Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 J 862/83
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Juli 1983 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die Wartezeit für die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt hat.
Die 1904 geborene Klägerin war von Januar 1921 bis Dezember 1925 bei verschiedenen Arbeitgebern als Dienstmagd versicherungspflichtig beschäftigt. In der Folgezeit war sie ohne Beitragsleistung als Hausfrau und mithelfendes Familienmitglied in der eigenen Landwirtschaft tätig. Am 30. November 1977 entrichtete sie 15 freiwillige Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis 31. März 1976.
Am 1. Februar 1978 beantragte die Klägerin die Gewährung der Versichertenrente und legte im weiteren Verlauf Befundberichte des behandelnden Arztes Dr. L. vom 20. Januar 1978 und 7. September 1978 vor. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 28. September 1978 kam Dr. T. vom ärztlichen Gutachtenprüfdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, die Klägerin könne keine Erwerbsarbeiten mehr verrichten; es sei anzunehmen, daß dieser Zustand schon seit 1975 bestehe; der Hausarzt habe bestätigt, daß die Klägerin bereits 1972 mit schweren Herz- und Kreislaufstörungen und Lungenembolie stationär habe behandelt werden müssen und daß bei einer Nachuntersuchung im Jahre 1975 der Zustand des Herzens noch schlechter gewesen sei als zuvor. Die Beklagte erkannte die in den Quittungskarten Nr. 1 bis 4 für die Zeit von Januar 1921 bis Dezember 1924 ausgewiesenen 200 Wochenbeiträge an und außerdem für die Zeit vom 24. Januar 1925 bis 30. Dezember 1925 unter Berücksichtigung der Krankheitszeiten vom 7. März 1925 bis 5. April 1925 und 7. Mai 1925 bis 24. Mai 1925 weitere 44 Wochen Beitragszeit, die sie zu einer Gesamtzeit von 57 Monaten umrechnete.
Durch Bescheid vom 13. Oktober 1978 lehnte die beklagte den Rentenantrag ab mit der Begründung, mit einer Versicherungszeit von 57 Monaten sei die Wartezeit nicht erfüllt. Die im Jahre 1977 nachentrichteten Beiträge seien auf die Wartezeit nicht anrechenbar, da nach Auffassung des Hausarztes zumindest seit 1975 Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Auf den Widerspruch der Klägerin, den die Beklagte gemäß § 85 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Sozialgericht Kassel als Klage zugeleitet hat, erließ die Beklagte am 20. Dezember 1978 einen neuen Bescheid, der den Bescheid vom 13. Oktober 1978 im Ergebnis bestätigte, in den Gründen jedoch ausführte, die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin liege nach ihren – der Beklagten – Feststellungen mindestens seit 1975 vor.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, im Zeitpunkt der Beitragsnachentrichtung noch erwerbsfähig gewesen zu sein. Dafür spreche auch der Umstand, daß sie noch bis 1977 in der Landwirtschaft mitgeholfen habe. Für ihre Auffassung hat sie eine Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. L. vom 12. September 1981 vorgelegt. Die Beklagte hat demgegenüber unter Bezugnahme auf schriftliche Stellungnahmen ihrer medizinischen Berater Dr. Le., Dr. H., Dr. E.-F. und Dr. Lo. vom 12. Mai 1980, 17. Dezember 1980, 17. Juli 1981, 23. Dezember 1981 und 10. Mai 1983 an ihrem Standpunkt festgehalten.
Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. L. vom 19. September 1979 eingeholt sowie Beweis erhoben über die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Einholung schriftlicher medizinischer Sachverständigengutachten auf dem internistischen und orthopädischen Fachgebiet. Der Sachverständige Dr. Z., Facharzt für innere Krankheiten, ist in seinem Gutachten vom 10. November 1980 und seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 25. Mai 1981 und 26. November 1981 zu dem Ergebnis gekommen, die Klägerin könne noch für zwei bis drei Stunden täglich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen und in geschlossenen Räumen verrichten; die Leistungseinschränkung bestehe mit Sicherheit seit der Rentenantragstellung, wahrscheinlich aber bereits seit Januar 1976. Die Sachverständigen Dr. Sch. und Dr. K., Fachärzte für Orthopädie, haben in ihrem Gutachten vom 20. Juli 1982 und der ergänzenden Stellungnahme vom 31. März 1983 ausgeführt, die Klägerin könne noch leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung über drei bis vier Stunden täglich verrichten; Ende 1977 habe die Klägerin noch mindestens unter vollschichtig arbeiten können, so daß mit Sicherheit noch keine volle Erwerbsunfähigkeit vorgelegen habe.
Durch Urteil vom 20. Juli 1983 hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab 1. Dezember 1980 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klägerin sei seit November 1980 erwerbsunfähig. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen könne die Klägerin nachweislich seit November 1980 allenfalls noch halbschichtig Arbeiten verrichten, so daß ihr der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei. Im Gegensatz zum Standpunkt der Beklagten sei die Wartezeit erfüllt, da die Ende 1977 nachentrichteten freiwilligen Beiträge zu berücksichtigen seien. Die Anrechnung dieser Beiträge würde nur dann ausgeschlossen gewesen sein, wenn die Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Bereiterklärung erwerbsunfähig gewesen sei. Dies lasse sich jedoch nicht nachweisen. Das Gutachten der Sachverständigen Dr. Sch. und Dr. K. erlaube den Schluß, daß Ende 1977 ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin als durchaus möglich anzusehen sei. Von einer nachgewiesenen Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im Zeitpunkt der Beitragsnachentrichtung könne unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden. Da aber die Beklagte die Beweislast für diesen Ausschlußgrund trage, seien die freiwilligen Beiträge zu berücksichtigen.
Gegen dieses der Beklagten am 4. August 1983 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 5. August 1983, der am 11. August 1983 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt, mit der sie Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage verfolgt. Die Beklagte, die der Klägerin durch Bescheid vom 19. Juli 1984 vorschußweise Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Januar 1984 bewilligt hat, ist nach wie vor der Auffassung, die Klägerin sei bereits bei Eingang des Nachentrichtungsantrages erwerbsunfähig gewesen, so daß die nachentrichteten freiwilligen Beiträge nicht auf die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit angerechnet werden könnten. Die am 31. März 1983 erstellte ergänzende Äußerung zum orthopädischen Sachverständigengutachten, auf die sich das Sozialgericht in erster Linie gestützt habe, erlaube keinen gegenteiligen Schluß. Zu bemängeln sei insbesondere, daß es in dieser Äußerung an einer zusammenfassenden Beurteilung unter Einbeziehung der vom behandelnden Arzt Dr. Lüth am 20. Januar 1978 mitgeteilten Befunde fehle. Für ihre Meinung bezieht sich die Beklagte auf die schriftlichen Stellungnahmen ihres medizinischen Beraters Dr. Le. vom 20. Februar 1984 und 24. Januar 1985, wegen deren Inhalt auf Blatt 185/186 und 210 der Akten verwiesen wird. Mit Schriftsatz vom 9. Mai 1985 hat sie außerdem Bedenken gegen die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts geltend gemacht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Juli 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Unterlagen des behandelnden Arztes Dr. L. beigezogen sowie Beweis erhoben über die im November/Dezember 1977 bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens. Die Sachverständigen Prof. Dr. von W. und Prof. Dr. La. sind in ihrem Gutachten vom 15. November 1984 zu dem Ergebnis gekommen, die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt noch in der Lage gewesen, für vier bis fünf Stunden täglich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen, ohne besondere Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit, ohne psychischen Streß, ohne Akkord und ohne schweres Heben von Lasten zu verrichten. Das Arbeitsamt Kassel hat auf Antrage des Senats durch Auskunft vom 12. März 1985 mitgeteilt, auf dem regionalen Arbeitsmarkt seien im November/Dezember 1977 keine Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang vorhanden gewesen, die dem qualitativ und quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögen der Klägerin Rechnung getragen hätten und von ihr durch tägliches Pendeln von ihrer Wohnung aus hätten erreicht werden können.
Wegen der Einzelheiten des Gutachtens und der Auskunft wird auf Bl. 195 bis 207 und 216 der Akten verwiesen.
Durch Beschluss vom 14. Mai 1989 hat der Senat festgestellt, daß die nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1985 zur Sitzung am 19. Mai 1985 heranzuziehenden ehrenamtlichen Richter G. und K. an der Mitwirkung bei der Endentscheidung nicht gehindert sind. Wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf Bl. 237– 248 der Akten verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen, insbesondere den der Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte mußte mit ihrer Berufung Erfolg haben. Diese Entscheidung konnte der Senat unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter Gumbel und König treffen. Insoweit wird auf den Beschluss vom 14. Mai 1989 verwiesen, mit dem die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank festgestellt worden ist.
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz). Sie ist auch sachlich begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts konnte nicht aufrechterhalten werden. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu.
Nach § 1247 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) erhält Rente wegen Erwerbsunfähigkeit derjenige Versicherte, der erwerbsunfähig ist und die Wartezeit erfüllt hat. Dabei ist entsprechend der Regelung in § 1247 Abs. 2 RVO erwerbsunfähig derjenige Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder infolge von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit keine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Gemäß § 1247 Abs. 3 Buchstabe a RVO, der hier alleine in Betracht kommt, ist die Wartezeit erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Klägerin ist zwar nach den vom Sozialgericht veranlaßten Gutachten der Sachverständigen Dres. Z., Sch. und K. als erwerbsunfähig anzusehen. Der Rentenanspruch scheitert jedoch daran, daß die Wartezeit mit einer Versicherungszeit von nur 57 Kalendermonaten nicht erfüllt ist. Die von der Klägerin im Dezember 1977 nachentrichteten 15 freiwilligen Beiträge sind entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht auf die Wartezeit für die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit anrechenbar. Denn der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit war bereits eingetreten, als die Klägerin am 30. November 1977 die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen beantragte.
Die Klägerin konnte im November 1977 nur noch für vier bis fünf Stunden täglich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen, ohne besondere Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit, ohne psychischen Streß, ohne Akkord und ohne schweres Heben von Lasten verrichten. Mit diesen qualitativen und quantitativen Leistungseinschränkungen war die Klägerin erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO. Ein Versicherter, der auf Grund seines Gesundheitszustandes nur noch zur Verrichtung von Teilzeitarbeit in der Lage ist, kann nur dann noch eine "Erwerbstätigkeit ausüben” im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO, wenn für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen kann (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts – BSG– vom 10. Dezember 1976 in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 13). Dabei kann nur auf diejenigen Teilzeitarbeitsplätze verwiesen werden, die der Versicherte durch tägliches Pendeln von seiner Wohnung aus erreichen kann. Fehlt es an solchen Arbeitsplätzen oder sind nur wenige Arbeitsplätze dieser Art vorhanden, so ist dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen mit der Folge, daß er sein Leistungsvermögen auf rentenrechtlich beachtlichen Gründen nicht mehr in geldwerte Güter umsetzen kann (vgl. BSG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen waren im November 1977 im vorliegenden Fall gegeben. Die Klägerin hatte keinen Teilzeitarbeitsplatz inne. Wie das Arbeitsamt Kassel in seiner Auskunft vom 12. März 1985 mitgeteilt hat, waren zu dieser Zeit auf dem regionalen Arbeitsmarkt auch keine Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang vorhanden, die dem qualitativ und quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögen der Klägerin Rechnung getragen hätten und von ihr durch tägliches Pendeln von ihrer Wohnung aus erreicht werden konnten.
Daß die Klägerin im November/Dezember 1977 mit einem Alter von nahezu 73 Jahren nur noch für vier bis fünf Stunden täglich Arbeiten unter den beschriebenen Bedingungen verrichten konnte, steht zur Überzeugung des Senats fest. Er folgt insoweit dem ausführlich und einleuchtend begründeten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. von W. und Prof. Dr. La. vom 15. November 1984, das im wesentlichen bestätigt wird durch die vom Sozialgericht veranlagten Gutachten der Sachverständigen Dres. Z., Sch. und K., die der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls keine vollschichtige Erwerbstätigkeit mehr zugemutet haben. Auch die Klägerin selbst hat keine medizinisch relevanten Gesichtspunkte vorgetragen, die Anlaß zu Zweifeln an der Richtigkeit der Sachverständigengutachten geben könnten.
Bei dieser Sach- und Rechtslage mußte die Berufung der Beklagten Erfolg haben mit der Maßgabe, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage, ob die Berufung der an der vorliegenden Entscheidung mitwirkenden ehrenamtlichen Richter im Einklang mit den Vorschriften der §§ 13, 14 SGG steht, nach Auffassung des Senats von grundsätzlicher Bedeutung ist.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die Wartezeit für die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt hat.
Die 1904 geborene Klägerin war von Januar 1921 bis Dezember 1925 bei verschiedenen Arbeitgebern als Dienstmagd versicherungspflichtig beschäftigt. In der Folgezeit war sie ohne Beitragsleistung als Hausfrau und mithelfendes Familienmitglied in der eigenen Landwirtschaft tätig. Am 30. November 1977 entrichtete sie 15 freiwillige Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis 31. März 1976.
Am 1. Februar 1978 beantragte die Klägerin die Gewährung der Versichertenrente und legte im weiteren Verlauf Befundberichte des behandelnden Arztes Dr. L. vom 20. Januar 1978 und 7. September 1978 vor. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 28. September 1978 kam Dr. T. vom ärztlichen Gutachtenprüfdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, die Klägerin könne keine Erwerbsarbeiten mehr verrichten; es sei anzunehmen, daß dieser Zustand schon seit 1975 bestehe; der Hausarzt habe bestätigt, daß die Klägerin bereits 1972 mit schweren Herz- und Kreislaufstörungen und Lungenembolie stationär habe behandelt werden müssen und daß bei einer Nachuntersuchung im Jahre 1975 der Zustand des Herzens noch schlechter gewesen sei als zuvor. Die Beklagte erkannte die in den Quittungskarten Nr. 1 bis 4 für die Zeit von Januar 1921 bis Dezember 1924 ausgewiesenen 200 Wochenbeiträge an und außerdem für die Zeit vom 24. Januar 1925 bis 30. Dezember 1925 unter Berücksichtigung der Krankheitszeiten vom 7. März 1925 bis 5. April 1925 und 7. Mai 1925 bis 24. Mai 1925 weitere 44 Wochen Beitragszeit, die sie zu einer Gesamtzeit von 57 Monaten umrechnete.
Durch Bescheid vom 13. Oktober 1978 lehnte die beklagte den Rentenantrag ab mit der Begründung, mit einer Versicherungszeit von 57 Monaten sei die Wartezeit nicht erfüllt. Die im Jahre 1977 nachentrichteten Beiträge seien auf die Wartezeit nicht anrechenbar, da nach Auffassung des Hausarztes zumindest seit 1975 Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Auf den Widerspruch der Klägerin, den die Beklagte gemäß § 85 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dem Sozialgericht Kassel als Klage zugeleitet hat, erließ die Beklagte am 20. Dezember 1978 einen neuen Bescheid, der den Bescheid vom 13. Oktober 1978 im Ergebnis bestätigte, in den Gründen jedoch ausführte, die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin liege nach ihren – der Beklagten – Feststellungen mindestens seit 1975 vor.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, im Zeitpunkt der Beitragsnachentrichtung noch erwerbsfähig gewesen zu sein. Dafür spreche auch der Umstand, daß sie noch bis 1977 in der Landwirtschaft mitgeholfen habe. Für ihre Auffassung hat sie eine Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. L. vom 12. September 1981 vorgelegt. Die Beklagte hat demgegenüber unter Bezugnahme auf schriftliche Stellungnahmen ihrer medizinischen Berater Dr. Le., Dr. H., Dr. E.-F. und Dr. Lo. vom 12. Mai 1980, 17. Dezember 1980, 17. Juli 1981, 23. Dezember 1981 und 10. Mai 1983 an ihrem Standpunkt festgehalten.
Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. L. vom 19. September 1979 eingeholt sowie Beweis erhoben über die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Einholung schriftlicher medizinischer Sachverständigengutachten auf dem internistischen und orthopädischen Fachgebiet. Der Sachverständige Dr. Z., Facharzt für innere Krankheiten, ist in seinem Gutachten vom 10. November 1980 und seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 25. Mai 1981 und 26. November 1981 zu dem Ergebnis gekommen, die Klägerin könne noch für zwei bis drei Stunden täglich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen und in geschlossenen Räumen verrichten; die Leistungseinschränkung bestehe mit Sicherheit seit der Rentenantragstellung, wahrscheinlich aber bereits seit Januar 1976. Die Sachverständigen Dr. Sch. und Dr. K., Fachärzte für Orthopädie, haben in ihrem Gutachten vom 20. Juli 1982 und der ergänzenden Stellungnahme vom 31. März 1983 ausgeführt, die Klägerin könne noch leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung über drei bis vier Stunden täglich verrichten; Ende 1977 habe die Klägerin noch mindestens unter vollschichtig arbeiten können, so daß mit Sicherheit noch keine volle Erwerbsunfähigkeit vorgelegen habe.
Durch Urteil vom 20. Juli 1983 hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab 1. Dezember 1980 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klägerin sei seit November 1980 erwerbsunfähig. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Sachverständigen könne die Klägerin nachweislich seit November 1980 allenfalls noch halbschichtig Arbeiten verrichten, so daß ihr der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen sei. Im Gegensatz zum Standpunkt der Beklagten sei die Wartezeit erfüllt, da die Ende 1977 nachentrichteten freiwilligen Beiträge zu berücksichtigen seien. Die Anrechnung dieser Beiträge würde nur dann ausgeschlossen gewesen sein, wenn die Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Bereiterklärung erwerbsunfähig gewesen sei. Dies lasse sich jedoch nicht nachweisen. Das Gutachten der Sachverständigen Dr. Sch. und Dr. K. erlaube den Schluß, daß Ende 1977 ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin als durchaus möglich anzusehen sei. Von einer nachgewiesenen Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im Zeitpunkt der Beitragsnachentrichtung könne unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden. Da aber die Beklagte die Beweislast für diesen Ausschlußgrund trage, seien die freiwilligen Beiträge zu berücksichtigen.
Gegen dieses der Beklagten am 4. August 1983 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 5. August 1983, der am 11. August 1983 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt, mit der sie Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage verfolgt. Die Beklagte, die der Klägerin durch Bescheid vom 19. Juli 1984 vorschußweise Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Januar 1984 bewilligt hat, ist nach wie vor der Auffassung, die Klägerin sei bereits bei Eingang des Nachentrichtungsantrages erwerbsunfähig gewesen, so daß die nachentrichteten freiwilligen Beiträge nicht auf die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit angerechnet werden könnten. Die am 31. März 1983 erstellte ergänzende Äußerung zum orthopädischen Sachverständigengutachten, auf die sich das Sozialgericht in erster Linie gestützt habe, erlaube keinen gegenteiligen Schluß. Zu bemängeln sei insbesondere, daß es in dieser Äußerung an einer zusammenfassenden Beurteilung unter Einbeziehung der vom behandelnden Arzt Dr. Lüth am 20. Januar 1978 mitgeteilten Befunde fehle. Für ihre Meinung bezieht sich die Beklagte auf die schriftlichen Stellungnahmen ihres medizinischen Beraters Dr. Le. vom 20. Februar 1984 und 24. Januar 1985, wegen deren Inhalt auf Blatt 185/186 und 210 der Akten verwiesen wird. Mit Schriftsatz vom 9. Mai 1985 hat sie außerdem Bedenken gegen die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts geltend gemacht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Juli 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Unterlagen des behandelnden Arztes Dr. L. beigezogen sowie Beweis erhoben über die im November/Dezember 1977 bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens. Die Sachverständigen Prof. Dr. von W. und Prof. Dr. La. sind in ihrem Gutachten vom 15. November 1984 zu dem Ergebnis gekommen, die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt noch in der Lage gewesen, für vier bis fünf Stunden täglich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen, ohne besondere Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit, ohne psychischen Streß, ohne Akkord und ohne schweres Heben von Lasten zu verrichten. Das Arbeitsamt Kassel hat auf Antrage des Senats durch Auskunft vom 12. März 1985 mitgeteilt, auf dem regionalen Arbeitsmarkt seien im November/Dezember 1977 keine Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang vorhanden gewesen, die dem qualitativ und quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögen der Klägerin Rechnung getragen hätten und von ihr durch tägliches Pendeln von ihrer Wohnung aus hätten erreicht werden können.
Wegen der Einzelheiten des Gutachtens und der Auskunft wird auf Bl. 195 bis 207 und 216 der Akten verwiesen.
Durch Beschluss vom 14. Mai 1989 hat der Senat festgestellt, daß die nach dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1985 zur Sitzung am 19. Mai 1985 heranzuziehenden ehrenamtlichen Richter G. und K. an der Mitwirkung bei der Endentscheidung nicht gehindert sind. Wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf Bl. 237– 248 der Akten verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen, insbesondere den der Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte mußte mit ihrer Berufung Erfolg haben. Diese Entscheidung konnte der Senat unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter Gumbel und König treffen. Insoweit wird auf den Beschluss vom 14. Mai 1989 verwiesen, mit dem die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank festgestellt worden ist.
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz). Sie ist auch sachlich begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts konnte nicht aufrechterhalten werden. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht zu.
Nach § 1247 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) erhält Rente wegen Erwerbsunfähigkeit derjenige Versicherte, der erwerbsunfähig ist und die Wartezeit erfüllt hat. Dabei ist entsprechend der Regelung in § 1247 Abs. 2 RVO erwerbsunfähig derjenige Versicherte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder infolge von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit keine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Gemäß § 1247 Abs. 3 Buchstabe a RVO, der hier alleine in Betracht kommt, ist die Wartezeit erfüllt, wenn vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt ist.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Klägerin ist zwar nach den vom Sozialgericht veranlaßten Gutachten der Sachverständigen Dres. Z., Sch. und K. als erwerbsunfähig anzusehen. Der Rentenanspruch scheitert jedoch daran, daß die Wartezeit mit einer Versicherungszeit von nur 57 Kalendermonaten nicht erfüllt ist. Die von der Klägerin im Dezember 1977 nachentrichteten 15 freiwilligen Beiträge sind entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht auf die Wartezeit für die Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit anrechenbar. Denn der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit war bereits eingetreten, als die Klägerin am 30. November 1977 die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen beantragte.
Die Klägerin konnte im November 1977 nur noch für vier bis fünf Stunden täglich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen, ohne besondere Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit, ohne psychischen Streß, ohne Akkord und ohne schweres Heben von Lasten verrichten. Mit diesen qualitativen und quantitativen Leistungseinschränkungen war die Klägerin erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO. Ein Versicherter, der auf Grund seines Gesundheitszustandes nur noch zur Verrichtung von Teilzeitarbeit in der Lage ist, kann nur dann noch eine "Erwerbstätigkeit ausüben” im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO, wenn für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen kann (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts – BSG– vom 10. Dezember 1976 in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 13). Dabei kann nur auf diejenigen Teilzeitarbeitsplätze verwiesen werden, die der Versicherte durch tägliches Pendeln von seiner Wohnung aus erreichen kann. Fehlt es an solchen Arbeitsplätzen oder sind nur wenige Arbeitsplätze dieser Art vorhanden, so ist dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen mit der Folge, daß er sein Leistungsvermögen auf rentenrechtlich beachtlichen Gründen nicht mehr in geldwerte Güter umsetzen kann (vgl. BSG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen waren im November 1977 im vorliegenden Fall gegeben. Die Klägerin hatte keinen Teilzeitarbeitsplatz inne. Wie das Arbeitsamt Kassel in seiner Auskunft vom 12. März 1985 mitgeteilt hat, waren zu dieser Zeit auf dem regionalen Arbeitsmarkt auch keine Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang vorhanden, die dem qualitativ und quantitativ eingeschränkten Leistungsvermögen der Klägerin Rechnung getragen hätten und von ihr durch tägliches Pendeln von ihrer Wohnung aus erreicht werden konnten.
Daß die Klägerin im November/Dezember 1977 mit einem Alter von nahezu 73 Jahren nur noch für vier bis fünf Stunden täglich Arbeiten unter den beschriebenen Bedingungen verrichten konnte, steht zur Überzeugung des Senats fest. Er folgt insoweit dem ausführlich und einleuchtend begründeten Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. von W. und Prof. Dr. La. vom 15. November 1984, das im wesentlichen bestätigt wird durch die vom Sozialgericht veranlagten Gutachten der Sachverständigen Dres. Z., Sch. und K., die der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls keine vollschichtige Erwerbstätigkeit mehr zugemutet haben. Auch die Klägerin selbst hat keine medizinisch relevanten Gesichtspunkte vorgetragen, die Anlaß zu Zweifeln an der Richtigkeit der Sachverständigengutachten geben könnten.
Bei dieser Sach- und Rechtslage mußte die Berufung der Beklagten Erfolg haben mit der Maßgabe, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage, ob die Berufung der an der vorliegenden Entscheidung mitwirkenden ehrenamtlichen Richter im Einklang mit den Vorschriften der §§ 13, 14 SGG steht, nach Auffassung des Senats von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Rechtskraft
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