen können. Von daher unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, welcher dem vom SG zitierten Urteil (LSG Baden-Württemberg a.a.O.) zugrunde gelegen hat. In diesem Fall wurden im angefochtenen Bescheid zwei unterschiedliche Verwaltungsbehörden genannt. Diese Rechtsbehelfsbelehrung war somit nicht eindeutig und daher unrichtig.
Das Suspensivinteresse des Ast. ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Überprüfung nach § 44 SGB X.
Es spricht keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Aufhebungsbescheid rechtswidrig war. Die Argumentation des SG, dass die Absenkung bereits ab 01.03.2006 hätte verfügt werden müssen und dementsprechend der Dreimonatszeitraum des § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II mit dem 31.05.2006 endet und für eine Absenkung im Juni 2006 ist damit kein Raum sei, ist nicht so überzeugend, dass sie zur offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Bescheids führen müsste. Das Vorbringen der Ag., dass die Sanktion aus technischen Gründen nicht im Folgemonat habe umgesetzt werden können, ist bei der Auslegung des § 31 Abs. 6 SGB II möglicherweise zu berücksichtigen. Bei einer Massenverwaltung sind die finanziellen Auswirkungen beim Gesetzesvollzug zu berücksichtigen. Zentrale Buchungsanweisungen bei Leistungsauszahlungen sind heute aus Kostengründen geboten, mit der Folge, dass Änderungen der Zahlungshöhe einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen. Dieser zeitliche Vorlauf ist unter Umständen zu akzeptieren, wenn dadurch der Gesetzeszweck nicht vereitelt wird. Dies ist bei der Verschiebung der Sanktion des § 31 SGB II um einen Monat im Regelfall nicht gegeben. Im Gegensatz zum Eintritt einer Sperrzeit (§ 144 Abs. 2,3 SGB III) tritt die Absenkung nach § 31 SGB II nicht unmittelbar kraft Gesetzes ein. Die nach Satz 2 dreimonatige Wirkung der Absenkung setzt das Wirksamwerden eines feststellenden Verwaltungsakts voraus. Dieser Verwaltungsakt hat als konstitutives Element die Fixierung des Beginns des Absenkungszeitraums. Über diesen Verwaltungsakt kann der Leistungsträger den Absenkungszeitraum zumindest indirekt steuern. Aus dem Gesetz ergibt sich lediglich, dass abgesenkt werden soll. Ein Zeitrahmen ist nicht normiert. In der Kommentarliteratur (Rixen in Eicher/Spellbrink SGB II § 31 Rz. 58; Berlit in LPK-SGB II § 31 Rz. 145) wird die Meinung vertreten, dass im Hinblick auf die Wirksamkeit der Sanktion ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Pflichtverletzung bestehen muss. Es wird ein Zeitraum zwischen 3 und 6 Monaten genannt. Hierbei wird darauf hingewiesen, dass angesichts der verbreiteten Zeitabläufe in der öffentlichen Verwaltung eine kürzere Frist praxisfern erscheine (Rixen a.a.O.). Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Daraus folgt aber, dass es keinen Unterschied bedeutet ist, ob die Beachtung verwaltungsinterner Zeitabläufe beim Erlass des Verwaltungsakts oder bei der Zahlungseinstellung erfolgt. Es erscheint deshalb unbeachtlich, ob die Absenkung im Folgemonat oder etwas später erfolgt, solange der oben genannte enge Zusammenhang mit der Pflichtverletzung besteht. Aus diesem Grunde überwiegt das Vollziehungsinteresse. Zusätzlich zu berücksichtigen ist auch die relativ geringe Sanktion von 93 EUR.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 173 SGG).
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