S 19 AS 238/06

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 19 AS 238/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Hilfebedürftige haben keinen Anspruch auf Bewilligung einer einmaligen Beihilfe für die Anschaffung einer Sehhilfe
Die Klage wird abgewiesen.

Eine Kostenerstattung findet nicht statt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer einmaligen Beihilfe als Leistung nach dem SGB II für die Anschaffung von Kontaktlinsen.

Der Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II von der Beklagten. Am 20.10.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Sehhilfe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.02.2006 ab. Zuvor schon hatte der Kläger die von ihm benötigte Sehhilfe in Form von Kontaktlinsen angeschafft und den Rechnungsbetrag von 220,00 EUR am 19.01.2006 beglichen.

Gegen den Bescheid vom 23.02.2006 erhob der Kläger am 14.03.2006 Widerspruch. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass ihm in die Finanzierung einer Sehhilfe aus den Leistungen nach dem SGB II nicht möglich sei. Im Übrigen verwies der Kläger auf eine Entscheidung des Hessischen VGH, wonach im Rahmen der Sozialhilfe Leistungen für Sehhilfen als einmalige Beihilfen zu gewähren seien.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20.03.2006 zurückgewiesen.

Am 12.04.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, eine Sehhilfe gelte als Gebrauchsgut von längerer Benutzungsdauer und gehöre bei medizinischer Notwendigkeit zum Lebensbedarf. Das Sozialamt bzw. die Beklagte muss insoweit eine einmalige Beihilfe gewähren. Der Kläger bezieht sich hierbei auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Kassel (Az.: 10 TG 3128/04-4/05). Aufgrund der Finanzierung anderer lebensnotwendiger Gebrauchsgegenstände im gleichen Zeitraum sei für eine Sehhilfe nach 24-monatiger Arbeitslosigkeit kein eigenes Kapital mehr vorhanden.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 23.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Kosten einer Sehhilfe zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Bescheid vom 23.02.2006 und im Widerspruchsbescheid vom 20.03.2006.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die vorliegende Akte der Beklagten (1 Heft) und insbesondere die Niederschriften über die öffentliche Verhandlung vom 26.01.2007 und den Erörterungstermin vom 02.06.2006 verwiesen. Hier bei wird insbesondere auf die Erklärung des Klägers im Termin am 02.06.2006 verwiesen, wonach er mit der Gewährung eines Darlehens nicht einverstanden ist, da er sich nicht in der Lage sieht, die Darlehensraten zurückzuzahlen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat aus den §§ 7, 19 ff. SGB II keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung einer einmaligen Beihilfe für die Anschaffung einer Sehhilfe. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der Sehhilfe um eine Brille oder um Kontaktlinsen handelt, da ein Anspruch insoweit weder für das Eine, noch für das Andere besteht. Es fehlt für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch bereits an einer Anspruchsgrundlage, aufgrund derer der Kläger Leistungen in Form einer Beihilfe für eine Sehhilfe über die ihm nach § 20 SGB II zustehenden Regelleistungen hinaus verlangen könnte.

Ein solcher Anspruch ergibt sich für den Kläger nicht aus § 20 SGB II selbst. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts zwar unter anderem auch die Körperpflege; wozu auch medizinisch notwendiger Bedarf zu rechnen ist, soweit dieser nicht von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt ist (vgl. SG Lüneburg, Beschl. v. 11. August 2005 - S 30 AS 328/05 ER -; LSG Berlin - Brandenburg, Beschl. v. 13.02.2007 - L 10 B 102/07 AS PKH -, zitiert nach Juris). Hierzu gehört auch der Bedarf einer Sehhilfe (vgl. für eine Brille Bayrischer VGH, Beschl. vom 02.09.2004 - 12 CE 04.979 -, Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 13.08.2004 - 4 ME 224/04 - zu §§ 15 a Abs. 1 S. 1, 21 Abs. 1 a Nr. 6, Abs. 2, 37 Bundessozialhilfegesetz [BSHG], zitiert nach Juris), da dieser von der gesetzlichen Krankenversicherung - bis auf wenige Ausnahmefälle (vgl. § 33 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) - grundsätzlich nicht mehr finanziert wird und daher dem von der Regelleistung umfassten Bedarf zuzuordnen ist. Allerdings sieht § 20 SGB II - im Gegensatz zu den Vorschriften des früheren BSHG - für die Deckung eines zu den Regelleistungen zählenden Bedarfs, wie er beim Kläger besteht die Gewährung einer einmaligen Beihilfe nicht vor. Vielmehr wurde durch die Einführung des SGB II und die damit verbundene Änderung (Erhöhung) der Regelsätze nach dem bis dahin geltenden BSHG das System der einmaligen Beihilfen bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft (vgl. zu den Einzelheiten und der Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme BSG, Urt. v. 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R -). Aufgrund dieser Systemänderung kann sich der Kläger für die Begründung seines Anspruches auch nicht auf die vom ihm zitierte Rechtsprechung der Hess. VGH berufen, da diese noch zum BSHG ergangen ist. Im SGB II wurde vielmehr die Regelleistung für eine alleinstehende Person insoweit von vorher 297,00 Euro auf 345,00 Euro erhöht. Mit dieser Erhöhung der monatlichen Leistungen sollen die Hilfeempfänger in die Lage versetzt werden, durch Ansparung Rücklagen für die Anschaffungen zu bilden, die nach dem BSHG noch Gegenstand einer einmaligen Beihilfe sein konnten. Damit scheidet eine über die Regelleistungen des § 20 SGB II hinausgehende Leistungsgewährung in Form einmaliger Beihilfen aus, soweit sich nicht aus dem Gesetz explizit ein Anspruch auf eine solche Leistung ergibt. Dies wurde letztlich durch die mit Wirkung zum 01.08.2006 klarstellend geänderten Regelungen des § 3 Abs. 3 SGB II deutlich gemacht (vgl. hierzu BSG, Urt. V. 07.11.2006, - B 7b AS 14/06 R - m. w. N.). Einen Anspruch auf einmalige Beihilfen kennt das SGB II jedoch nur für die in § 23 Abs. 3 Nrn. 1 - 3 SGB II genannten Fälle der Erstausstattung der Wohnung, bei Schwangerschaft und Geburt sowie für mehrtägige Klassenfahrten. Eine einmalige Beihilfe für die Anschaffung einer Sehhilfe ist insoweit nicht vorgesehen.

Etwa anderes kann für den Kläger auch nicht deshalb gelten, weil dieser vorträgt, er sei aufgrund seiner lang anhaltenden Arbeitslosigkeit nicht in der Lage, diese Ausgaben durch eigenes Kapital zu finanzieren. Einmal abgesehen davon, dass der Kläger damit zu erkennen gibt, dass er mit den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln nicht in der Form gewirtschaftet hat, wie der Gesetzgeber sich dies vorgestellt hat, besteht insoweit jedoch nach § 23 Abs. 1 SGB II die Möglichkeit, diesen Misstand beim Kläger durch die Gewährung eines Darlehens aufzufangen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis einen von den Regelleistungen erfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts als Sachleistung oder als Geldleistung zu erbringen und dem Hilfsbedürftigen ein entsprechendes Darlehen zu gewähren, wenn der Bedarf im Einzelfall weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Nach Auffassung des Gerichts liegen die Voraussetzungen dieser Norm im Falle des Klägers grundsätzlich vor. Ob es hierbei Auswirkungen hat, dass der Kläger die Rechnung für die Sehhilfe zwischenzeitlich von geliehenem Geld bezahlt hat, braucht insoweit vorliegend nicht entschieden zu werden. Denn der Kläger hat gegenüber dem Gericht eindeutig erklärt, dass er mit der Gewährung eines Darlehens nicht einverstanden ist. Da der Kläger damit offenkundig auf die Bewilligung einer Beihilfe besteht, eine solche im Gesetz jedoch für den Bedarfsfall des Klägers nicht vorgesehen ist, muss die Klage insgesamt abgewiesen werden.

Weitere Anspruchsgrundlagen für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch kann das Gericht nicht erkennen.

Das Gericht hat davon abgesehen, im vorliegenden Fall den Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII zum vorliegenden Verfahren beizuladen, da insoweit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Nach dieser Norm ist unter anderem ein Träger der Sozialhilfe beizuladen, wenn dieser an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder sich im Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs der Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt. Im vorliegenden Fall kann nur die zweite Alternative einschlägig sein, wonach eine Beiladung zu erfolgen hat, wenn der Träger der Sozialhilfe als leistungspflichtig in Betracht kommt. Diese Situation ist jedoch vorliegend nicht gegeben, weil der für den Kläger zuständige Träger der Sozialhilfe nicht als Leistungspflichtiger in Betracht kommen kann. Eine Leistungspflicht des Trägers der Sozialhilfe ist nach den Regelungen des SGB XII für die gesamte Zeitdauer des gerichtlichen Verfahrens ausgeschlossen. Ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem SGB XII für die Anschaffung einer Sehhilfe könnte sich allenfalls aus den Regelungen der §§ 47 ff. SGB XII, insbesondere § 48 SGB XII ergeben. Nach § 18 Abs. 1 SGB XII setzt jedoch die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Nach Auffassung des Gerichts ist zu den vom Träger der Sozialhilfe beauftragten Stellen jedenfalls nicht die Behörde zu zählen, die vom Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende, der mit dem Träger der Sozialhilfe identisch ist, mit der Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II beauftragt wurde. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Träger der Sozialhilfe und der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht zwingend identisch sein muss und es nicht dem Zufall überlassen sein kann, ob insoweit Identität vorliegt und daher ein potentieller Anspruch auf Sozialhilfe früher einsetzt, als bei unterschiedlichen Zuständigkeiten. Im Übrigen setzt die Kenntniserlangung im Sinne des § 18 Abs. 1 SGB XII die positive, subjektive Kenntnis der Hilfebedürftigkeit durch eine bestimmte Person, die für die zuständige Körperschaft insoweit zu handeln befugt ist, voraus. Auch daran fehlt es, wenn Kenntnis nur bei einer Personen besteht, die in nur erheblich eingeschränkten Umfang und gerade nicht im Bereich der Sozialhilfe befugt ist, für den Träger der Sozialhilfe zu handeln. Dies ist bei den Mitarbeitern der Beklagten der Fall, die lediglich die Befugnis haben, im Rahmen des SGB II für die Stadt A-Stadt als zuständigen Träger der Sozialhilfe und auch kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu handeln. Damit hätte der Träger der Sozialhilfe erst durch die Beiladung nach Klageerhebung von der möglichen Bedürftigkeit des Klägers erfahren. In diesem Zeitpunkt (12.04.2006) war die beim Kläger gegebene Notlage jedoch schon beseitigt, weil der Kläger die Sehhilfe schon angeschafft und auch bezahlt hatte (wenn auch mit geliehenem Geld). Hinsichtlich des Trägers der Sozialhilfe würde es sich vorliegend damit nur noch um einen Fall handeln, bei dem es um die Übernahme von Schulden ginge. Da insoweit offensichtlich ein Anspruch auf Übernahme der Schulden gemäß § 34 SGB XII - als einzig in Betracht kommende Norm - nicht gegeben ist, kommt eine Leistungspflicht des Trägers der Sozialhilfe von vornherein schon nicht in Betracht. Eine Beiladung ist daher ausgeschlossen.

Da der Kläger unterlegen ist, hat er gemäß § 193 SGG die ihn treffenden Kosten des Verfahrens zu tragen und kann deren Erstattung durch die Beklagte nicht verlangen.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG ist die Zulässigkeit der Berufung vorliegend abhängig von der Zulassung durch das SG. Die Berufung ist jedoch nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und keine weiteren Zulassungsgründe (§ 144 Abs. 2 Nrn. 2, 3 SGG) vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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