L 10 R 5783/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2792/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5783/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1957 geborene Klägerin stammt aus der Türkei. Sie hat keine Berufsausbildung abgeschlossen und war in Deutschland als ungelernte Arbeiterin tätig. Am 27. Mai 1990 verunglückte sie bei einem privaten Verkehrsunfall. Die Beklagte gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 26. November 1990 bis zum 31. Dezember 1994. Eine Weitergewährung wurde abgelehnt, die hiergegen erhobene Klage vom Sozialgericht Mannheim mit Urteil vom 30. September 1999 (S RJ 2152/97) abgewiesen. Nach ihrem Rentenbezug war die Klägerin zunächst arbeitslos gemeldet, später selbstständig tätig - sie betrieb einen Kiosk. Die Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung von 70 als schwerbehinderter Mensch mit dem Merkzeichen G anerkannt.

Den Rentenantrag vom 4. April 2003 wies die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juli 2003 und Widerspruchsbescheid vom 24. September 2003 zurück, da die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Grundlage hierfür war das Gutachten des Orthopäde Dr. R. Er diagnostizierte eine Funktionseinschränkung des oberen und unteren Sprunggelenks bei Sekundärarthrose des oberen Sprunggelenks links sowie eine Arthrose des oberen Sprunggelenks links mit beginnender Mittelfußarthrose, einen knochennarbig ausgeheilten Oberschenkelschaftbruch links mit Funktionseinschränkung der Hüftgelenkbeweglichkeit, einen Folgezustand nach Poliomyelitis des rechten Beines mit Verkürzung und Muskelverschmächtigung sowie diskreter Spitzfußstellung, initiale degenerative Aufbraucherscheinungen der Brust- und Lendenwirbelsäule bei Beinlängendifferenz und hierdurch bedingter Fehlstatik, initiale degenerative Aufbraucherscheinungen beider Hüftgelenke mit endgradiger Bewegungseinschränkung, initiale degenerative Aufbraucherscheinungen der Halswirbelsäule ohne Funktionseinschränkung, initiale degenerative Aufbraucherscheinungen beider Schultergelenke sowie Schultereckgelenke sowie eine ausgeheilte Ellenbogenfraktur links ohne Funktionseinschränkung. Leichte körperliche Tätigkeiten, überwiegend im Sitzen seien, mit einigen qualitativen Einschränkungen, sechs Stunden und mehr täglich möglich.

Die Klägerin hat hiergegen am 2. Oktober 2003 Klage bei dem Sozialgericht Mannheim erhoben. Dieses hat sachverständige Zeugenaussagen bei dem Orthopäden Dr. J. (leichte körperliche Tätigkeiten nur unter sechs Stunden möglich), dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. C. (aufgrund der sehr seltenen Arztbesuche der Klägerin keine sinnvolle Aussage zum Gesundheitszustand möglich), dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Y. (unter halbschichtig) und dem Nervenarzt Dr. K. (drei- bis sechstündiges Leistungsvermögen) eingeholt. Weiterhin sind Gutachten des Orthopäden Dr. Sch., des Nervenarztes Dr. H. , der Nervenärztin Dr. E. und - auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. St. eingeholt worden. Dr. Sch. hat eine weitgehend folgenlos ausgeheilte Rippenserienfraktur links mit Lungenkontusion, ein beginnendes Rotatorenmanschettensyndrom beidseits ohne Funktionseinschränkung, eine ausgeheilte Olekranonfraktur mit Radiusköpfchenluxation links ohne Funktionseinschränkung, einen reizlosen Ellenbogen rechts nach operativer Versorgung einer Epicondylitis ulnaris, einen knöchern ausgeheilten Oberschenkelbruch subtrochantär mit nachfolgender Korrekturosteotomie ohne wesentliche Funktionsbehinderung, eine beginnende Kniegelenksarthrose ohne Funktionsbehinderung oder Reizerscheinungen, eine Muskelverschmächtigung und leichte Verkürzung des rechten Beines mit Streckdefizit des Gelenkes und leichter Spitzfußstellung (wahrscheinlich nach frühkindlicher Poliomyelitis) sowie eine nach Bruch des linken Sprunggelenkes und Sprungbeines verbliebene Spitzfußstellung und weitgehende Beweglichkeitsaufhebung im unteren Sprunggelenk diagnostiziert. Leichte körperliche Tätigkeiten mit Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen seien sechs Stunden und mehr täglich möglich, ohne überwiegende Arbeiten im Stehen, ohne häufiges Bücken oder Verharren in Zwangshaltungen, ohne Arbeit auf unebenen Böden, Leitern und Gerüsten bzw. Nässe und Kälte, ohne regelmäßiges Heben von Lastgewichten über fünf Kilogramm, ohne Akkord- und Fließbandarbeit. Dr. H. hat eine organische emotional labile (asthenische) Störung diagnostiziert. Leichte körperliche Tätigkeiten ohne erhöhtes Umstellungsvermögen und geistige Flexibilität und ohne ständigen Publikumsverkehr seien vier Stunden pro Tag möglich, mit einer 15 bis 20minutigen Pause nach zwei Stunden. Demgegenüber ist Dr. E., die eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine verlängerte depressive Reaktion, Dysthymie, diagnostiziert hat, ein vollschichtiges Leistungsvermögen (8 Stunden) für leichte körperliche Tätigkeiten, überwiegend im Sitzen, etwa Arbeiten an Schreib- und Büromaschinen, auch mit Publikumsverkehr, bejaht. Dr. St. hat einen Zustand nach Polytrauma mit Neuralgie, Thoraxschmerz mit Einschränkung der Atmung bei Interkostalneuralgie links thorakal, eine Arthralgie mit Mobilisationseinschränkung der Hüften, eine Gonarthrose, muskuläre Dysbalance, eine Deformität beider Füße, eine posttraumatische Arthrose im linken Sprunggelenk mit Mobilisierungseinschränkung, eine Gehstörung nach Polytrauma und Poliomyelitis, eine Spitzfußstellung beidseits, eine Hypercholesterinämie, eine Fettleber, ein chronifiziertes Schmerzsyndrom, eine posttraumatische Depression, ein posttraumatisches Angstsyndrom, ein Erschöpfungssyndrom, eine Vertigo mit Sturzneigung, emotionale Verarmung durch Schockerlebnisse, einen Zustand nach Lungenembolie als Folge von Gerinnungsstörungen durch Polytrauma sowie eine Denkleistungsstörung diagnostiziert. Leichte körperliche Arbeiten seien jeweils nur für einen kurzen Zeitraum (unter einer Stunde) möglich.

Mit Urteil vom 19. Oktober 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]) bestehe nicht, da die Klägerin wieder voll noch teilweise erwerbsgemindert sei. Auch bei einer Zusammenschau ihrer Gesundheitsbeeinträchtigungen, die vor allem auf orthopädischem und auf nervenärztlichem Fachgebiet lägen, während aus dem internistischem Fachgebiet keine weitergehenden Einschränkungen hinzu kämen, könne die Klägerin noch leichte körperliche Tätigkeiten sechs Stunden täglich verrichten. Sie könne auch noch einen Arbeitsplatz erreichen und benötige keine betriebsunüblichen Pausen. Diese folge - was ausführlich begründet worden ist - aus den Gutachten von Dr. Sch. und Dr. E., während die Gutachten von Dr. H. und Dr. St. nicht überzeugen würden. Mangels Berufschutz scheide auch die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) aus.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 6. November 2006 zugestellte Urteil am 17. November 2006 Berufung eingelegt. Sie wendet gegen das Gutachten von Dr. E. ein, diese habe sie nur zehn Minuten gesehen, danach habe die Befragung eine Mitarbeiterin (cand. psych. D.) durchgeführt. Auch habe Dr. E. - anders als Dr. H. - keine "BDI-Testung" vorgenommen. Auch Dr. K. sehe, anders als vom Sozialgericht angenommen, kein vollschichtiges Leistungsvermögen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Oktober 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2003 aufzuheben und Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise ein orthopädisches Gutachten bei Dr. Selig, Mannheim, einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, einschließlich der Akten der Verfahren S 8 J 190/93 und S 9 J 2152/97 des Sozialgerichts Mannheim, sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Gewährung einer Rente zu Recht abgelehnt.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil sie zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig ausüben kann und auch keinen besonderen Berufsschutz genießt. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist ergänzend aufzuführen, dass zwar zuzugeben ist, dass die Angaben des behandelnden Nervenarztes Dr. K. zum Leistungsvermögen nicht zwingend in der Weise verstanden werden können, wie es das Sozialgericht getan hat (sechsstündiges Leistungsvermögen; jedenfalls ein solches darunter nur im Hinblick auf eine - nicht nachgewiesene - Polyneuropathie). Einer Nachfrage bei Dr. K. bedarf es insoweit aber nicht, denn vor dem Hintergrund der Ausführungen von Dr. E., der die sachverständige Zeugenaussage von Dr. K. bekannt gewesen ist und auf deren Gutachten sich auch das Sozialgericht maßgeblich gestützt hat und sich auch der Senat stützt, wäre auch dann keine Erwerbsminderung nachgewiesen, wenn man Dr. K. im Sinne der Klägerin verstehen würde.

Soweit sich die Klägerin gegen den Ablauf der Begutachtung bei Dr. E. wendet, übersieht sie, dass der Sachverständige befugt ist, sich Mitarbeitern zu bedienen, soweit diese - wie hier - namhaft gemacht werden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 407a Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung). Dr. E. hat ihrer Mitarbeiterin die persönliche Begegnung und das explorierende Gespräch mit der Klägerin auch nicht vollständig übertragen, was allein nicht mehr zulässig wäre (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 VU 2/03 B in SozR 4-1750 § 407a Nr. 1). Einer "BDI-Testung" (Beck-Depressions-Inventar) durch Dr. E. hat es schon deswegen nicht bedurft, da ja Dr. H. eine solche Testung vorgenommen hat und die Ergebnisse Dr. E. vorgelegen haben.

Die Einholung eines orthopädischen Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. S. wird abgelehnt.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten, des Behinderten, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Einer wiederholten Antragstellung muss jedoch nur gefolgt werden, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Ein besonderer Umstand kann darin liegen, dass es sich bei den Ärzten jeweils um Spezialisten handelt, wobei jeder für sein Sachgebiet Stellung nehmen soll. Sind für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig, kann aber nicht pauschal vorgebracht werden, ein Vertreter der jeweils anderen Facharztgruppen verfüge über eine größere Sachkunde, vielmehr muss im Einzelfall dargetan werden, warum der neue Gutachter in dem konkreten Fall zusätzliche entscheidende Erkenntnisse vorbringen kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 109 Rdnr. 10b).

Hier hat bereits der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. St. ein Gutachten nach § 109 SGG erstattet. Im Zentrum dieses Gutachtens sind die orthopädischen und nervenärztlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin gestanden. Dies mag zwar, wie die Klägerin meint, ein "synoptisches" Gutachten gewesen sein. Das schließt damit aber gerade auch die orthopädischen Befunde und Diagnosen ein. Welche weiteren maßgeblichen Aspekte Dr. S. im Hinblick auf Feststellung und Bewertung der orthopädischen Befunde und Diagnosen gegenüber Dr. St. (der sogar über die Zusatzbezeichnung Sportmedizin verfügt) einbringen könnte, hat die Klägerin nicht dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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