L 6 V 3839/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 V 6410/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 V 3839/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit stehen Ansprüche der Klägerin nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die 1940 geborene Klägerin wandte sich erstmals am 18. September 2002 an das Versorgungsamt Stuttgart (VA) und teilte diesem mit, sie sei im Frühjahr 1945 von einem russischen Militärfahrzeug in Sachsen, L.-O., K. C., angefahren worden. Ihre Lendenwirbelsäule (LWS) sei verletzt worden. Sie beantrage deshalb Beschädigtenversorgung nach dem BVG. Im Formantrag vom 16. Januar 2003 führte sie ergänzend aus, sie leide unter andauernden, immer stärker werdenden Rückenschmerzen. Sie sei im Frühjahr 1945 in hohem Bogen durch die Luft geschleudert worden und sei auf den Rücken in einen Straßengraben gestürzt. Zeugin sei ihre Schwester. Die schriftliche Zeugenaussage ihrer Schwester I. Z. vom 10. Dezember 2002 war dem Antrag beigefügt. Darin war u.a. ausgeführt, die Klägerin sei von einem russischen Militärfahrzeug angefahren worden und nach dem Unfall noch lange Zeit schwach gewesen. Der herbeigerufene Arzt habe einen schweren Schock und starke Prellungen im Rücken, insbesondere im Bereich der LWS, diagnostiziert, ohne Wirbelbrüche jedoch ausschließen zu können.

Das VA nahm daraufhin Ermittlungen auf, zog von den Krankenkassen Vorerkrankungsverzeichnisse und von den behandelnden Ärzten (Dr. R.; Dr. M.; Dr. P.) ärztliche Unterlagen bei und ließ die Klägerin am 16. Februar 2004 durch Dr. G. versorgungsärztlich (vä) untersuchen. Dr. G. veranlasste zusätzlich die röntgenologische Untersuchung vom 16. Februar 2004 durch den Radiologen K ... Dr. G. führte aus, Nachweise über Wirbelsäulenbeschwerden fänden sich erst ab 1987 in Form eines chronischen LWS-Syndroms. Bei der Untersuchung sei eine Fehlhaltung der Wirbelsäule mit leichtem Hohlrundrücken und deutlich erkennbarer Wirbelsäulenskoliose mit leichtem Rippenbuckel erkennbar gewesen. Die Röntgenuntersuchung habe keinen Anhalt für Traumafolgen ergeben. Daher könne der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Wirbelsäulenfehlhaltung und dem Wirbelsäulentrauma bei Kriegsende nicht erbracht werden. Es sei zwar durchaus möglich, dass ab dem Autounfall anhaltende Wirbelsäulenbeschwerden bestanden hätten. Nach Abklingen der akuten Phase seien diese jedoch mit Wahrscheinlichkeit auf körpereigene Faktoren, die auch zu der anlagebedingten Fehlhaltung geführt hätten, zurückzuführen. Als erschwerender Faktor käme eine psychische Komponente hinzu, die ab den 90er Jahren in Form einer depressiven Verstimmung, nervösen Erschöpfung und einer Somatisierungsstörung aktenkundig sei. Auch zwischen dem Supraspinatussyndrom an der linken Schulter und dem angeschuldigten Unfall bestehe kein Zusammenhang. Es handle sich vielmehr um die Folgen einer erst viel später eingetretenen, degenerativen Sehnenveränderung bei chronischem Halswirbelsäulensyndrom.

Mit Bescheid vom 23. März 2004 lehnte das VA die Gewährung von Leistungen nach dem BVG ab, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem angeschuldigten Autounfall und den geklagten Beschwerden nicht wahrscheinlich sei.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 1. September 2004 zurückgewiesen wurde. Darin wurde ausgeführt, das Unfallereignis vom Frühjahr 1945 werde nicht in Zweifel gezogen. Es fehle aber an einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Wirbelsäulenbeschwerden medizinisch auf den Unfall zurückgeführt werden könnten.

Dagegen erhob die Klägerin am 27. September 2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Das SG erörterte am 7. Juli 2005 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten und befragte anschließend schriftlich den Amtsleiter des Haupt- und Rechtsamts der Stadt L.-O. danach, ob es noch ältere Mitbürger gebe, die sich an das von der Klägerin geschilderte Geschehen erinnern könnten. Der Amtsleiter teilte daraufhin mit Schreiben vom 20. Juli 2005 mit, man habe zwar ausführlich recherchiert. Von vier noch älteren Mitbürgern, die damals in der Nachbarschaft der Klägerin gewohnt hätten, habe sich allerdings keiner mehr an das Geschehen erinnern können. Lediglich der Bruder der Klägerin, der noch in L.-O. wohne, habe mitgeteilt, er habe davon gehört, dass es solch einen Vorfall gegeben habe. Näheres darüber habe er aber auch nicht gewusst. Das SG vernahm daraufhin im Wege der Amtshilfe den Bruder der Klägerin K. S. vor dem Sozialgericht C. als Zeugen. Er gab am 28. März 2006 u.a. an, 1990 von seiner Schwester von dem Geschehen erfahren zu haben, Erinnerungen aber weder an das Geschehen selbst noch an eine nachfolgende schwere Erkrankung seiner Schwester zu haben. Die Schwester der Klägerin berief sich gegenüber dem SG auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Das SG zog ferner die Akten der Unfallkasse Baden-Württemberg bei.

Durch Urteil vom 27. Juni 2006 wies das SG die Klage ab.

Gegen das mit Einschreiben-Rückschein am 17. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. August 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, das SG habe die schriftliche Zeugenaussage ihrer Schwester bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt.

Sie beantragt, sinngemäß gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Juni 2006 sowie den Bescheid vom 23. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen des Ereignisses vom Frühjahr 1945 Leistungen nach dem BVG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen und führt ergänzend aus, die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin könnten nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auf das angeschuldigte und durch die Zeugenaussage der Schwester als glaubhaft anzusehende schädigende Ereignis (Unfall im Mai 1945 mit Prellung im Rücken und Schock) zurückgeführt werden.

Der Senat hat den Beteiligten mitgeteilt, es komme die Möglichkeit in Betracht, die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit erhalten hatten, sich hierzu zu äußern und die Entscheidung einstimmig ergeht.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet, da der Zusammenhang der geklagten LWS-Beschwerden mit dem angeschuldigten Geschehen nicht wahrscheinlich ist.

Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung (§ 30 Abs. 1 BVG). § 30 Abs. 2 BVG bestimmt, dass Schädigungen, die durch bestimmte andere als militärische oder militärähnliche Dienstverrichtungen herbeigeführt worden sind, Schädigungen nach Absatz 1 gleichstehen. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG).

Der Senat konnte für die zu treffende Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Versorgungsanspruch offen lassen, ob es sich beim angeschuldigten Ereignis vom Frühjahr 1945 um ein von § 1 Abs. 1 und 2 BVG erfasstes Geschehen handelt. Denn selbst unterstellt, es handelte sich um ein militärisches oder militärähnliches oder ein nach § 30 Abs. 2 BVG gleichgestelltes Geschehen, ist der Zusammenhang der bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen mit dem angeschuldigten Geschehen nicht wahrscheinlich.

Der Senat stützt sich bei seiner Beurteilung in erster Linie auf das vä Gutachten von Dr. G. sowie die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen der behandelnden Ärzte.

Danach bestehen bei der Klägerin zwar erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS), der Brustwirbelsäule (BWS) und der LWS, die auch die geklagten Beschwerden erklären können. So besteht im Bereich der HWS eine Streckfehlhaltung mit Osteoporose, einer leichten Osteochondrose und bei C 5/6 und C 6/7 einer ventro-lateralen Spondylose. Im Bereich der BWS liegt eine leichte rechtskonvexe Skoliose und BWS-Kyphose sowie eine Osteoporose vor. Im Bereich der LWS, die von der Klägerin als besonders schmerzhaft beschrieben worden ist, konnte eine Hyperlordose, eine rechtskonvexe Skoliose und im Bereich der übrigen Wirbelkörper regelhafte Höhen und Formen mit betonten corticalen Randstrukturen und einer Mineralsalzminderung beschrieben werden. Im Bereich L 4/5 und L 5/S 1 besteht zudem eine deutliche Höhenminderung der Zwischenwirbelräume im Sinne einer Osteochondrose.

Zusammenfassend konnte Dr. G. jedoch unter Berücksichtigung der Ergebnisse der röntgenologischen Untersuchung durch den Radiologen K. Veränderungen, die auf ein Trauma zurückgeführt werden könnten, nicht sichern. Wie Dr. G. vielmehr, für den Senat anhand der erhobenen Befunde nachvollziehbar, ausgeführt hat, liegen bei der Klägerin erhebliche anlagebedingte degenerative Veränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule vor. Hinweise auf traumatisch bedingte Veränderungen, die auf das angeschuldigte Unfallgeschehen zurückgeführt werden könnten, fehlen jedoch vollständig.

Damit konnte letztlich auch offen bleiben, ob sich die Klägerin bei dem Unfallgeschehen tatsächlich (nur) ggf. auch erhebliche Prellungen im Rückenbereich zugezogen hat oder ob ggf. (auch) strukturelle Verletzungen der Wirbelsäule eingetreten waren. Denn jedenfalls konnten im Rahmen der röntgenologischen Untersuchung keine Traumafolgen mehr festgestellt werden, die die geklagten Beschwerden begründen könnten. Diese sind daher auch nicht als Schädigungsfolge im Sinne des BVG anzusehen, ein Zusammenhang mit dem angeschuldigten Unfallereignis ist damit nicht wahrscheinlich.

Entsprechendes gilt auch in Bezug auf das Supraspinatussyndrom an der linken Schulter, das auf degenerativen, unfallunabhängigen Sehnenveränderungen bei chronischem HWS-Syndrom beruht.

Weitere Sachverhaltsermittlungen waren nicht veranlasst. Da die Schwester der Klägerin lediglich als Zeugin für das Unfallgeschehen benannt worden ist, dieses Geschehen für die Beurteilung jedoch für wahr unterstellt werden konnte, konnte deren Vernehmung im Berufungsverfahren unterbleiben. Die schriftliche Aussage der Schwester im Verwaltungsverfahren hat der Senat bei seiner Beurteilung berücksichtigt. Medizinische Beweiserhebung von Amts wegen war ebenfalls nicht erforderlich, da Dr. G. zur Frage des Kausalzusammenhangs umfassend und schlüssig Stellung genommen hat und insbesondere das Ausmaß der körperlichen Beeinträchtigungen der Klägerin aus dem gesamten Akteninhalt zu entnehmen ist.

Daher war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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