L 8 Kr 1005/71

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 1005/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 10. August 1971 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger ist Träger des Stadtkrankenhauses, in dem am 18. Juli 1970 das Mitglied der Beklagten H. P. durch einen Notarzt ambulant behandelt wurde. Ihm wurde eine Injektion des Arzneimittels Tetanus-Hyperimmun-Globulin 259 I. E. verabreicht. Dieses Arzneimittel wurde der Krankenhaus-Apotheke entnommen.

Für die Verabreichung des Mittels berechnete der Kläger der Beklagten DM 25,68, er ging dabei von dem Apothekenverkaufspreis von 30,30 aus und zog davon den Rabatt von 7 % für die RVO-Kassen sowie DM 2,50 für den vom Versicherten unmittelbar zu tragenden Rezeptkostenanteil ab. Auf diese Forderung zahlte die Beklagte DM 16,75.

Mit seiner Klage machte der Kläger den Differenzbetrag von DM 8,93 geltend. Zur Begründung der Klage trug er vor, es bestehe zwar kein schriftlicher Vertrag über die Abrechnung ambulanter Behandlungen, doch würden seit Jahren alle Medikamente, die in derartigen Fällen verabreicht worden seien, mit der Beklagten und anderen Kassen nach dem sog. Arzneilieferungsvertrag abgerechnet und anstandslos bezahlt. Diese langjährige Übung sei als schlüssiges Handeln zu werten, durch das ein Vertrag in dem von ihm in Anspruch genommenen Sinne zustande gekommen sei. Zumindest werde durch den Arzneilieferungsvertrag die "übliche” Vergütung bestimmt. Die geltend gemachte Forderung beruhe auf dem Arzneilieferungsvertrag.

Die Beklagte machte demgegenüber geltend, zwischen den Krankenkassen und dem Stadtkrankenhaus bestehe kein Vertrag über die Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte bei ambulanter Behandlung. Die vom Krankenhausärzten bei ambulanter Behandlung ausgestellten Rezepte würden – wie die Rezepte der niedergelassenen Kassenärzte auch – von den öffentlichen Apotheken beliefert. Hierfür sei mit dem Hessischen Apothekerverein ein Arzneilieferungsvertrag abgeschlossen worden. Die Abgabe bestimmter Arzneimittel zur ambulanten Injektion verschaffe den Krankenhausapotheken nicht die Rechtsstellung einer öffentlichen Apotheke. Sie könne deshalb nicht den allgemeinen Verkaufspreis fordern. Die Krankenhäuser seien an der ambulanten Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln, abgesehen von dem im Krankenhaus verabreichten Sprechstundenbedarf, überhaupt nicht beteiligt. Aus Klinikpackungen entnommene Arzneimittel dürften auch nicht einzeln zum Preise einer Originalpackung berechnet werden.

Durch Urteil vom 10. August 1971 hat das Sozialgericht Frankfurt/M. die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger unterhalte keine öffentliche Apotheke, sondern eine Krankenhausapotheke nach § 14 des Apothekengesetzes, so daß er auch nicht den für öffentliche Apotheken kalkulierten Preis des Medikamentes fordern könne, er sei an dem Grossopreis der sog. "Landeslisten” gebunden, der die Selbstkosten für das Medikament bei Abgabe an die Insassen der Krankenanstalten decke. Diesen Preis habe die Beklagte bezahlt. Es sei auch nicht recht verständlich, aus welchen Gründen der Kläger für die Notfällen ambulant behandelten Patienten höhere Medikamentenpreise als für die stationär behandelten "Insassen” fordere.

Das Urteil wurde dem Kläger am 9. September 1971 zugestellt.

Mit seiner am 8. Oktober 1971 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenen, vom Sozialgericht zugelassenen Berufung wendet sich der Kläger gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz, er hält an seiner Auffassung fest, dass im vorliegenden Fall nach dem Arzneilieferungsvertrag abzurechnen sei. Die Landesliste könne nicht automatisch als übliche Vergütung gelten. Vielmehr sei diese Materie durchaus einer vertraglichen Vereinbarung zugänglich. So bestehe eine Vereinbarung für Sachunkosten mit der Beklagten vom 30.4./14.5.1964. Das damals allein gegen Wundstarrkrampf bekannte einfache Tetanus-Serum zählte nicht zu den Sachunkosten. Dementsprechend habe die Beklagte in den ganzen Jahren seit Abschluss dieser Vereinbarung das Tetanus-Serum nach dem Arzneilieferungsvertrag abgerechnet. Auch die Abrechnung der Tetanus-Hyperimmun-Globulin habe die Beklagte nicht unter Berufung auf die Vereinbarung abgelehnt, sondern ausserhalb der Vereinbarung vorgenommen. Bei dem verabreichten Mittel handele es sich um Sprechstundenbedarf.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt/M. vom 10. August 1971 zu verurteilen, an ihm DM 8,93 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, maßgebend sei im vorliegenden Fall der Großabnehmerpreis, der in einer sog. Landesliste für die stationäre Behandlung vereinbart worden sei, weil es eine ambulante Krankenhausbehandlung nach dem Kassenarztrecht nicht gebe. Für die Abgabe von Arzneimitteln zur ambulanten Behandlung berechneten die Krankenhäuser den Krankenkassen ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer ausdrücklichen Vereinbarung ebenfalls nur den Großabnehmerpreis. Ein höherer Preis sei auch nicht gerechtfertigt, weil es für den Einkauf und die Abgabe kein Unterschied mache, ob das Mittel einem Insassen des Krankenhauses oder einem auswärtigen Notfallpatienten injiziert werde. Im besonderen sei es unberechtigt, einen Preis zu fordern, wie ihm die öffentlichen Apotheken nach der deutschen Arzneitaxe und dem Arzneilieferungsvertrag erhielten. Der vom Kläger geforderte Preis sei nur bei Abgabe in einer Einzelpackung berechtigt.

Demgegenüber vertritt der Kläger die Auffassung, dass auch nach § 612 Abs. 2 BGB mangels Vorliegens einer vertraglichen Vereinbarung die übliche Vergütung zu gewähren sei. Diese stelle der Apothekenverkaufspreis dar.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag und dem Vorbringen der Beklagten an. Sie trägt weiter vor, die Krankenhausapotheke dürfe sich nicht als öffentliche Apotheke gerieren, sondern nur die Aufwendungen in Höhe der Selbstkosten (Erwerbskosten) fordern.

Ergänzend wird auf den vorgetragenen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht an sich statthafte und in rechter Form und Frist eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.

Der vom Kläger erhobene Anspruch lässt sich aus dem Gesetz (§§ 375 f RVO, § 5 Abs. 2 GOÄ) unmittelbar nicht herleiten. Die Vergütung für die medikamentöse Versorgung von Kassenpatienten wird vielmehr vertraglich geregelt. Unstreitig wird gerade der vorliegende Fall nicht von einer ausreichenden vertraglichen Vereinbarung unmittelbar erfasst, da es sich bei der Verabreichung der Injektion nicht um eine stationäre, sondern um eine ambulante Behandlung handelt. Die Rechtsbeziehungen, aufgrund deren das Stadtkrankenhaus O. berechtigt und sogar verpflichtet war, einem Mitglied der Beklagten ein Medikament zu verabreichen, liegen im System der kassenärztlichen Versorgung (§§ 368 f RVO). Die Abgabe des Medikamentes beruhte auf einer ärztlichen Verordnung. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob der behandelnde Arzt ein Kassenarzt oder ein nach § 368 a Abs. 8 RVO beteiligter Arzt war, weil ein Notfall vorlag (§ 368 d. Abs. 1 RVO).

Im Regelfall werden die im Rahmen der ambulanten kassenärztlichen Versorgung verordneten Medikamente durch öffentliche Apotheken abgegeben, sofern sie der behandelnde Arzt nicht selbst bereit hält. Die Verkaufspreise der öffentlichen Apotheken können jedoch im vorliegenden Falle vom Kläger nicht gefordert werden, weil er eine Krankenhausapotheke unterhält.

Nach § 14 des Gesetzes über das Apothekenwesen vom 20. August 1960 (BGBl. I, S. 697) nehmen die Krankenhausapotheken gegenüber den öffentlichen Apotheken insoweit eine Sonderstellung ein, als sie nur zur Abgabe von Arzneimitteln für Insassen der Krankenanstalten des Trägers, dem die Erlaubnis erteilt ist, und an die in den Anstalten beschäftigten Personen berechtigt ist. Damit ist der Personenkreis ihrer Abnehmer gesetzlich beschränkt. Dies hat zur Folge, dass eine Krankenhausapotheke auch im Rahmen der ambulanten kassenärztlichen Versorgung Arzneimittel nur an Insassen eines Krankenhauses abgeben darf.

Aus der Sicht des Apothekengesetzes kommt es für den Begriff des "Insassen” damit nicht darauf an, ob es sich um eine ambulante oder stationäre Behandlung handelt, weil sonst eine Abgabe von Arzneimitteln im Rahmen der ambulanten Notfallbehandlung schlechthin unzulässig wäre. Dies kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Patient von einem Arzt des Krankenhauses behandelt wird und dieser das Medikament verordnet.

Wenn sich auch der Insassenbegriff des § 14 des Apothekengesetzes mit den zwischen den Beteiligten getroffenen vertraglichen Vereinbarungen nicht decken mag, so gibt er dennoch eine geeignete Grundlage ab, um die im vorliegenden Fall ersichtlich gewordenen Probleme in den Rechtsbeziehungen der Beteiligten zu lösen. Dies hätte im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zur Folge, dass die für die stationäre Behandlung, die den Regelfall bildet, vereinbarte Vergütung auch in Fällen der ambulanten ärztlichen Versorgung gilt. Hierbei bestünde kein Unterschied mehr zwischen Krankenhausinsassen im gesetzlichen und vertraglichen Sinn. Für diese Auslegung spricht auch, dass die Beteiligten die ausdrückliche vertragliche Vereinbarung zwar nur für die stationäre Versorgung getroffen haben, auf der anderen Seite jedoch ersichtlich nicht den Willen bekundet haben, für die ambulante Versorgung eine abweichende Vereinbarung zu treffen. Andernfalls wäre mit Sicherheit ein solcher Vertrag abgeschlossen worden; denn es ist unwahrscheinlich, dass die Vertragsparteien den erklärten Willen haben konnten, abweichend von der Vorschrift des § 14 des Apothekengesetzes die Krankenhausapotheken den öffentlichen Apotheken gleichzustellen. Eine Übung allein konnte diesen Rechtszustand nicht schaffen, weil nicht erkennbar ist, dass sie in Kenntnis der Rechtsfolgen gepflogen wurde und deshalb vertragsbegründend werden sollte und konnte.

Geht man jedoch von einem vertragslosen Zustand aus, der einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht zugänglich ist, so richtet sich der Vergütungsanspruch des Klägers, sofern man die Abgabe des Medikamentes als Dienstleistung ansieht nach § 612 Abs. 2 BGB. In diesem Falle hätte die Beklagte die übliche Vergütung zu gewähren. Die Einrichtung einer Krankenhausapotheke ist auf den Bedarf der stationär behandelnden Patienten zugeschnitten. Üblich ist die Abgabe von Medikamenten an und für diesen Personenkreis. Die gesetzliche Sonderstellung erlaubt es der Krankenhausapotheke auch nicht, sich wie eine öffentliche Apotheke zu gerieren. Somit entspricht es weder dem Wortlaut noch dem Sinn des Apothekergesetzes, bei öffentlichen Apotheken bestehenden Verhältnisse als üblich im Rahmen des § 612 Abs. 2 BGB auf die Krankenhausapotheken zu übertragen. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann als üblich nicht der Apothekenkaufpreis, sondern nur der als Vergütung für die medikamentöse Versorgung der stationär behandelten Krankeninsassen zu zahlenden Grossopreis angesehen werden. Demgegenüber hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass die Beklagte aus freien Stücken in einer überwiegenden Anzahl gleichgelagerter Fälle nach dem Apothekenverkaufspreis vergütet und insoweit bewusst die Krankenhausapotheken wie öffentliche Apotheken behandelt.

Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass die Apothekenverkaufspreise aus sachlich gebotenen Gründen höher liegen als die Grossopreise für Krankenhausapotheken. Der Betrieb einer öffentlichen Apotheke ist ein auf Gewinn gerichtetes Unternehmen. Hierfür werden nicht unbeträchtliche Kapitalmittel eingesetzt und im Hinblick auf die sich aus Artikel 12 Grundgesetz ergebende Freiheit zur Eröffnung einer Apotheke wettbewerbsbedingte unternehmerische Risiken übernommen. Infolgedessen müssen die in einer öffentlichen Apotheke für Arzneimittel zu zahlenden Preise eine Gewinnspanne enthalten. Eine Krankenhausapotheke hingegen bildet keine wirtschaftliche Existenzgrundlage; sie hat innerhalb des Krankenhausbereiches praktisch eine Monopolstellung und sie verfolgt kein Gewinnstreben, sondern dient der Deckung des im Krankenhaus auftretenden Arzneimittelbedarfs. Dem trägt § 14 des Apothekergesetzes Rechnung. Hieraus folgt, dass die Kalkulation einer Krankenhausapotheke nach anderen Grundsätzen verfahren kann und in der Praxis auch regelmässig verfährt. Grundlage dieser Kalkulation ist das Selbstkostenprinzip. Dieses Prinzip gilt unterschiedslos für die stationär wie auch für die ambulant behandelten Patienten, weil im Voraus nicht abgesehen werden kann, an welchen Patienten ein Medikament abgegeben wird. Auch dies rechtfertigt eine Vergütung nach den Sätzen für stationär behandelte Patienten nicht nur nach den Grundsätzen des Vertragsrechts, sondern auch nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 ff. BGB) im letzteren Fall ist dann ebenfalls auf das Selbstkostenprinzip abzustellen, dem der Grossopreis Rechnung trägt.

Nach alledem steht dem Kläger die mit der Klage geltend gemachte Forderung nicht zu. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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