L 10 R 1732/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 2108/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1732/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.03.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Umstritten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1945 in der Türkei geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1971 war er u. a. als Bauarbeiter, Maschinenarbeiter, Textilarbeiter und zuletzt bis 1998 als Arbeiter in einer Spinnerei versicherungspflichtig beschäftigt. Seither ist der Kläger arbeitslos bzw. arbeitsunfähig krank.

Nachdem die Beklagte die Anträge des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit aus den Jahren 1997 und 1998 abgelehnt hatte, lehnte diese den dritten Rentenantrag des Klägers vom 26.07.1999 mit Bescheid vom 15.12.1999/Widerspruchsbescheid vom 30.03.2000 erneut ab. Die dagegen zum Sozialgericht Stuttgart erhobene Klage (S 17 RJ 2591/00) nahm der Kläger nach Einholung von Gutachten bei dem Neurologen Priv.-Doz. Dr. R., dem Orthopäden Dr. Schw., dem Internisten Dr. L. und dem Internisten B. am 31.01.2002 zurück.

Am 08.08.2002 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte das Gutachten des Internisten Dr. S. vom 09.10.2002 ein. Dieser diagnostizierte ein hyperreagibles Bronchialsystem mit Neigung zur chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (derzeit keine nennenswerte Einschränkung der Lungenfunktion), eine insulinpflichtige schlecht eingestellte Blutzuckerkrankheit (bislang noch ohne sichere Hinweise auf relevante Folgekomplikationen), einen therapiebedürftigen Bluthochdruck, Übergewicht, eine angegebene Schwindelneigung ohne richtungsweisenden pathologischen Befund (kein sicherer Hinweis auf hirnorganisches Psychosyndrom). Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Schichtarbeit, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Absturzgefahr sechs Stunden und mehr verrichten. Mit Bescheid vom 30.10.2002/Widerspruchsbescheid vom 28.03.2003 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Dagegen hat der Kläger am 28.04.2003 Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben und das Attest des Orthopäden Dr. T. vorgelegt, der wegen bestehender Multimorbidität nur noch eine Tätigkeit von unter drei Stunden täglich für zumutbar hielt. Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. hat mitgeteilt, er habe den Kläger zuletzt am 09.04.2002 untersucht. Der neurologische Befund sei normal gewesen. Der Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. K. hat angegeben, der Kläger sei ihm seit Januar 1988 bekannt und er habe ihn im Jahr 2003 bereits zweimal untersucht. Der Gesundheitszustand sei gegenüber dem Jahr 2000 im Wesentlichen unverändert. Er stimme hinsichtlich der Befunde und der Beurteilung der Leistungsfähigkeit mit dem Gutachten von Dr. S. überein. Der Facharzt für Allgemeinmedizin U. hat berichtet, der Kläger könne nur noch sehr leichte Tätigkeiten acht Stunden täglich ausüben, mehr als vier Stunden könnten ihm nicht zugemutet werden, wenn die Arbeit mit körperlichem oder geistigem Einsatz einhergehe. Der Gesundheitszustand des Klägers sei im Vergleich zum Jahr 2000 gleich geblieben.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht das Gutachten des Internisten Dr. Sp. vom 01.06.2004 eingeholt. Er hat einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus, eine distal betonte Polyneuropathie, einen arteriellen Hyertonus, eine chronische obstruktive Bronchitis bei hyperreagiblem Bronchialsystem und Nikotinabusus, ein chronisches Schmerzsyndrom im Bereich der Lendenwirbelsäule, der Hüft- und Kniegelenke sowie im Bereich der Ober- und Unterschenkelmuskulatur beidseits als auch eine Adipositas II. Grades diagnostiziert. Er hat zusammenfassend ausgeführt, der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten ohne einseitige Körperhaltung, ohne Knien und häufiges Bücken, ohne Akkord- oder Fließbandarbeiten, ohne Wechselschicht- oder Nachtschicht und ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten mindestens sechs Stunden täglich verrichten.

Mit Urteil vom 18.03.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, da er zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich ausüben könne. Dies ergebe sich aus den im Verfahren S 17 RJ 2591/00 eingeholten Gutachten von Dr. R. , Dr. Schw. , Dr. L. und Dr. B. sowie aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. S., den Aussagen der behandelnden Ärzte und dem auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachten von Dr. Sp ... Die Gutachten aus dem Jahr 2001 seien nicht überholt, da der behandelnde Hausarzt U. ausdrücklich geäußert habe, dass nach seiner Einschätzung der Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zum Jahr 2000 gleich geblieben sei. Auch die auf orthopädischem Gebiet liegenden Gesundheitsstörungen seien - wie im Vorgutachten von Dr. Schw. beschrieben - nur mäßig ausgeprägt. Dies habe auch Dr. Sp. in seinem Gutachten bestätigt. Soweit der behandelnde Orthopäde Dr. T. ein unter dreistündiges Leistungsvermögen angebe, würden keine gravierend abweichenden Befunde mitgeteilt. Soweit der Kläger wegen des Diabetes mellitus in der Mittagspause eine Kontrolle des Blutzuckers vornehmen und zwischen der Insulininjektion und dem Mittagessen einen 20-minütigen Zeitabstand einhalten müsse, sei dies im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit ohne weiteres möglich. Auch aus dem von Dr. R. festgestellten leichten hirnorganischen Psychosyndrom ergeben sich keine weitergehenden Einschränkungen. Dieser habe damals eine vollschichtige Tätigkeit für möglich gehalten und Dr. S. sei der Kläger im Rahmen der Begutachtung psychisch unauffällig erschienen. Das gelte auch für die Untersuchung durch Dr. Sp. im April 2004 der unter Alltagsbedingungen keine besondere Relevanz des hirnorganischen Psychosyndroms habe feststellen können. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Grund des Vorliegens von Berufsunfähigkeit. Denn auch wenn er die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Spinnerei gesundheitlich nicht mehr durchführen könne, so könne er als ungelernter Arbeiter nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden.

Gegen das nach Angaben des Klägers am 29.03.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.04.2005 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, sein behandelnder Hausarzt U. halte an seiner bisherigen Auffassung nicht mehr fest und sei jetzt wie Dr. T. der Auffassung, dass er nicht mehr vier Stunden täglich arbeiten könne. Im Übrigen sei sein Grad der Behinderung (GdB) in seinem Schwerbehindertenausweis inzwischen von 50 auf 70 heraufgesetzt worden. Er hat die Bescheinigung des Allgemeinmediziners U. vom 10.05.2005 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.03.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den Allgemeinmediziner U. unter dem 07.08.2005 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Er hat berichtet, der Kläger leide seit Jahren an einer chronisch-obstruktiven Bronchitis bei langjährigem Nikotinabusus, an einer ungeklärten Atopie mit generalisiertem Juckreiz, arterieller Hypertonie, einem chronischen Lumbalsyndrom, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit Polyneuropathie und hirnorganischem Psychosyndrom mit ausgeprägter Vergesslichkeit. Er könne täglich nur noch unter drei Stunden sehr leichte anspruchslose Tätigkeiten verrichten. Wesentliche Änderungen im Gesundheitszustand des Klägers seit Oktober 2003 lägen nicht vor. Er hat zahlreiche ärztliche Unterlagen beigefügt. Der Senat hat außerdem die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. unter dem 23.05.2006 schriftlich als sachverständige Zeugin gehört. Sie hat angegeben, beim Kläger sei eine mäßiggradige depressive Symptomatik neu aufgetreten, mit deren Behandlung sie jetzt begonnen habe. Auf Grund der bisher erhobenen Befunde gehe sie von einer leichten kognitiven Störung aus, die sich durchaus auf das quantitative Leistungsvermögen auswirken könne. Sie hat einen Arztbrief beigefügt.

Der Senat hat in der M. Clinic in T. Behandlungsunterlagen über ambulante Untersuchungen des Klägers vom 27.02., 17.03. und 31.03.2006 eingeholt.

Die Beklagte hat die Stellungnahme der Leiterin der Abteilung Sozialmedizin Dr. K. vom 22.08.2005 sowie die Stellungnahme der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. P. vom 27.07.2006 vorgelegt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente - hier die §§ 43, 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil er zumindest leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen noch in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann und auch keinen besonderen Berufsschutz genießt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren und die vom Senat durchgeführten Ermittlungen auszuführen: Es ist zwar richtig, dass der Facharzt für Allgemeinmedizin U. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 07.08.2005 lediglich noch eine sehr leichte Tätigkeit unter drei Stunden täglich für den Kläger für zumutbar hält. Dies ist für den Senat jedoch nicht überzeugend, weil der Allgemeinmediziner U. gleichzeitig mitgeteilt hat, eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands des Klägers habe er seit Oktober 2003 nicht feststellen können und er gegenüber dem Sozialgericht in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 26.10.2003 angegeben hat, dem Kläger sei noch eine achtstündige stressfreie Arbeit ohne körperliche Anstrengung mit gewissen qualitativen Einschränkungen zuzumuten. Im Übrigen hat der Allgemeinmediziner U. in der sachverständigen Zeugenaussage vom 07.08.2005 keine Diagnosen mitgeteilt, die nicht bereits Dr. Sp. in seinem Gutachten vom 01.06.2004 berücksichtigt hatte. Auch den von ihm beigefügten ärztlichen Unterlagen sind keine weiteren schwerwiegenden Befunde zu entnehmen. So hat Dr. Sp. im Arztbrief vom 26.10.2004 keinen Hinweis für eine von den Abdominalorganen primär ausgehende Beschwerdeursache gefunden. Der Chirurg L. hat unter dem 07.04.2005 lediglich über eine Bursitis olecrani links berichtet und der Arzt für Augenheilkunde N. hat am 10.05.2005 keinerlei Zeichen einer Retinopathia diabetica gefunden. Im Arztbrief der Röntgenabteilung des Kreiskrankenhauses N. vom 27.10.2004 wird nach Erstellung einer Thoraxaufnahme angegeben, es ergebe sich kein Anhalt für Fraktur, Erguss oder Pneu. Auch der Orthopäde Dr. M. hat unter dem 09.02.2005 lediglich von einem chronischen Lumbalsyndrom ohne neurologischem Defizit und einer diabetischen Polyneuropathie berichtet. Dies gilt auch für den Befundbericht von Dr. G. (ohne genaues Datum) der eine diabetische Polyneuropathie diagnostiziert hat. Das Attest des Dr. T. vom 19.05.2005, wonach dem Kläger wegen bestehender LWS- und Hüftbeschwerden und eingeschränkter Gehstrecke auf 300 Meter lediglich Tätigkeiten unter drei Stunden täglich zumutbar seien, ist für den Senat in Anbetracht der am 08.02.2005 von dem Orthopäden Dr. M. durchgeführten Untersuchung (chronisches Lumbalsyndrom ohne lumbales neurologisches Defizit und diabetische Polyneuropathie) nicht überzeugend. Auch die von Dr. G. unter dem 23.05.2006 berichtete leichte kognitive Störung mit mäßiggradiger depressiver Symptomatik führen nach Überzeugung des Senats nicht zu einer Leistungseinschränkung für leichte Tätigkeiten unter sechs Stunden täglich. Die Auswirkungen dieser mittelgradigen depressiven Störung mit kognitiven Beeinträchtigungen sind nach den Arztbriefen der M. Clinic in T. vom 04.04.2006 nicht so ausgeprägt als dass sie zu einem rentenrelevant eingeschränkten Leistungsvermögen führten. Dies hat Dr. P. für den Senat überzeugend dargelegt. In diesen Arztbriefen werden die kognitiven Beeinträchtigungen nur als leicht bezeichnet und bei der Untersuchung ergab sich kein Hinweis auf formale oder inhaltliche Denkstörungen, Wahrnehmungsstörungen oder Ich-Störungen. Auch die mittelgradige depressive Störung erscheint dem Senat nicht besonders ausgeprägt, da der Kläger anlässlich der Untersuchung in der M. Clinic berichtet hat, er gehe täglich Besorgungen tätigen und komme danach seinen Verpflichtungen im Haushalt nach.

Die vom Kläger geltend gemachte Erhöhung seines GdB von 50 auf 70 sagt nichts über die Dauer seiner täglichen Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus.

Somit ist die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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