L 8 Kr 1041/68

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 1041/68
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 10. September 1968 und der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. September 1966 aufgehoben.

Es wird festgestellt, daß die Beklagten nicht berechtigt ist, aus der an die Mittelrheinische-Textil-Rohstoff-Verwertung F. V. KG gerichteten Mahnung vom 16. April 1964 gegen den Kläger persönlich die Zwangsvollstreckung zu betreiben.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um rückständige Sozialversicherungsbeiträge. Der Kläger soll angeblich Mitinhaber der Firma L. gewesen sein, die im Bereich der Beklagten ihre Niederlassung hatte. Bei dieser Firma waren die Beigeladenen zu 3.–5. beschäftigt. Bei Erlöschen der Firma L. waren noch Sozialversicherungsbeiträge für diese Beigeladenen in Höhe von 320,20 DM rückständig. Die Beklagte versuchte zunächst die Beitreibung dieser Beiträge bei der Firma L ... Daraufhin teilte der Gerichtsvollzieher mit, daß die Firma im Handelsregister gelöscht worden sei. Die Beklagte veranlaßte deshalb die Zustellung einer Mahnung vom 16. April 1964 an die Mittelrheinische Textil-Rohstoffvertretung F. V. KG in I., die dem Kläger als angeblichen ehemaligen Mitinhaber der Firma L. für Zahlung der rückständigen Beiträge in Anspruch. Die Beklagte ging davon aus, daß der Kläger Mitinhaber gewesen sei, weil in einem bei der D. Bank hinterlegten Unterschriftsbogen der Kläger als Mitinhaber bezeichnet worden sei.

Am 12. Oktober 1965 legte der Kläger Beschwerde gegen die Geltendmachung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen bei dem Versicherungsamt ein mit der Begründung, daß er niemals Inhaber oder Mitinhaber der Firma L. gewesen sei. Die Beklagte betrieb inzwischen das Offenbarungseidverfahren gegen den Kläger, in dessen Verlauf das Amtsgericht F. einen Haftbefehl gegen den Kläger erließ, der jedoch nicht vollstreckt wurde. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 27. September 1966 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Heranziehung zur Beitragsleistung zurück und führte dabei zur Begründung aus, daß die beigeladenen zu 3.–5. als Werkmeister, Hilfsarbeiter und Kraftfahrer während des Beschäftigungsverhältnisses der Versicherungs- und Beitragspflicht zur Kranken-, Arbeiterrenten- und Arbeitslosenversicherung unterlagen hätten. Lediglich die Beiträge für die Monate Oktober und November 1963 seien bezahlt worden, so daß bei Auflösung der Firma noch ein Beitragsrückstand von insgesamt 320,20 DM bestanden habe. Der Kläger sei auch Mitinhaber der Firma gewesen und als solcher Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge. Die Beklagte stützte sich hierbei auf von ihr eingeholte Auskünfte der Beigeladenen zu 2.–5.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Klage zum Sozialgericht Frankfurt a.M., mit der er erneut darauf hinwies, daß er nie Inhaber der Firma L. gewesen sei. Vielmehr sei ein Herr D. als Arbeitgeber aufgetreten. Die Auskünfte der Beigeladenen seien ohne Beweiswert, da sie lediglich beeinflußte Antworten auf gezielte Fragen gewesen seien.

Das Sozialgericht Frankfurt a.M. lud die Landesversicherungsanstalt Württemberg, die Bundesanstalt für Arbeit und die bei der Firma L. beschäftigt gewesenen Beigeladenen zu 3.–5. durch Beschluss vom 5. Januar 1967 bei. Danach nahm die LVA Württemberg dahin Stellung, daß der Kläger als Arbeitgeber anzusehen sei, da Arbeitgeber derjenige sei, dem im Arbeitsverhältnis die Vergütungsgewalt über die Arbeitskraft des Versicherten zustehe, für dessen Rechnung der Lohn gezahlt werde und dem der Erfolg der Arbeitsleistung zugute komme. Selbst wenn auch Herr D. Mitinhaber der Firma gewesen sein sollte, könne der Kläger im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung für den gesamten Beitragsrückstand in Anspruch genommen werden. Er sei gemäß § 1396 RVO zur Beitragszahlung heranzuziehen.

Eine schriftliche Auskunft des Beigeladenen S. vom 22. November 1967 ergab, daß Herr D. als Prokurist der Firma L. aufgetreten sei und den Kläger als Inhaber der Firma bezeichnet habe. Im Auftrage von Herrn D. habe Herr S. den Beigeladenen S. und den Beigeladenen M. beschäftigt.

Das Sozialgericht Frankfurt a.M. gab in der mündlichen Verhandlung am 28. November 1967 seine Zweifel darüber kund, ob die Widerspruchsfrist eingehalten worden sei. Hierzu äußerten sich die Beteiligten nicht.

Mit Urteil vom 10. September 1968 wies das Sozialgericht Frankfurt a.M. die Klage ab. In der Begründung wurde ausgeführt, daß die Mahnung vom 16. April 1964, die dem Kläger ausweislich der Akte der Beklagten persönlich zugestellt worden sei, als Bescheid angesehen werden müsse, da mit dieser Mahnung erstmals die Beitragsforderung dem Kläger persönlich gegenüber geltend gemacht worden sei, gegen diesem Bescheid wäre das Rechtsmittel des Widerspruchs gegeben gewesen. Er habe jedoch keine Rechtsmittelbelehrung enthalten. Nach § 66 SGG sei daher die Einlegung des Widerspruches innerhalb eines Jahres nach Zustellung zulässig gewesen, abgesehen von dem Fall, daß die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich ist. Der Rechtsbehelf sei aber erst am 20. Juli 1965 eingelegt worden, also später als ein Jahr nach Zustellung des Bescheides, ohne daß Anhaltspunkte gewesen sei. Das Sozialgericht war daher der Auffassung, daß die Widerspruchsfrist versäumt gewesen sei und deshalb der Bescheid vom 16. April 1964 für gemäß § 77 SGG, die Klage habe daher keinen Erfolg haben können.

Gegen dieses dem Kläger am 13. September 1968 zugestellte Urteil richtet sich die am 12. Oktober 1968 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er erneut darauf hinweist, daß er nicht Inhaber der Firma L. gewesen sei und sich im übrigen dagegen wendet, daß das als Mahnung bezeichnete Schreiben als Verwaltungsakt angesehen werden müsse. Ferner habe doch ein Fall höherer Gewalt vorgelegen, weil er sich seit Anfang Dezember 1964 im Zusammenhang mit einer Wiedergutmachungsstrafsache in Untersuchungshaft befunden habe und erst im Juli 1965 wieder aus der Haft entlassen worden sei.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 10. September 1968 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. September 1966 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, aus der an die Firma F. V. KG, L., gerichteten Mahnung vom 16. April 1964 gegen den Kläger die Zwangsvollstreckung zu betreiben.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1. und zu 2. beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Ergänzend wird auf den vorgetragenen Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Unterlagen der Beklagten sowie der Akte des Amtsgerichts F. xxxxx Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch zulässig, da ihr Ausschlußgründe nicht entgegenstehen (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG).

Sie ist auch begründet.

Die Beklagte nimmt den Kläger persönlich wegen der Beitragsrückstände der Beigeladenen zu 3. bis 5. in Anspruch. Dies könnte sie nur, wenn der Kläger entweder persönlich Arbeitgeber der Beigeladenen zu 3. bis 5. und als solcher verpflichtet gewesen wäre, für die Beigeladenen die Beiträge abzuführen oder wenn er als Mitinhaber der als Arbeitgeber anzusehenden Firma L. persönlich verpflichtet wäre. Ob der Kläger tatsächlich Mitinhaber gewesen ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Daß er nicht persönlich Arbeitgeber der Beigeladenen zu 3. bis 5. war, ist unter den Beteiligten unstreitig.

Selbst wenn jedoch der Kläger als Mitinhaber der Firma L. zur Beitragsleistung verpflichtet gewesen wäre, hätte es zur Zwangsvollstreckung wegen dieser Beiträge gegen den Kläger persönlich nicht nur eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels gegen den Kläger persönlich, sondern auch dessen klage behauptet, daß die Mahnung vom 16. April 1964 ein gegen den Kläger persönlich gerichteter Titel sei und dieser Titel dem Kläger auch persönlich zugestellt worden sei, so daß da eine Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt wäre, unabhängig davon, ob und welche Rechtsmittelbelehrung diese Mahnung enthalten hätte. Das ist jedoch nicht richtig.

Die Mahnung vom 16. April 1964 war nach den Unterlagen der Beklagten eindeutig an die "Mittelrheinische Textil-Rohstoff-Verwertung” in L. gerichtet. Dieser Anschrift ist handschriftlich hinzugefügt worden "F. V. KG.” In dieser Mahnung heißt es dann weiter, daß für die Firma L. Sozialversicherungsbeiträge rückständig seien. Diese Mahnung ist nach der vorliegenden Postzustellungsurkunde zwar unter der Anschrift des Klägers in F. dessen Vermieter zugestellt worden, damit liegt aber ein zur Zwangsvollstreckung gegen den Kläger persönlich geeigneter Titel schon deshalb nicht vor, weil die Mahnung überhaupt nicht an den Kläger persönlich gerichtet war, sondern lediglich unter seiner Anschrift zugestellt worden ist.

Mangels eines Titels gegen den Kläger war die Beklagte daher nicht berechtigt, gegen den Kläger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu betreiben. Dies hat der Senat auf die zulässige Berufung ausgesprochen und gleichzeitig den damit ohne Rechtsgrundlage ergangenen Widerspruchsbescheid aufheben müssen. Auch das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. war aufzuheben, da es bei dieser Rechtslage auf eine etwaige Fristversäumung nicht ankommt. Ein gegen den Kläger gerichteter Bescheid war überhaupt nicht vorhanden.

Es war daher, wie geschehen, zu erkennen.
Rechtskraft
Aus
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