L 4 R 31/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 RJ 4377/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 31/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erhebt Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger mit Geburtsdatum 1952 war seinen Angaben zufolge im Inland von September 1978 bis Mai 1982 als Lagerarbeiter, Lackierer und Heizer beschäftigt. Sodann blieb er arbeitslos und bezog von 01. Januar 1992 bis 17. Dezember 2000 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Seit 18. Dezember 2000 bezieht er Sozialhilfe. Einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 13. August 2000, den der Kläger auf Veranlassung des damaligen Arbeitsamts S. stellte, lehnte die damalige Landesversicherungsanstalt Württemberg (jetzt Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg, im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet) durch Bescheid vom 23. November 2000 ab, da für eine Erfolg versprechende Entwöhnungsbehandlung die erforderliche Einsicht fehle.

Am 26. Juli 2001 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Internistin Dr. R. erstattete das Gutachten vom 05. Dezember 2001. Es bestehe eine chronische Bronchitis mit mittelgradiger obstruktiver Lungenfunktionsstörung bei Nikotinmissbrauch, Beinverkürzung links von vier cm nach Oberschenkelbruch 1970, Ellbogengelenksarthrose links nach privatem Unfall 1985, Fettleber, Erhöhung der Blutfette sowie eine Fehlhaltung der Wirbelsäule ohne Funktionseinschränkung oder Wurzelreizsymptomatik. Bezüglich der Folgeerscheinung zeitweisen Alkoholmissbrauchs sei eine Zirrhose weitgehend auszuschließen, auch bestehe kein Hinweis auf Hirnleistungsschwäche oder Wesensänderung oder eine bedeutsame Polyneuropathie. Leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne häufiges Klettern und Steigen, ohne besondere Beanspruchung des linken Armes seien vollschichtig (sechs Stunden und mehr) möglich. Die Beklagte erließ den ablehnenden Bescheid vom 13. Dezember 2001, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Der Kläger erhob Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren hiergegen erfolgten nach prüfärztlichem Vermerk keine neuen Ermittlungen. Die Widerspruchsstelle der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 20. März 2002.

Mit der am 17. April 2002 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage trug der Kläger vor, er leide insbesondere unter weiteren bisher nicht berücksichtigten Schmerzen des Stütz- und Bewegungsapparats sowie an psychischen Einschränkungen. Nach vorübergehendem Ruhen des Verfahrens legte der Kläger das Untersuchungsergebnis des Gesundheitsamts Stuttgart (Dr. B.) vom 26. August 2003 vor, wegen der Unfallschäden des linken Beines und linken Armes sowie der Einschränkung der Lungenfunktion lasse sich von dauerhafter Arbeitsunfähigkeit ausgehen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG hörte behandelnde Ärzte als sachverständige Zeugen. Arzt für Orthopädie Dr. S. berichtete in der schriftlichen Zeugenaussage vom 24. Juli 2002 über eine einmalige Untersuchung am 23. November 2001. Er hielt den Kläger für nicht mehr fähig, Tätigkeiten als Lagerarbeiter oder leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Ärztin für Neurologie und Psychiatrie H. berichtete in der Zeugenaussage vom 15. März 2004 über ambulante Behandlungen am 17/19. Dezember 2002 mit der Diagnose depressive Episode sowie Verdacht auf Alkoholmissbrauch. Weitere vom SG zu den erhobenen Befunden bei Untersuchungen seit Juli 2001 befragte Ärzte teilten mit, den Kläger in dieser Zeit nicht behandelt zu haben. Arzt für Orthopädie Dr. K. erstattete das Gutachten vom 15. Januar 2004. Es bestehe eine endgradige Bewegungseinschränkung der Schulter links mit geringer Funktionseinschränkung, eine Arthrose mit Bewegungseinschränkung und Belastungsschmerzhaftigkeit im Bereich des linken Ellenbogens mit Einschränkung der Beuge- und Streckfähigkeit, Einschränkung des Faustschlusses der linken Hand, Belastungsschmerzhaftigkeit der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Veränderungen, beginnende Verschleißreaktion im Bereich der Kniegelenke ohne Reizerguss, Beinverkürzung links 35 mm sowie deutliches Übergewicht. Leichte bis kurzfristig mittelschwere Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Über-Kopf-Arbeit, ohne ständige Beanspruchung der Unterarmwendemöglichkeit, ständiges Hocken oder Knien seien vollschichtig möglich. Die Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt und zusätzliche Arbeitspausen seien nicht erforderlich.

Durch Gerichtsbescheid vom 17. Dezember 2004 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, der Kläger sei nicht erwerbsgemindert. Nach den durchgeführten Ermittlungen sei der Kläger grundsätzlich in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Kläger sei auf alle ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen und deshalb nicht berufsunfähig. Dass er leichte Tätigkeiten ausüben könne, erschließe sich aus den Gutachten der Internistin Dr. R. und des Orthopäden Dr. K ... Eine dauerhafte Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet sei nicht nachgewiesen.

Der Kläger hat am 04. Januar 2005 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Er hat geltend gemacht, sowohl Orthopäde Dr. S. als auch Gesundheitsamtsarzt Dr. B. befürworteten den Rentenanspruch. Die Zeugenaussage der Ärztin H. lege eine psychiatrische Begutachtung nahe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Dezember 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. März 2002 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01. Juli 2001 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das Ergebnis des bisherigen Verfahrens.

Der Senat hat Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M. Sc. als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat in seiner Zeugenaussage vom 18. September 2005 angegeben, es bestehe ein Nikotinmissbrauch, ein ins Gewicht fallender Alkoholmissbrauch sei trotz verschiedener erhöhter Laborwerte nicht zu beweisen. Offenbar bestehe ein Diabetes mellitus. Im Übrigen habe sich der Kläger nur zur Beurteilung der Operationsfähigkeit für eine Augenoperation vorgestellt. Beigefügt gewesen sind die Berichte des Augenarztes Dr. Sch. vom 16. Juni und 07. Juli 2005 über eine Graue Star-Operation.

Unter dem 24. Oktober 2005 ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. F. mit einer Begutachtung beauftragt worden. Der Kläger hat sich nach einem zunächst entschuldigten Untersuchungstermin vom 01. Februar 2006 (Aufenthalt in der Türkei) nicht mehr mit dem Sachverständigen in Verbindung gesetzt. Der bisherige Bevollmächtigte hat mit Schreiben vom 23. Mai 2006 das Mandat niedergelegt. Mit Schreiben des Gerichts vom 28. Juni und 21. August 2006 ist der Kläger auf seine Mitwirkungspflicht hingewiesen worden. Er hat sich weiterhin nicht mit dem Sachverständigen in Verbindung gesetzt. Dr. F. ist mit Schreiben vom 31. Oktober 2006 von dem Gutachtensauftrag entbunden worden.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache nicht begründet. Es besteht kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Versicherte haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2000, BGBl. I S. 1827, Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der Fassung des zuvor genannten Gesetzes Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Letztere Grenze liegt für die Rente wegen voller Erwerbsminderung bei mindestens drei Stunden täglich (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Hierbei ist zu beachten, dass nach der weiterhin anerkannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur "konkreten Betrachtungsweise" (vgl. Beschlüsse des Großen Senats BSGE 30, 167; 43, 75) die teilweise Erwerbsminderung in die volle durchschlägt, wenn ein Arbeitsplatz tatsächlich nicht innegehabt wird und der Arbeitsmarkt für Teilzeitarbeit verschlossen ist. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (vgl. § 240 Abs. 1 SGB VI) kommt für den Kläger nicht in Betracht, weil dieser in seinem Berufsleben stets ungelernte oder allenfalls kurzfristig angelernte Arbeiten ausgeübt hat und deshalb nach dem in der Rechtsprechung entwickelten Stufenschema (vgl. eingehend z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55) zur Abwendung von Erwerbsminderung auf alle ungelernten Tätigkeiten des Arbeitsmarktes verwiesen werden kann.

Es sind weder die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung noch wegen teilweiser Erwerbsminderung gegeben.

Der Kläger leidet an Unfallschäden und Verschleißerscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Diese sind im Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. K. vom 15. Januar 2004 eingehend beschrieben. Danach besteht eine Reizung der Schultermuskelsehnenplatte links mit endgradiger Bewegungseinschränkung, die sich funktionell gering auswirkt. Hinzu kommt die Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose mit Bewegungseinschränkung und Belastungsschmerzhaftigkeit im Bereich des linken Ellenbogens nach Armbruch mit Einschränkung der Beuge- und Streckfähigkeit und Einschränkung der Unterarmwendebeweglichkeit links. Der Faustschluss der linken Hand ist nach einer Infektion eingeschränkt. Weiter besteht eine Belastungsschmerzhaftigkeit der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Veränderungen, eine beginnende Verschleißreaktion im Bereich der Kniegelenke sowie die Beinverkürzung links um 35 mm nach Oberschenkelbruch. Nach der Einschätzung des Sachverständigen sind aufgrund dieser Befunde leichte bis kurzfristig mittelschwere Tätigkeiten unter Vermeidung von Zwangshaltungen, Arbeit über Augenhöhe oder über Kopf, ohne ständige Inanspruchnahme der Unterarmwendemöglichkeit, ohne ständiges Hocken oder Knien vollschichtig (nach anzuwendendem Recht mindestens sechsstündig) möglich. Diese Umschreibung des Leistungsprofils überzeugt. Eine schwere spezifische Behinderung ist nicht ersichtlich. Der Hinweis in der Berufungsbegründung vom 26. Februar 2005, bei Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit bestünden Zweifel an der Einsatzfähigkeit auch für leichtere Tätigkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8), vermag hier nicht durchzuschlagen; in der dortigen Entscheidung war die Versicherte an beiden Armen erheblich eingeschränkt und der dortige Sachverständige hatte selbst Zweifel an einer Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten angemeldet. Eine derartige Einschränkung besteht hier nicht. Es besteht nur eine Bewegungseinschränkung am linken Arm. Im Übrigen hat der Sachverständige Dr. K. dargelegt, dass der Befund der beim Kläger vorliegenden Bewegungseinschränkung günstiger ist als derjenige, bei dem in der sozialmedizinischen Literatur noch leichte körperliche Tätigkeiten, selbst mit Anforderung an das manuelle Geschick, für möglich erachtet werden. Der Ausnahmefall einer Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Behinderung (vgl. Großer Senat BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8), der die konkrete Benennung einer Tätigkeit fordern würde, liegt nach alledem nicht vor.

Wesentlich leistungseinschränkende Befunde auf anderen medizinischen Fachgebieten lassen sich nicht feststellen. Ein Alkoholmissbrauch des Klägers ist bekannt, war jedoch aktuell nie sicher zu beweisen; dies geht sowohl aus der Zeugenaussage der Ärztin H. vom 15. März 2004 als auch des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. Sc. vom 18. September 2005 - trotz verschiedener erhöhter Laborwerte - hervor. Ebenso wenig hat die aufgrund von Nikotinmissbrauch entstandene chronische Bronchitis zu einer schwerwiegenden Schädigung geführt. Eine Operation am Grauen Star (vgl. Berichte des Augenarztes Dr. Sch. vom 16. Juni und 07. Juli 2005) war erfolgreich.

Auf psychiatrischem Fachgebiet konnte der Gesundheitszustand des Klägers nicht abgeklärt werden. Der Einladung zur Begutachtung durch Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. (Gutachtenauftrag vom 24. Oktober 2005) ist der Kläger nicht gefolgt. Die gerichtlichen Aufforderungen vom 28. Juni 2006 und 21. August 2006 mit dem Hinweis, er solle zur Vermeidung von Nachteilen Kontakt mit dem Sachverständigen aufnehmen, ist der Kläger nicht gefolgt. Damit stellt sich die Frage der Beweislast. Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht im Zweifel - so auch hier bei der Feststellung gesundheitlicher Einschränkungen - zu Lasten desjenigen Beteiligten, der aus dem Beweis einer Tatsache eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet (vgl. BSGE 6, 70, 73; 43, 110, 112 = SozR 2200 § 548 Nr. 27). Der Gutachtenauftrag ist von der früheren Berichterstatterin offenkundig deshalb erteilt worden, weil Ärztin H. eine innere Unruhe, Angstzustände und Schlaflosigkeit sowie den Alkoholmissbrauch genannt hatte, wie dies bereits Orthopäde Dr. S. in der Zeugenaussage vom 24. Juli 2002 angedeutet hatte. Nachdem jedoch offenkundig eine regelmäßige psychiatrische Behandlung nicht stattfindet und Arzt Dr. Sc. in der Zeugenaussage vom 18. September 2005 einen aktuellen Alkoholmissbrauch nicht sicher beweisbar erachtete, ist eine Entscheidung nach Aktenlage zugunsten des Rentenanspruchs nicht möglich. Die Folgen der objektiven Beweislosigkeit bzw. des Nichtfestgestelltseins einer Tatsache hat der Kläger zu tragen, weil er aus dieser Tatsache ein Recht herleiten will.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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