L 23 B 270/06 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 SO 2634/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 270/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1925 in der Ukraine geborene Antragstellerin begehrt - nunmehr - die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Rücknahmebescheid des Antragsgegners vom 02. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2006.

Der Antragstellerin wurde nach Intervention des damaligen Senators für Wissenschaft, Forschung und Kultur, nach der "der Lebensunterhalt für Frau K sichergestellt ist" mit Wirkung ab 20. August 2003 ein zunächst auf drei Monate befristetes Visum für die Bundesrepublik Deutschland erteilt. Die Berliner Ausländerbehörde hatte dem zugestimmt, nachdem der Schwiegersohn der Antragstellerin am 15. Juli 2003 gegenüber der Ausländerbehörde eine schriftliche Erklärung abgegeben hatte, in der er sich dazu verpflichtete, für die Dauer des Aufenthalts der Antragstellerin in der Bundesrepublik Deutschland für die vollen Unterhaltskosten (einschließlich der Versorgung mit Wohnraum, Versorgung im Krankheitsfall, Übernahme eventueller Rückreisekosten) aufzukommen. Im November 2003 wurde der Antragstellerin eine bis zum 14. November 2005 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Über den Verlängerungsantrag vom November 2005, der u. a. von einem SPD-Bundestagsabgeordneten mit dem Hinweis, dass deren Tochter und Schwiegersohn "uneingeschränkt" dazu bereit seien "materiell und vor allem in Bezug auf die Pflege" zu sorgen, unterstützt wird, ist bisher nicht entschieden worden. Der Antragstellerin wurden in der Folge regelmäßig Fiktionsbescheinigungen erteilt, zuletzt befristet bis zum 20. März 2007.

Nach einem Attest der Ärztin für Innere Medizin M K vom 15. November 2005 ist die Klägerin aufgrund diverser Erkrankungen kaum in der Lage sich zu bewegen und nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Sie ist ständig auf die Hilfe ihrer Tochter angewiesen.

Ab 01. Dezember 2003 hatte die Antragstellerin mit ihrem Schwiegersohn einen Untermietvertrag für eine in der O Straße, B, in der ersten Etage gelegene Wohnung abgeschlossen, in der sie bereits seit 30. August 2003 beim Landeseinwohneramt angemeldet war. Diese Wohnung hatten der Schwiegersohn und die Tochter der Antragstellerin ab 01. August 1998 zur Nutzung als Atelierwohnung angemietet. Ausweislich deren Mietvertrag mit der Kunsthofgesellschaft zur K mbH vom 10. November 1998 beträgt die Wohnfläche ca. 92,48 m², hiervon sind 45,34 m² als Atelierfläche ausgewiesen. Die Miete einschließlich Vorauszahlungen für Betriebskosten und Heizkosten war anfangs mit 1001,55 DM (entsprechend 512,08 Euro) vereinbart. Seit 2004 beträgt sie 539,99 Euro, hiervon trägt der Schwiegersohn der Antragstellerin einen monatlichen Anteil von 99,71 Euro. In der Wohnung waren die Tochter und der Schwiegersohn der Antragstellerin bis zum 11. Juli 2004 gemeldet. Seit 28. September 2004 besteht eine Anmeldung der beiden für eine Wohnung in B als Alleinwohnung. Daneben besteht ein Mietverhältnis für eine Wohnung in B, in der sie vom 12. Juli bis 27. September 2004 gemeldet waren und welche der Schwiegersohn der Antragstellerin als Postadresse verwendet. Ebenfalls ab 01. Dezember 2003 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (seit 01. Januar 2005 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)). Leistungen für die Kosten der Unterkunft gewährte er dabei - zuletzt nach Abhilfe eines Widerspruchs - in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen.

Auf ihren Antrag vom 05. Januar 2006 hin gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 29. September 2006 Leistungen der Grundsicherung im Alter für die Zeit vom 01. Januar 2006 bis zum 23. Juni 2006 (Ende der Gültigkeit der am 24. November 2005 erteilten Fiktionsbescheinigung). Die Antragstellerin bat, diese Zahlungen auf das Konto ihrer Tochter zu überweisen, da ihr eigenes Konto aufgelöst sei.

Einem Prüfbericht des Prüf- und Ermittlungsdienstes des Bezirksamts Mitte vom 02. Oktober 2006 ist zu entnehmen, dass sich an der Haustürklingel am Haupteingang zum "K" der Name K, nicht jedoch der Name der Antragstellerin befinde, auch nicht im fünften Aufgang. Im Hausflur befinde sich ein Briefkasten mit den Schriftzügen KK. Trotz offen stehender Fenster habe niemand die Wohnungstür geöffnet. Fenster seien mit weißem Papier oder Stoffbahnen verhängt. Bei einem weiteren - nunmehr angekündigten - Besuch sei man erneut auf niemanden getroffen.

Mit Bescheid vom 02. November 2006 nahm der Antragsgegner daraufhin den Bescheid vom 29. September 2006 unter Berufung auf § 45 Abs. 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurück. Leistungen würden nur an Personen gewährt, die sich tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Bei der Bemessung der Leistungen würden die tatsächlichen Unterkunftskosten berücksichtigt. Es sei nicht bekannt, unter welchen Umständen, seit wann und wo sich die Antragstellerin tatsächlich aufhalte. Zugleich ordnete der Antragsgegner gemäß § 86 a Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die sofortige Vollziehung des Bescheides an, um einem unrechtmäßigen Zufluss von Geldmitteln entgegenzuwirken. Insoweit überwiege das öffentliche Interesse an der Vermeidung nicht zustehender Leistungen das mögliche private Interesse der Antragstellerin, bis zum Eintritt der Rechtskraft des Bescheides Leistungen zu erhalten.

Am 06. November 2006 beantragte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Berlin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 02. November 2006. Sie sei weiterhin in der O Straße wohnhaft. Sie habe zu keiner Zeit falsche Angaben gemacht. Sie habe das 65. Lebensjahr überschritten und habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

Einem dem Sozialgericht durch den Antragsgegner übersandten Prüfbericht des Prüf- und Ermittlungsdienstes des Bezirksamts Mitte von Berlin vom 13. November 2006 ist zu entnehmen, dass am 10. November 2006 ein nochmaliger unangemeldeter Hausbesuch durchgeführt worden war, welcher trotz intensiven Klingelns erfolglos geblieben sei. Bei einem am 13. November 2006 durchgeführten - angekündigten - Hausbesuch habe eine männliche Person, die eine Kamera auf der rechten Schulter getragen habe, geöffnet. Dieser habe sich schließlich als Schwiegersohn der Antragstellerin vorgestellt. In einem Eckzimmer hätten sich zwei Frauen nebeneinander auf dem Bett sitzend befunden und hätten geweint. Die Identität der älteren Frau hätte nicht festgestellt werden können. Sie sei von der Prüferin mit den Worten angesprochen worden: "Frau K, können Sie mich verstehen?". Daraufhin habe sie prompt und verneinend mit der rechten Hand reagiert. Die Wohnung scheine bewohnt zu sein. Es sei jedoch nicht feststellbar, wer sie nutze. Sie erscheine zur Pflege einer behinderten oder zum Wohnen einer älteren Person ungeeignet.

Die Antragstellerin ist zur öffentlichen Sitzung des Sozialgerichts am 20. November 2006 nicht erschienen und hat sich durch ihre Prozessbevollmächtigten entschuldigen lassen: "Sie sei wegen einer depressiven Verstimmung nicht erschienen".

Mit Beschluss vom 28. November 2006 hat das Sozialgericht den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 02. November 2006 abgelehnt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei unter Benennung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung, hier die Verhinderung eines unrechtmäßigen Zuflusses von Geldmitteln, formal korrekt angeordnet worden. Die Interessenabwägung ergebe unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache keine Notwendigkeit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Die Erfolgsaussicht in der Hauptsache sei nämlich äußerst gering. Das Ermittlungsergebnis lasse in Verbindung mit der Tatsache, dass ein Wohnungswechsel nicht vorgetragen sei, den Schluss zu, dass die Antragstellerin auch im streitbefangenen Zeitraum nicht in der Wohnung in der O Straße gelebt habe. Mangels anderer angegebener Anschriften innerhalb des Landes B könne ein Aufenthalt der Antragstellerin zum streitgegenständlichen Zeitraum im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners nicht unterstellt werden. Die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung erweise sich danach als rechtswidrig. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin am Bestand des Bescheides bestehe nicht, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Das ihr eingeräumte Ermessen habe der Antragsgegner ausgeübt, insbesondere habe er zu erkennen gegeben, dass er keine gebundene Entscheidung haben treffen wollen und die konkreten Belange der Antragstellerin in angemessener Weise berücksichtigt habe.

Gegen diesen, den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 01. Dezember 2006 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 18. Dezember 2006 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Den Prüfberichten könne nicht entnommen werden, dass die Antragstellerin die Wohnung in der O Straße nicht bewohnt habe. Die Fortbewegungsfreiheit der Antragstellerin sei zwar altersbedingt eingeschränkt, jedoch sei sie durchaus in der Lage, ihre Wohnung im ersten Stock zu erreichen. Im Rahmen des § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGG trage der Antragsgegner die Beweislast, dass die Antragstellerin im streitigen Zeitraum nicht in der Wohnung gewohnt habe.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2006 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 29. September 2006 zurück: Sie habe ihre Hilfebedürftigkeit im streitigen Zeitraum nicht nachgewiesen.

Unter dem 11. Januar 2007 ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2006 an und begründete dies damit, einem unrechtmäßigen Zufluss von Leistungen der Grundsicherung entgegenzuwirken. Unter Berücksichtigung der Prüfberichte sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin mindestens seit dem 01. Januar 2006 die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr erfülle. Weder sei glaubhaft gemacht, dass sie sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Landes Berlin aufhalte, noch dass sie überhaupt hilfebedürftig sei.

Die Antragstellerin, die Mitteilungen verschiedener Ärzte aus dem September bzw. Dezember 2006 vorgelegt hat, in denen jeweils als Wohnung der Patientin "O Straße " angegeben ist, hat am 22. Januar 2007 Klage gegen den Bescheid vom 02. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Dezember 2006 erhoben (SG Berlin, S 2 SO 306/07).

Zum Verfahren beigezogen sind die Verwaltungsakten des Antragsgegners sowie die Verwaltungsvorgänge der Ausländerbehörde, die Antragstellerin betreffend, die Akten der Verfahren L 15 B 262/06 SO ER des LSG Berlin-Brandenburg sowie S 2 SO 306/07 des SG Berlin.

II.

Die zulässige Beschwerde, die nach Erlass des Widerspruchsbescheides und Erhebung der dagegen gerichteten Klage auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtet ist, ist unbegründet. Die von der Antragstellerin mit ihrer Beschwerde dargelegten Gründe lassen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht zu.

Gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid des Antragsgegners vom 02. November 2006 bestehen keine Bedenken. Der Antragsteller hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet. Die Begründung ist zwar kurz, wenn sich - wie hier - die Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung aus den Umständen des Falls ergeben, kann sich die Behörde allerdings kurz fassen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 17. Oktober 1981, NVwZ 1982, S. 455).

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin besteht auch ein öffentliches Interesse im Sinne des § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides. Grundsätzlich ist dafür ein über das Interesse am Erlass des Verwaltungsaktes hinausgehendes besonderes "Vollzugsinteresse" erforderlich. Es müssen besondere Gründe dafür sprechen, dass der Verwaltungsakt schon jetzt und nicht erst nach Eintritt der Bestandskraft vollzogen wird (BVerfG in NVwZ 1996, 58/59 m. w. N.). Ausnahmsweise ist ein besonderes Vollzugsinteresse aber entbehrlich, wenn der mit dem Verwaltungsakt angestrebte Gesetzeszweck ohne die Vollziehungsanordnung nicht erreicht werden kann (vgl. BayVGH vom 09. Dezember 2003, Aktenzeichen 12 CS 03.2471).

Ob die Voraussetzungen für die Entbehrlichkeit eines besonderen Vollzugsinteresses hier gegeben sind, kann letztlich dahinstehen, da ein besonderes Vollzugsinteresse im vorliegenden Fall gegeben ist. Die aufschiebende Wirkung des § 86 a SGG soll gemäß der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes Tatsachen geschaffen werden, die, wenn sich der Verwaltungsakt bei gerichtlicher Überprüfung - im Hauptsacheverfahren - als rechtswidrig erweist, nur schwer rückgängig gemacht werden können. Sie ist andererseits kein Selbstzweck und soll einen im öffentlichen Interesse liegenden Vollzug nicht hindern. Das Gericht hat deshalb eigenständig zu prüfen, ob nach seiner Beurteilung aller Umstände, und zwar auch solcher, die die Behörde nicht berücksichtigen konnte oder durfte, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes in der Hauptsache oder aus anderen Gründen wiederherzustellen ist (Finkelnburg/Janck, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rz. 856). Ergibt die gerichtliche Abwägung, dass es im Einzelfall zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes oder zur Wahrung sonstiger verfassungsrechtlich geschützter Rechtsposition der aufschiebenden Wirkung nicht bedarf, ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, ein vorhandenes öffentliches Interesse an dem Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum Eintritt seiner Bestandskraft zurücktreten zu lassen (Finkelnburg/Janck a. a. O.). So liegt der Fall hier. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens erweist sich bei summarischer Beurteilung weder als offensichtlich Erfolg versprechend noch als offensichtlich aussichtslos; bei der danach erforderlichen Abwägung der Interessen haben solche der Antragstellerin zurückzutreten.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 45 Abs. 2 SGB X. Es spricht einiges dafür, dass der Bescheid diesen Anforderungen gerecht wird. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass der Verwaltungsakt vom 29. September 2006 über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für die Zeit von Januar bis Juni 2006 rechtswidrig war. Der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach § 41 SGB XII setzt u. a. den "gewöhnlichen Aufenthalt im Inland" voraus. Dieser ist im streitigen Zeitraum völlig offen. Diese Anspruchsvoraussetzung wird durch die Regelung des § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nicht ersetzt; dadurch wird lediglich die örtliche Zuständigkeit im Verwaltungsverfahren in bestimmten Situationen geregelt.

Hinweise auf einen Aufenthalt der Antragstellerin im streitigen Zeitraum in der Wohnung in der O Straße lassen sich den Akten nicht entnehmen. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen beziehen sich auf spätere Zeiträume. Obwohl nunmehr vorgetragen wird, dass die Antragstellerin zwar altersbedingt eingeschränkt, jedoch durchaus in der Lage sei, ihre Wohnung zu erreichen, befindet sich in den Verwaltungsakten doch ein Attest, dass dieses auszuschließen scheint. Es erscheint deshalb mehr als zweifelhaft, dass sich die Antragstellerin in den Räumen in der O Straße im streitigen Zeitraum aufgehalten hat, vielmehr spricht vieles dafür, dass sie sich an einem Ort befunden hat, der zur Pflege einer Person, die "sich kaum bewegen kann" und nicht mehr in der Lage ist, "sich selbst zu versorgen", geeignet war. Wo sich dieser befand, ist völlig offen und wird ggf. im Hauptsacheverfahren aufzuklären sein. Sollte dieser Ort trotz Ermittlungen offen bleiben, ist trotz grundsätzlicher Beweislast des Antragsgegners im Rahmen des § 45 SGB X zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bisher jegliche Aufklärungsbemühungen seitens des Antragsgegners erschwert hat.

Mit dem Sozialgericht spricht auch einiges dafür, dass aus den vorgenannten Gründen und der Nichtaufklärung durch die Antragstellerin ein schutzwürdiges Vertrauen i. S. v. § 45 Abs. 2 SGB X nicht gegeben sein dürfte.

Beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X steht die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit im Ermessen der Behörde. Ein Ermessensfehler des Antragsgegners, der die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zugunsten der Antragstellerin begründen könnte, lässt sich im vorliegenden Fall bisher nicht feststellen. So lässt sich zum einen im Bescheid vom 02. November 2006 eine Ermessensausübung noch erkennen, zum anderen wird man hier einen Fall des so genannten "intendierten Ermessens" annehmen müssen (vgl. BVerwG vom 16. Juni 1997, BVerwGE 105, 55). Gerade bei Leistungen im Bereich der Sozialhilfe, die aufgrund eines rechtswidrigen Bescheides zu erbringen wären, ergibt sich regelmäßig ein Interesse des Trägers der Leistungen, diese nicht zu erbringen, da solche Leistungen ansonsten in der Regel nicht zurückerlangt werden könnten.

Bei dem danach gegebenen - zumindest - offenen Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache bedarf es einer Abwägung aller wechselseitigen Interessen, um zu ermitteln, wessen Interesse für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt (Finkelnburg/Janck, a. a. O., Rz. 864). Der Rechtsschutzanspruch des Antragsgegners ist umso stärker und darf umso weniger zurücktreten, je gewichtiger die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr der Vollzug des Verwaltungsaktes Unabänderliches bewirkt (Finkelnburg/Janck, a. a. O.).

Der Rechtsschutzanspruch der Antragstellerin ist demgegenüber derzeit als gering einzuschätzen. Mit Ablauf des Zeitraums, für den Leistungen begehrt werden, besteht ein konkretes gegenwärtiges Interesse an der vorläufigen Gewährung der Leistungen nicht. Aufgrund des Beschlusses des 15. Senates dieses Gerichts (L 15 B 262/05 SO ER) vom 18. Januar 2007 erhält die Antragstellerin seit dem 01. September 2006 Regelleistungen in Höhe von 276 Euro für den vollen Kalendermonat. Eine ggf. in den Monaten Januar bis Juni 2006 gegebene Notlage hat die Antragstellerin überstanden. Als konkrete, gegenwartsbezogene Notlagenhilfe kommt die Gewährung der Grundsicherung für diesen Zeitraum mithin ohnehin nicht mehr in Betracht. Der Antragstellerin ist es zuzumuten, das Hauptsacheverfahren abzuwarten, in dem abschließend geklärt werden kann, ob die Aufhebung der Leistungsbe-willigung zu Recht erfolgt ist und in dem dann auch zu klären sein wird, inwieweit das Strukturprinzip der Sozialhilfe, zu der auch die Grundsicherungsleistung gehört, dass Hilfe für die Vergangenheit regelmäßig nicht begehrt werden kann, auch in diesem Falle der bereits erfolgten Bewilligung von Leistungen, durchgreift. Sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die Antragstellerin im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt tatsächlich im Inland gehabt haben sollte, wird weiter zu prüfen sein, inwieweit tatsächlich erbrachte Unterhaltsleistungen den Anspruch im streitigen Zeitraum ausgeschlossen haben. Solche Unterhaltsleistungen sind als Einkommen anzurechnen (Wahrendorf in Grube/ Wahrendorf, SGB XII, § 43 Rz. 9).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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