L 12 AL 5493/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AL 193/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 5493/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.09.2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen verspäteter Meldung bei der Beklagten im Streit.

Der 1945 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.04.1991 bis zum 30.11.2004 als Assistent im Auftragsmanagement der Firma D.T. I. in S. beschäftigt. Am 22.04.2004 schloss der Kläger, vertreten durch seinen auch im vorliegenden Verfahren Bevollmächtigten, mit seinem Arbeitsgeber eine Aufhebungsvereinbarung. Hierdurch ist das Arbeitsverhältnis unter Beachtung der ordentlichen Kündigungsfrist im gegenseitigen Einvernehmen mit Wirkung zum 30.11.2004 aufgehoben worden. In der Vereinbarung ist kein Hinweis auf die Erforderlichkeit einer rechtzeitigen Arbeitslosmeldung bei der Beklagten enthalten. Der an dem Abschluss des Aufhebungsvertrages beteiligte Landewohlfahrtsverband W.-H. teilte der Beklagten am 29.04.2004 mit, dass eine mündliche Verhandlung nach § 88 Abs. 1 SGB IX stattgefunden habe und hierbei festgestellt worden sei, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr habe weiterbeschäftigt werden können. Auch habe eine Umsetzungsmöglichkeit im Unternehmen nicht bestanden. Sofern eine Entscheidung notwendig geworden wäre, hätte das Integrationsamt daher der ordentlichen Kündigung seine Zustimmung erteilt. Das Schreiben schließt mit der Bitte an die Beklagte, das Schreiben an ihre Leistungsabteilung weiterzuleiten.

Der Kläger meldete sich erst am 24.06.2004 bei der Beklagten arbeitslos. Mit Schreiben vom 30.11.2004 stellte die Beklagten fest, das der Kläger sich entgegen der Vorschriften in § 37 b, § 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet habe. Ein Arbeitslosmeldung sei spätestens am 23.04.2004 erforderlich gewesen. Die Meldung sei um 62 Tage verspätet, weswegen nach § 140 SGB III eine Minderung des Leistungsanspruchs um 35,00 EUR für die Dauer von 30 Tagen erfolge. Der Minderungsbetrag werde auf die laufende Leistung angerechnet.

Anschließend bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 01.12.2004 entsprechend gemindertes Arbeitslosengeld.

Der Kläger erhob am 20.12.2004 Widerspruch über seinen Bevollmächtigten, der mit dem Widerspruch erstmalig für den Kläger gegenüber der Beklagten tätig geworden ist. Die insoweit vorgelegte Vollmachtserteilung datiert vom 17.01.2005. Der Kläger ließ mit seinem Widerspruch vortragen, er sei zum damaligen Zeitpunkt gesundheitlich stark eingeschränkt gewesen. Bei seiner ersten Vorsprache im Juni 2004 habe man ihm bedeutet, dass er viel zu früh erschienen sei, da sein Arbeitsverhältnis noch bis zum 30.11.2004 fortbestehe. Daraufhin habe er sich erst am 21.09.2004 erneut bei der Beklagten gemeldet. Lege man zudem den exakten Wortlaut des § 37 b SGB III zugrunde, habe er aufgrund der langen Beendigungsfrist davon ausgehen können, sich höchstens drei Monate vor dem Ende der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses melden zu müssen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2005 als unbegründet zurück. Auch dem Wortlaut des § 37 b SGB III lasse sich entnehmen, dass der Kläger sich um 62 Tage zu spät arbeitsuchend gemeldet habe.

Der Kläger hat deswegen am 21.01.2005 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Da ihm noch im Juni 2004 gesagt worden sei, er sei zu früh bei der Beklagten erschienen, könne ihm insoweit nicht der Vorwurf der verspäteten Arbeitsuchendmeldung gemacht werden. Aufgrund der Formulierung in § 37 b Satz 2 SGB III sei außerdem davon auszugehen, dass die Arbeitslosmeldung frühestens drei Monate vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen müsse. Dies sei insbesondere im Falle des Klägers zutreffend, da dieser aufgrund seiner Erkrankungen besondere Vermittlungsschwierigkeiten aufgewiesen habe. Schließlich sei der Kläger auch nicht auf seine Meldepflicht hingewiesen worden.

Der Kläger legte in der Folge ärztliche Bescheinigungen über seine Erkrankungen vor. Das SG hörte den Hausarzt Dr. M. als sachverständigen Zeugen an, der seine Aussage am 09.06.2005 angefertigt hat. Dr. M. gab insbesondere an, dass aus seinen Unterlagen keine Einschränkungen hervorgingen, die eine Vorstellung bei der Beklagten unmöglich gemacht hätten.

Die Beklagte trat den Ausführungen des Klägers entgegen und vertrat zusätzlich im Klageverfahren die Auffassung, dass dem Kläger das Wissen seines Anwalts über die unverzügliche Meldepflicht bereits beim Abschluss des Aufhebungsvertrages zuzurechnen sei, und verweist hierzu auf eine entsprechende Anwendung des § 278 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 18.08.2005 - B 7a AL 4/05 R - zu § 140 SGB III).

Das SG hat mit Urteil vom 18.09.2006 die Bescheide der Beklagten vom 30.11.2004 und vom 01.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2005 dahingehend abgeändert, dass dem Kläger Arbeitslosengeld ohne Abzug eines Minderungsbetrages zu gewähren sei. Dies hat das SG damit begründet, dass der Kläger sich zwar objektiv erst verspätet bei der Beklagten arbeitsuchend gemeldet habe, er jedoch nicht zumindest fahrlässig in Unkenntnis über die Obliegenheit der frühzeitigen Arbeitssuchenmeldung gewesen sei. Die beim Kläger vorliegende unverschuldete Unkenntnis dieser Obliegenheit zur frühzeitigen Meldung schließe eine Minderung des Arbeitslosengeldes aus. Die Unkenntnis über die Obliegenheit sei bei Anwendung eines subjektiven Maßstabes daraufhin zu prüfen, ob der Leistungsempfänger zumindest fahrlässig in der Unkenntnis gewesen sei (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R -). Ein Verstoß gegen die Obliegenheit, sich arbeitsuchend zu melden, sei nur dann zu verneinen, wenn der Arbeitslose unter Berücksichtigung seiner individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten ohne schuldhaftes Zögern gehandelt habe (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 50/05 R -). Der Kläger habe jedoch weder im Rahmen der Verhandlung seines Aufhebungsvertrages, noch in dem Aufhebungsvertrages selbst, und auch nicht aus einem Merkblatt im streitgegenständlichen Zeitraum einen entsprechenden Hinweis erhalten, was zwischen den Beteiligten unstreitig sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei zu Lasten des Klägers auch keine Wissenszurechnung des Bevollmächtigten entsprechend § 278 BGB vorzunehmen. Zwar sei die Vorschrift im Sozialrecht entsprechend anzuwenden, jedoch sei hierfür eine konkrete, sozialrechtliche Bevollmächtigung erforderlich. Ein eventuelles Fehlverhalten eines nicht in diesem Sinne konkret bevollmächtigten Rechtsanwaltes - wie vorliegend - könne dem Kläger hingegen nicht zugerechnet werden. Denn der zum damaligen Zeitpunkt für den Aufhebungsvertrag eingesetzte Bevollmächtigte des Klägers sei kein Erfüllungsgehilfe des Klägers im Sinne von § 278 BGB im Hinblick auf etwaige sozialrechtliche Verhältnisse des Klägers gewesen.

Im Übrigen habe das Bundessozialgericht auch in dem von der Beklagten benannten Urteil vom 18.08.2005 (B 7a AL 4/05 R) eine Zurechnung von Verschulden nach § 278 BGB in einem vergleichbaren Fall verneint. Insofern könne offen bleiben, inwiefern eine Minderung des Arbeitslosengeldes auch deswegen ausscheiden müsse, weil die Beklagte über den Landeswohlfahrtsverband bereits mit Schreiben vom 29.04.2004 über den Aufhebungsvertrag informiert worden ist. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 13.10.2006 zugestellt.

Die Beklagte hat am 02.11.2006 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG stelle die Nichtinformation des Klägers über die bestehende Meldepflicht ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten dar, welches dem Kläger nach § 278 BGB zuzurechnen sei (unter Berufung auf SG Reutlingen, Urteil vom 27.09.2006 - S 4 AL 708/04 -). Denn maßgeblich sei, dass ein Rechtsanwalt nach gesetzlicher Rechtsprechung im Rahmen des ihm erteilten Auftrages verpflichtet sei, den Auftraggeber allgemein, umfassend und möglichst erschöpfend zu belehren und seine Belange nach jeder Richtung so wahrzunehmen, dass Nachteile für ihn vermieden würden (unter Berufung auf BGHZ 89, 178, 181ff.; 97, 372, 376). Ein Rechtsanwalt, der mit der Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses betraut sei, werde in der Regel auch die Folgen der Arbeitslosigkeit und damit des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zu bedenken haben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.09.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 SGG.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden und ausführlichen Entscheidungsgründe in dem angegriffenen Urteil des SG Bezug genommen, denen der Senat sich ausdrücklich anschließt.

Danach kann offen gelassen werden, inwiefern die ursprüngliche Fassung der Sätze 1 und 2 von § 37 SGB III in der Fassung der Vorschrift bis zum 30.12.2005 einen Wertungswiderspruch enthielt, der eine Pflichtverletzung des Klägers vorliegend ausschließt. Auf diese Frage kommt es nicht mehr an, da nach der zutreffenden Auffassung aller Beteiligten ein Fehlverhalten des Klägers mangels Kenntnis und Kennenmüssens seiner Pflicht zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung ausscheidet (vgl. BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R -) und das SG es vorliegend auch zutreffend abgelehnt hat, eine Zurechnung eines etwaigen Fehlverhaltens seines Bevollmächtigten entsprechend § 278 BGB vorzunehmen.

Nach § 278 Satz 1 BGB hat der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden.

Zwar gilt § 278 BGB auch im Sozialrecht (BSGE 28, 258, 259 ff. = SozR Nr 24 zu § 47 VerwVG); jedoch würde seine Anwendung wie auch eine Zurechnung des Wissens gemäß § 164 BGB bereits eine "konkrete Bevollmächtigung" voraussetzen. Für eine analoge Anwendung der §§ 164 , 278 BGB ist mangels Gesetzeslücke kein Raum (BSG, Urteil vom 18.08.2005 - B 7a AL 4/05 R -).

Eine "konkrete Bevollmächtigung" kann nur bedeuten, dass eine Vollmacht zum Tätigwerden in einer bestimmten Angelegenheit erteilt worden ist. Die Vollmacht zum Tätigwerden gegenüber der Beklagten ist jedoch erst am 17.1.2005 erteilt worden (vgl. Bl. 55 der Verwaltungsakte); einer Vollmacht wie derjenigen vom 17.1.2005 "in Sachen Rademann./. Agentur für Arbeit RT II" hätte es nicht bedurft, wenn eine solche Vollmacht schon zuvor bestanden hätte. Dass der Bevollmächtigte aus dem Anwaltsvertrag umfassend zur Wahrung der Interessen seines Mandanten verpflichtet ist (vgl. die Zitate in dem Schriftsatz der Beklagten vom 06.12.2006), vermag hieran nichts zu ändern, weil sonst irgendeine Bevollmächtigung ausgereicht hätte, in der der betreffende Anwalt Kenntnis von dem vorliegenden Sachverhalt erlangt hätte. Wenn das BSG insofern zu Recht ein konkrete Bevollmächtigung für eine Zurechnung nach den §§ 164, 278 BGB verlangt, kann dies nicht dadurch umgangen werden, dass auf die umfassenden Beratungspflichten des Rechtsanwalts verwiesen wird (so aber das SG Reutlingen in seiner Entscheidung vom 27.09.2006 - S 4 AL 708/04 -, auf welche sich die Beklagte beruft).

Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass eine gewisse sachliche Nähe zwischen der Beratung über die Aufhebungsvereinbarung und die Pflichten eines Arbeitslosen bestand. Das Kriterium der konkreten Bevollmächtigung ist jedoch enger, denn eine sozialrechtliche Vollmacht liegt erst seit dem 17.01.2005 vor.

Die Berufung der Beklagten konnte daher keinen Erfolg haben. Wollte man im Sinne der Beklagten eine weitergehende Zurechnung vornehmen, müsste die Beklagte sich zudem auch fragen lassen, warum sie nicht auf das Schreiben des Landewohlfahrtsverbands W.-H. vom 29.04.2004 eingegangen ist. Schließlich wird die Beklagte in diesem Schreiben auf den drohenden Eintritt der Arbeitslosigkeit ausdrücklich hingewiesen. Der in dem Schreiben zusätzlich enthaltene Hinweis, das Schreiben möge an die Leistungsabteilung weitergeleitet werden, bedeutete jedenfalls auch, dass der geschilderte Vorfall leistungsrechtliche Relevanz haben könne. Da aus dem Schreiben auch nicht ersichtlich ist, dass der Kläger bei der Aufhebungsvereinbarung anwaltlich vertreten war, musste die Beklagte davon ausgehen, dass hier - beim gleichzeitigen Ausbleiben einer Arbeitsuchendmeldung - Unklarheit über die Meldepflicht bestand. Dies galt erst recht, da der Kläger aufgrund der mitgeteilten gesundheitlichen Probleme Vermittlungshindernisse aufwies und deshalb nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden konnte, die ausbleibende Meldung des Klägers finde ihre Erklärung darin, dass dieser ein Anschlussarbeitsverhältnis gefunden habe. Für diese Vermutung bestand auch deswegen kein Anlass, weil die Meldepflicht sofort eintrat und in der Stellungnahme des Landewohlfahrtsverbands W.-H. nicht die Rede von der Möglichkeit einer Anschlussbeschäftigung ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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