L 8 AS 6175/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 4665/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AS 6175/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen Bescheid, mit dem die der Antragstellerin zu 2 zustehenden Leistungen für die Dauer von drei Monaten um 31 EUR je Monat abgesenkt wurden.

Der am 1946 geborene Antragsteller zu 1 lebt mit seiner Ehefrau, der Antragstellerin zu 2, in einer beiden Eheleuten gehörenden 68 m² großen 2-Zimmer-Wohnung in H. Zur Finanzierung der Wohnung nahmen die Eheleute im Jahre 1996 bei der D.B. ein Hypothekendarlehen mit einer Darlehenssumme vom 130.000 DM auf. Im Darlehensvertrag wurde eine so genannte annuitätische Tilgung vereinbart, d.h. die Rückzahlung des Darlehens erfolgt in Höhe eines gleich bleibenden Betrages, der sich aus Zins- und Tilgungsleistungen zusammensetzt. Da der Zins nur auf die rückläufige Restschuld zu zahlen ist, wird der Zinsanteil immer kleiner, der Tilgungsanteil entsprechend höher. Der Rückzahlungsbetrag belief sich anfänglich auf 1.000 DM monatlich, er beträgt spätestens seit 01.01.2005 monatlich 400 EUR. Für das zweite Halbjahr 2006 betrug der Zinsanteil insgesamt 510 EUR.

Seit 01.01.2005 erhalten die Eheleute Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in unterschiedlicher Höhe. Während der Antragsteller zu 1 kein Erwerbseinkommen hat, verfügt die Antragstellerin zu 2 aufgrund einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung über ein Einkommen, das bei der Bemessung der Leistungen bedarfsmindernd berücksichtigt wird.

Mit Bescheid vom 20.09.2006 und Widerspruchsbescheid vom 15.11.2006 senkte die Antragsgegnerin die der Antragstellerin zu 2 gewährte Regelleistung von 311,00 EUR um 31,00 EUR gemäß § 31 Abs. 2 SGB II ab mit der Begründung, die Antragstellerin zu 2 sei, ohne einen wichtigen Grund genannt zu haben, einer Einladung zur Vorsprache am 11.09.2006 nicht gefolgt.

Mit Bescheid vom 21.11.2006 setzte die Antragsgegnerin die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf monatlich 643,84 EUR für die Zeit vom 01.12. bis 31.12.2006 und auf monatlich 738,74 EUR für die Zeit vom 01.01. bis 31.05.2007 fest. Bei der Bemessung der Leistung berücksichtigte sie, dass sie den Antragstellern für die Zeit vom 01.06. bis 30.11.2006 bereits einen Zinsanteil in Höhe von 488,90 EUR ausbezahlt hatte. Sie gewährte daher für den Monat Dezember 2006 nur noch einen restlichen Anteil von 21,10 EUR (510 EUR – 488,90 EUR). Bei der Berechnung der Leistungen für die Zeit ab Januar 2007 ging sie von einem monatlichen Zinsanteil von 85 EUR aus. Außerdem verminderte sie den für den Monat Dezember 2006 zustehenden Betrag um den mit Bescheid vom 20.09.2006 festgesetzten Absenkungsbetrag von 31 EUR. Den von den Antragstellern, vertreten durch ihren Sohn, eingelegten Widerspruch gegen diesen Bescheid wies die Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2006 als unbegründet zurück.

Bereits am 06.10.2006 hatten die Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) den Erlass einer "einstweiligen Verfügung" beantragt (S 13 AS 4665/06 ER), mit der sie sich gegen die Absenkung der Regelleistung wenden. Sie haben ua geltend gemacht, die Antragstellerin zu 2 sei einer weiteren Einladung zum 21.09.2006 gefolgt. Dabei seien alle fraglichen Punkte besprochen worden. Mit Beschluss vom 30.11.2006 hat das SG den Antrag abgelehnt. Gegen diese Entscheidung des SG haben die Antragsteller am 09.12.2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Zur Begründung machen sie ua geltend, die Einladung zum Termin am 11.09.2006 nicht erhalten zu haben.

II.

Die gemäß den §§ 172ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.09.2006 anzuordnen.

Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Widerspruch der Antragsteller gegen den Absenkungsbescheid vom 20.09.2006 nicht bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Zwar haben nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Da Widerspruch und Klage nur aufschiebende Wirkung besitzen können, wenn Entscheidungen der Leistungsträger mit einem bloßen Anfechtungsbegehren angegangen werden, kommen lediglich Aufhebungsentscheidungen nach den §§ 45ff SGB X i.V.m. § 40 SGB II und Entscheidungen über die Absenkung und den Wegfall von bereits bewilligtem Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld gemäß den §§ 31, 32 SGB II in Betracht (Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 RdNr. 12).

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aufgrund von § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen (Krodel, Der sozialgerichtliche Rechtsschutz in Anfechtungssachen, NZS 2001, 449, 453). Dabei ist zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (kritisch hierzu Eicher a.a.O. § 39 RdNr. 3). Diese typisierend zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung (Eicher a.a.O. RdNr. 2) kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen. Die konkreten gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den konkreten Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem konkreten Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Aufl. 2005, RdNr. 195).

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze anzuwenden (Krodel aaO RdNr. 205). Danach sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (st. Rspr des BVerfG; vgl. BVerfG NJW 2003, 2598, 2599 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ergibt die nach den dargestellten Grundsätzen vorzunehmende Abwägung, dass das Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20.09.2006 das öffentliche Interesse an einem Vollzug dieses Bescheides nicht überwiegt. Soweit die Antragsteller geltend machen, eine Einladung zum Termin am 11.09.2006 nicht erhalten zu haben, ist diese Behauptung widerlegt. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat mit einem an das SG gerichteten Schreiben vom 11.09.2006 (Bl. 375 der Verwaltungsakte), in dem es um eine Einladung zu einem anderen Termin ging, ausgeführt: "Außer dieser Einladung (siehe Anlage) ist uns keine Einladung zugegangen." Bei der als Anlage beigefügten Einladung handelt es sich aber gerade um diejenige zum 11.09.2006. Der Umstand, dass die Antragstellerin zu 2 offenbar einer weiteren Einladung zu einem Termin am 21.09.2006 nachgekommen ist, macht die bereits eingetretene Pflichtverletzung nicht ungeschehen. Zumindest in der Zusammenschau mit den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 15.11.2006 hat die Antragsgegnerin die ausgesprochene Sanktion - Absenkung um 31 EUR für drei Monate - hinreichend konkret bestimmt. Der Senat hält es daher bei der gebotenen Abwägung für sachgerecht, im vorliegenden Fall die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht anzuordnen. Dies geschieht auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Antragsteller seit 01.01.2007 wieder die ungekürzte Regelleistung erhalten. Ob die Absenkung zu Recht erfolgt ist, kann daher in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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