L 3 AL 4221/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AL 551/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 4221/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) bis zum 02.01.2001 befristen durfte.

Der am 20.08.1947 geborene Kläger stand ab 1993 mit Unterbrechungen im Leistungsbezug der Beklagten. Am 28.03.2000 wurde er aus der JVA Kenzingen entlassen und stellte am 05.04.2000 bei der Beklagten Antrag auf Wiederbewilligung von Alhi. Hierzu legte er eine Meldebestätigung vor, wonach er unter der Anschrift K. Str. 7, H., 77866 Rheinau seit dem 15.07.1997, zur Zeit mit alleiniger Wohnung, gemeldet sei. Mit Bescheid vom 20.04.2000 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, der Kläger habe nicht innerhalb des letzten Jahres vor der Arbeitslosmeldung Arbeitslosengeld (Alg) oder Alhi bezogen, ein die Vorfrist verlängernder Tatbestand sei ebenfalls nicht gegeben. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.05.2000).

Nachdem der Kläger im anschließenden gerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht Freiburg (S 8 AL 1872/00) Arbeitsbescheinigungen vorgelegt hatte, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2001 Alg vom 05.04.2000 bis 01.10.2000 und nachfolgend mit Bescheid vom 10.10.2001 Alhi vom 02.10.2000 bis 31.12.2000.

Mit weiterem Bescheid vom 10.10.2001 bewilligte die Beklagte Alhi vom 01.01.2001 bis 02.01.2001 mit einem Zahlbetrag von 50,60 DM täglich, nachdem der Kläger ausweislich der Beratungsvermerke der Beklagten am 18.01.2001 bei dieser vorgesprochen und mitgeteilt hatte, er sei ab 03.01.2001 in Frankreich wohnhaft unter der Adresse 9 rue de L’Hotel de Ville, F-67860 Rhinau.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, er habe auch nach dem 02.01.2001 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden und sei weiterhin bedürftig gewesen.

Nachdem die Beklagte darauf hingewiesen hatte, die Bewilligung von Alhi sei deshalb bis zum 02.01.2001 befristet worden, weil der Kläger mitgeteilt habe, er sei nach Frankreich verzogen und diese Aussage durch die gleichzeitige Beantragung einer Bescheinigung "E 301" bekräftigt habe, trug der Kläger mit Schreiben vom 11.09.2001 vor, die Abmeldung nach Frankreich sei von ihm pro forma getätigt worden, weil dieses Vorgehen ein legaler Weg gewesen sei, um wieder in den Besitz eines für ihn wichtigen Dokumentes zu gelangen. Er sei nach wie vor telefonisch und postalisch unter seiner angegeben Anschrift erreichbar gewesen und habe sich nach wie vor für eine ihm zumutbare Arbeit zur Verfügung gestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, der Kläger habe den Vermittlungsbemühungen wegen fehlender Erreichbarkeit nicht zur Verfügung gestanden. Er sei nicht arbeitslos gewesen und habe deshalb keinen Leistungsanspruch.

Gegen den am 16.01.2002 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 20.02.2002 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung beantragt, seine psychisch kranke Ehefrau habe die Post verschwinden lassen. In der Sache hat er vorgetragen, er sei täglich unter der angegebenen Adresse erreichbar gewesen und habe auch mehrmals bei der Beklagten wegen einer Tätigkeit vorgesprochen. Bei der Anmeldung in der französischen Nachbargemeinde habe es sich lediglich um eine formal erforderliche Anmeldung gehandelt, um erneut einen Führerschein zu erhalten.

Mit Urteil vom 08.09.2003 hat das SG unter Gewährung von Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Klagefrist die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, der Kläger habe auch über die Verordnung (VO) (EWG) 1408/71 keinen Anspruch auf Alhi gehabt, da er sich nicht bei der Arbeitsverwaltung in Frankreich arbeitsuchend gemeldet habe. Da er gegenüber der Beklagten angegeben habe, er verlege seinen Wohnsitz nach Frankreich und gleichzeitig eine Bescheinigung "E 301" beantragt habe, könne er nicht damit gehört werden, dass er seinen Wohnsitz nicht nach Frankreich verlegt habe.

Gegen das am 18.09.2003 mit Übergabe-Einschreiben zur Post gegebene Urteil hat der Kläger am 15.10.2003 Berufung eingelegt. Er trägt vor, er habe eine Bescheinigung nach "E 301" nie beantragt, sondern nur danach gefragt. Auch sei er nie in Rhinau/Frankreich gemeldet gewesen. Er habe sich dort lediglich nach dieser Vorgehensweise erkundigt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgericht Freiburg vom 8. September 2003 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 2. Januar 2001 hinaus Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts sowie die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden zu Recht Alhi lediglich bis zum 02.01.2001 bewilligt.

Nach § 190 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alhi, die

1. arbeitslos sind, 2. sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben, 3. einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben, 4. in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist und 5. bedürftig sind.

Arbeitslos ist gemäß § 118 Abs. 1 SGB III ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche).

Nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 SGB III sucht eine Beschäftigung, wer den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes steht gemäß § 119 Abs. 2 SGB III zur Verfügung, wer arbeitsfähig und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist. Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser, der u.a. Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III). In der auf der Grundlage der Anordnungsermächtigung in § 152 i.V.m. § 376 Abs. 1 SGB III ergangenen Erreichbarkeitsanordnung vom 23.10.1997 (EAO) sind die Pflichten der Leistungsbezieher näher konkretisiert. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO hat der Arbeitslose sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann.

Der Kläger hat der Beklagten mitgeteilt, dass er ab 03.01.2001 in Frankreich wohnhaft sei. Die genaue Anschrift gab er an mit 9, rue de L’Hotel de Ville, Fr-67860 Rhinau. Seine Aussage über die Ausreise nach Frankreich hat der Kläger dadurch bekräftigt, dass er gleichzeitig die Bescheinigung "E 301" beantragt hat, mit der die in Deutschland zurückgelegten Beschäftigungszeiten für einen ausländischen Sozialversicherungsträger bescheinigt werden.

Durch die Verlegung des Wohnsitzes nach Frankreich ist der Anspruch des Klägers auf Alhi entfallen. Nach § 30 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuches für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Danach können Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB III nur von Personen geltend gemacht werden, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Vorschriften des SGB III finden deshalb nur dann Anwendung, wenn die Voraussetzungen des § 30 SGB I erfüllt sind, d.h. der Arbeitslose seinen ständigen Aufenthalt oder Wohnsitz in Deutschland hat (vgl. BSG Urteil vom 09.02.1994 -11 RAr 1/93 - SozR 3-6050 Art. 71 Nr. 5; BSG Urteil vom 29.06.1995 - 11 RAr 9/95 - SozR 3-6050 Artikel 71 Nr. 8). Ein Leistungsexport ins Ausland kommt nur unter den Voraussetzungen der Artikel 67 ff. VO (EWG) 1408/71 in Betracht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da sich der Kläger bei der Arbeitsverwaltung in Frankreich nicht arbeitsuchend gemeldet hat. Insoweit wird gemäß § 154 Abs. 2 SGGG auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings entschieden, dass unter eng begrenzten Ausnahmefällen ein Leistungsanspruch auch bei einem Auslandsaufenthalt besteht (BVerfG Beschluss vom 30.12.1999 - 1 BvR 809/95 - SozR 3-1200 § 30 Nr. 20). Danach gebietet Artikel 3 Abs. 1 grundgesetz (GG) eine verfassungskonforme Auslegung des § 30 Abs. 1 SGB I dahingehend, dass dem Anspruch eines zuvor in Deutschland beitragspflichtigen Grenzgängers auf Alg oder Alhi der Auslandswohnsitz jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn die übrigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt, dass dann, wenn das Wohnsitzprinzip dem Eingriff durch Auferlegung von Beiträgen nicht entgegensteht, territoriale Gründe nicht erstmals gegen die Einlösung des mit Beiträgen erworbenen Versicherungsschutzes ins Feld geführt werden können. Dies bedeutet, dass ein Arbeitnehmer, der während einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland im Ausland wohnt, nach Eintritt der Arbeitslosigkeit auch bei Beibehaltung seines Wohnsitzes einen Anspruch erwerben kann. Diese Konstellation ist vorliegend jedoch nicht gegeben, da der Kläger während seiner Beschäftigung nicht in Frankreich, sondern in Deutschland wohnhaft war und erst während des Leistungsbezugs nach Frankreich gezogen ist.

Schließlich stehen auch die jedem Unionsbürger durch Artikel 18 EG zuerkannte Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit der Aufenthaltspflicht nicht entgegen (EuGH Große Kammer, Urteil vom 18.07.2006 - C 406/04).

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch dann nicht, wenn der Vortrag des Klägers, er habe sich tatsächlich weiterhin unter seiner bisherigen Anschrift in Deutschland aufgehalten, als wahr unterstellt wird. Bei seiner Vorsprache bei der Beklagten am 18.01.2001 hat er unter Mitteilung seiner Anschrift in Frankreich unzweideutig mitgeteilt, dass er ab 03.01.2001 in Frankreich wohnhaft sei. Anhaltspunkte dafür, dass es sich nur um eine Briefkastenadresse handle, hatte die Beklagte nicht. Die Beklagte musste deshalb davon ausgehen, dass der Kläger nach Frankreich umgezogen und unter seiner bisherigen Anschrift in Deutschland nicht mehr erreichbar sei. Selbst wenn sich der Kläger deshalb weiterhin in Deutschland aufgehalten hätte, war die bisherige Adresse nicht mehr die nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO benannte Anschrift des Klägers.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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