L 16 R 971/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 12 RA 4678/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 971/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Rentenhöhe.

Der 1934 geborene Kläger war in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vom 01. September 1960 bis zum 31. März 1990 Mitarbeiter des M f S/A f N S (MfS/AfNS), zuletzt im Range eines Oberstleutnants. Nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Deutschen Reichsbahn vom 01. April 1990 bis zum 31. März 1991 bezog er ab 01. April 1991 Altersübergangsgeld. Die Bundesrepublik Deutschland hat als Sonderversorgungsträger für das in der Anlage 2 Nr. 4 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) aufge-führte Sonderversorgungssystem Zugehörigkeitszeiten des Klägers zu diesem Sonderversorgungssystem vom 01. Juni 1961 bis zum 31. März 1990 und das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG i. V. mit Anlage 6 zum AAÜG festgestellt (Bescheide des Bundesverwaltungsamtes vom 19. Dezember 1995 und 15. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2002). Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen S 29 RA 7311/02 noch beim Sozialgericht (SG) Berlin anhängig und ruht.

Mit Bescheid vom 08. Februar 1996 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente (AR) wegen Arbeitslosigkeit für die Zeit ab 01. April 1994. Der Wert des Rechts auf AR wurde mit Bescheid vom 19. Oktober 2000 rückwirkend zum 01. April 1994 neu festgestellt (Zahlbetrag ab 01. Dezember 2000 = monatlich 1.700,41 DM). Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser sich u.a. gegen die Höhe seiner bei der Rentenberechnung berücksichtigten Entgelte während der Zeit der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem Nr. 4 der Anlage 2 zum AAÜG wandte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2003).

Im Klageverfahren hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Änderung der angefochtenen Rentenbescheide zu verurteilen, seine AR für die Zeit ab 01. April 1994 "auf der Grundlage der tatsächlich erzielten Entgelte oberhalb der jeweiligen Durchschnittsverdienste im Beitrittsgebiet vorläufig neu zu berechnen und eine entsprechende Nachzahlung vorläufig vorzunehmen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen seine Rente ab 01. Juli 2004 auf der Grundlage der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte oberhalb der jeweiligen Durchschnittsver-dienste im Beitrittsgebiet bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze vorläufig neu zu berechnen". Das SG hat diese Klage mit Urteil vom 24. Mai 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Neufeststellung seiner AR unter Berücksichtigung von beitragspflichtigen Entgelten oberhalb der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nach Anlage 6 zum AAÜG. Die Beklagte habe bei der Rentenberechnung zutreffend § 7 Abs. 1 AAÜG i.V. mit Anlage 6 zum AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1939) angewandt. Danach seien der Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte bzw. des Rangstellenwertes Arbeitsentgelte nur in Höhe des jeweiligen Durchschnittsentgelts im Beitrittsgebiet zugrunde zu legen. Die Begrenzung der zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte von Mitarbeitern des MfS auf das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Verweis auf BVerfGE 100, 138, 178; BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 BvR 1070/02 = BVerfGK 3, 270-273). Eine neue verfassungsrechtliche Überprüfung sei nicht geboten, weil neue rechtserhebliche Tatsachen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, nicht vorlägen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter; auf seine Berufungsschrift vom 03. Juli 2006 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 08. Februar 1996 und 19. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2003 zu verurteilen, seine Altersrente ab 01. April 1994 auf der Grundlage des tatsächlich erzielten Entgelte oberhalb der jeweiligen Durchschnittsverdienste im Beitrittsgebiet bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze vorläufig neu zu berechnen und eine entsprechende Nachzahlung vorläufig vorzunehmen, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, seine Rente ab 01. Juli 2004 auf der Grundlage der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte oberhalb der jeweiligen Durchschnittsverdienste im Beitrittsgebiet bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze vorläufig neu zu berechnen,

ferner, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat mit Schriftsatz vom 25. Januar 2007 erklärt, dass die festgesetzten Rentenwerte in den angefochtenen Bescheiden im Hinblick auf die noch nicht bestandskräftigen Überführungsbescheide des Sonderversorgungsträgers als vorläufige anzusehen seien.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Denn die beim SG erhobene, auf Festsetzung eines höheren Wertes des Rechts auf AR für die Zeit ab 01. April 1994, hilfsweise ab 1. Juli 2004, gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG ist bereits unzulässig.

Soweit sich der Kläger gegen den von der Beklagten zuerkannten monatlichen Wert seiner AR für die Zeit ab 01. August 1994 wendet, ist die Klage hinsichtlich des Rentenbescheides vom 08. Februar 1996 schon deshalb unzulässig, weil die Wertfestsetzung in diesem Bescheid durch den nachfolgend ergangenen wertfestsetzenden Verwaltungsakt im Bescheid vom 19. Oktober 2000 für die Zeit ab 01. April 1994, d.h. in vollem Umfang, ersetzt worden ist; der Bescheid vom 08. Februar 1996 hat sich daher im Sinne von § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) - erledigt.

Auch die Klage gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2003 ist unzulässig. Für die Anfechtungsklage gilt dies schon deshalb, weil der Kläger nicht klagebefugt ist. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ist die Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den angefochtenen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Die Klagebefugnis liegt somit nur vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Kläger in eigenen Rechten verletzt ist. Dies kann aber vorliegend von vornherein nicht der Fall sein. Denn der von dem Kläger geltend gemachte Aufhebungs- bzw. Änderungsanspruch gegen die Beklagte kann ihm frühestens dann zustehen, wenn der für versorgungsrechtliche Vorfragen allein zuständige Sonderversorgungsträger bindend entschieden hat, ob dem Kläger im Zeitpunkt der Überführung des Versorgungsrechts in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets zum 31. Dezember 1991 ein Recht oder eine Anwartschaft auf Versorgung nach dem bis dahin maßgeblichen und zu Bundesrecht gewordenen Sonderversorgungsrecht des Beitrittsgebiets zustand, und wenn er außerdem in einem so genannten Entgeltbescheid gemäß § 8 AAÜG die nach § 5 AAÜG gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten, die darin erzielten Entgelte und gegebenenfalls die tatsächlichen Voraussetzungen einer besonderen Beitragsbemessungsgrenze unanfechtbar festgestellt hat (vgl. BSG SozR 3-8570 § 14 Nr. 1; BSG SozR 3-8570 § 10 Nr. 4; BSG, Urteil vom 29. Oktober 2002 – B 4 RA 22/02 R – veröffentlicht in juris). Solange – wie hier – ein noch nicht unanfechtbar abgeschlossenes Verwaltungsverfahren über diese Fragen bei einem Versorgungsträger anhängig ist, darf der Rentenversicherungsträger keine abschließende Entscheidung über den Wert des Rechts auf Rente treffen. Erst nach Abschluss des Verfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland als Sonderversorgungsträger (SG Berlin – S 29 RA 7311/02 -) ist es der Beklagten möglich, abschließend über den Wert des Rechts des Klägers auf AR für die Zeit ab 01. April 1994 zu befinden. Denn erst dann liegen die maßgeblichen Ausgangswerte endgültig fest. Der Kläger kann daher gegenwärtig keine endgültige, sondern nur eine vorläufige Wertfeststellung begehren. Dass es sich bei den angefochtenen Rentenwertfestsetzungen um solche vorläufigen Feststellungen handelt, ist durch die Erklärung der Beklagten vom 25. Januar 2007 klargestellt. Derartige vorläufige und ausschließlich begünstigende einstweilige Verwaltungsakte können aber unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt in Rechte des Klägers eingreifen; die Anfechtungsklage ist somit mangels Klagebefugnis unzulässig (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 2002 – B 4 RA 22/02 R -). Da der Kläger gegenwärtig auch keinen Anspruch auf eine abschließende Entscheidung über den Wert seines Rechts auf AR haben kann, ist die Leistungsklage ebenfalls unzulässig. Dies gilt auch, soweit der Kläger ausweislich seines in der Berufungsschrift formulierten Antrages lediglich eine Verurteilung der Beklagten erstrebt, seine AR "vorläufig" nach Maßgabe der Berufungsanträge neu festzustellen. Denn auch auf eine vorläufige Neufeststellung der AR in dem vom Kläger erstrebten Sinne kann der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Rechtsanspruch haben. Sie käme von vornherein nur dann in Betracht, wenn es ansonsten zu einer Anwendungsbehinderung des gültigen Rechts bzw. einem Rechtsstillstand käme (vgl. für einen derartigen Fall: BSG, Urteil vom 3. August 1999 – B 4 RA 24/98 R – veröffentlicht in juris). Dies kann aber schon deshalb nicht der Fall sein, weil die Beklagte bei ihrer vorläufigen Wertfeststellung des Rechts auf AR das geltende Bundesrecht beanstandungsfrei angewendet hat. Sie hat bei ihrer vorläufigen Rentenberechnung die Entgeltpunkte des Klägers für dessen Zeit der Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem Nr. 4 der Anlage 2 zum AAÜG – allein darüber besteht zwischen den Beteiligten Streit – zutreffend ermittelt. Sie hat dabei die besondere Beitragsbemessungsgrenze des § 6 Abs. 4 i.V. mit § 7 Abs. 1 AAÜG und der Anlage 6 zum AAÜG angewendet. Diese besondere Beitragsbemessungsgrenze nach Maßgabe der jeweiligen Durchschnittsverdienste in der DDR ist verfassungsgemäß, was durch die bereits vom SG zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bindend klar gestellt ist. Der Gesetzgeber war und ist von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, eine höhere Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen (vgl. zum Ganzen auch BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 24/03 R = SozR 4-8570 § 7 Nr. 1).

Bei dieser Sach- und Rechtslage war ein Ruhen des Verfahrens bzw. dessen Aussetzung nicht angezeigt. Ungeachtet dessen, dass bereits wegen der Unzulässigkeit des Klagebegehrens in der Sache nicht abschließend über die Wertfestsetzung der AR des Klägers zu befinden war, weist der Senat indes ergänzend darauf hin, dass auch bei einer Sachentscheidung keine Gesichtspunkte erkennbar gewesen wären, die die Grundlage der Entscheidungen des BVerfG zu § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG berührt und deren Überprüfung nahe gelegt hätten. Soweit der Kläger vorträgt, es lägen neue Erkenntnisse über die Einkommenssituation im MfS/AfNS vor, so sind diese rechtlich schlechterdings nicht relevant. Zum einen beziehen sie sich auf Tatsachen, die bereits vor der Entscheidung des BVerfG vom 28. April 1999 vorlagen. Zum anderen hat das BVerfG in dieser Entscheidung mit bindender Wirkung nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ausgeführt, dass es bei der Abgrenzung des von § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit Anlage 6 AAÜG erfassten Personenkreises zur pauschalierenden Einstufung und Bewertung der Tätigkeiten im Bereich des MfS/AfNS im Hinblick auf Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz weder einer Auswertung noch vorhandenen dienstinternen Materials des MfS/AfNS noch sonstiger langwieriger Ermittlungen des Gesetzgebers zur Beschäftigten- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur des beim MfS/AfNS erzielten Pro-Kopf- und Durchschnittseinkommens bedurfte (vgl. BVerfGE 100, 138, 179 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1 S 21; BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 24/03 R -). Auch eine Entscheidung des Senats in der Sache hätte daher nur zur Zurückweisung der Berufung führen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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